Mord bei Tötung durch Autoraserei?

Von Prof. h.c. Dr. Jürgen Witt, Kiel 

Großes Aufsehen hat ein Urteil der 35. Großen Strafkammer des LG Berlin vom 27.2.2017 erregt, wonach zum ersten Mal in Deutschland zwei Autoraser (zur Tatzeit 26 und 24 Jahre alt) wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt worden sind.

Diese Entscheidung ist allerdings im Revisionsverfahren durch den 4. Strafsenat des BGH mit Urteil vom 1.3.2018 aufgehoben und zur Neuverhandlung an eine andere Kammer des LG zurückverwiesen worden. Im Folgenden soll kurz das Tatgeschehen nach den landgerichtlichen Feststellungen dargestellt werden und sodann eine rechtliche Würdigung erfolgen. Vorab soll auf einige besondere rechtliche Schwierigkeiten dieses Falles eingegangen werden.


1 Tatgeschehen nach den landgerichtlichen Feststellungen

Im Zuge eines illegalen Straßenrennens mit Geschwindigkeiten von bis zu 170 km/h im Bereich des Berliner Kurfürstendamms kollidierte der vom Angeklagten H gelenkte schwere Audi S6 TDI 3.0 unter Missachtung der für ihn geltenden roten Ampel im Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Nürnberger Straße mit einem bei grüner Ampelphase berechtigt in die Kreuzung einfahrenden Jeep Wrangler des Geschädigten W. Durch den Aufprall wurde der Jeep von dem Audi des H quasi durchstoßen, um die eigene Längs-, Hoch- und Querachse gedreht und rund 70 Meter in Richtung Wittenbergplatz geschleudert, wo er auf der Fahrerseite liegend zum Stillstand kam. Das Opfer W, das aufgrund des äußerst schnellen Geschehensablaufes keine Ausweichmöglichkeit hatte, erlag noch am Unfallort den erlittenen schweren multiplen Verletzungen. Der von H gelenkte Audi drehte sich durch die Wucht des Aufpralls auf den Jeep nach links und kollidierte mit abgerissener Frontverkleidung weiter mit dem neben ihm fahrenden schweren Mercedes Benz AMG CLA 45 des Mitrasers und zweiten Angeklagten N, bevor er mit der linken Frontpartie und einer Auslaufgeschwindigkeit von noch 140 km/h gegen die aus Granitstein bestehende Hochbeeteinfassung des Mittelstreifens der Tauentzienstraße stieß. Hierdurch wurden weitere zahlreiche Fahrzeugteile des Audis abgerissen, durch die Luft geschleudert und auf einer Fläche von 60 bis 70 Metern verstreut. Der Audi des H kam erst rund 60 Meter nach dem Aufprall gegen den Jeep auf der Tauentzienstraße zum Stehen. Durch den seitlichen Aufprall des Audis wurde der Mercedes des N nach links aus der Spur gedrückt und kollidierte frontal mit einer Fußgängerampel, fällte diese und prallte dann ebenfalls gegen die genannte Hochbeeteinfassung. Der Mercedes wurde dadurch mehrere Meter durch die Luft katapultiert. H, N und seine Mitfahrerin K konnten ohne fremde Hilfe ihre Fahrzeuge verlassen und hatten jeweils nur oberflächliche Verletzungen erlitten mit Ausnahme der K, die u.a. eine Lungenkontusion, eine Knieprellung und eine Kopfplatzwunde davontrug. H erlitt bei dem Geschehen eine Amnesie. Er sprach immer wieder die Worte: „Wie konnte das passieren?“ Der Mitraser N stand unter Schock und hatte wie H nicht realisiert, dass ein drittes Fahrzeug, in dem der Fahrer W verstorben war, am Geschehen beteiligt war.

2 Rechtliche Würdigung des Tatgeschehens

Das LG Berlin war aufgrund des vorstehend in geraffter Form dargestellten Tatgeschehens zu dem Ergebnis gelangt, dass die Angeklagten H und N mittäterschaftlich und bedingt vorsätzlich handelnd mit gemeingefährlichen Mitteln einen Mord zum Nachteil des Geschädigten W gem. § 211 StGB (in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin und Nebenklägerin K und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs) begangen hätten. Dabei soll die in Klammern gesetzte landgerichtliche Verurteilung hier außer Betracht bleiben. Auch die Frage einer Mittäterschaft von H und N gem. § 25 (2) StGB soll nicht in die rechtliche Würdigung einbezogen werden, obwohl sie durchaus interessant ist, weil der BGH in seinem Revisionsurteil die Annahme einer Mittäterschaft von H und N als nicht erwiesen ansieht. Dafür wäre erforderlich, dass die Angeklagten einen auf die Tötung eines anderen Menschen gerichteten gemeinsamen Tatentschluss gefasst und diesen gemeinschaftlich (arbeitsteilig) ausgeführt hätten. Die Verabredung, gemeinsam ein illegales Straßenrennen auszutragen, hat einen anderen Inhalt und reicht für die Annahme eines mittäterschaftlichen Tötungsdelikts nicht aus. Diese Bewertung erscheint schlüssig, auch wenn das LG unter Berufung auf die BGH-Rechtsprechung zu Recht darauf hinweist, dass bei einer auf einem gemeinsamen Willen beruhenden – arbeitsteilig begangenen – Mittäterschaft mangelnde Eigenhändigkeit beim Mord nicht entgegensteht. Aber unter den gegebenen Umständen greift dieser Aspekt nicht und die Frage einer Mittäterschaft von H und N steht nicht im Zentrum der hier zu erörternden Mordproblematik.

