Fußballsport und Fangewalt
Erscheinungsformen, Präventionsmöglichkeiten und Gegenmaßnahmen
Von Prof. Dr. Thomas Nern, Hannover1
1 Vorbemerkung
Gewalttätige Handlungen bei Fußballspielen sind ein Problem, das sowohl in den Profiligen als auch im Amateurbereich auftritt. Seitens der regelmäßig einberufenen Sportministerkonferenz wurde unlängst darauf hingewiesen, dass der Fußballsport trotz seiner sozial integrativen Potentiale so regelmäßig wie keine andere Sportart von aggressiven Zusammenstößen von Fans und Gewalt begleitet wird. In der Konsequenz seien wirksame Einzelmaßnahmen zur Prävention, zur Eindämmung und ebenso zu einer zielgerichteten Sanktionierung solcher Vorfälle anzuwenden.2 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit entsprechenden Maßnahmen und fokussiert dabei insbesondere Möglichkeiten der Gewaltprävention. Einleitend wird jedoch zunächst auf die Faszination des Fußballs und die grundlegende Rolle von Fans eingegangen, um sich im Anschluss Erklärungsversuchen dahingehend zu widmen, warum und in welcher Form Gewalt in Stadien und im Umfeld überhaupt auftritt.
2 Faszination des Fußballs und Bedeutung der Fans
Fußball gehört in Deutschland und auch anderen Ländern zu den beliebtesten Sportarten. In Deutschland sind bei den meisten Partien der höchsten Spielklasse (1. Bundesliga) die Stadien gut gefüllt bis durchgehend ausverkauft. Aber auch viele Spiele der 2. Bundesliga und 3. Liga erfahren einen hohen Zuschauerzuspruch. Die mediale Aufmerksamkeit stellt sich entsprechend intensiv dar. Wie aber ist dieses Interesse am Fußball bzw. die Faszination dieses Sports zu erklären?
Der Versuch, wirklich erschöpfende Antworten auf diese Frage zu geben, würde den Rahmen des vorliegenden Beitrags sprengen. Im Sinne einer annähernden Beantwortung sind aber zumindest die folgenden sechs Faktoren zu nennen:
(1) Die Grundregeln des Fußballs sind einfach und gleichsam universell verständlich. Dies schafft ein Gefühl der Verbindung zwischen Angehörigen unterschiedlicher Kulturkreise.
(2) Fußballspiele bieten unerwartete Wendungen. Gerade diese Unvorhersehbarkeit respektive oftmals Unberechenbarkeit bis zur letzten Spielminute trägt zur Spannung bei.
(3) Bei vielen Fußballfans findet sich eine starke Identifikation mit „ihrem“ Team und dem Verein.
(4) Vor allem in den oberen Spielklassen zeichnen sich die fußballerischen Leistungen oftmals durch beeindruckende Virtuosität, Können und Spielwitz aus.
(5) Fußballspiele haben eine wichtige soziale Funktion. Sie bringen – innerhalb der Mannschaft, in einem Stadion, in einer Sportsbar, bei einem „Public Viewing“ oder nicht selten auch vor dem eigenen TV – Menschen zusammen, die dann interagieren und ein Gemeinschaftsgefühl erleben können.
(6) Und schließlich erfährt, wie eingangs bereits kurz erwähnt, durch die umfassende Berichterstattung in den Medien das Interesse am Fußball immer wieder neue Impulse.3
Die Bedeutung der Zuschauer bzw. Fans bei Fußballspielen kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ohne Fans bietet sich, wie etwa die Spiele vor leeren Rängen während der Corona-Pandemie zeigten, ein letztlich trostlos anmutendes Bild: es fehlt schlichtweg ein wichtiges atmosphärisches Element. Der Autor hatte auch in seinen eigenen empirischen Erhebungen zur Rezeption von Sportveranstaltungen durch Fans feststellen können, dass das „Arousal“ und die emotionale Aktivierung von Zuschauern beim Stadionbesuch weitaus intensiver ist als etwa beim Verfolgen eines Fußballspiels „am Schirm“.4 Generell erwächst der Reiz des Fußballs aus der Partizipation von Interessierten und Fans unterschiedlichster Prägungen: „Fußball zog und zieht Millionen in seinen Bann unabhängig vom Alter, Geschlecht, Bildungsstand und sozialer Herkunft. Die Fankultur und Fanszene präsentieren sich entsprechend ebenso vielschichtig und bunt, wie widersprüchlich. Das Spektrum reicht vom kleinen Jungen bis zum graubärtigen Opa, von dem ‚mit den Wölfen heulenden Mädchen‘ bis zur gereiften Oma, vom hemmungslos jubelnden bis hin zum distanziert konsumierenden Fan, vom friedfertigen Schlachtenbummler bis hin zum gewaltfaszinierten Hooligan, vom ‚Linken‘ bis zum ‚Rechten‘“.5
3 Fußballfans und Gewalt
Trotz der zuvor beschriebenen Faszination und sozial-integrativen Funktion des Fußballsports müssen hier leider immer wieder gewalttätige Vorkommnisse im Zusammenhang mit Fans verzeichnet werden. Welche Zustandsbeschreibungen und Erklärungen wurden hierfür seitens der Praxis und wissenschaftlichen Forschung beigebracht? Während sich die kriminologische Forschung in England mit Gewalttätigkeiten anlässlich von Fußballspielen („Hooliganism“) bereits in den 1960er-Jahren auseinandersetzte, war diesbezüglich in anderen europäischen Ländern erst ab den 1990er-Jahren ein systematisiertes Forschungsinteresse erkennbar. Noch bis zu den frühen 2000er-Jahren konnten allerdings wirklich belastbare empirische Erkenntnisse nur vereinzelt beigebracht werden. Mit anderen Worten: die Forschungslage erwies sich als eher beschränkt.6
Im Hinblick auf Fußballhooligans in Deutschland kristallisierte sich im weiteren Forschungsverlauf heraus, u.a. gestützt auf Erhebungen der Polizei sowie von Vereinen und Fanprojekten, dass sich teils eine Verlagerung der Gewalt aus den Stadien sowie in das Umfeld unterer Ligen und auch gegen Unbeteiligte und Sicherheitskräfte vollzogen hatte. Es musste zudem eine zunehmende Brutalität bei den Auseinandersetzungen konstatiert werden. Für die zuweilen vertretene Hypothese, dass es sich bei gewalttätigen Fans nicht selten um gleichsam „normale“ – und womöglich nicht einmal sonderlich am Fußballsport interessierte – Bürger handele, die über die Gewalthandlungen letztlich nur ein „Stimulierungs- und Aggressionsbedürfnis ausleben“, fand sich keine belastbare Bestätigung. Allerdings zeigten sich bei Fußballhooligans gehäuft Probleme in den Herkunftsfamilien, in der Schul-/Berufslaufbahn sowie eine generell erhöhte Aggressionsneigung. Festzustellen waren ferner Überlappungen mit anderen Gewaltmilieus sowie auch hierarchische Strukturen mit interessanterweise biographisch weniger belasteten, dafür aber stärker aggressionsbereiten und auch vergleichsweise intelligenten Rädelsführern.7
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