Brandursachenermittlung - Erfahrung oder Wissenschaft

von Frank D. Stolt, Sachverständiger für Brand- und Explosionsursachenermittlung

Diese etwas zugespitzte provokative Formulierung soll nicht die Erfahrung gegen die Wissenschaft ausspielen, sondern das ganze Spektrum der Brandursachenermittlung abstecken. Während in der vergangenen Zeit vor allem die langjährige Erfahrung den anerkannten Brandursachenermittler auszeichnete, verlangt die Zukunft immer mehr nach dem Einbezug branchenfremder Fachgebiete, wie z.B. der Informatik. Auch der vielseitigen kriminalistischen Disziplin der Brand-ursachenermittlung eröffnen sich durch moderne Technologien und neue wissenschaftliche Erkenntnisse interessante Möglichkeiten für die Zukunft.


Frank D. Stolt

 

 

Erfahrung aus der Aufklärung von Branddelikten

Die Brandursachenermittlung in Deutschland ist erstarrt, überwiegend an über hundertjährigen Ermittlungsmethoden sowie subjektiven Erfahrungen und mehr oder weniger vorhandenen wissenschaftlichen Kenntnissen orientiert und nicht an den Erfordernissen unserer Zeit. In der Bundesrepublik ereignen sich mehr als 70.000 Brände in der Industrie und Gewerbe, mehr als

10.000 Brandstiftungen und mehr als 400 so genannte „Millionenbrände“, bei denen Millionenschäden zu verzeichnen waren.


Es wird dabei verkannt, dass sich das Bild des Brandes heute stark verändert hat. In vielen Fällen haben wir keine klassischen Flammenbrände mehr, sondern wegen der vielfältig eingesetzten Kunststoffe gerade im Wohn- und Verwaltungsbau überwiegend Schwel- oder Glimmbrände. Hinzu kommt ein immer weiter ansteigender Anteil von „echten“ und „unechten“ Elektrobränden in allen Bereichen. Leider haben auch die Brandstiftungen weiter zugenommen. Wobei auch das Dunkelfeld – insbesondre bei vorsätzlichen Brandstiftungen im gewerblichen Bereich – zugenommen hat. Neue Produktionsverfahren, unübersichtliche Produktionsverfahren und Produktionsprozesse, die für einen „Außenstehenden“ nicht transparent sind, führen oft dazu, dass ein Brand für den sachbearbeitenden Brandfahnder zu einer Rechnung mit zu vielen „Unbekannten“ wird.

Die These, dass die Brandursachenermittlung erstarrt ist, bedarf jedoch der Erläuterung.


Blickt man zurück, so hat die Brandursachenermittlung anfangs des letzten Jahrhunderts daraus bestanden, dass beispielsweise Brände von hölzernen Schornsteinen oder Stroh als Dachbelag untersucht wurden(1). 


Mit der Dampfmaschine, der Industrialisierung und Urbanisierung tauchten um die Jahrhundertwende neue Gefahren auf. Auch die Automobilisierung brachte neue Brandgefahren, da der ungewohnte Umgang mit dem feuergefährlichen Treibstoff zu teils heftigen Verpuffungen und Bränden führte. 

Mit dem Aufkommen der Kinematographentheater Anfang des 20. Jahrhunderts verlief es ähnlich. Nachdem die ersten Veranstaltungsräume abgebrannt waren, wurden Vorschriften erlassen, um die Gefahren im Zusammenhang mit den leichtbrennbaren Zelluloid-Filmen und den alten Projektionsapparaten in den Griff zu bekommen.(2)


In der Mitte und im ausgehenden 19. Jahrhundert waren Innovationen in

der Brandursachenermittlung fast ausschließlich die Folge von negativen Erfahrungen bei Schadenereignissen. Jahrhunderte lang hatten Brandereignisse den Stellenwert von Naturkatastrophen. Der Bekämpfung und Aufklärung solcher Ereignisse war aufgrund der noch fehlenden Kriminaltechnik mäßiger Erfolg beschieden; Brände zur damaligen Zeit führten meistens zum Totalschaden des Gebäudes. 