Die zentrale Frage bei der Mordverurteilung von H und N durch das LG, der der BGH in seinem Revisionsurteil vom 1.3.2018 widerspricht, ist zunächst einmal, ob sie die Tötung des Opfers W vorsätzlich begangen haben. Und wenn dies zu bejahen ist, ob dabei ein Mordmerkmaldes § 211 StGB verwirklicht wurde. Ist beides begründet anzunehmen, ist der Ausspruch einer lebenslangen Freiheitsstrafe nach der immer noch gültigen Fassung des § 211 StGB, wie durch das Urteil des LG Berlin vom 27.2.2017 gegen H und N geschehen, unausweichlich, weil diese Höchststrafe dort dann zwingend vorgesehen ist. Richterliche Ermessensspielräume sind insoweit nicht gegeben. Zwar gibt es seit einer Reihe von Jahren Bestrebungen, die Tötungstatbestände im StGB, insbesondere den „Mordparagraphen 211“, zu reformieren, dessen geltende Fassung während der NS-Zeit in der Verantwortung des berüchtigten Roland Freisler (zuletzt Präsident des „Volksgerichtshofes“) formuliert worden ist. Entwürfe auch des Bundesjustizministeriums sind dazu durchaus vorhanden. Es geht dabei um eine Neuordnung der Mordmerkmale, aber auch um eine Relativierung der lebenslangen Freiheitsstrafe. Weiterführende Entscheidungen sind indessen bislang nicht getroffen worden.

2.1 Vorbemerkungen zu einigen rechtlichen Schwierigkeiten des Falles

Das LG Berlin nimmt in seiner Entscheidung an, dass H und N die Tötung des Opfers W zunächst einmal bedingt vorsätzlich verursacht hätten. Vorsätzlich verübt eine Straftat grundsätzlich, wer wissentlich (Wissenselement) und willentlich (Wollenselement) handelt. Beides muss sorgfältig und nachvollziehbar begründet werden, weil davon entscheidend das insoweit besonders hohe Strafmaß abhängt. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass es sich hierbei um ein rein subjektives Tatbestandselement handelt, das auf die innere Vorstellung des Täters abstellt, also darauf, was sich bei Ausübung der Tat in seinem Kopf abgespielt hat und damit nicht äußerlich sichtbar ist. Und dies muss entweder durch Geständnis hier beider Täter (H und N bestreiten natürlich, den W vorsätzlich getötet zu haben) oder durch überzeugende und nachvollziehbare Indizien, die einen Rückschluss auf einen Tötungsvorsatz zulassen, nachgewiesen werden. Bleiben gerichtliche Zweifel, muss nach dem strafrechtlichen Grundsatz „in dubio pro reo“ insoweit Freispruch erfolgen. Wichtig ist bei alledem weiter, dass eine vorsätzliche Tat sauber abgegrenzt wird von einer „nur“ fahrlässigen. Grundsätzlich sind gem. § 15 StGB nur vorsätzliche Taten strafbar, fahrlässige ausnahmsweise. Bei Tötungsdelikten wird allerdings auch fahrlässiges Verhalten bestraft mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Strafrahmen bei Totschlag nach § 212 StGB (nicht unter 5 Jahren Freiheitsstrafe) oder gar bei Mord nach § 211 StGB (lebenslange Freiheitsstrafe) wesentlich höher ausfällt als bei „nur“ fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB (Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe). Interessant ist hierbei, dass die Rechtsprechung bei Tötungsfällen im Zusammenhang mit illegalen Straßenrennen bislang schon mehrfach u.a. nach § 222 StGB, aber bis zum Urteil des LG Berlin vom 27.2.2017 noch nie nach § 211 StGB verurteilt hat.

Für die Abgrenzung des Vorsatzes von bloß fahrlässigem Verhalten – für beides fehlt es an strafgesetzlichen Legaldefinitionen – ist von besonderer Bedeutung, dass sich in Rechtsprechung und Wissenschaft im Wesentlichen jeweils drei „Spielarten“ entwickelt haben, nämlich beim Vorsatz

  • Absicht (Täter will den Tod des Opfers, dieser ist sein Ziel)
  • Direktvorsatz (T ist sicher, das Opfer stirbt, obwohl sein Ziel ein anderes ist)
  • Eventualvorsatz oder bedingter Vorsatz (Mindestvoraussetzung für vorsätzliches strafbares Verhalten)
  • und bei derFahrlässigkeit
  • bewusste Fahrlässigkeit
  • unbewusste Fahrlässigkeit (Täter lässt die gebotene Sorgfalt außer Acht und führt folglich den Tod des Opfers herbei, ohne dies zu erkennen)
  • Leichtfertigkeit (Täter begeht bewusst oder unbewusst einen besonders groben Sorgfaltsverstoß, bei dem man den Erfolgseintritt ohne Weiteres hätte erkennen können)

Zum Inhalt des Eventualvorsatzes (leichteste Vorsatzform) und zur schwierigen Abgrenzung von der bewussten Fahrlässigkeit (schwerste Fahrlässigkeitsform) gibt es inzwischen eine fast unübersehbare Literatur mit vielen unterschiedlichen Theorien, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll. Für die Praxis ist die Rechtsprechung entscheidend und hier in erster Linie die des BGHSt. Dabei bietet auch die höchstrichterliche Strafrechtsprechung insoweit leider kein einheitliches Bild, was die Auseinandersetzung mit diesem Begriff in der Rechtsprechung unterhalb des BGH sehr schwierig macht.

