Kinder im Mittelpunkt der polizeilichen Interventionspraxis

Tatort Familie
Im Jahr 2006 ging die rheinland-pfälzische Polizei rund 8.400 Fällen von Partnergewalt in engen sozialen Beziehungen („GesB„) nach. In der Mehrzahl der Fälle geht es um Rohheitsdelikte und Bedrohung. 85 % der Opfer sind weiblich. Die statistischen Daten weisen seit Jahren einen stetigen Anstieg dieser Gewaltfälle in Ehe-, Lebens- und anderen Beziehungspartnerschaften auf. Die Westpfalz stellt insofern keine Ausnahme in Rheinland-Pfalz dar. Im Jahr 2006 wurden knapp über 1.000 „GesB„-Fälle bearbeitet; im Jahr 2007 werden die Fallzahlen nochmals leicht ansteigen. Dies hängt ganz eng mit der behördlichen Interventionspraxis, der gestiegenen Anzeigenbereitschaft und der damit einhergehenden Aufhellung des Dunkelfeldes zusammen. Wie viele vergleichbare Straftaten im Dunkeln bleiben – darüber kann nur spekuliert werden. Die tatsächlichen Zahlen dürften weit über den zuletzt bekannt gewordenen liegen.

Den Kindern, die Gewalt zwischen ihren Eltern miterleben, gehört besondere Aufmerksamkeit.

Aus der polizeilichen Praxis wissen wir, dass oft Kinder bei den Gewalttätigkeiten zwischen den Eltern anwesend sind. Diese Kinder werden häufig nur am Rande als Mitbetroffene wahrgenommen. Doch damit ist es nicht getan. Im Gegenteil. Ihnen gehört beim polizeilichen Einsatz besondere Aufmerksamkeit.

Achim Füssel
Polizeipräsidium Westpfalz


Typische Fallkonstellationen
Zwei Auszüge aus dem polizeilichen Lagebericht verdeutlichen die typischen Situationen, in denen sich diese Kinder wiederfinden.

Fall 1:
„Die Ehefrau erscheint auf der Dienststelle und erstattet eine Anzeige gegen ihren Ehemann. Dieser habe soeben in der gemeinsamen Wohnung mit der Faust auf sie eingeschlagen. Außerdem habe er sie als „Hure„ beschimpft. Das gemeinsame Kind war bei der Auseinandersetzung in der Wohnung zugegen. Vor einigen Monaten hätte sich ein ähnlicher körperlicher Übergriff ereignet. Sie habe damals ebenfalls Anzeige erstattet, allerdings den Strafantrag wieder zurückgezogen„.

Fall 2:
„Die Tochter meldet um 15.00 h über Notruf 110, dass ihre Mutter von ihrem Vater geschlagen und getreten werde. Beim Eintreffen der Funkstreife um 15:07 Uhr hatte der Ehemann bereits den Tatort verlassen. Die Frau krümmte sich vor Schmerzen. Sie gab an, ihr Mann habe ihr im Zuge von Streitigkeiten mit der Hand auf das linke Auge geschlagen. Hierbei erlitt sie ein Hämatom. Einen Fußtritt mit dem durch Stahlkappeneinlagen verstärkten Arbeitsschuh wehrte die Ehefrau mit dem linken Arm ab, wobei sie zu Boden stürzte. Dann habe er ihr in den Bauch und gegen die Beine getreten. Sie habe Prellungen und Schürfwunden erlitten.„

Andreas Heintz
Polizeipräsidium Westpfalz


Risikofaktor Partnergewalt
Die beiden exemplarisch dargestellten Fälle verdeutlichen, dass in Fällen, in denen die Mutter durch den Lebenspartner misshandelt wird, die Kinder diese Gewalt miterleben. Sie sehen, wie die Mutter geschlagen oder vergewaltigt wird; sie hören, wie der Vater schreit, die Mutter wimmert oder verstummt; sie spüren den Zorn des Vaters, die eigene Angst, die Angst der Mutter und der Geschwister, die bedrohliche Atmosphäre vor den Gewalttaten; sie denken, der Vater töte die Mutter, sie müssten die Mutter und Geschwister schützen, sie seien allein und ohnmächtig. „Die Misshandlung der Mutter ist der häufigste Kontext von Kindesmisshandlung„1.
Die Folgen sind fatal: Wer als Kind Gewalt zwischen den Eltern miterlebt hat, ist mehr als andere gefährdet, später selbst gewalttätig zu werden. Die Unfähigkeit, Konflikte gewaltfrei zu lösen, wird oftmals schon von den Eltern „erlernt„. Außerdem steigt für Frauen, die Gewalt zwischen den Eltern miterlebt haben, das Risiko später selbst zum Opfer zu werden. Im Vergleich zu denjenigen, bei denen es die Gewalt in der Kindheit nicht gab, werden sie später doppelt so häufig in Beziehungen misshandelt.