Aber eben dieselbe beginnende Industrialisierung begleitet von Aufbruchstimmung und selbstbewussten Ingenieurleistungen führte auch aus dieser Lethargie der Brandursachenermittlung hinaus.(3)




Neue Brandursachen – neue Methoden


Im Laufe der 20er-Jahre begannen sich auch die Methoden der Brandursachenermittlung strukturell der Zeit anzupassen, indem sie sich gezielt an den Möglichkeiten des naturwissenschaftlichen und ingenieur-technischen Fortschritts orientierten. In den kriminaltaktischen und kriminaltechnischen Regelwerken wurden vorausblickend zunehmend auch wissenschaftliche Maßnahmen bei der Brandursachenermittlung (z.B. chemische Analysen) festgeschrieben.(4) 

Diese konnten als „vorkonfektionierte“ Methoden der Brandermittlung an unterschiedliche Brandszenerien angepasst werden. Mit dem gezielten Angebot von entsprechenden Weiterbildungsveranstaltungen wurden diese neuen Möglichkeiten in der Brandermittlung auch

einem breiteren kriminalistischen Fachpublikum vorgestellt.(5)

In jener Zeit wurde der Grundstein für ein Ingenieurwesen in der Brandursachenermittlung gelegt, indem es nun auf einmal bei umfangreichen Brandermittlungen und sich besonders schwierig gestaltenden Ermittlungen mit naturwissenschaftlichen Methoden und durch den Einsatz von Sachverständigen eine Ergänzung des kriminalistischen Handelns gab. 

Vielfach kamen diese Sachverständigen aus dem Bereich der Berufsfeuerwehren. Mit Entstehung der Berufsfeuerwehren und der Besetzung von leitenden Positionen mit Ingenieuren aus technischen Berufen oder dem Bauwesen wurde der oben beschriebenen veränderten Situation bei den Brandursachen schon längst Rechnung getragen.(6)


Ab Mitte des vorigen Jahrhunderts tauchten die ersten Berechnungsmethoden im Brandschutzwesen auf, mit denen Sicherheitskonzepte erarbeitet oder überprüft werden konnten. Erfahrungen aus dem Luftschutz und den Bombennächten sowie weitere technische Innovationen im Bauwesen, im Bergbau und der petrolchemischen Industrie aber auch der immer schneller werdende naturwissenschaftlich-technische Fortschritt und die ebenso schneller werdende Übernahme dieser Erkenntnisse durch die Industrie führten dazu, dass es auch eine weitere „Verwissenschaftlichung“ und „Technisierung“ des abwehrenden Brandschutzes gab. Parallel zur beschriebenen Entwicklung hat sich der Brandschutz auch zur vorausschauenden Disziplin gewandelt. Man spricht denn auch heute richtigerweise vom vorbeugenden Brandschutz. Dieser beinhaltet nebst den baulichen Maßnahmen auch den technischen und den organisatorischen Brandschutz und unterscheidet sich speziell in Bezug auf den Zeitpunkt des Agierens vom abwehrenden Brandschutz (Feuerwehr), welcher erst als Reaktion auf ein Ereignis interveniert. Zwischen den beiden Gebieten bestehen jedoch aufgrund sachlicher Abhängigkeiten enge Verknüpfungen, da eine effiziente Brandbekämpfung nur sichergestellt werden kann, wenn die Einsatzkräfte auf vorbeugende Maßnahmen wie gesicherte Löschangriffswege, Rauchabzugseinrichtungen etc. abstellen können.


Diese Entwicklung führte in vielen Ländern z.B den USA, Italien, Sowjetunion und anderen Ostblockländern dazu, dass die Ermittlungen der objektiven Sachverhalte (objektive Tatbestandsmerkmale) zur Ursache bei Bränden und Explosionen die Sache von speziell geschulten „Feuerwehroffizieren“ wurden. Diese brachten neben ihrem naturwissenschaftlich-technischen und brandschutz-technischen Wissen auch noch kriminalistisches und rechtliches Wissen mit. Eine ähnliche Entwicklung gab es in der DDR.(7) 


Brandschutzingenieure in der Brandermittlung


Neue Erkenntnisse und Methoden aus der Naturwissenschaft und Technik haben die Kriminalistik allgemein in den letzten Jahren entscheidend geprägt. Man denke nur an den Siegeszug der DNS-Analysen. Leider blieb die „hohe Schule der Kriminalistik“ (Weingart) – die Brandursachenermittlung – bei dieser rasanten Entwicklung scheinbar weitestgehend außen vor.


