Kriminalitätsbekämpfung

„Black Axe“ und die deutsche Prostitutionsgesetzgebung

Von EKHK a.D. Manfred Paulus, Ulm¹

 

Das Bundeskriminalamt (BKA) stellte bereits im Jahr 2014 im Bundeslagebild Menschenhandel fest: „Der nigerianische Menschenhandel ist ein europäisches Problem. Täter und Opfer sind netzwerkartig über Europa verteilt“. Und der Bundesnachrichtendienst (BND) warnte im Jahr 2019 ausdrücklich vor den kriminellen und gefährlichen nigerianischen Geheimbünden, die sich zunehmend (auch) in Deutschland ausbreiten. Doch noch immer denkt man in Deutschland selbst in verantwortlichen Bereichen vor allem an die italienische Mafia, an die südamerikanische Drogenkartelle oder auch an Clankriminalität, wenn von Organisierter Kriminalität (OK) die Rede ist. Das hoch-kriminelle nigerianischen Netzwerk, das sich über Deutschland spannt, wird dagegen noch immer nicht so richtig wahrgenommen. Nicht zuletzt deshalb, weil diese Nigeria-Connection unter der Oberfläche agiert und nur sehr selten auf sich aufmerksam macht.

 

1 Nigeria-Connection


Man weiß, dass diese als „Black Axe“ bezeichneten nigerianischen Tätergruppierungen im Bereich des Drogen- und Menschenhandels aktiv sind, dass sie sich mit digitalen Betrugsmaschen wie „romance scam“ (Vortäuschen einer Liebesbeziehung in betrügerischer Absicht) befassen und dass sie Geldwäsche im großen Stil betreiben, dass sie also die Lebensadern des globalen Verbrechens bedienen und erweitern. Ignoriert oder verkannt aber wird noch immer, mit welch beängstigender Macht dieses komplexe, mafiaähnliche Netzwerk in Europa, nicht zuletzt in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz Platz ergriffen hat. Dass gegenwärtig allein in Deutschland zehn- bis zwanzigtausend (und vielleicht noch viel mehr) nigerianische Mädchen und Frauen als Sexsklavinnen ausgebeutet werden, wird zum Beispiel anhaltend als „Prostitution“ gesehen, bedenkenlos hingenommen und allenfalls von den Ermittlungsbehörden mit Organisierter Kriminalität (OK) in Verbindung gebracht.


Die Schweizer Bundespolizei (FedPol) geht davon aus, dass gegenwärtig über 100 Mitglieder dieser kriminellen nigerianischen Organisation im Land der Eidgenossen aktiv sind. Und die Behörde warnt: Diese Bedrohung wächst weiterhin an. Auch wird darauf hingewiesen, wie schwierig es für die Ermittler ist, Informationen über diese gefährlichen Tätergruppierungen zu erhalten. Von denen, die gewisse Einblicke haben, also von Polizisten, Justizbeamten, Angehörigen von Nichtregierungsorganisationen, Betroffenen und Detektiven, werden Informationen oft nur widerwillig und wenn, dann zumeist nur anonym erteilt, weil Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten sind.


Drohungen und brutale Gewalt sind das Geschäft dieser nigerianischen Tätergruppierungen und sie betreiben keine Spielchen, sie machen ernst. In der Stadt Zürich wurden von der Schweizer Polizei etwa 150 Nigerianerinnen in der (Zwangs-)Prostitution gezählt und es wurde errechnet, dass diese täglich etwa 18.000 SFr. an Einnahmen erzielen. Da den Mädchen aus Nigeria davon so gut wie nichts bleibt, erzielt die Nigeria-Connection mit den von ihr kontrollierten Sexsklavinnen allein in Zürich jährliche Einnahmen von etwa 6,5 Millionen Schweizer Franken.

 

2 Hohe Einnahmen aus kriminellen Geschäften


Überträgt man das auf Deutschland und auf die geschätzten zehn- bis zwanzigtausend, im Rahmen der Flüchtlingsströme ins Land geschleusten und der Sexsklaverei zugeführten Mädchen und Frauen (es könnten inzwischen noch viel mehr sein), so dürfte die „Nigerianische Mafia“ auf den deutschen Sexmärkten Jahr für Jahr Einnahmen von 400 bis 800 Millionen Euro erwirtschaften. Einnahmen aus anderen kriminellen Geschäften kommen noch hinzu. Die Geldwäsche im großen Stil zum Beispiel, die dadurch ermöglicht wird, weil in Deutschland noch immer nahezu alles in bar bezahlt werden kann. Dabei werden unter anderem gebrauchte Pkw aufgekauft, von Rotterdam aus nach Nigeria verschifft und dort gewinnbringend verkauft. Und wenn in der Schweiz über 100 Angehörige dieser Verbrecherorganisation aktiv sind, so ist zu befürchten, dass es in Deutschland tausende sind.