Gewalt gegen die Mutter bedeutet auch eine Form der Gewalt gegen das Kind.

Über das Miterleben hinaus werden Minderjährige jedoch häufig selbst Opfer direkter körperlicher und seelischer Misshandlungen. Studien zufolge werden Kinder in etwa 60 % aller Fälle, in denen Gewalt in der Partnerschaft vorherrscht, misshandelt 2. Alles in allem ist von bedauerlichen Einzelschicksalen schon lange keine Rede mehr. Die aktuelle gesellschaftliche Diskussion, die in die Medien, in die Behörden und bis in höchste politische Ebenen getragen wird, offenbart die Problematik, die im krassen Gegensatz zu dem im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) verbrieften Recht auf eine gewaltfreie Erziehung steht3.



Hinweise für die polizeiliche Praxis
In beiden Fallvarianten, egal ob Kinder mittelbar oder unmittelbar von der Gewalt betroffen sind, ist beim polizeilichen Einschreiten sehr viel Sensibilität und profundes Wissen gefordert. Wie soll die Polizei reagieren, wenn das Kindeswohl von Minderjährigen gefährdet ist? Was ist zu tun, wenn Kinder Zeugen oder gar Opfer innerfamiliärer Gewalt werden? Hierzu ist Handlungssicherheit gefragt. Deshalb haben wir bei Polizistinnen und Polizisten nachgefragt. In einem Workshop schilderten sie eindrucksvoll die Anforderungen, mit denen sie bei der Fallbearbeitung konfrontiert sind. Und sie beschrieben die Inhalte, die eine Handlungsanleitung zum adäquaten Umgang mit diesen Situationen umfassen sollte. Damit war die Idee für einen Leitfaden geboren. Eine Lücke zwischen der Polizeidienstvorschrift 382 (Bearbeitung von Jugendsachen) und der „Rat und Hilfe„ – Broschüre für Partnergewalt in engen sozialen Beziehungen (GesB)4 sollte geschlossen werden.
Der Leitfaden „Innerfamiliäre Gewalt gegen Minderjährige„, den das Polizeipräsidium Westpfalz gemeinsam mit einer Familienrichterin, einem Jugendamtsleiter und Mitgliedern des regionalen Runden Tisches für Polizeibeamtinnen und –beamte herausgegeben hat, sollte von Anfang an für die polizeiliche Praxis erstellt werden, ohne einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit zu erheben.
Alle polizeilichen Maßnahmen, die im Kontext familiärer Gewalt ergriffen werden, müssen sich - neben der Sicherung von Beweisen für ein Strafverfahren - vor allem am Gefährdungsgrad und der Sicherheit für die Betroffenen orientieren.
Um einzelfallbezogen angemessene (Schutz-) Maßnahmen zum Wohl von Minderjährigen treffen zu können, ist grundlegendes Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen notwendig. Zu den Eckpfeilern gehören das Gewaltschutzgesetz (GewSchG), das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG), die Gefahrenabwehr und die Strafverfolgung.

Gewaltschutzgesetz / BGB
„Der Täter geht, das Opfer bleibt!„ Diesen Grundsatz hat das Gewaltschutzgesetz mit der Regelung in § 2 verwirklicht. Werden allerdings minderjährige Kinder von den Eltern oder anderen sorgeberechtigten Personen misshandelt, steht diesen Opfern häuslicher Gewalt kein eigenes Antragsrecht nach § 3 Abs. 1 GewSchG zu. In diesen Fällen kann bei Gefährdung des Kindeswohls5 das Familiengericht von Amts wegen Schutzmaßnahmen für das Kind, auch eine Wohnungswegweisung, über die §§ 1666, 1666a BGB veranlassen. Dem gewalttätigen Elternteil oder einem anderen Täter kann auf diesem Weg die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden. Das Familiengericht kann Gewalttäter verpflichten, die Wohnung zu räumen (§§ 1666, Abs. 1 und 1666a Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Gericht wird von Amts wegen tätig, unabhängig davon, wie es Kenntnis erlangt. Auf der Grundlage von §§ 1666 Abs. 1, 1666a Abs. 1 Satz 2 BGB können als flankierende Maßnahmen auch Betretungs- und Näherungsverbote erlassen werden. In aller Regel geschieht dies auf Antrag des Jugendamtes. Allerdings kann jeder, also auch die Polizei, Anträge beim Familiengericht stellen oder Anregungen geben.