Daneben gab es eine andere sich nicht weniger negativ auf die Brandermittlung auswirkende politisch gewollte Entwicklung. Konnte über viele Jahre hinweg die Abstinenz der Brandursachenermittlung vom naturwissenschaftlich-technischen Fortschritt durch die Erfahrung und das persönliche Engagement von Beamten bestehen, die jahrzehntelang in der Brandfahndung tätig waren. Diese so

genannten „Bärenführer“ gaben ihr Wissen aus diesen Erfahrungen wie ein Stafettenstab an junge Kollegen weiter. Heute stehen Begriffe wie „Verwendungsbreite“ oder „BAO“ für eine anders verlaufende Entwicklung. „Junge Kollegen“ in der Brandermittlung fühlen sich zunehmend alleine gelassen. Kaum noch kommen ihnen diese auf jahrelangen Erfahrungen basierenden Kenntnisse zugute, aber auch im Studium an den Fachhochschulen führt die Brandursachenermittlung dem Stoffverteilungsplan geschuldet oft nur ein Schattendasein. Spezielle „Brand-Lehrgänge“ in der Weiterbildung sind – wenn sie überhaupt angeboten werden – ständig ausgebucht. Jedoch neben diesen negativen Erscheinungen kam es auch zu Aufbrüchen in der Brandursachenermittlung in Deutschland. Neue Impulse für die Brandursachenermittlung gab es Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts.


Nach dem Ende der DDR wurden eine Vielzahl der Brandursachenermittler der Feuerwehr, die nach einem Studium an der Fachhochschule des MdI in Heyrothsberge bei Magdeburg, an der Technischen Universität Magdeburg oder an der Hochschule in Moskau als Brandschutzingenieure und Offiziere bei der Berufsfeuerwehr tätig waren, als Beamte oder technische Angestellte in den kriminalpolizeilichen Dienst in den NBL übernommen.(8) Diese Kollegen waren nicht nur eine Bereicherung in ihren Dienststellen (vielfach bei den Landeskriminalämtern) sondern auch darüber hinaus. Viele Fachbeiträge in kriminalistischen Zeitschriften sind dafür der beste Beleg. Leider handelt es sich heute dabei biologisch und beamtenrechtlich um ein „Auslaufmodell“. 


Dieser sanfte aber stetige „Druck“, und die Entwicklung der letzten beiden Jahrzehnte in den USA und UK, führte jedoch auch zu mindestens partiell einer Öffnung der Brandursachenermittlung gegenüber anderen Disziplinen. Fach- und länderübergreifend begannen sich Physiker, Mathematiker, Informatiker und Brandschützer wissenschaftlich mit der Problematik des Brandes und des Brandschutzes auseinanderzusetzen.(9)

Hinzu kam eine zunehmende Akzeptanz von computergestützen Brandsimulationsmodellen bei den Brandschützern sowie eine insbesondere im anglo-amerikanischen Bereich sich rasch entwickelnde neue ingenieur-wissenschaftliche Disziplin des „fire engineering“ mit Teilgebieten wie „fire dynamics“ oder „fire modelling“.

Mit diesen Modellrechnungen kann jedoch die Realität nie als Abbild dargestellt werden, da die Physik stark vereinfacht werden muss, um überhaupt mathematisch erfasst werden zu können. Zur Verifizierung werden deshalb reale Brandereignisse, welche gut dokumentiert sind, nachgerechnet oder aber 1:1 - Versuche zur Überprüfung von Berechnungen durchgeführt.(10)


Brandereignisse simulieren – Chancen und Gefahren


Als Resultat stehen heute Brandsimulationsprogramme als Anwendersoftware zur Verfügung, mittels welchen die Auswirkungen möglicher Brandszenarien, bezogen auf die individuelle Raum-

geometrie, rechnerisch ermittelt werden können.(11) 