Nach der „Einwilligungs- oder Billigungstheorie“ des BGH liegt bedingter Vorsatz vor, wenn der Täter den Erfolgseintritt (hier Tötung eines Menschen) als möglich, nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und mit dem Eintreten des Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn „billigend in Kauf nimmt“ oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Allerdings hat der BGH in diesem Zusammenhang zugleich die sog. „Hemmschwellentheorie“ entwickelt, die eine besonders hohe Hemmschwelle des Täters vor Bildung eines Tötungsvorsatzes postuliert, um der allzu raschen Bejahung vorsätzlicher Tatbegehung durch die Tatgerichte (wie LG Berlin) entgegenzuwirken. Die „Hemmschwelle“ sei z.B. nicht überwunden, wenn ein einsichtiger Beweggrund für eine so schwere Tat nicht erkennbar sei. Diese Theorie wurde aber zugleich durch den BGH selbst mit seiner Entscheidung vom 22.3.2012 wieder eingeschränkt mit dem Hinweis, der Tatrichter dürfe den Beweiswert der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Würdigung weiterer Beweisanzeichen (für einen Eventualvorsatz) verzichtet werde. Vielmehr wird insoweit eine besonders genaue Prüfung (eines Eventualvorsatzes) anhand einer Gesamtschau aller relevanten objektiven und subjektiven Tatumstände gefordert. Dazu dann aber die wiederholte Ermahnung des BGH, dass an das (unverzichtbare) Willenselement auch beim Eventualvorsatz nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden dürften. Handele der Täter in Kenntnis der besonderen Gefährlichkeit seines Tuns und sei er sich des damit verbundenen großen Gefahrenpotenzials bewusst, liege es nahe, dass er die weitere Entwicklung dem Zufall überlasse. Da genüge aber die Hoffnung, es werde nichts passieren, nicht, um eine Billigung des für möglich gehaltenen Erfolgs zu verneinen.

Es liegt auf der Hand, dass diese hoch differenzierte Inhaltsbestimmung des Eventualvorsatzes mit einer weiteren großen Schwierigkeit einhergeht, nämlich der klaren Abgrenzung zu einem „bewusst fahrlässigen“ Verhalten des Täters. Dieses liegt vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft, nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten. Von dieser Abgrenzung hängt für den Täter eines Tötungsdeliktes ab, ob er nur mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Freiheitsstrafe nicht unter 5 Jahren (Totschlag nach § 212 StGB) bzw. zwingend mit lebenslanger Freiheitsstrafe (schwerer Totschlag nach § 212 (2) StGB bzw. Mord nach § 211 StGB) verurteilt werden kann. Diese für das weitere Leben des Täters existentiell höchst unterschiedlichen strafrechtlichen Folgen hängen – etwas oberflächlich formuliert – letztlich davon ab, ob er bei der Tathandlung nach dem Motto „wird schon gut gehen“ (bewusste Fahrlässigkeit) oder nach dem Motto „na wenn schon“ (Eventualvorsatz) gehandelt hat. Hieran zeigt sich, wie überaus schmal der Grat der Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist.

2.2 Rechtliche Begründung des LG Berlin für sein „Rasermordurteil“

In seiner zusammenfassenden Betrachtung hat das LG Berlin den angenommenen Eventualvorsatz der Angeklagten H und N im Wesentlichen damit begründet, dass sie den „Erfolg“ ihrer Raserei (die tödlichen Verletzungen des Opfers W) in Kauf genommen hätten, denn sie hätten in Kenntnis der objektiven Gefährlichkeit ihres Verhaltens gehandelt und nicht mehr darauf vertrauen können, dass alles gut ausgehen werde. Den möglichen Tod eines querenden Fahrzeugführers hätten sie (zwar) nicht gewünscht, hätten ihn aber angesichts ihres Strebens nach Gewinn (des illegalen Straßenrennens) gleichgültig hingenommen. Ihre extreme Geschwindigkeit, Vollgas, die Missachtung roten Ampellichts, ihre „Blindfahrt“ und die Tatörtlichkeit als innerstädtischer Großstadtbereich hätten dem (Opfer) W keine Überlebenschance belassen, zumal auch die Angeklagten selbst keine Möglichkeit mehr gehabt hätten, das Unfallgeschehen durch ein Brems- oder Lenkungsmanöver zu vermeiden. Wollte man unter den gegebenen Umständen das Vorliegen des bedingten Tötungsvorsatzes, und zwar insbesondere des voluntativen Elements, negieren, so liefe dies auf eine Aufweichung der Merkmalsbegrifflichkeit hinaus und würde eine (partielle) Neudefinition des bedingten Tötungsvorsatzes für Fälle der vorliegenden Art bedeuten. Die bedingt vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen lasse sich aber nur nach einheitlichen Maßstäben und nicht danach beurteilen, bei welcher Gelegenheit und in welchen Rahmen sie erfolge. Letzteres ist ein Hinweis darauf, dass der Rechtsprechung zu bedingt vorsätzlichen Tötungsfällen die unterschiedlichsten Lebenssituationen wie Beischlaf mit Aids, Kindesmisshandlung oder sonst grobe Gewaltanwendung etc. zugrunde gelegen haben. Das LG Berlin hat sein Mordurteil gegen H und N, was den angenommenen bedingten Tötungsvorsatz angeht, auf rund zehn Seiten (!) eingehend und detailliert rechtlich begründet. Dabei standen zunächst die Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, ein Vergleich mit anderen Fällen von Autorennen und -raserei mit tödlichen Folgen, die „nur“ zur Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung geführt hatten, sowie eine umfassende Betrachtung der Täterpersönlichkeiten neben der Würdigung der Tatumstände und der Bedeutung von Wissens- und Wollenselement beim Eventualvorsatz gerade im vorliegenden Fall im Focus der landgerichtlichen Betrachtung. Ergänzend wird zum Abschluss dann auch noch auf potenzielle Einwände gegen das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes eingegangen.

