„Roter Kosar” (Teil 1)

– eine nicht alltägliche Brandstiftungsserie mit ungewöhnlichem Hintergrund aus der persönlichen Sicht des Polizeiführers –

Von Stefan Heinz, Kriminaloberrat, Kriminaldirektion Koblenz

Zum Kontext der Ermittlungen (Autor / Dienststelle)

Ich heiße Stefan Heinz, bin 43 Jahre alt und leite seit Januar 2006 die Regionale Kriminalinspektion in Koblenz. Die Dienststelle ist im Jahre 1993 nach einer Organisationsreform der rheinland-pfälzischen Polizei geschaffen worden, um so genannte „Straftaten der mittleren bis schweren Kriminalität„ besser aufklären zu können. Dies sind zum Beispiel Brandstiftungen, Waffendelikte, Rauschgiftdelikte, Straftaten gegen die Umwelt, Sexualdelikte, schwere Diebstähle, Raub- und nicht zuletzt Betrugsdelikte. Der örtliche Zuständigkeitsbereich der Regionalen Kriminalinspektion deckt sich mit demjenigen der Polizeidirektion Koblenz und umfasst die Stadt Koblenz, Teile des Landkreises Mayen-Koblenz (u.a. Stadt Andernach), den Rhein-Hunsrück-Kreis sowie Teile des Rhein-Lahn-Kreises.

Stefan Heinz, Kriminaloberrat, Kriminaldirektion Koblenz

Zum Tatgeschehen und zur polizeilichen Reaktion:

Am 17.01.2006 gingen bei den Stadtverwaltungen Andernach (Landkreis Mayen-Koblenz) und Koblenz sowie dem privaten Fernsehsender TV Mittelrhein per E-Mail gleichlautende Schreiben ein, wonach die Polizei Rheinland-Pfalz aufgefordert wurde, ihre Internetseite zu löschen. Sollte dieser Aufforderung nicht innerhalb von 24 Stunden Folge geleistet werden, drohte der Absender damit, in der Umgebung Brände zu legen. Unterzeichnet hatte er mit dem Pseudonym „RoterKosar„.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Leitung der Regionalen Kriminalinspektion Koblenz gerade erst übernommen und gehofft, mich zunächst mit ganz anderen Aufgaben beschäftigen zu können. Ich gestehe auch ein, den Inhalt der E-Mail zunächst als „Spinnerei„ eingestuft zu haben. Wer Sprache und Stil der E-Mail zur Kenntnis nimmt, wird dies vermutlich unschwer nachvollziehen können. Gleichwohl trafen wir erste Absprachen mit der örtlich zuständigen Polizeiinspektion in Andernach, um auf eine mögliche Lageentwicklung vorbereitet zu sein.

die seite der rlp polizei wird sofort gelöscht sollten sie dieser
auforderung nicht nachkommen werde ich mehrere brände in der umgebung klegen
dies hat zur folge das die ganzen
geschäfte und wohungen mit schweren schäden rechnen müssen ebenso werde ich brände in autos garagen haäusern
und geschäften logen in ihrem
interesse loschen sie sofort die
polizei seiten
i#im besonderen die fahnden die
sollen sofort gelöscht werden wenn icht lege
ich brände als zeichen miner das sie mich ernst nehmen wird ich diese
woche eine ne brand legen und ich werde isie wieder anschreiben
also sofort werden die fahndunegn
gelöscht und die polizei seite
inherhalb von 24 stunden ansonsten haben sie die schäden zu verantworten

gezeichnet der
rote kosar


Mit der Versendung der Mail warenzunächst allenfalls die Straftatbestände Bedrohung, Nötigung oder Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten erfüllt. Ich habe die weiteren Ermittlungen meinem Fachkommissariat 1, das u.a. für die Bearbeitung von Branddelikten zuständig ist, übertragen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch überhaupt keine Ahnung davon, welche Dimension die Ermittlungen und weiteren Maßnahmen zur Lagebewältigung erreichen würden.