Die Einflussnahme anderer Disziplinen auf die Brandursachenermittlung, ins-besondere die Verwissenschaftlichung des Ingenieurbrandschutzes, bergen aber auch die Gefahr – wie Beispiele aus den USA zeigen –, dass in euphorischer Technikgläubigkeit die exakten Simulationsergebnisse nur ungenügend mit der Erfahrung rückgekoppelt werden.(12) Die Folge davon sind beispielsweise zentimetergenau ausgewiesene Rauchschichthöhen oder Sichtweiten, obwohl die Praxis lehrt, dass je nach Brandszenario und Brandgut stark abweichende Verhältnisse bestehen können. Erst das Zusammenspiel der wissenschaftlichen Methoden mit der praktischen Erfahrung ermöglicht, mit realistischen Szenarien Para-meterstudien durchzuführen, welche anschließend erlauben, ausreichend gesicherte Prognosen zu stellen.


Auch deshalb muss es in Zukunft den Brandfahnder mit seinen jahrelangen Erfahrungen und seiner kriminalistischen „Nase“ geben.

Einsatzmöglichkeiten für eine Brandsimulation 


Die Möglichkeiten für eine sinnvolle Ergänzung von Erfahrungen durch wissenschaftliche Methoden soll an Hand des nachfolgenden Falles dargestellt werden.(13) 

Das Brandobjekt lag in einem Wohngebiet einer mitteldeutschen Großstadt. Es handelte sich um einen freistehenden Wohnblock älterer Bauart mit drei Hauseingängen. Das Brandobjekt befindet sich am hinteren Teil. Das Gebäude hat drei Wohngeschosse und ein teilweise zu Wohnzwecken ausgebautes Dachgeschoss. 


Die Wohnung mit dem Brandraum liegt direkt unter dem Dach. Der Brandraum war das Schlafzimmer. Vom Wohnzimmer führte ein Durchgang zum Schlafraum. An der Stirnseite befand sich ein Fenster. Die Stirnseite hat eine Höhe von 200 cm. Die Raumhöhe steigt zur Mitte auf 230 cm an. Die Gesamtlänge des Raumes beträgt 400 cm, die Breite 250 cm. Mittig im Raum befindet sich ein stabiler Deckenbalken. Unterhalb des Fensters steht quer im Raum eine ausklappbare Schlafliege. Die Liege hat eine Breite von 150 cm und eine Tiefe des Hauptteiles von 70 cm. Neben der Liege in Richtung Tür stand eine Spiegelkommode mit einer Nachttischlampe. Die Nachttischlampe war über eine E-Leitung mit einer Steckdose in der linken Ecke am Fenster verbunden. Neben der Tür rechts stand ein Kleiderschrank. An der Wand neben der Tür rechts befand sich der Lichtschalter für die Deckenbeleuchtung. Als Deckenbeleuchtung diente eine Hängelampe. Links neben der Tür, vor der gemauerten Esse, stand ein Nachtschränkchen. Eine weitere Steckdose lag in der rechten Ecke der an der Stirnseite mit dem Fenster. 

Die Stellung des verkohlten Rahmens der Fensterflügel des Fensters an der Stirnseite des Schlafraumes sowie der Abbrand belegt eindeutig, dass dieses zum Brandzeitpunkt geöffnet war. 

Der Türrahmen der Tür zum Wohnzimmer weist starke Rußablagerungen sowie erste Brandzerrungen in der oberen Hälfte auf. Die Tür hatte in dem korrespondierenden Teil ebenfalls ein vergleichbares Spurenbild. 

Der stabile Deckenbalken mittig im Raum zeigt ebenfalls starke Rußablagerungen sowie erste Brandzerrungen in der oberen Hälfte. Die Wand am Kopfende der Schlafliege ist von starken Rußablagerungen und massiven Putzabplatzungen gekennzeichnet.

Die Auflagen des ausgeklappten Mittel- und Fußteiles sind vollständig verbrannt, so dass die Stahlfederung erkennbar ist. Der Kleiderschrank ist im oberen Teil durch den Brand stark zerstört und erheblich mit Ruß belastet. Aufgrund der Spurenlage konnte davon ausgegangen werden, dass es zu keinem Flashover und zum Vollbrand kam. 