Was die Annahme eines Mordmerkmals nach § 211 StGB angeht, so hat das LG den Einsatz von „gemeingefährlichen Mitteln“ bei der Tötung des Opfers W angenommen, aber „niedrige Beweggründe“ als ein weiteres Mordmerkmal nach § 211 StGB bei der Durchführung der Tat „nicht mit letzter Sicherheit bejaht.“ Letzteres bedarf keiner weiteren Kommentierung. „Gemeingefährlich“ sind solche Tatmittel, deren Wirkungsweise der Täter im konkreten Fall nicht sicher beherrschen kann und deren Verwendung grundsätzlich geeignet ist, eine größere Zahl von Menschen an Leib oder Leben zu gefährden, also eine allgemeine Gefahr entstehen zu lassen, wie zum Beispiel bei der Tötung durch Brandstiftung, Explosivmittel, Vergiftung von Essen in einer Gemeinschaftsküche etc. Diese Mordqualifikation hat ihren Grund in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch Schaffen unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen versucht. Dabei ist die Unbeherrschbarkeit auch bei Tatmitteln zu bejahen, die zwar für sich nicht gemeingefährlich, aber aufgrund ihrer konkreten Verwendung nicht mehr kontrollierbar sind, wie z.B. der PKW eines „Geisterfahrers“ auf der Autobahn. Das Merkmal ist im Übrigen auch dann erfüllt, wenn letztlich nur eine Person getötet wird, obwohl theoretisch eine unbestimmte Vielzahl hätte getötet werden können. So hat der BGH in einem Fall dieses Mordmerkmal angenommen, bei dem der Täter ein Kraftfahrzeug in zügigem Tempo über Gehwege mit dichtem Fußgängerverkehr unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen gelenkt hatte. In seiner Begründung für die Annahme, dass H und N die Tötung des W mit „gemeingefährlichen Mitteln“ begangen hätten, führt das LG aus, dass die Täter mit besonderer Rücksichtslosigkeit und unfähig, das Geschehen noch irgendwie zu beherrschen, für einen nicht eingrenzbaren größeren Personenkreis eine konkrete Lebens- und Todesgefahr geschaffen hätten. Diese Gefahr habe sich für das Opfer W (und auch für die verletzte Zeugin K) in tragischer Weise realisiert. Vergleichbar sei dies alles, so das LG, mit einer vom BGH entschiedenen „Geisterfahrt“ mit drei Getöteten und drei Schwerverletzten.

2.3 Rechtliche Bewertung des LG-Urteils durch das Revisionsurteil des BGH

Abgesehen von der bereits angesprochenen Verwerfung eines mittäterschaftlichen Tötungsdeliktes durch H und N, auf die hier aus den vorgenannten Gründen nicht eingegangen wird, hält der BGH vor allem die Annahme des LG Berlin, dass beide das Opfer W vorsätzlich getötet hätten, für rechtsfehlerhaft. Der Vorsatz müsse bei Begehung der Tat vorliegen, woraus folge, dass sich wegen eines vorsätzlichen Deliktes nur strafbar mache, wer ab Entstehung des Tatentschlusses noch eine Handlung vornehme, die den tatbestandlichen Erfolg herbeiführe. Feststellungen dazu habe das LG nicht getroffen. Vielmehr habe es mehrfach ausgeführt, dass die Angeklagten beim Einfahren in den betreffenden Kreuzungsbereich bereits keine Möglichkeit zur Vermeidung der Kollision mehr besaßen. Sie hätten sich durch ihr Verhalten, insbesondere ihre Geschwindigkeit „jeglicher Reaktionsmöglichkeit beraubt.“ Ein unfallursächliches Verhalten der Angeklagten, das zeitlich mit der Fassung des Tötungsvorsatzes zusammenfiel oder nachfolgte, sei dem Urteil nicht zu entnehmen. „Dass der Tötungsvorsatz ab einem Zeitpunkt vorlag, als die tödliche Kollision bereits nicht mehr zu verhindern war, ist für die Annahme eines vorsätzlichen Tötungsdelikts rechtlich bedeutungslos.“ Kurz gesagt wirft der BGH dem LG Berlin eine Art Denkfehler vor, weil niemand vorsätzlich handeln könne, der nicht handlungsfähig sei. Weiter moniert der BGH eine rechtlich mangelhafte Beweiswürdigung hinsichtlich der subjektiven Tatseite. Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliege, erfordere insbesondere bei Tötungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände. Dabei sei die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Wollenselement des bedingten Vorsatzes. Es komme aber immer auf die Umstände des Einzelfalles an, also auch auf die den Vorsatz in Frage stellenden Umstände. Diesen Anforderungen würden die Beweiserwägungen der Strafkammer (des LG) nicht gerecht, da sich das angefochtene Urteil mit einem wesentlichen vorsatzkritischen Gesichtspunkt – der möglichen Eigengefährdung der Angeklagten im Falle einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug – nicht in rechtlich tragfähiger Weise auseinandergesetzt habe. Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person bzw. die Herbeiführung eines Unfalls angelegt seien, könne eine vom Täter erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraut habe. Demgegenüber habe die Strafkammer bei ihrer Würdigung des Geschehens dem Gesichtspunkt einer möglichen unfallbedingten Eigengefährdung bereits im Ansatz jegliches Gewicht abgesprochen, indem sie davon ausgegangen sei, dass sich die Angeklagten in ihren Fahrzeugen sicher gefühlt hätten. Dies aber sei bereits für sich mit einem nicht existierenden Erfahrungssatz rechtsfehlerhaft begründet worden. Ferner habe das LG bezüglich der zwei Insassen des Unfallfahrzeuges des N auch noch zwei einander widersprechende Gefährdungseinschätzungen vorgenommen. Für den BGH fällt damit die Verneinung einer Eigengefährdung von H und N als Argument für einen Tötungsvorsatz beider Personen aus.