Zuständigkeitsbereiche Polizeipräsidium Koblenz und Regionale Kriminalinspektion Koblenz

Weil der Absender der E-Mail eine anonymisierte Internetplattform bei dem Dienstleister web.de nutzte, gab es keine Ermittlungsansätze. Später wechselte er zu freenet.de. Er agierte zunächst aus Internet Cafes im Raum Koblenz und Neuwied heraus. In der Folge verschaffte er sich mittels WLAN und über offene Access-Points Zugang zu den Rechnern vollkommen unbeteiligter Personen.

Natürlich ist die Polizei der Aufforderung zur Löschung der eigenen Internetpräsenz nicht nachgekommen. Für diese Entscheidung wagte ich noch nicht einmal, auch nur eine vorgesetzte Stelle zu belästigen.

Am 19.01.2006 versuchte der Täter dann tatsächlich gegen 02.20 Uhr ein Bekleidungsgeschäft in der Innenstadt von Andernach in Brand zu setzen, wobei er eine brennbare Flüssigkeit auf einen im Eingangsbereich befindlichen Teppichboden ausgoss und diesen entzündete. Der Brand erfasste nur den Teppich. Die Hitzeentwicklung brachte aber die Glastür zum Bersten, was dazu führte, dass die Einbruchmeldeanlage losging. Jedenfalls konnten sofort zum Ereignisort entsandte Kollegen der Polizeiinspektion Andernach weiteren Schaden vermeiden. Der dabei entstandene Sachschaden war relativ gering. Die Bewohner der oberen Etagen des Anwesens kamen nicht zu Schaden.

Über diese Aktion informierte der Täter am 20.01.2006 wiederum per E-Mail einen Verlag in Andernach, der vor allem die Mitteilungsblätter auf kommunaler Ebene vertreibt, und kündigte weitere Brandstiftungen an. Dabei stellte er die bereits bekannte Forderung erneut auf.

ich habe es euch gesagt ihr solt die seite von der polizei mit den fahndungen löschen dies wurde nicht gemacht meine warnung wurde nicht geachtet nun habt ihr die folgen zu tragen mein erster einsatz war in andernach dort wurde ien geschäft geschädigt euer glück war das es nicht richtig gebraqnnt hat nur der teppich sonst währe das ganze geschäft abgefackelt der rote korsar schlägt wieder zu und ich werde noich mehrer geschäfte und wohnungen häüser und auto anzünden es wurd immer schlimmer werden so lange bis die seite der polizei gelöscht wurde und die fandungen ebenso in den nächsten paar tagen werde ich weitere anschläge verüben es wird euch noch leid tun mich nihct zu beachten für alles was passiert seit ihr die scheis polizei verantwortlich löscht die seite ansonsten wird alles brennnen. viva le revolotion d
er rote kosar

Die Drohung erneuerte der Täter am 25. Januar 2006 mit inhaltsgleichen E-Mails ebenfalls an den genannten Verlag sowie an die am Mittelrhein viel gelesene „Rheinzeitung„.

ihr glaubt wohl das ich lüge ?
ich werde es euch beweißen das ich es ernst meine
merkt euch folgendes
es werden in den nächsten tagen brände gelegt und zwar wrde ich
ein auto anzünden
dannach ein geschäft zünde ich an
ein wohnhaus setze ich in brand ein großkaufhaus ein auto eine en lkw usw ich werde so lange brände legen bis die seite der
polizei gelöscht ist solte dies nicht bald passieren
werden menschen zu schaden kommmen es werden immer härtere brände elgt damit ihr es mir glaubt werde ich in in naher zukunft eine en richtig großen brand legen
mit mir kann man nichtmachen was ihr wolt ich bin der rote kosar und viva la revulution
scheis bullen letzte warnung löscht eure seite sonst passieren scghlimme brände und euch zeiungen habe ich es auch gesagt denkt daran ihr seit mit schuld daran wenn etwas passiert
letzte warnung
und euch zeitungsverlag habe ich es auch geasagt ihr seit dann mitschuldig daran wenn etas passiert denkt
daran

Damit waren die örtlichen Printmedien informiert und ich musste mir eine Strategie ausdenken, dass daraus kein überzogener Aufklärungsdruck oder etwa im Rahmen unsachgemäßer Berichterstattung gar eine Gefahrenpotenzierung entstehen würden. Dazu später mehr.
Jedenfalls war an eine Erfüllung der Forderung nicht zu denken, obwohl bereits zu diesem Zeitpunkt der ein oder andere Kollege als taktische Lösung ein Erfüllungskonzept vornehmlich mit dem Ziel von Zeitgewinn thematisierte. Aber für mich galt es an einem alten Grundsatz festzuhalten, der da lautet: Der Staat, und dabei vor allem die Polizei als das Synonym für das staatliche Gewaltmonopol schlechthin, lässt sich nicht erpressen, oder sollte man strafrechtlich gesehen eher von nötigen sprechen?