Die durchgeführten Brandermittlungen zum Verdacht einer Straftat nach § 306a StGB – schwere Brandstiftung – ergaben unter Berücksichtigung der Abbranderscheinungen bzw. der quantitativ unterschiedlichen thermischen Belastung und des Materialverlustes an Bauteilen und Gegenständen, die aus brennbaren Stoffen gefertigt sind, eine Eingrenzung des Brandausbruchsbereiches auf den Schlafraum der damaligen Wohnung der Beklagten. 


Eine weitergehende eindeutige Eingrenzung der Brandausbruchstelle (Schlafsofa – fensterseitiges Kopfende) war möglich. Aufgrund des Brandtrichters, der Brandzerrungen, des Brandverlaufes musste definitiv der Bereich des fensterseitigen Kopfendes des Schlafsofas als Brandausbruchsort gewesen sein.

Aufgrund der angeführten Umstände und dem nachweisbaren Ausschluss anderer Möglichkeiten (Eliminationsverfahren) konnte für die Zündung nach einem längere Zeit andauernden Glimmbrand eine Wärmeübertragung durch Glimmstoffe (Zigarettenreste, Tabak) als Brandursache mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Entsprechend der Feststellung, dass die Beklagte eine starke Raucherin war, und den Aussagen der Beklagten sowie des nachweislichen Fehlens einer dritten Person im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Brandgeschehen, musste zwingend davon ausgegangen werden, dass die Einbringung der offenen Flamme oder Glut allein durch die Beklagte vorgenommen hätte werden können. Die Beklagte hatte dazu die Mittel und die Möglichkeit. 


Aufgrund der Tatsache, dass es noch nicht zum Flashover und anschließenden Vollbrand gekommen war, fanden die ermittelnden Beamten ein quasi „idealtypisches“ Spurenbild vor. 

Für die Beamten, die über die Erfahrungen von vielen Jahren in Ermittlung und Sachbearbeitung von Bränden verfügten, war es kein größeres Problem diese Spuren zu interpretieren und den Brandausbruchsbereich zu bestimmen sowie unter Anwendung des Eliminationsverfahrens, die Brandursache zu klären. Der Vorgang wurde an die Staatsanwaltschaft übergeben. Im Gerichtsverfahren nahm der Fall jedoch eine Wende. Im Beweisverfahren wurde durch den Rechtsanwalt der Beklagten neben einigen Beweisanträgen auch ein Sachverständigengutachten eingebracht. Im Ergebnis wurden die Ermittlungsergebnisse der sachbearbeitenden Beamten in Zweifel gezogen. Absicht des Anwaltes war es die Beweiskette zu erschüttern.


Der vorsitzende Richter beauftragte den Autor mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zu den Beweisfragen und zum vorliegenden Parteiengutachten, um zu klären, ob Zigarettenglut von einer durch die Beklagte auf dem Schlafsofa gerauchten Zigarette die Brandursache war. Von besonderer Bedeutung, weil nicht geklärt und widersprüchlich, waren in diesem Zusammenhang die zeitlichen Abläufe vom Brandausbruch mit offener Flamme, der Brandentdeckung sowie der Rauchintoxikation der Beklagten. Es wurde vorgebracht, dass, wäre der Brand tatsachlich auf dem Schlafsofa neben der Angeklagten entstanden, hätte die Beklagte Brandverletzungen erleiden müssen, bzw. sie wäre zumindest durch die Hitzeentwicklung sofort nach Brandausbruch wach geworden. Denn die Beklagte befand sich schlafend auf dieser Schlafliege. 


Weiterhin erschien es unwahrscheinlich, dass die Schlafliege bereits derart stark abgebrannt war, dass zum Zeitpunkt, als die Beklagte erwachte bereits eine derart starke Rauchentwicklung vorlag, dass sie die Wohnung nicht mehr selbstständig verlassen konnte.

Das zur computergestützten Simulationen verwendete Zonenmodell – CFAST 3.17 – wurde vom National Institut of Standards (NIST) nach den Richtlinien der NFPA (National Fire Protection Association) unter dem Namen CFAST für die Berechnung von kleineren Raumfeuern entwickelt. Das National Institut of Standards (NIST) ist vergleichbar mit dem Deutschen Institut für Normung (DIN).