Kinder- und Jugendhilfegesetz
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz6 (KJHG) ist die Bezeichnung für die Gesamtheit der gesetzlichen Regelungen in Deutschland, die die Kinder- und Jugendhilfe betreffen. Für die polizeiliche Fallbearbeitung ist die Kenntnis der nachfolgend erläuterten Aufgabenzuweisungen an das Jugendamt von besonderer Bedeutung.
Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) des Jugendamtes geht einem Verdacht auf Kindeswohlgefährdung nach und wendet weitere Gefahren ab (§ 8a KJHG Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung). Beim Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte7 für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen sind das Gefährdungsrisiko im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte abzuschätzen und Maßnahmen zum wirksamen Schutz einzuleiten.
Die Interventionsmöglichkeiten des Jugendamtes sind unterschiedlich. Grundsätzlich sind den Familien geeignete und notwendige Hilfsangebote (z.B. Erziehungsbeistandschaft, sozialpädagogische Familienhilfe, Unterbringung in einer Pflegefamilie) zu unterbreiten und auf deren Inanspruchnahme hinzuwirken. Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so hat es das Gericht anzurufen. Das Gericht ordnet die entsprechenden Maßnahmen an (Teilung der elterlichen Sorge, Erteilung von Auflagen u. a.).
Besteht allerdings eine dringende Gefahr für das Wohl eines Kindes oder Jugendlichen und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, diesen jungen Menschen in Obhut zu nehmen, wenn die Personensorgeberechtigten widersprechen oder eine familiengerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Gegebenenfalls kann es sich hierbei der Unterstützung durch die Polizei bedienen.
Inobhutnahme (§ 42 KJHG) bezeichnet die vorläufige Aufnahme und Unterbringung eines jungen Menschen in Notsituation durch das Jugendamt. Sie dient der schnellen und möglichst unbürokratischen Intervention zugunsten des Kindes oder des Jugendlichen und dient deren unmittelbarem Schutz. In der Regel finden Kinder und Jugendliche Obhut in Bereitschaftspflegefamilien und Heimeinrichtungen (z.B. Kinder- und Jugendnotdienste), mit denen örtliche Jugendämter Verträge über Bereitstellung von Plätzen für Notsituationen geschlossen haben.