Was tut man, wenn man neu auf einer Dienststelle ist, einen Ereignis- bzw. Tatort hat, der nicht am Sitz der Dienststelle liegt und sich zunächst überhaupt kein Bild von einem Täter machen kann. Man versucht, sich eins zu machen. Wir nennen das auch Arbeitshypothesen aufstellen und begannen mit ganz konservativer kriminalpolizeilicher Arbeit. Wir entwickelten ein Täterprofil auf Grundlage von Erfahrungswissen und Intuition, denn mehr hatten wir zu diesem Zeitpunkt nicht.

Die entscheidenden Fragen lagen dabei auf der Hand: „Wer könnte ein Interesse daran haben, die Polizei zu schädigen, zu nötigen oder zu erpressen?!„, „Wer wohnt in Andernach und Umgebung und hat Erkenntnisse als Brandstifter?„, „Wer hat noch eine alte Rechnung mit der Institution Polizei offen und besitzt die Persönlichkeitsstruktur, Gewalt anzuwenden, bei der Unbeteiligte zu Schaden kommen können?„, „Was sagt uns die Tatsache, dass der Brandstifter das Internet als Kommunikationsplattform nutzt über sein Alter, sein Geschlecht, die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe usw. ?„.

Natürlich leisteten wir auch Spurensicherungsarbeit, befragten Zeugen und Geschädigte, usw. Dabei gerieten eine Reihe von Personen, von Tatverdächtigen im Sinne der Strafprozessordnung will ich in diesem Zusammenhang gar nicht sprechen, in unseren Fokus und wurden überprüft. Bis dahin ergebnislos.

In der Nacht zum 02. Februar 2006 legte der Täter gegen 03.00 Uhr einen weiteren Brand, wieder im Eingangsbereich eines Bekleidungsgeschäftes, welches ebenfalls im Bereich der Innenstadt von Andernach liegt, in dem er erneut Brandbeschleuniger ausgoss und entzündete. Wieder fing ein Teppich, dieses Mal im Innenraum des Geschäftes Feuer, weil der Brandbeschleuniger in das Innere der Räume gelangte. Der Holzrahmen der Eingangstür brannte. Der Brand wurde ebenso schnell bemerkt, wie bei der ersten Tatbegehung, so dass das Feuer schnell gelöscht werden konnte.

Bei dieser Tat entstand infolge der starken Rußentwicklung an Geschäftseinrichtung und dort gelagerten Waren ein Schaden von etwa 250.000,-- Euro. Die Menschen, die in den über dem Geschäft gelegenen Wohnungen lebten, kamen glücklicherweise nicht zu Schaden.

Am 07. Februar 2006 meldete sich der Brandstifter erneut per E-Mail bei verschiedenen Empfängern, bekannte sich zu dieser Tat und wiederholte seine Forderungen und Drohungen.

glaubt ihr ich mache spass ich habe nun das zweite geschäft angezündt in andernach es werden ncoh viele mehr werden die seite der polizei is t immer noch onlone sie mu´ßß sofort ausgeshaltet werden sosnt geht es weider ich werde weite rgeschäfte anzünden und autos höuser usw letze warnung bevor wieder ein haus in flammen aufgehen wird wenn menschen zu schaden komen seit ihr selber schuld Noch einmal für ecuh ich habe 2 textilgeschägfte bis jetzt in brand gesteckt und es geht weiter und das mitten in der stadt viva le revolotion schaltet die polizei seite aus und zwar sofort sondt brend noch sehr viel mehr und ich werde nicht nur durch die türe das geschäft anzünden ich werde türen aufbrechen und ganze häuser anzünden und autos !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! LETZTE WARNUNG




