§ 129 StGB – Stumpfes Schwert oder Wunderwaffe der OK-Bekämpfung?
Von PD Helgo Martens, Hamburg¹
1 Einleitung
Kriminelle Vereinigung – bei unbefangener Betrachtung erweckt dieser Begriff Assoziationen zu den klassischen Mafiaorganisationen und indiziert demgemäß einen engen Bezug zur Organisierten Kriminalität. Ein solches Verständnis der Strafvorschrift hat sich nicht zuletzt bei der gesellschaftlichen Diskussion um Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Angehörigen der „Letzten Generation“ gezeigt. So kritisiert Steinke die Einleitung eines Strafverfahrens der Generalstaatsanwaltschaft München gegen einzelne Aktivisten der Gruppierung wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung mit dem Hinweis darauf, dass auf diese Weise ein „Anti-Mafia-Paragraf“ in Stellung gebracht werde, der die Beschuldigten eines Bagatelldelikts mit „Mafia und Menschenhändlerringen“ gleichsetze.2 Tatsächlich lässt der Blick auf die Ermittlungspraxis aber deutlich erkennen, dass der Strafnorm des § 129 StGB in den Phänomenbereichen der OK allenfalls eine Randbedeutung zukommt. In der Mehrheit der Fallkonstellationen werden über diesen Tatbestand Organisationen erfasst, die sich zur Begehung von politisch relevanten Straftaten zusammengeschlossen haben, gleichwohl aber noch nicht als terroristische Vereinigung i.S.d. § 129a StGB qualifiziert werden können. Ursächlich hierfür dürfte der ursprüngliche Charakter des § 129 StGB als Staatsschutzvorschrift3 sein, der gesetzessystematisch durch deren Anordnung im siebenten Abschnitt des StGB unter den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung unterstrichen wird. Dies schließt die Heranziehung der Norm für die Verfolgung von OK-Gruppierungen zwar nicht aus. Indes erschwerte in der Vergangenheit der von der Rechtsprechung entwickelte strafrechtliche Vereinigungsbegriff die effektive Anwendung des § 129 StGB in der OK-Bekämpfung.
Hiernach waren in Anlehnung an den in § 2 Abs. 1 VereinsG manifestierten Vereinsbegriff solche Strukturen zu verlangen, aus denen die Unterordnung des Einzelnen unter dem von einem gemeinschaftlichen Zweck getragenen Organisationswillen hervorgeht.4 Typischerweise muss der Nachweis derartiger möglichst vereinsähnlicher Willensbildungsprozesse aber gerade in der von Abschottung geprägten OK Schwierigkeiten bereiten. Darüber hinaus erkannte die Rechtsprechung in der bloßen Absicht der gemeinsamen Erzielung krimineller Gewinne kein hinreichendes Organisationsziel für die Annahme einer kriminellen Vereinigung, da anderenfalls eine Verwässerung des strafrechtlichen Vereinigungsbegriffs mit dem strafschärfenden Tatbestandsmerkmal der Bande befürchtet werde müsste.5 Somit war ein den Individualinteressen der Mitglieder übergeordnetes Organisationsziel zu verlangen. Die Bundesrepublik Deutschland musste sich vor dem Hintergrund der restriktiven Anwendbarkeit des § 129 StGB auf OK-Gruppierungen in der Konsequenz vorhalten lassen, den Rahmenbeschluss der Europäischen Union (EU) zur OK-Bekämpfung vom 24.10.20086 (RB-OK) nicht in der Strafgesetzgebung umzusetzen. Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten insbesondere, die Strafverfolgung von Personen zu gewährleisten, die sich aktiv an kriminellen Vereinigungen beteiligen. Die in Art. 1 Nr. 1 des o.a. RB-OK aufgenommene Definition einer kriminellen Vereinigung hebt in diesem Zusammenhang als einziges Organisationsziel die unmittelbare oder mittelbare Verschaffung eines finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteils hervor. Da die Rechtsprechung sich jedoch aufgrund der dargelegten dogmatischen Bedenken an einer europarechtskonformen Auslegung des § 129 Abs. 1 StGB gehindert sah, fügte der Gesetzgeber schließlich im Zuge des 54. Strafrechtsänderungsgesetzes (54. StRÄndG)7 mit Wirkung zum 22.7.2017 eine Legaldefinition als Abs. 2 in den § 129 StGB ein. Nach dieser Vorschrift gilt nunmehr als kriminelle Vereinigung „ein auf längere Dauer angelegter von einer Festlegung von Rollen der Mitglieder, der Kontinuität der Mitgliedschaft und der Struktur unabhängiger organisierter Zusammenschluss von mehr als zwei Personen zur Verfolgung eines übergeordneten gemeinsamen Interesses“. Bei der Abfassung der Legaldefinition war der Gesetzgeber erkennbar von dem Bestreben geleitet, einerseits die Anwendbarkeit des § 129 StGB auf OK-Gruppierungen nach Maßgabe des RB-OK zu ermöglichen, andererseits aber den bisherigen Normcharakter und die diesbezüglich entwickelte Auslegungspraxis nicht aufzulösen. Demzufolge kann in der Einfügung der Legaldefinition auch kein Paradigmenwechsel bei der Zuordnung von OK-Gruppierungen unter den Tatbestand der kriminellen Vereinigung erkannt werden. Gleichwohl war die Rechtsprechung gehalten, den strafrechtlichen Vereinigungsbegriff an die geänderte Gesetzeslage anzupassen bzw. fortzuentwickeln. Mittlerweile lassen mehrere Entscheidungen des zuständigen 3. Strafsenats des BGH erste Konturen erkennen, unter welchen tatsächlichen Voraussetzungen OK-Gruppierungen als kriminelle Vereinigung verfolgt werden können. Die Vorschrift sollte daher hinsichtlich ihrer Heranziehung als In-strument der OK-Bekämpfung einer Neubewertung unterzogen werden.
2 Schutzzweck der Norm
Der wesentliche Schutzweck der Norm liegt in der Zielsetzung, mit den Mitteln des Strafrechts Gefahren abzuwehren, die der öffentlichen Sicherheit und staatlichen Ordnung durch kriminelle Personenzusammenschlüsse drohen.8 Demgemäß ist der Vorschrift ein polizeirechtlicher Einschlag beizumessen. Gleichwohl folgt aus dieser Intention nicht die Auslegung des geschützten Rechtsguts nach polizeirechtlichen Kautelen. Die systematische Stellung des § 129 StGB im Staatsschutzstrafrecht legt vielmehr eine überindividuelle Schutzrichtung der Norm nahe, die Rechtsgüter des Einzelnen zumindest nicht unmittelbar erfasst. Folglich dient die Regelung nicht lediglich der Vorverlagerung der Strafbarkeit von denjenigen Taten, zu deren Begehung sich die Vereinigung zusammengeschlossen hat.9 Der Strafgrund der Sanktionierung von kriminellen Vereinigungen stützt sich somit im Kern auf die gesetzgeberische Einschätzung, dass von derartigen Gruppierungen schwerwiegende Gefahren für Staat und Gesellschaft ausgehen können. Auf dieser Risikobewertung basiert auch die Ausgestaltung der Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt.10 Daher setzt die strafrechtliche Verfolgung einer kriminellen Vereinigung nicht den Nachweis einer konkreten Gefährdungslage für die geschützten Rechtsgüter voraus. Die Betrachtung des Schutzzwecks lässt insoweit erkennen, dass OK-Gruppierungen vom Anwendungsbereich des § 129 StGB grundsätzlich erfasst werden, da mit ihrem Wirken ein hohes Bedrohungspotenzial für die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens und den gesellschaftlichen Frieden verbunden ist. Der staatschutzrechtlichen Relevanz von OK-Delikten tragen im Übrigen einige Bundesländer durch die Aufnahme von Bestrebungen der OK in den gesetzlichen Beobachtungsauftrag ihrer Verfassungsschutzämter Rechnung.11 Im Ergebnis ist daher zu konstatieren, dass bereits der genuine Normcharakter gebietet, OK-Gruppierungen als Variante der kriminellen Vereinigung zu begreifen.
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