Das Zonenmodell wurde gewählt, weil es nur einen vertretbaren Aufwand an Eingabeparametern sowie Rechnerkapazität bzw. Rechenzeit erfordert und somit im vertretbaren Maß Kosten sparend ist. 

Zonenmodelle unterteilen den Brandraum und die angrenzenden Räume in aufeinander liegende Zonen, wobei im Brandraum selbst noch der Plume, die aufsteigenden Heißgase, mit hinzukommen. Zonenmodelle errechnen jeweils einheitliche Mittelwerte, beispielsweise für die Temperatur, in horizontaler als auch vertikaler Richtung innerhalb einer Zone. 

Diese Mittelwertbildung vereinfacht solche Modelle, macht sie auf der anderen Seite aber auch unpräziser. Ihre Grenzen finden Zonenmodelle bei komplexen, weitläufigen Raumstrukturen, die von einer einfachen kubischen Form stark abweichen, oder bei einem im Vergleich zu den Gebäudedimensionen kleinen Brand, also bei solchen Gebäudestrukturen, bei denen es nicht zur Ausbildung von Zonen kommt. Aufgrund der einfachen Raumgeometrie im vorliegenden Fall ist ein Zonenmodell jedoch durchaus geeignet. 

Die Ergebnisse derartiger computergestützten Simulationen dienen lediglich zur Überprüfung und Verifizierung der verschiedenen Hypothesen. Sie haben eigenständig keine Beweiskraft.


In Beantwortung dieser Frage, ob zeitliche Rückschlüsse auf die Brandausbruchszeit auf Grund fast fehlenden Verbrennungen der Beklagten bedingt durch Strahlungswärme gezogen werden können, konnte der Autor, unter Einbeziehung der Ergebnisse aus der verwendeten Computersimulation, die Ermittlungsergebnisse der Beamten bestätigen und mögliche andere Hypothesen ausschließen.


Nach Vorliegen des Gutachtens und dem Abschluss der mündlichen Hauptverhandlung schloss sich das Gericht in seiner Urteilsfindung dem vorliegenden Beweismaterials an. Gegen das Urteil wurden keine Rechtsmittel eingelegt. 


Fazit

Mit der Einflussnahme von anderen naturwissenschaftlichen und ingenieurtechnischen Disziplinen bestände grundsätzlich die Möglichkeit, innerhalb der Brandursachenermittlung eine weitere Spezialisierung herbeizuführen, indem beispielsweise Simulationsberechnungen von EDV-gewohnten Brandschutzingenieuren ohne spezifische kriminalistische Kenntnisse in Zusammenarbeit mit erfahrenen kriminalpolizeilichen Brandermittlern durchgeführt würden. Die Komplexität von heutigen Brandermittlungen erfordert jedoch, dass sich die Praktiker zu Generalisten öffnen und die modernen Hilfsmittel als selbstverständliche Arbeitsinstrumente in ihre vielseitige Tätigkeit einbinden. Nur so lässt sich sicherstellen, dass die modernen Möglichkeiten konzeptionelle Hilfsmittel bleiben und nicht an die Stelle der Tatortarbeit im „Ersten Angriff“ treten. Weiterführende Informationen Auf PolizeiDeinPartner.de finden Sie hilfreiche Informationen zum Thema 

 

 

Fußnoten:

 


(1) Der Landjägereibeamte im Brandermittlungsdienst / Oberschlesische Provinzial-Feuersozietät Ratibor. Ratibor, 1933

Die Brandstiftung: für den Landjägerunterricht; im Auftrag des Kommandos des württembergischen Landjägerkorps / ausgearb. von Haag. Stuttgart 1925

(2) Der Brand des Schweriner Schloss Anfang des 20. Jahrhundert ist durch einen Brand eines Kinematographen ausgelöst worden

(3) Weingart, A.: Über das Besichtigen von Brandstellen, Merseburg 1900. (Sonderabdruck aus den „Mitteilungen für die öffentlichen Feuerversicherungs-Anstalten“) 

Weingart, A., Kriminaltaktik, Ein Handbuch für das Untersuchen von Verbrechen, Leipzig 1904

(4) Tramm, K. U.: Brandstiftungen und Brandursachen: die Technik ihrer Ermittlung, Kiel 1933: Landesbrandkassen-Verl. 