Die Besondere Aufbauorganisation zur Lagebewältigung:

Mittlerweile hatten wir die Ermittlungen und Schutzmaßnahmen in Absprache mit der örtlich zuständigen Polizeiinspektion weiter intensiviert. Demzufolge sollte die Regionale Kriminalinspektion Koblenz die Ermittlungen intensivieren, während die Polizeiinspektion in Andernach ihren Wach- und Wechseldienst verstärkte, um den Innenstadtbereich von Andernach verstärkt bestreifen zu können. Wir trafen zudem Absprachen, um den erneut zu befürchtenden Einsatz von Feuerwehr und Rettungsdiensten weiter zu optimieren.
Damit war die Grundstruktur der Besonderen Aufbauorganisation geschaffen. Diese Organisationsform war zudem notwendig geworden, um Spezialkräfte, wie Berater– und Verhandlungsgruppe sowie Kolleginnen und Kollegen aus dem Dezernat für Operative Fallanalyse beim Landeskriminalamt einbeziehen zu können.
Am 11. Februar 2006 meldeten Zeugen gegen 21.30 Uhr einen Brand in einem dem Stadtkern von Andernach vorgelagertem Gewerbegebiet. Dort brannte die Lagerhalle eines Stuckateurbetriebes. Dabei entstand ein Sachschaden in Höhe von 25.000,-- Euro.

Zu dieser Tat bekannte sich am 14. Februar 2006 wiederum der „Rote Kosar" mit einer E-Mail an mehrere, bereits vorher kontaktierte Empfänger.

 

na ihr arschlöche rich habe es ja gesagt ic zünde alles an wie ih wolt ich habe den zimmerei angezündet und noch ien auto und den paierladen in andernach also wie ihr wolt entwerder seite vomn polizei löschen oder es geht weider
wir werden als nächster ein haus anzünden oder ein geschädft es wird immer schlimmer selber schuld
viva le revolition
wir zünden ganz andernach und
umgebuing an es werden leute drauf gehen entweder plizei seite raus oder ihr braucht file wasser zum löschen der brände und es war schön zu sehen wie die ischlerie gebrannt hat am
wochenende ja viel feurwehr war da und ich auch ich werde weiter machen
der rote kosar

Ich baute die Besondere Aufbauorganisation zur Lagebewältigung in die Einsatzabschnitte Schutzmaßnahmen, Ermittlungen, Fahndung, Verhandlungen und einsatzbegleitende Öffentlichkeitsarbeit weiter aus.
Neben einer kleinen Führungsgruppe, die mich bei der Lagebewältigung unterstützte, kam die Beratergruppe des Landeskriminalamtes zum Einsatz. Die meiste Arbeit fiel in den Einsatzabschnitten Ermittlungen und Schutzmaßnahmen an.

Bei den Ermittlungen intensivierte ich die kriminaltechnischen Untersuchungen. Dies beinhaltete, dass ich feste Mitarbeiter aus dem Bereich Kriminaltechnik/Erkennungsdienst dazu bestimmte, die spurentechnischen Arbeiten zusammenzufassen, eine eigene KT-Akte zu erstellen und die Untersuchungsanträge zu forcieren. Fest- bzw. sichergestellte Tatmittel und an den Brandorten aufgefundene Materialien wurden in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt untersucht.

Als für die spätere Beweisführung wichtiger Baustein erwies sich der Auftrag an das Bundeskriminalamt, die bis dato vorliegenden E-Mails linguistisch zu untersuchen. Dabei sollten zunächst Hinweise zur Sprachkompetenz des Absenders erlangt werden, mit denen das Täterprofil hätte eingegrenzt werden können (Dialekt, Bildung, etc.).

Ein weiteres wichtiges Element waren sogenannte datentechnische bzw. Internetermittlungen, die ich wegen bestehender Geheimhaltungsverpflichtungen nicht umfassend vorstellen darf, jedoch einen großen Teil der Ermittlungen ausmachten.

Wir überprüften zunächst alle Fahndungseinträge der rheinland-pfälzischen Polizei im Hinblick auf evtl. Ermittlungsansätze, weil der Täter deren Löschung verlangte. Konnte aus irgendeinem der Sachverhalte evtl. ein Bezug hergestellt werden? Nein. Später veröffentlichten wir auf der Fahndungsseite eine Meldung zu der Brandserie, um ihn zu weiteren Reaktionen zu veranlassen.