Gefahrenabwehr
Die Polizei ist verpflichtet, Schutz vor Gewalt zu gewährleisten und Gefahren8 abzuwehren, die Minderjährigen drohen (§ 1 POG-RP). Auf die Wahrnehmung originärer Zuständigkeiten anderer Behörden (z.B. Jugendamt) soll hingewirkt werden.
Minderjährige sind gefährdet, wenn ihnen in der häuslichen Gemeinschaft durch Vernachlässigung oder Missbrauch der Personensorge, durch unverschuldetes Versagen oder durch das Verhalten Dritter eine unmittelbare Beeinträchtigung für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht. Dies ist regelmäßig der Fall bei häufigen Familienstreitigkeiten mit tätlichen Auseinandersetzungen, Medikamenten- Alkohol- oder Drogensucht der Erziehungsberechtigten sowie bei Eltern, die – für den Minderjährigen erkennbar – wiederholt rechtswidrige Taten begehen bzw. zu rechtswidrigen Taten verleiten.In die Bewertung der Gefahrensituation ist neben den im Einzelfall hinzutretenden Umständen zu berücksichtigen, dass Kinder bei familiärer Gewalt immer mit betroffen sind. Entweder als selbst Misshandelte oder als Miterlebende. Ist es bereits einmal zu Gewalttaten gekommen, spricht auch nach der Rechtsprechung eine tatsächliche Vermutung dafür, dass weitere Beeinträchtigungen zu befürchten sind. Kann der Täter die tatsächliche Vermutung nicht widerlegen, ist davon auszugehen, dass weitere Gewalttaten drohen9. Minderjährige sind auch gefährdet, wenn ihnen jugendgefährdende Schriften, Bilder- und Datenträger angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden. Handelt es sich bei Fällen von Kindesvernachlässigung oder -misshandlung um Säuglinge, so sind diese immer als gravierend zu beurteilen. Schon eine Unterlassung „ein Ausstieg„ der Mutter für mehrere Stunden, kann für einen Säugling lebensbedrohlich werden10.
Das für den Schutz der Opfer notwendige Handeln der Polizei orientiert sich am jeweiligen Einzelfall. In die Beurteilung der Situation sind auch Erkenntnisse über das soziale Umfeld des Minderjährigen einzubeziehen. So kann es in Verdachtsfällen von Kindeswohlgefährdung ausreichend sein, die Betroffenen zu befragen (§ 9a POG-RP), die Personalien festzustellen (§ 10 POG-RP), den Sachverhalt zu protokollieren und dokumentieren (§§ 26 und 33 POG-RP) und das zuständige Jugendamt zu informieren (§ 34 POG-RP).
Richtet sich die elterliche Gewalt unmittelbar gegen das Kind, so kann ein Verbleib in der Familie die Sicherheit der Kinder gefährden. Besteht eine derart akute Bedrohungssituation, können Minderjährige kurzfristig mit dem Ziel der schnellstmöglichen Inobhutnahme durch das Jugendamt auch gegen den Willen der Erziehungsberechtigten in (Schutz-) Gewahrsam genommen werden (§ 14 POG-RP). Gefährdete Minderjährige sind zu ihrem Schutz in die Obhut des Jugendamtes insbesondere dann zu bringen, wenn der Verbleib oder die Rückkehr in die häusliche Gemeinschaft nicht vertretbar erscheinen oder sie die Rückkehr in die häusliche Gemeinschaft aus ernsthaften Gründen glaubhaft ablehnen.

Strafverfolgung
Liegen Anhaltspunkte für eine Straftat vor, hat die Polizei alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die zur Aufhellung des Sachverhaltes beitragen (§ 163 StPO). In erster Linie gilt es Spuren- und Beweise zu sichern, Verletzungen zu dokumentieren bzw. attestieren zu lassen, Zeugen, Opfer und Beschuldigte zu befragen, also sowohl den objektiven als auch subjektiven Tatortbefund zu erheben. Die Strafanzeige ist der zuständigen Staatsanwaltschaft vorzulegen.

Für eine beweissichere, schnelle und konsequente Strafverfolgung spricht die Erkenntnis, dass deutlich häufiger von einem Ende der familiären Gewalttaten berichtet wird, wenn die Täter im Kontext von „GesB„ verurteilt werden.
Wichtig für die polizeiliche Arbeit ist das Wissen um die Besonderheiten, die das Straf- und Strafverfahrensrecht für Minderjährige vorsieht. Insoweit sind die Regelungen der Polizeidienstvorschrift 382 „Bearbeitung von Jugendsachen„ zu berücksichtigen. Ansonsten sind bei der Fallbearbeitung zur Frage, wie man sich bei erkannten Auffälligkeiten bezüglich einer Gefährdung des Kindeswohls verhalten sollte, die Hinweise zur Rolle der Kinder, zum Umgang mit kindlichen Opfern sowie zum Informationsaustausch zwischen den Behörden von besonderer Bedeutung.