2.4 Stellungnahme des Verfassers

Es soll vorweg festgestellt werden, dass die Annahme des Mordmerkmals „gemeingefährliche Mittel“ bei der Tötung des W im LG-Urteil – für sich – vom Verfasser letztlich nicht in Zweifel gezogen wird, auch wenn es darauf bei fehlendem Vorsatz beider im Sinne des Revisionsurteils letztlich nicht mehr ankommt. In der Tat gibt es zahlreiche Fälle, wo Kraftfahrzeuge – per se nicht gemeingefährlich – als solche Mittel unkontrollierbar bzw. unkontrolliert eingesetzt worden sind mit großer Lebensgefahr für eine unbestimmte Zahl von unschuldigen Menschen und tragischen Tötungen infolgedessen. Zwar dürfte der vom LG vergleichsweise herangezogene „Geisterfahrerfall“ tatsächlich insoweit nicht vergleichbar mit dem von ihm entschiedenen Fall sein, weil dort der Fahrer in Suizidabsicht gehandelt hatte. Diese ist den Angeklagten H und N offensichtlich nicht zu unterstellen. Aber zahlreiche Attentate mit Hilfe von Kraftfahrzeugen der letzten Jahre, u.a. auf dem Berliner Breitscheidplatz, zeigen, wie diese kurzerhand zu „gemeingefährlichen Mitteln“ umfunktioniert werden können. Dies gilt es, auch bei Autorasereien mit tödlichen Folgen nie aus den Augen zu verlieren. Unabhängig davon ist die entscheidende Weiche für die Mordverurteilung von H und G nach § 211 StGB ein Schritt vorher gestellt worden, nämlich dadurch, dass das LG bei ihnen für die verursachte Tötung des Opfers W Eventualvorsatz angenommen hat. Erst dadurch wurde der Weg zu den Mordmerkmalen des § 211 StGB eröffnet bzw. frei gemacht. Hätte das LG „nur“ eine fahrlässige Tötung nach § 222 StGB angenommen, entsprechend der bisherigen Rechtsprechung, wäre der Weg zu § 211 StGB versperrt gewesen, weil insoweit eine vorsätzliche Tötung, wenn auch nur mit der schwächsten Form des Eventualvorsatzes, vorausgesetzt ist. Daran ist allerdings bemerkenswert, dass nach geltendem Recht – § 15 StGB – nicht nur auf eine Legaldefinition des „Vorsatzes“ verzichtet, sondern auch in keiner Weise insbesondere bei Totschlag oder sogar Mord zwischen den drei Vorsatzarten differenziert wird. Damit muss also bei klarer Erfüllung eines Mordmerkmales die lebenslange Haft ausgesprochen werden, gleichgültig, ob die Tötung eines anderen Menschen vom Täter absichtlich oder „nur“ – wie nach Auffassung des Berliner LG im „Raserfall“ – mit Eventualvorsatz begangen wurde. Dies deutet, wie Walter überzeugend feststellt, auf eine „Schwäche des deutschen Strafrechts“ hin und erscheint letztlich „ungerecht.“ Aber wie dem auch sei: die Mordverurteilung von H und N hängt damit entscheidend davon ab, ob ihnen der bedingte Vorsatz vom LG zurecht unterstellt werden konnte, was der BGH in seinem Revisionsurteil jedenfalls mit den im LG-Urteil dazu vorgebrachten Erwägungen zurückgewiesen hat.