Darüber hinaus werteten wir das Surf-Verhalten des Täters aus. Seine E-Mails waren aus Internet-Cafés aus dem Raum Koblenz-Neuwied versandt worden und unmittelbar nach deren Übermittlung durchgeführte Ermittlungen in diesen Cafés erlaubten uns, das Surfverhalten an den vom Täter genutzten Rechnern nachzuvollziehen. Hatte er etwa den aus seiner Sicht unverzeihlichen Fehler begangen und von den von ihm genutzten Rechnern Zugriff auf bestimmte Seiten genommen, die seine Identifizierung erlauben würden?

Natürlich nicht, aber er hatte andere Spuren hinterlassen, die uns Aufschluss über Neigungen, Hobbys und Persönlichkeit gaben und die in die Verfeinerung des Täterprofils einbezogen werden konnten.

Schließlich waren wir sehr schnell in der Lage, das vom Täter genutzte Postfach bei freenet.de zu überwachen. Freenet richtete ein serverseitiges Script ein, das die IP–Adresse des absendenden Rechners mitteilen würde, sobald über das Mail–Postfach des „RotenKosaren„ eine E-Mail geschickt oder nur darauf zugegriffen werden würde.

Als Empfänger wurde ein Postfach genutzt, das bei dem meiner Dienststelle angeschlossenen Kriminaldauerdienst (erfreulicherweise haben wir den noch) eingerichtet worden war. Der Rechner war mit einer Soundkarte und einem Lautsprecher ausgestattet. Mit sofortigem akustischen Alarm wurden die Kolleginnen und Kollegen über den Eingang einer Mail informiert und die IP–Nummer des Absenders angezeigt. Über Mitarbeiter von T-Online, die zeitweise sogar für uns Bereitschaftsdienst verrichteten, konnte dann innerhalb weniger Minuten die Örtlichkeit ermittelt werden, an der der absendende Rechner stand. Diese wurde dann von Fahndungskräften überprüft.

Hierzu entwickelten wir eigens ein Fahndungskonzept, das verständlicherweise bei den beteiligten Dienststellen nicht überall auf Begeisterung stieß, weil wir aufgrund der in diesem Stadium der Ermittlungen notwendigen Geheimhaltung kaum Hintergründe nennen konnten. Ich musste wieder einmal feststellen, dass die in bestimmten Fällen unabweisliche Zurückhaltung bei der dienststellenübergreifenden Kommunikation sich nicht immer motivationsfördernd auswirkt. Bei der Nachbereitung der Lage habe ich daher in dieser Frage sehr viel Wert auf eine Klarstellung unserer Situation gelegt.

Weiterhin suchten wir im Internet in allen Bereichen nach Hinweisen, die aus dem vom Täter genutzten Pseudonym herzuleiten waren: „RoterKosar„. Mit diesem Pseudonym assoziierten die meisten Kolleginnen und Kollegen Burt Lancaster in seiner Filmrolle als Roter Korsar in einem Kinofilm aus den 60er Jahren. War der Täter rothaarig, segelte er? Sah er sich als Freibeuter (Oppositioneller) gegenüber einer sich aus seiner Sicht manifestierenden Staatsmacht? Fragen über Fragen und keine Antworten. Die meisten der Kollegen, anfangs auch ich, hatten einfach überlesen, dass in dem Pseudonym das „R„ fehlte.

„Roter Kosar„ ist aber beispielsweise eine Nelkenart, die Bezeichnung für ein (zweisitziges) Sportruderboot, ein russischer Begriff für Mäher, usw. Das half uns jedoch alles nicht weiter.

Des weiteren versuchten wir Personen, die im Internet, u.a. bei Ebay, mit dem bekannten Pseudonym Waren anboten, zu identifizieren und dabei Ansätze zu erkennen, die sie gegebenenfalls mit den Taten hätten in Verbindung bringen können. Ergebnislos.

Die verschiedenen Ermittlungsansätze ließen die für das Verfahren eigens entwickelte Datenbank derart anschwellen, dass nach kürzester Zeit weit über 1.000 Spuren anfielen.