Die Rolle der Kinder
Die Erwachsenen nehmen oft nicht wahr, in welcher Weise ihre Kinder von der Partnergewalt betroffen sind und wie sehr sie leiden. Das nachhaltige Leiden der Kinder an der Gewalt zwischen ihren Eltern resultiert also nicht nur aus der seelischen Überwältigung durch das reale Ereignis, sondern ebenso aus dem damit einhergehenden Verlust oder Fehlen eines strukturierenden und haltgebenden Umfeldes.
Für das Kind gibt es ein hohes Risiko sich für die Eltern verantwortlich zu fühlen. Vor allem ältere Kinder übernehmen immer wieder die Verantwortung dafür, die Gewalt zwischen den Eltern zu beenden, indem sie sich einmischen, gesundheitliche Probleme vortäuschen oder sich selbst (häufig erfolgreich) als Aggressionsobjekt anbieten. Manchmal holen sie Nachbarn zu Hilfe oder rufen die Polizei an.
Wenn die Polizei eingreift, fühlen sie sich zum einen entlastet (jemand kümmert sich), zum anderen aber auch häufig schuldig und voller Angst (was wird jetzt geschehen?). Sie erleben sich als böse, besonders wenn sie den Eindruck haben, dass eine Bezugsperson unangemessen behandelt wird oder die Bezugsperson von ihnen enttäuscht ist, weil sie die Intervention ausgelöst haben (z.B. auch Sorgen um den Vater).
Kinder fühlen sich häufig zwischen widerstreitenden Gefühlen hin- und hergerissen. So bewegen sich Jungen – im Falle der Gewalt des Vaters gegen die Mutter – eher in einem Spannungsverhältnis zwischen der Identifikation mit dem Vater und der Verantwortung für die Mutter, während sich Mädchen mit der Mutter identifizieren, aber ihr gegenüber gleichzeitig auch Enttäuschung und Verachtung fühlen. Diese Erfahrungen können eine adäquate Persönlichkeitsentwicklung der Kinder nachteilig beeinflussen.

Umgang mit kindlichen Opfern
Kinder die mittelbar oder unmittelbar durch „GesB„ betroffen sind, gilt es zu schützen. Deshalb sollte den Kindern beim polizeilichen Einsatz ein Gefühl der Sicherheit vermittelt werden, weshalb auf übersteigerte emotionale Äußerungen verzichtet werden soll. Für die Kinder selbst ist es dabei von besonderer Bedeutung, über die polizeilichen Maßnahmen informiert zu werden (warum was getan wird), um ihnen die Angst zu nehmen und um ein Vertrauensverhältnis in die soziale Umwelt aufbauen zu können.
Durch polizeiliches Handeln, beispielsweise durch den Verweis des Gewalttäters aus der Wohnung oder das Einschalten des Jugendamtes, erleben die Kinder, dass sie nicht alleine sind, dass ihnen geholfen wird und dass Gewalt in der Familie nicht geduldet wird. Diese Signale geben den Kindern Sicherheit.


Befragungen bzw. Vernehmungen der Kinder sind dabei oftmals unumgänglich. Neben den Aussageverweigerungsrechten sind dabei die psychischen Ausnahmesituationen der Kinder zu berücksichtigen. Belehrungen sollten daher lageangepasst und altersgerecht erfolgen. Kinder sollten auch, je nach altersgemäßer Einsicht, getrennt von den Eltern über ihre Rechte informiert werden. Bestehende Sprachbarrieren sollten dabei nach Möglichkeit nicht durch das Dolmetschen der Eltern, der Kinder oder unmittelbar Handlungsbetroffene überwunden werden, da hierbei eine objektive Aussage und Übermittlung nicht gewährleistet ist. Alle getroffenen Maßnahmen (Befragungen, Vernehmungen, Belehrungen) sind zu dokumentieren. Alle Aussagen sind möglichst wortgetreu zu protokollieren.
Bei schwerwiegenden Vernehmungsinhalten oder kindlicher Ausdrucksweise ist die Vernehmung in Frage und Antwort niederzuschreiben. Die Niederschrift der Vernehmung von Kindern erfolgt formlos. Kinder unterschreiben nicht. Die Authentizität ihrer Aussagen hat der Vernehmende zu bestätigen.
Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern ist vor der Vernehmung eines Minderjährigen der Grund mitzuteilen, sofern kriminaltaktische Erwägungen nicht entgegenstehen. Sind Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter nicht erreichbar, ist der Grund der Vernehmung nachträglich mitzuteilen.
Bei der Vernehmung Minderjähriger haben Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter ein Anwesenheitsrecht. Zur Vermeidung jeglicher Beeinflussung kann es geboten sein, in Absprache mit den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern Minderjährige auch allein zu vernehmen. Die Anwesenheit anderer Personen kann zur Aufklärung des Sachverhaltes geboten erscheinen, insbesondere bei der Vernehmung von Kindern im Vorschulalter oder geistig behinderten Minderjährigen, die zugleich Verletzte sind.

Die Informationsweitergabe durch die Polizei an die Jugendämter ist von zentraler Bedeutung.