Zunächst ist einzuräumen, dass die Gesamtumstände der Berliner Autoraserei in der Nacht zum 1.2.2016 und dem zum Schluss tragischen Tod des Jeepfahrers W, konkreten Lebensgefährdungen weiterer am Unfallort anwesender Fußgänger und einem „Trümmerfeld nicht gekannten Ausmaßes“ eine äußerst harte Bestrafung der beiden beteiligten Raser nur konsequent erscheinen ließen, zumal illegale Straßenrennen gerade in Großstädten zu einem hoch gefährlichen Problem geworden sind. Hinzu kommen bei H – anders als bei dem nicht vorbestraften N – seine mehrfachen Vorstrafen auch, aber nicht nur, in verkehrsrechtlicher Hinsicht und bei beiden eine Vielzahl von geahndeten Verkehrsordnungswidrigkeiten, darunter zahlreiche Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Insbesondere bei H, aber auch bei N drängt sich bei diesen erheblichen Vorbelastungen der Eindruck auf, dass sie sich im Straßenverkehr ihre eigenen Regeln machen, offensichtlich bis zum konkreten Vorfall völlig unbeeindruckt von staatlichen Sanktionen. Es gab bis dahin wohl niemanden, der sie davon hätte abbringen können, ihr mehr als verkehrsrüpelhaftes Verhalten einzudämmen oder gar zu beenden. Im Gegenteil, der entschiedene Fall, in dem zum ersten Mal ein anderer unschuldiger Verkehrsteilnehmer getötet worden ist, macht dies deutlich. Also lag es nahe, von der Justiz endlich überdeutliche Zeichen zu setzen, um einer „tickenden Zeitbombe“ ein Ende zu bereiten und eine ständige große Gefährdung der Allgemeinheit durch zwei Autoraser zu unterbinden. In dieser auch für das LG angespannten psychologischen Situation mit ganz erheblicher öffentlicher Aufmerksamkeit hat sicher nicht zuletzt die Frage eine Rolle gespielt, ob die bisherigen strafrechtlichen Sanktionen bei Tötungsfällen im Zusammenhang mit Autoraserei noch angemessen sind und zudem präventiv erfolgreich sein können. Dabei sei nicht unerwähnt, dass der Gesetzgeber, allerdings nach der Tat von H und N und nach der Entscheidung des LG, bereits insoweit reagiert hat, als seit Oktober 2017 nach dem neu gefassten § 315d StGB Raser stärker bestraft werden können mit ausnahmsweise von einem bis zu zehn Jahren Haft bei illegalen Autorennen, bei denen ein anderer Mensch getötet oder schwer verletzt wurde.

Vor diesem Hintergrund musste sich die 35. Große Strafkammer des LG eigentlich zwangsläufig damit auseinandersetzen, ob bei Tötungen durch illegale Autorennen und Autoraserei über den Tatbestand der fahrlässigen Tötung hinaus auch eine vorsätzliche Tötung bis hin zum Mord nach den §§ 211, 212 StGB in Betracht komme. Fokussiert allerdings wegen der erforderlichen Nachweisbarkeit unter den gegebenen Umständen auf die in Rechtsprechung und Literatur hoch umstrittene schwächste Vorsatzform, den Eventualvorsatz, und mit dem herausfordernden Wagnis, strafrechtliches Neuland zu betreten mit revisionsrechtrechtlich sicher interessanten „Fallstricken“.

Das LG, insoweit durchaus spannend, ist dieses Wagnis eingegangen und kann sich zumindest darauf berufen, dass nach der BGH-Rechtsprechung die Anforderungen an den bedingten Vorsatz, nicht zuletzt in der notwendigen Abgrenzung zur „bewussten Fahrlässigkeit“, nicht überspannt werden dürfen. Verlangt wird dazu allerdings eine Gesamtschau aller relevanten objektiven und subjektiven Tatumstände. Und: Der Tatrichter (LG) dürfe den Beweiswert der offensichtlichen Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Würdigung weiterer Beweisanzeichen verzichtet werde. Dabei sei es (jedoch) zulässig, einen objektiven Tatumstand (hier das hochgefährliche Verhalten von H und N) als Indiz für die besonders schwierige subjektive Tatseite zu würdigen. Auf der anderen Seite dann aber die, später allerdings etwas eingeschränkte, „Hemmschwellentheorie“ des BGH, sprich: Zugrundelegung einer besonders hohen Hemmschwelle des Täters vor Bildung eines Tötungsvorsatzes. Und letztlich: Maßgebend sei – so wurde von der Vorsitzenden Richterin des 4. Strafsenats des BGH Sost-Scheible am 1.3.2018 nochmals betont, der konkrete Einzelfall.

In seiner Stellungnahme zum Urteil hat Eisele – die BGH-Entscheidung unterstützend – darauf hingewiesen, dass dem LG Berlin ein „folgenschwerer Fehler“ unterlaufen sei, weil es „zentrale Grundlagen der Dogmatik des Allgemeinen Teils (des StGB) nicht beachtet“ habe. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft habe in der mündlichen Verhandlung von einer „Achillesferse des Urteils“ gesprochen: Das LG habe in seinem Urteil insoweit ausgeführt, dass der Angeklagte H „absolut unfähig gewesen sei, noch zu reagieren“. Wenn dem aber so sei, fehle es bereits an einer Tathandlung, die den qualitativen Anforderungen an eine Handlung im strafrechtlichen Sinne genüge. Insofern bedürfe es nämlich eines menschlich beherrschbaren, d.h. vom Willen getragenen, Verhaltens. „War das Verhalten zu diesem Zeitpunkt aber nicht mehr beherrschbar, so kommt als Anknüpfungspunkt einer Strafbarkeit wegen vorsätzlichen Verhaltens nur ein früherer Zeitpunkt der Fahrt in Betracht. Für einen solchen früheren Zeitpunkt stellt das erstinstanzliche Urteil jedoch keinen Vorsatz fest, woran der BGH gebunden war.“

In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des BGH in seinem Revisionsurteil für die erneute Entscheidung des „Raser-Falles“ durch eine andere Strafkammer des LG von großer Bedeutung, dass „sich das gesamte Renngeschehen – entgegen der Auffassung der Strafkammer – alseine prozessuale Tat“ darstelle. Damit wird Raum eröffnet, einen eventuellen Tötungsvorsatz beider Angeklagter zumindest auf einen deutlich früheren Zeitpunkt der Raserei zu beziehen, in dem das Geschehen für sie noch voll beherrschbar war. Bei einer solchen neuen dogmatisch sauberen Anknüpfung spricht für die Annahme eines Eventualvorsatzes bei H und N in der vom BGH geforderten Gesamtschau aller relevanten objektiven und subjektiven Tatumstände ihre hoch lebensgefährdende Vorgehensweise bei der spontanen Austragung ihres Rennens zwar abends bzw. nachts, aber im Herzen einer Millionenstadt, in der Straßenverkehr praktisch rund um die Uhr stattfindet und mit vielfachen Möglichkeiten, andere sich ordnungsgemäß verhaltende unschuldige Verkehrsteilnehmer ernsthaft an Leib und Leben zu gefährden.