Schließlich führten wir umfangreiche Funkzellenauswertungen durch, da wir mehrere genau eingrenzbare Ereigniszeiten und -orte kannten. Auch diese Auswertungsergebnisse führten zu einer Vielzahl von Ermittlungsansätzen, die im Rahmen von Alibi-Überprüfungen abgearbeitet werden mussten. Dabei gewannen wir tiefe Einblicke in das Leben einer Reihe von Menschen, deren umfassende Schilderung den Rahmen dieses Berichts sprengen würde. Erheiternd ist jedoch die Geschichte eines jungen Mannes, der überprüft wurde, weil er sich zu drei unterschiedlichen Zeiten, an denen der „RoteKosar„ agierte, in den entsprechenden Funkzellenbereichen bewegte. Nachdem er anfänglich keine Erklärung abgeben wollte, stellte sich später heraus, dass es sich um einen so genannten Callboy handelte, der im Raum Andernach-Neuwied seine Liebesdienste anbot.

Das Fachkommissariat 8, wo die Kriminalpolizeilichen Personenbezogenen Sammlungen (KPS) geführt werden, erhielt den Auftrag, auf Grundlage des erarbeiteten Täterprofils Auswertungen durchzuführen. Auch dies hatte zur Folge, dass die Spurenzahl weiter anstieg.

Hierbei zeigte sich aber, dass die gewissenhaft durchgeführte und ermittlungsbezogene Auswertung zielführend ist, weil der später ermittelte Täter bereits zu einem relativ frühen Zeitpunkt in einer Auflistung möglicher Tatverdächtiger erschien!

Am 19. Februar 2006 ereignete sich die nach meiner persönlichen Bewertung wohl gefährlichste Brandlegung. Gegen Mitternacht zündete der Täter im Hinterhof eines Mehrfamilienhauses im engeren Stadtkern von Andernach einen mit Gerümpel und Brennholz gefüllten Schuppen an. Der Schuppen brannte völlig aus. Wäre dieser Brand auch nur 10 bis 15 Minuten später bemerkt worden, hätte er vermutlich auf das angrenzende Mehrfamilienhaus und die anderen Nachbarhäuser übergegriffen. Wegen der dort sehr engen Bebauung wäre die Brandbekämpfung nur mit sehr hohen Personal- und Einsatzressourcen möglich gewesen. Menschen wären sehr wahrscheinlich zu Schaden gekommen.

Zu dieser Tat bekannte sich der Täter am 22. Februar 2006 und erneuerte seine unsinnige Forderung. Dabei kündigte er die Ausweitung seiner Taten auf andere Städte und Kommunen an, wobei er auch „ein von Ausländern bewohntes Haus„ anzuzünden drohte. Diese Mail versandte er, in dem er sich erstmals über WLAN und einen offenen Access-Point Zugang in den ungeschützten Rechner eines Unbeteiligten verschaffte.