Kultur des Mitteilens
Der Informationsfluss und die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden, insbesondere Jugendamt, Staatsanwaltschaft, Gericht und Polizei ist wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche und frühzeitige Hilfe, Gefahrenabwehr und Strafverfolgung. Dieses Zusammenwirken gilt es dauerhaft in eine Mitteilungskultur zu verankern, welche die Wachsamkeit über Gefährdungspotentiale erhöht und mit der Bereitschaft verbindet, Verdachtsfälle an die zuständigen Stellen mitzuteilen, von wo vordringlich Hilfe und Unterstützung für die Betroffenen gewährleistet werden kann. Deshalb ist die Informationsweitergabe durch die Polizei von besonderer Bedeutung. Die rheinland-pfälzische Polizei kann gemäß § 34 Abs. 2 POG-RP von sich aus personenbezogene Informationen an andere öffentliche Stellen (z.B. Jugendamt, Ordnungsamt, Ausländeramt, Waffenbehörde) übermitteln, soweit dies zur Erfüllung ihrer eigenen Aufgaben oder der Aufgaben des Empfängers erforderlich ist.


Wie bereits an anderer Stelle beschrieben, gehört es zu den Aufgaben des Jugendamtes, bereits bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Gefährdung des Kindeswohls tätig zu werden, um die Risiken für eine Gefährdung abschätzen zu können. Werden daher der Polizei Erkenntnisse über gefährdete Minderjährige bekannt, ist das Jugendamt in den Fällen zu unterrichten, in denen Maßnahmen des Jugendamtes zum Schutz Minderjähriger erforderlich erscheinen. In Fällen von familiärer Gewalt dürfte dies regelmäßig der Fall sein. Daher sind die Polizeibeamtinnen und -beamten des Polizeipräsidiums Westpfalz angewiesen, das Jugendamt obligatorisch über den polizeilichen „GesB„ – Einsatz in Familien, bei denen Kinder anwesend sind, oder bei einem sonst begründeten Verdacht einer Kindeswohlgefährdung, unverzüglich zu informieren. Denn für die Jugendämter ist es von entscheidender Bedeutung, möglichst frühzeitig und umfassend über vernachlässigende Beziehungen zwischen Eltern und Kind informiert zu werden, damit das Gefährdungsrisiko für die Minderjährigen abgeklärt und ggf. eine Intervention erfolgen kann.

Polizeiliche Bearbeitungszuständigkeit
Für Fälle von innerfamiliärer Gewalt obliegt die abschließende Sachbearbeitung im Polizeipräsidium Westpfalz grundsätzlich dem Kriminal- und Bezirksdienst der Polizeiinspektionen. Erfolgen die Erstmaßnahmen durch den Wechselschichtdienst, sind die Vorgänge umgehend dem Kriminal- und Bezirksdienst zuzuleiten. Die Kriminalinspektionen sind zuständig, wenn sich der Verdacht von Sexualstraftaten begründet und / oder eine Straftat nach § 4 GewSchG vorliegt, bei der durch die Vortat die Bearbeitungszuständigkeit der Kriminalinspektionen zu begründen ist. Darüber hinaus kann die abschließende Sachbearbeitung von den Kriminalinspektionen in besonders gelagerten Einzelfällen übernommen werden.
Den bei jeder Polizeidienststelle bestimmten „Koordinatoren GesB„ obliegt es insbesondere die Zusammenarbeit mit den Zivilgerichten, den allgemeinen Ordnungsbehörden, der Hilfsorganisationen und der Kriminalinspektion zu regeln, für die Durchführung erforderlicher Schutzmaßnahmen zu sorgen, die Qualität in der Sachbearbeitung zu sichern, regelmäßige Besprechungen innerhalb der Polizeiinspektion zu gestalten und die polizeilichen Tätigkeitsberichte auszuwerten.