Nelken, S.: Die Brandstiftung: ihre Ursache, Feststellung und Verhütung, Berlin 1925: Verband Öffentlicher Feuerversicherungs-Anstalten in Deutschland. 

(5) In diesem Zusammenhang ist auf die Lehrgänge zur Brandursachenermittlung am Kriminalpolizeilichen Institut in Berlin-Charlottenburg in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hinzuweisen, die auch von Beamten aus anderen deutschen Ländern besucht wurden.

(6) Richtlinien für die Beseitigung von Mängeln elektrischer Starkstromanlagen auf dem Lande/ Arbeitsgemeinschaft zur Überwachung elektrischer Starkstromanlagen auf dem Lande. Kiel: Landesbrandkassen-Verl., 1926. (Taschenbücher der Schleswig-Holsteinischen Landesbrandkasse zur Brandverhütung; 1)

Das Feuerlöschwesen in der Provinz Schleswig-Holstein vom 23. Februar 1932 / [Schleswig-Holstein / Oberpräsident] Ibbeken 1932.

Berndt, A.: Zur Entstehung des Reichstagsbrandes. Eine Untersuchung über den Zeitablauf, in: VfZ 23, 1975, 77-90, hat die Zweifel an Lubbes alleiniger Brandlegung im Plenarsaal durch eine Neuberechnung der Zeiten auszuräumen versucht, die allerdings kritischer Nachprüfung nicht standhält (siehe Karl Stephan, Brandentstehung und Brandablauf, in: Hofer u. a., Reichstagsbrand, Bd. 2, 252-262, Neuausg. 130-140). Insbesondere sind Berndts verschiedene, einmal vom Beginn, einmal vom Ende her gerechnete Zeitreihen untereinander nicht in Deckung zu bringen.

Kugler, F.: Das Geheimnis des Reichstagsbrandes. Amsterdam/Leipzig o.J. [1934], 111-113: Die Sachverständigen, 23. Oktober

(7) 15. Kolloquium zur Polizeigeschichte, Kolloquium zur Polizeigeschichte in Zusammenarbeit mit dem Nordelbischen Kirchenarchiv, Kiel 1. bis 3. Juli 2004 – Stolt, F.D.: Geschichte der Brandursachenermittlung (BUE) seit 1945

(8) In seiner Ausbildung hat der Autor auf verschiedenen Dienststellen diese Kollegen persönlich kennen gelernt und von ihrem umfangreichen Wissen profitieren können / Als Beispiel sei auf Kollegen Cicha hingewiesen. Cicha, J.: Die Ermittlung von Brandursachen, Boorberg-Verlag, Stuttgart – München – Hannover – Berlin – Weimar – Dresden 2004

(9) Im Zusammenhang wurde vor einigen Jahren eine Fachtagung des BKA zu computergestütze Brandsimulationsprogrammen unter Beteiligen von nichtpolizeilichen Brandschutzexperten durchgeführt. 

(10) Drysdale, D.: “Ignition: The Initiation of Flaming Combustion.” An Introduction to Fire Dynamics. John Wiley & Sons Ltd., Reprinted September 1986

Kanury, A.M.: “Ignition of Liquid Fuels.” SFPE Handbook of Fire Protection Engineering, Second Edition, P.J. DiNenno et al. eds., Society of Fire Protection Engineers, Boston 1995

(11) An dieser Stelle sind nur einige dieser Modelle zu nennen: für Zonenmodelle z.B. CFAST; für Feldmodelle z.B. Smokeview FDS, Kobra 3-D, Fluid, Phönix

(12) Wie problematisch der Einsatz von Computersimulationen (Kobra 3-D) noch vor 10 Jahren war, wurde bei Prozess um die Brandstiftung im Lübecker Asylanten-Wohnheim, auch im Fall des Safran Aid mehr als deutlich.(13) Aus datenschutz-rechtlichen Gründen wurde auf die Verwendung von personenbezogenen Daten bzw. örtlicher Anhaltspunkte verzichtet.