ich habe es ja euch gesagt das wir alles anzunden werde nun habt iht es gesehen
wir haben in andernach nun schon wirde ein haus angezundet ich sage arschkocher auch wie wir sin duber die mauer in den hof des hauses in andernach gespringt dann woolten wir eigentlich den schlecker anbrennen leider war so nicht moglich darum haben wir das hasu im hof angebrennt und zwar haben wir das tur aufgaht und dann im haus unserer bombe gelegt eien flasch mit benzin mit schnellbrenner dann sind wir wieder mit der leitr rausgesteigt und haben sogar noch auf feurerhr gewarten
das beste aber ihr arschlochh asl ihr gekomen wart haben wir sogar noch mit eur geredet wir haben uns dnannch halb tot gelocht es waren auhc ncih andere junge leute da die mit euch geredt haben
aber wir waren auch da und haen uns ales angeseht eiunfach nur tol wie ihr daagestntnen habt und gekuckt und wir die helden waren vor eurer nase ha ha ha
und nun wir haben euch gedasagt das ihr die polei seite lischen solt habt aber immer ich niht gemacht
nun must ihr davur bussse tun.
wir werden als nacgster ein firma anzunden dann kommt ein auto drannn und wir haben schin ein haus gesehene e das wir mit anzunden wo scheis auslander wohenn mit den scheis auslandern
also ncoh mal fur euch iditen eien firma wir brennne dnnach ein auto da schlagen wir die scheibenein
und schmeisen undsere bimbe rein dann kommt ein haus das mit leuten die verecken werden da werden wir die hasu aufbredchen und im ganzen haus unsere bomben legen und niemand kann und fanegen
wir sind zu gut und zu schenll.
auch werden wir uns nunn nicht mer melden da ihr uns ja nicht antwort schreibt per mail wenn ihr mituns reden wollen dann schreibt eien meldug in zeitung ganz gross dan schreiben wir euch arschlocher wider sonst konnte ihr allses ws nun brennenen wird uns rechene
scheis poolizei wixxer idio-ten wenn leut verecken dann seit ir shuld an dem tot der leuten das schiken wir auch an zeitung damit di wissen warujm das bassieren muste
wir hoff das es nicht kommen muss dazu und die seit geloscht wir und schnell
wenn nicht das wird gemacht wir werden nah dieser brannt die wir machen werden noch viel mehr brennnen wird und zwar ganz grosses kaufhauser und ohungen in mitten der stadt oder euch in anderer stdt also nicht das ihr glaubt wir sind tum und machen nunr in stat kann nauch in nachparort sein also letz warnung wenn icht habt ihr sgesehen was bassieren wird
viva le revolution
noch drei mahl brennt esdann dann kommen unsere anderen bomben zum einsatz die grosser sind wie die nun auch duie
hauser werden grosssser und mehr menschen gehen verecken
und wir hassen die scheis polizei seite aus dann ist ruhe und schliest die polizeschule
sofort damit keien neuen arschlecher mehr nachkommen
wir haben genug kontakt zu manchen polize um zu sehen ob ihr das macht letzte warnung

viva le revolution

Spätestens zu diesem Zeitpunkt liefen die Ermittlungen auf Hochtouren. Der Erfolgsdruck wurde immer größer. Die Gefahrenlage war aus meiner Sicht unbeherrschbar geworden. Was mir große Sorgen machte, war nicht einmal die angedrohte Ausweitung der Brandlegungen, sondern die geringe Planungstiefe des Täters bei der Umsetzung seiner Vorhaben. Wenn es ihm nur darum ging, die Polizei zu einem Zugeständnis zu bewegen, in dem sie ihre Fahndungsseite und den Internet-Auftritt zurücknahm, so machte er sich offenbar keinerlei Gedanken darüber, welche Folgen mit der Umsetzung seiner Taten hätten eintreten können.
In diesem Stadium halfen dann vor allem die Arbeitsergebnisse eines eigens gebildeten Analyseteams bestehend aus Mitgliedern der Beratergruppe, der Verhandlungsgruppe und dem Dezernat für operative Fallanalyse beim Landeskriminalamt. Die Spezialisten aus den genannten Bereichen hatten in dieser Form und Zusammensetzung noch nicht zusammengearbeitet und konzentrierten ihre Analyse ausschließlich auf die bis dahin vorliegenden E-Mails des Tatverdächtigen. Dafür opferten sie das komplette Karnevalswochenende - Tag und Nacht. Mit dem Arbeitsergebnis gewann ich hinsichtlich des bis dahin hauptsächlich auf Erfahrungswissen und Intuition beruhenden Täterprofils deutlich mehr an Sicherheit. Die Ermittlungen konnten merklich gestrafft werden.
Gesucht wurde ein Einzeltäter, männlich, 16 bis 30 Jahre alt, deutsche Muttersprache, agiert im Dreieck Koblenz, Andernach, Neuwied und ist damit mobil. Auf den ersten Blick gibt das nicht viel her. Wenn jedoch 1000 und mehr Spuren abgearbeitet werden müssen, kann man mit diesem Zwischenergebnis effizienter und effektiver arbeiten.
Jedenfalls konnte und wollte ich die Linie nicht verlassen, den Forderungen des Täters nicht nachzukommen. Dabei war mir bewusst, dass er sich damit quasi gezwungen sehen musste, in seinem Treiben fortzufahren.

(Fortsetzung folgt)