Lokale Netzwerke - vorbehaltlose Verbundstrategie
Die zuständigen Behörden haben eine besondere Verantwortung, Kinder vor Gewalt zu schützen und Familien zu unterstützen, damit ihre Kinder geborgen und in einem sicheren Umfeld aufwachsen können. Denn innerfamiliäre Gewalt, egal ob direkt oder indirekt erfahren, hat meistens negative Einflüsse auf das eigene Handeln Minderjähriger und künftiger Erwachsener, bespielsweise in Konfliktsituationen.
Der Schutz des Kindeswohls ist am wirksamsten, wenn die damit befassten Stellen eng zusammen arbeiten und ihre Maßnahmen aufeinander abstimmen. Damit sich Kooperation lohnt, sind beispielsweise persönliche Kontakte zu knüpfen, ist Kompetenz durch gemeinsame Aus- und Fortbildung, kollegiale Beratung und Fallkonferenzen zu erweitern, Öffentlichkeitsarbeit durch kontinuierliche Berichterstattung zu betreiben und Prävention durch gemeinsame Programme zu stärken. Neben dem Schutz der Kinder spielt die langfristig ausgelegte Prävention eine wichtige Rolle. Information über Hilfs- und Beratungsangebote für Opfer und Täter, die Pflege der Opferschutzdatei, Aufklärungskampagnen durch die Polizeipuppenbühne und offensive Öffentlichkeitsarbeit sind vielversprechende Ansätze.
Nur ein starker Verbund der verschiedenen Professionen ermöglicht ein wirksames Vorgehen. Diese Erfahrung belegen funktionierende Kooperationsstrukturen immer wieder. Aufbauend auf den vorhandenen tragfähigen Netzwerken, z.B. in den regionalen Runden Tischen (RRT), muss Kooperation weiter vertieft werden. Durch institutionalisierte Zusammenarbeit werden Schnittstellen verringert und tragfähige Strategien umgesetzt. Auf diese Weise können nachhaltige Veränderungen erreicht werden. Angesichts der enormen Auswirkungen innerfamiliärer Gewalterfahrungen für die Kinder ist gemeinsame Krisenhilfe Verpflichtung für die Behörden.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine sehr wesentliche Komponente beim Schutz des Kindeswohls.

Das Polizeipräsidium Westpfalz veranstaltet regelmäßig mit den beiden regionalen Runden Tischen in Pirmasens und Kaiserlautern Fachtagungen zum Thema Gewalt in engen sozialen Beziehungen. Während in den vergangenen Jahren die Partnergewalt das bestimmende Thema war, rückte am 27. November 2007 die Gewalt gegen Kinder in den Mittelpunkt. Denn die bestehende Netzwerkarbeit sollte weiter verfestigt und dadurch die Rahmenbedingungen für den Schutz des Kindeswohls optimiert werden. Unter der Schirmherrschaft des Polizeipräsidenten, des Landrates und der beiden Oberbürgermeister waren Angehörige aller Berufsgruppen, die im Landkreis Südwestpfalz in diesem Fachgebiet tätig sind, zur Fachtagung nach Pirmasens eingeladen. 250 interessierte Fachkräfte der Jugendhilfe, der Beratungsstellen, der Sozialarbeit, der Kindergärten, der Schulen und der Polizei nahmen teil. Erfolgreiche Zusammenarbeit setzt voraus, dass jede beteiligte Institution über die Zuständigkeit und Aufgaben der anderen Partner im Bilde ist. Zu diesem Zweck berichteten Vertreter des Jugendamtes, der Rechtsmedizin, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, des Familiengerichts und der Polizei über ihre Arbeit. Anhand praktischer Fälle erläuterten eine Rechtsmedizinerin und ein Chefarzt anschaulich die Symptome und Merkmale von Gewaltanwendung sowie deren Folgen für die Gesundheit der Kinder.



Wer nichts tut, macht mit.
Wenn Eltern – warum auch immer – nicht in der Lage sind, für ihre Kinder zu sorgen, dann sind umso mehr alle Anderen in der Verantwortung, die Hilfe holen oder helfen können. Wer dann nichts unternimmt, macht mit. Engagieren Sie sich deshalb gemeinsam mit Anderen zum Wohl unserer Kinder. Schließlich geht es darum, die Schwächsten unter uns zu schützen - ihnen gehört die Zukunft.



