Recht und Justiz

Mord bei Tötung durch Autoraserei?

Von Prof. h.c. Dr. Jürgen Witt, Kiel 

Großes Aufsehen hat ein Urteil der 35. Großen Strafkammer des LG Berlin vom 27.2.2017 erregt, wonach zum ersten Mal in Deutschland zwei Autoraser (zur Tatzeit 26 und 24 Jahre alt) wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Diese Entscheidung ist allerdings im Revisionsverfahren durch den 4. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 1.3.2018 aufgehoben und zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen worden. Im Folgenden soll kurz das Tatgeschehen nach den landgerichtlichen Feststellungen dargestellt werden und sodann eine rechtliche Würdigung erfolgen. Vorab soll auf einige besondere rechtliche Schwierigkeiten dieses Falles eingegangen werden.


1 Tatgeschehen nach den landgerichtlichen Feststellungen

Im Zuge eines illegalen Straßenrennens mit Geschwindigkeiten von bis zu 170 km/h im Bereich des Berliner Kurfürstendamms kollidierte der vom Angeklagten H gelenkte schwere Audi S6 TDI 3.0 unter Missachtung der für ihn geltenden roten Ampel im Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Nürnberger Straße mit einem bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrenden Jeep Wrangler des Geschädigten W. Durch den Aufprall wurde der Jeep von dem Audi des H quasi durchstoßen, um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und rund 70 Meter in Richtung Wittenbergplatz geschleudert, wo er auf der Fahrerseite liegend zum Stillstand kam. Das Opfer W, das aufgrund des äußerst schnellen Geschehensablaufes keine Ausweichmöglichkeit hatte, erlag noch am Unfallort den erlittenen schweren multiplen Verletzungen. Der von H gelenkte Audi drehte sich durch die Wucht des Aufpralls auf den Jeep nach links und kollidierte mit abgerissener Frontverkleidung weiter mit dem neben ihm fahrenden schweren Mercedes Benz AMG CLA 45 des Mitrasers und zweiten Angeklagten N, bevor er mit der linken Frontpartie und einer Auslaufgeschwindigkeit von noch 140 km/h gegen die aus Granitstein bestehende Hochbeeteinfassung des Mittelstreifens der Tauentzienstraße stieß. Hierdurch wurden weitere zahlreiche Fahrzeugteile des Audis abgerissen, durch die Luft geschleudert und auf einer Fläche von 60 bis 70 Metern verstreut. Der Audi des H kam erst rund 60 Meter nach dem Aufprall gegen den Jeep auf der Tauentzienstraße zum Stehen. Durch den seitlichen Aufprall des Audis wurde der Mercedes des N nach links aus der Spur gedrückt und kollidierte frontal mit einer Fußgängerampel, fällte diese und prallte dann ebenfalls gegen die genannte Hochbeeteinfassung. Der Mercedes wurde dadurch mehrere Meter durch die Luft katapultiert. H, N und seine Mitfahrerin K konnten ohne fremde Hilfe ihre Fahrzeuge verlassen und hatten jeweils nur oberflächliche Verletzungen erlitten mit Ausnahme der K, die u.a. eine Lungenkontusion, eine Knieprellung und eine Kopfplatzwunde davontrug. H erlitt bei dem Geschehen eine Amnesie. Er sprach immer wieder die Worte: „Wie konnte das passieren?“ Der Mitraser N stand unter Schock und hatte wie H nicht realisiert, dass ein drittes Fahrzeug, in dem der Fahrer W verstorben war, am Geschehen beteiligt war.

2 Rechtliche Würdigung des Tatgeschehens

Das LG Berlin war aufgrund des vorstehend in geraffter Form dargestellten Tatgeschehens zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagten H und N mittäterschaftlich und bedingt vorsätzlich handelnd mit gemeingefährlichen Mitteln einen Mord zum Nachteil des Geschädigten W gem. § 211 StGB (in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin und Nebenklägerin K und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs) begangen hätten. Dabei soll die in Klammern gesetzte landgerichtliche Verurteilung hier außer Betracht bleiben. Auch die Frage einer Mittäterschaft von H und N gem. § 25 (2) StGB soll nicht in die rechtliche Würdigung einbezogen werden, obwohl sie durchaus interessant ist, weil der BGH in seinem Revisionsurteil die Annahme einer Mittäterschaft von H und N als nicht erwiesen ansieht. Dafür wäre erforderlich, dass die Angeklagten einen auf die Tötung eines anderen Menschen gerichteten gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen gemeinschaftlich (arbeitsteilig) ausgeführt hätten. Die Verabredung, gemeinsam ein illegales Straßenrennen auszutragen, hat einen anderen Inhalt und reicht für die Annahme eines mittäterschaftlichen Tötungsdelikts nicht aus. Diese Bewertung erscheint schlüssig, auch wenn das LG unter Berufung auf die BGH-Rechtsprechung zu Recht darauf hinweist, dass bei einer auf einem gemeinsamen Willen beruhenden – arbeitsteilig begangenen – Mittäterschaft mangelnde Eigenhändigkeit beim Mord nicht entgegensteht. Aber unter den gegebenen Umständen greift dieser Aspekt nicht und die Frage einer Mittäterschaft von H und N steht nicht im Zentrum der hier zu erörternden Mordproblematik.

Die zentrale Frage bei der Mordverurteilung von H und N durch das LG, der der BGH in seinem Revisionsurteil vom 1.3.2018 widerspricht, ist zunächst einmal, ob sie die Tötung des Opfers W vorsätzlich begangen haben. Und wenn dies zu bejahen ist, ob dabei ein Mordmerkmaldes § 211 StGB verwirklicht wurde. Ist beides begründet anzunehmen, ist der Ausspruch einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach der immer noch gültigen Fassung des § 211 StGB, wie durch das Urteil des LG Berlin vom 27.2.2017 gegen H und N geschehen, unausweichlich, weil diese Höchststrafe dort dann zwingend vorgesehen ist. Richterliche Ermessensspielräume sind insoweit nicht gegeben. Zwar gibt es seit einer Reihe von Jahren Bestrebungen, die Tötungstatbestände im StGB, insbesondere den „Mordparagraphen 211“, zu reformieren, dessen geltende Fassung während der NS-Zeit in der Verantwortung des berüchtigten Roland Freisler (zuletzt Präsident des „Volksgerichtshofes“) formuliert worden ist. Entwürfe auch des Bundesjustizministeriums sind dazu durchaus vorhanden. Es geht dabei um eine Neuordnung der Mordmerkmale, aber auch um eine Relativierung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Weiterführende Entscheidungen sind indessen bislang nicht getroffen worden.

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