Wie die Angehörigen dieses verbrecherischen Netzwerks nigerianischer Herkunft arbeiten und wie brandgefährlich sie sind, beschreibt einer der renommiertesten, in der Schweiz lebenden Menschenhandelsexperten Europas wie folgt: Das Wort „Stasi“ ist sicher ein großes Wort, ein belastendes Wort in ganz anderem Zusammenhang. Aber es kommt dem Geflecht dieser „Nigeria-Connection“ sehr nahe. Es ist ein Spitzelnetzwerk, ein Informationsnetzwerk, dem man nicht entkommen kann, auf keine Art und Weise. Was die nigerianischen Mädchen in der Zwangsprostitution betrifft, stellte er fest: „Mitglieder dieser Geheimbünde überwachen jede einzelne Frau und das lückenlos.“

 

3 Ursprung liegt in Benin City


Die „Black Axe“ (mit dem Symbol einer schwarzen Axt, die eine Kette zwischen zwei Armen zerschlägt auf gelbem Hintergrund) entspringt dem „Neo Black Movement“ (NBM), einer studentischen Bruderschaft in Benin City. Der Name gilt heute als Oberbegriff und Tarnbezeichnung des global agierenden, nigerianischen Netzwerkes, das viele Namen trägt – am häufigsten „Black Axe“.


Benin City ist mit etwa 3 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Nigerias und liegt im Süden des Landes am gleichnamigen Fluss. Es ist heiß, sehr heiß in Benin City und das Thermometer fällt selten unter die die Marke von 30 Grad. Schattenplätze sind rar, die Schattenwirtschaft aber blüht. Die Stadt ist das Zentrum von „Hawala-Agenten“ (das arabische „hawala“ bedeutet „wechseln oder überweisen“), von Hinterhof-Bankern und von Geldwäschern. Auch kommen 80% und mehr der nigerianischen Mädchen, die vorwiegend in Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz als Sexsklavinnen ausgebeutet werden, deren Aufpasser und Aufpasserinnen (die „Madames“ genannten Zuhälterinnen) und die als „Züchtiger“ eingesetzten Bandenmitglieder aus Benin City und Umgebung.


Die zumeist sehr junge „Ware“ wird in und um Benin City von den „Madames“ oder (zahlreichen) Helfern angeworben und von dort aus westwärts gehandelt. Weil viele der von Armut und Perspektivlosigkeit geplagten Mädchen von einem Aufenthalt in Europa träumen, werden dem entsprechende, verlockende Angebote gemacht. Nachdem sie dann ihre Ersparnisse für die in Aussicht gestellte Reise nach Europa abgeliefert haben, werden sie einem ebenfalls im Dienst der Nigeria-Connection stehenden „Voodoo-Priester“ zugeführt. Noch wissen sie zumeist nicht, wohin genau die Reise hingehen soll und welche Tätigkeit für sie in Europa vorgesehen ist. Dennoch haben sie dem Voodoo-Priester gegenüber in einem als dunkel und schaurig beschriebenen, mit Tierfellen, Blut und Knochen ausgestatteten Raum den „Juju-Eid“ abzulegen und zu schwören, dass sie den „Madames“ in Europa bedingungslos folgen werden. Dass sie niemals bei der Polizei oder gegenüber anderen Personen oder Institutionen Aussagen machen und den geforderten Geldbetrag für die Dienste der Organisation (50.000 bis 70.000 Euro) erwirtschaften und den „Madames“ bzw. der Organisation aushändigen werden. Auch werden sie im Rahmen dieses Voodoo-Rituals eindringlich darauf hingewiesen, dass jede Verfehlung und jedes Nichtbefolgen der Anweisungen unweigerlich schwere Krankheiten, den Wahnsinn oder aber den eigenen Tod oder den Tod naher Angehöriger zur Folge haben wird. Im Rahmen des Rituals werden den Mädchen Kopf- und Schamhaare sowie, Finger- und Fußnägel abgeschnitten und zusammen mit ihrem Slip einem Voodoo-Pac beigegeben, der mit ihrem Namen versehen wird. Wer im Besitz dieses Voodoo-Pacs ist (er bleibt im Besitz des Priesters), so wird den Mädchen suggeriert, übt die Macht über die jeweils Betroffene aus und erfährt, wenn diese gegen die erteilten Anweisungen verstößt. So eingeschüchtert werden sie dann auf eine abenteuerliche Reise über die unendlichen Wüstengebiete Libyens mit Aufenthalten in Militärlagern und Militärpuffs bis nach Tripolis verbracht. Von dort aus geht es auf „Flüchtlingsbooten“ weiter übers Mittelmeer bis nach Italien, wo es in Bergamo so etwas wie eine Verteilerstation gibt.


Im Übrigen: Davon, dass der „Oba“, der König und das spirituelle Oberhaupt des einstigen Königreichs Benin im März 2018 alle Eide des Stillschweigens vor Juju-Pristern für nichtig erklärte, erhoffte man sich bei den deutschen Ermittlungsbehörden vermehrt Aussagen von nigerianischen Opfern des Menschenhandels zu ihrer tatsächlichen Lebenssituation. Das aber dürfte kaum der Fall sein. Nicht zuletzt deshalb, weil sich die Aufhebung dieser Eide allein auf den Bereich des einstigen Königreichs Benin, also einem kleinen Teil des nigerianischen Bundesstaates Edo, bezieht, viele Opfer aber aus anderen Regionen Nigerias kommen.

 


Themenbezogene Bücher von Manfred Paulus, die im ProMedia Verlag Wien erschienen sind

 

Seite: 12weiter >>