Literatur

BÄCHER Korinna, Sexuelle Gewalt,Kindesmisshandlung und Vernachlässigung,Medizinischer Fachkongress, 4. Februar 2006
BUNDESMINISTERIUM der Justiz, Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Familiengerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls„ 17. November 2006• BUSSMANN, Kai, Prof. Dr., Polizeikurier Rheinland-Pfalz, März 2007, Forum: Kindesmissbrauch und Vernachlässigung verhinderbar?
HEYNEN, S. Partnergewalt in Lebensgemeinschaften: direkte und indirekte Auswirkungen auf die Kinder. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, 24 (56/57), 83-99, 2001
KAVEMANN, Prof. Dr. Barbara, Kinder und häusliche Gewalt – Kinder misshandelter Mütter, Universität Osnabrück, Wirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder; Deutsches Polizeiblatt, 06/2007
• LANDESÄRZTEKAMMER Baden-Württemberg,Gewalt gegen Kinder, Leitfaden für Ärztinnen und Ärzte
LAND NIEDERSACHSEN, Aktionsplan II des Landes Niedersachsen zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich
METELL Barbro, Mehr Mut zum Reden (Schweden 1997, überarbeitet von BIG – Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen e.V., 2000), Stand: Frühjahr 2005, Bezugsquelle: Publikationsversand der Bundesregierung, Postfach 481009, 18132 Rostock
MEYER - GOßNER,Kommentar zur Strafprozessordnung, 47. Auflage
MINISTERIUM des Innern und für Sport, Rheinland-Pfalz, Rheinland-Pfälzisches Interventionsprojekt gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen (RIGG)
MINISTERIUM für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein, Der Datenschutz und familiäre Gewalt, Hinweise und Tipps zum Datenschutz bei Kooperationen zwischen Jugendamt und anderen Stellen
MINISTERIUM für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen, Soziale Frühwarnsysteme – Frühe Hilfen für Familien; Arbeitshilfe zum Aufbau und zur Weiterentwicklung lokaler sozialer Frühwarnsysteme
RÜHLE / SUHR, Kommentar zum Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz
ROOS, Kommentar zum Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz,
3. Auflage
STAATSMINISTERIUM für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, Bayern, Bayern gegen häusliche Gewalt. Dokumentation der Fachtagung am 18.01.200
• VORSTAND der ev. Konferenz für Familien und Lebensberatung e.V.,
Fokus Beratung, April 2007

Fußnoten

1 Empfehlungen für Jugendämter in Fällen häuslicher Gewalt, Handlungsempfehlungen, Mai 2005, BIG – Berliner Interventionszentrale bei häuslicher Gewalt (Träger BIG e. V.) Sarrazinstraße 11-15, 12159 Berlin.
2 Daneben gibt es auch die Fälle, in denen sich die Gewalt der Erwachsenen ausschließlich gegen die Kinder richtet. Jedenfalls nimmt die Zahl der angezeigten Fälle von Kindesmisshandlung in Deutschland ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik insgesamt von Jahr zu Jahr zu. Darauf deuten auch andere Erhebungen hin: 2006 wurden 16 Prozent mehr Kinder unter sechs Jahren von den zuständigen Stellen aus ihren Familien in Obhut genommen als im Vorjahr („Überall fehlen Helfer„, Frankfurter Rundschau, 24.11.2007)
3 § 1631, Absatz 2 Bürgerliches Gesetzbuch verbietet seit November 2000 jegliche körperliche Bestrafung, seelische Verletzung und jede andere entwürdigende Maßnahme.
4 Rheinland – pfälzisches Interventionsprojekt gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen (RIGG), www.rigg-rlp.de
5 Diese Gefährdung als unbestimmter Rechtsbegriff bedarf der Auslegung durch die Rechtsprechung. Gemäß BGH (NJW 56, 1434) versteht man unter Kindeswohlgefährdung: Die gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit vorahnen lässt.
6 Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts„ - abgekürzt „KJHG„. Die wesentlichen Bestimmungen dieses Artikelgesetzes befinden sich im Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII).
7 Klaus Menne, Kindesschutz in der Erziehungsberatung in Fokus Beratung, April 2007: Die Formulierung „gewichtige Anhaltspunkte„ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Gewichtige Anhaltspunkte sind zu unterscheiden von den Indikatoren, die nach § 1666 BGB eine tatsächliche Kindeswohlgefährdung kennzeichnen. Es geht also allgemein gesprochen darum, frühzeitig erste Gefährdungsanzeichen zu erkennen, noch bevor eine akute Gefährdung des körperlichen oder seelischen Wohls eines Kindes oder Jugendlichen unmittelbar bevorsteht.
8 Eine Gefahr ist dann gegeben, wenn bei einer Sachlage oder bei einem Verhalten im einzelnen Fall bei ungehindertem Ablauf die aus objektivierter Sicht hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird (BverwG, NJW 70, 1890, NJW 1974, 807).
9 BGH NJW 1987, 2223; vgl. auch BT-Drucksache 14/5429, S. 19, 2810 Korinna Bächler, Sexuelle Gewalt, Kindesmisshandlung und Vernachlässigung. Medizinischer Fachkongress, 4.2.2006