Dass die beiden Angeklagten hierum wussten (Wissenselement), erscheint kaum widerlegbar. Was das Wollenselement beim bedingten Vorsatz angeht, so fällt es allerdings schwer – und hier kommt vor allem die subjektive Seite ins Spiel – anzunehmen, dass sich beide mit der Tötung von anderen Verkehrsteilnehmern wirklich abgefunden oder sie gar „billigend in Kauf genommen“ hatten. Gab es für H und N ungeachtet ihrer Raserpsyche, wie von Walter durchaus eindrucksvoll beschrieben, nicht doch eine Hemmschwelle für die Tötung oder auch „nur“ schwere Verletzung anderer Menschen durch „wilde“ Autorennen. Bis zum Tattag hatten sie ja damit offensichtlich noch nie zu tun gehabt. Dabei ist der Verfasser nicht der Auffassung, dass die Raserpsyche dazu führen wird und muss, dass entsprechende Hemmschwellen vollkommen eliminiert werden. Dies würde der allgemeinen Lebenserfahrung nicht gerecht werden und ist für das unverantwortliche Verhalten von H und N nicht klar belegt.

Zwar hat der BGH selbst davor gewarnt, an das Willenselement beim Eventualvorsatz zu hohe Anforderungen zu stellen. Aber nochmals: Welchen einsichtigen Beweggrund hätten H und N denn hier haben sollen, innerhalb des Rennens ungeachtet eines unbändigen irren Siegerwillens Unbeteiligte zu töten? Das ist nach dem vollen Tatgeschehen jedenfalls nicht ohne weiteres ersichtlich.

In diesem Zusammenhang kann der Verfasser dem LG-Urteil auch insoweit nicht folgen, als dort angenommen wird, dass sich der (Eventual-)Vorsatz bei H und N zur Tötung ihres Opfers erst im Laufe des Rennens kurz vor dem Zusammenstoß des H mit dem Jeep des W „entwickelt“ habe. Bei der Rasermentalität und -psyche der beiden Angeklagten dürfte abgesehen von ihrer im Revisionsurteil zu Recht herausgestellten Handlungsunfähigkeit in diesem Zeitpunkt, eine dann plötzlich entstehende „Vorsatzentwicklung“ lebensfremd, ja abwegig sein. Wo und wie sollte dazu in ihren wirren, mit Siegeswillen voll ausgefüllten Köpfen dazu noch Raum gewesen sein?

Mit dem Revisionsurteil des BGH kann aber auch die argumentativ nicht sehr scharfsinnig und fokussiert vorgenommene Auseinandersetzung des LG Berlin mit dem in der Tat sehr bedeutsamen vorsatzkritischen Aspekt einer möglichen unfallbedingten Eigengefährdung der beiden Angeklagten in keiner Weise überzeugen. Dazu greift das LG auf angebliche Erfahrungssätze hinsichtlich bestimmter Autofahrertypen in bestimmten Fahrzeugen zurück, die zwar unter Verkehrsteilnehmern ganz populär sein mögen, aber strafrechtlich so nicht fassbar und in Bezug auf die beiden Angeklagten in der Tat so auch nicht überzeugend belegt worden sind. Ob eine andere Strafkammer des LG Berlin insoweit auf weitere Tatumstände stößt, die diesen für oder gegen die Vorsatzannahme bedeutsamen Aspekt in der einen oder anderen Weise neu rechtlich tragfähig beleuchten können, mag hier dahingestellt bleiben.

3 Schlussbetrachtung

Es bleibt abzuwarten, wie unter Berücksichtigung der rechtlichen Vorgaben im Revisionsurteil des 4. Strafsenats des BGH vom 1.3.2018 eine andere Strafkammer des LG Berlin den in seinen Folgen außerordentlich tragischen Berliner „Raserfall“ entscheiden wird. Unter Berücksichtigung der insoweit sehr differenzierten und komplexen einschlägigen BGH-Rechtsprechung ist eine erneute Verurteilung von H und N (bei letzterem wohl doch eher fraglich) wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts bis hin zum Mord theoretisch nicht ganz ausgeschlossen, auch wenn zur Zeit eine neue Verurteilung wegen der hier ebenfalls schwerwiegenden fahrlässigen Tötung wahrscheinlicher erscheint. Ob es darüber hinaus am Ende gar zu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung kommt, lässt sich derzeit erst recht nicht absehen. Mit dem Revisionsurteil des BGH muss dem Urteil der 35. Großen Strafkammer des LG Berlin bescheinigt werden, dass es unter einigen nicht unerheblichen Mängeln leidet. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, dass hier von der Rechtsprechung ein deutliches Signal gegen in Deutschland bis dahin zunehmende illegale und hochgefährliche Straßenrennen gerade in großen Städten gesetzt worden ist. Der Fall hat eine ganz erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit gefunden und nicht nur Fachleute, sondern hoffentlich auch die, die es angeht, zum Nachdenken gezwungen – unabhängig davon, wie das hier im Mittelpunkt stehende Strafverfahren letztlich ausgehen wird. Insofern kann sich das aufgehobene Urteil des LG Berlin durchaus Verdienste um die allgemeine Sicherheit im Straßenverkehr und den Schutz unschuldiger Verkehrsteilnehmer zurechnen.

Bildrechte: Frank Waßerführer, [email protected] und Redaktion.

Anmerkungen



  1. Prof. Dr. Jürgen Witt war als Ministerialdirigent in verschiedenen Funktionen in der schleswig-holsteinischen Landesregierung tätig. Anschließend war er Lehrbeauftragter im Fachbereich Polizei der FHVD und für seine Lehrtätigkeit wurde ihm 2010 der Titel „Honorar-Professor“ verliehen. Unser Autor hat sich zudem fast 22 Jahre lang verantwortlich für die Opferschutzorganisation „Weisser Ring“ engagiert.
  2. LG Berlin v. 27.2.2017, NStZ 2017, 471.
  3. BGH v. 1.3.2018, Az. 4 StR 399/17.
  4. LG Berlin v. 27.2.2017, Rn. 193.
  5. BGH v. 1.3.2018, Rn. 27 ff.; dazu auch Walter, NStZ 2018, S. 409.
  6. Schönke/Schröder, 2014, Strafgesetzbuch-Kommentar, 29. Auflage, zu § 15, Rn. 72 ff.; Joecks/Miebach (MüKoStGB), 2016, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 1, 3. Auflage, zu § 16, Rn. 18 ff.; Fischer, 2018, Strafgesetzbuch-Kommentar, 65. Auflage, § 15, Rn. 9c.
  7. Schönke/Schröder, a.a.O., Rn. 81a ff. und 85 ff.; MüKoStGB, a.a.O., Rn. 26 ff.; Wessels/Beulke/Satzger, 2017, Strafrecht AT, 47. Auflage, Rn. 333 ff.
  8. Wessels/Beulke/Satzger, 2017, a.a.O., Rn. 333 (Hinweis auf zahlreiche Entscheidungen des BGH, u.a. BGHSt 7, 363 – sog. „Lederriemenfall“.
  9. BGH v. 1.3.2018, Rn. 17 (m.w.N.).
  10. Wessels/Beulke/Satzger, a.a.O., Rn. 335.
  11. Schönke/Schröder, 2014, a.a.O., Rn. 87 (unter Berufung auf BGH, NStZ 1988, 361 und 2003, 370).
  12. MüKoStGB, 2016, a.a.O., Rn. 30; Wessels/Beulke/Satzger, 2017, a.a.O., Rn. 336.
  13. MüKoStGB, 2016, a.a.O., Rn. 30.
  14. MüKoStGB, 2016, a.a.O., Rn. 30 (Verweis auf BGH, NStZ 1999, 507 -508-).
  15. BGH v. 1.3.2018, Rn. 17.
  16. Nimtz, 2012, Strafrecht für Polizeibeamte, Band 1, 3. Auflage, Rn. 102.
  17. LG Berlin v. 27.2.2017, Rn. 249 ff.
  18. LG Berlin v. 27.2.2017, Rn. 241 – 248.
  19. LG Berlin v. 27.2.2017, Rn. 264.
  20. Lübkemann, 2013, Strafrecht/Strafverfahrensrecht/Ordnungswidrigkeitenrecht, 27. Auflage, S. 151 (Verweis auf BGH 4 StR 168/05).
  21. LG Berlin v. 27.2.2017, Rn. 262 (wobei der Fahrer unbeleuchteter „Geisterautos“ zur Nachtzeit auf der städtischen Autobahn allerdings in Suizidabsicht gehandelt hatte).
  22. BGH v. 1.3.2018, Az. 4 StR 399/17.
  23. BGH v. 1.3.2018, Rn. 26 ff.
  24. Bei Tötungsdelikten den Tod.
  25. BGH v. 1.3.2018, Rn. 15; dazu Eisele, JZ 2018, S. 549 ff.
  26. BGH v. 1.3.2018, Rn. 20.
  27. BGH v. 1.3.2018, Rn. 21 (m.w.N.).
  28. BGH v. 1.3.2018, Rn. 25.
  29. Walter, Gastbeitrag in ZEITONLINE v. 28.2.2017 „Raser sind Verbrecher, aber keine Mörder“, S. 1, 2.
  30. BGH v. 1.3.2018, Az. 4 StR 399/17.
  31. Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung, teilweise mit Aussetzung zur Bewährung.
  32. StÄG v. 30.9.2017, BGBl. I 2017, S. 3532 (auf die Tat der Angeklagten noch nicht anwendbar); vgl. zur kriminalpolitischen Bedeutung der Norm Fischer, 2018, a.a.O., § 315d, Rn. 3.
  33. ZEITONLINE v. 1.3.2018, S. 1.
  34. Eisele, JZ 2018, S. 549 ff.; Kritik auch durch Walter, NStZ 2018, S. 409.
  35. Eisele, JZ 2018, S. 550 (m.w.N.).
  36. BGH v. 1.3.2018, Rn. 34.
  37. Walter, NJW 2017, S. 1350 ff.
  38. Formulierung wurde durch LG Berlin v. 27.2.2017 selbst in Anführungszeichen gesetzt (Rn. 247).
  39. LG Berlin v. 27.2.2017, Rn. 243 ff.
  40. Zum aktuellen Stand des Verfahrens vgl. Pressemitteilungen des LG Berlin v. 28.8.2018  (PM 34/2018) und v. 10.9.2018 (PM 35/2018).

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