Netzwerke gegen den Terror

Netzwerke gegen den Terror

Von Rainer Griesbaum, Bundesanwalt - Abteilungsleiter -, Karlsruhe
und Norbert Weise, Generalstaatsanwalt, Koblenz

Mit dem Begriff „Netzwerke gegen den Terror“ lassen sich aktuelle Bestrebungen von Justiz und Polizei zur Verfolgung und Bekämpfung islamistisch-terroristischer Aktivitäten beschreiben. Bevor näher auf diese Überlegungen und ihre konkrete Ausgestaltung eingegangen wird, soll der Ausgangspunkt des „Projekts“ skizziert werden.


Rainer Griesbaum,
Bundesanwalt Karlsruhe

Der islamistische Terrorismus, der mit den Anschlägen vom 11. September 2001 schlagartig und schmerzhaft in das Bewusstsein der westlichen Welt gelangt ist und der durch die Attentate von Madrid am 11. März 2004 und London am 7. Juli 2005 auch „in Europa angekommen ist“, beschäftigt die Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden in Deutschland in bisher nicht gekanntem Ausmaß. Oberstes Ziel all dieser Bemühungen ist der Schutz der Bevölkerung vor terroristischen Anschlägen. Die bisherigen Analysen des Phänomenbereichs „islamistischer Terrorismus“ stellen die zuständigen staatlichen Organe vor neue Herausforderungen.


Die klassische Terrorismusverfolgung in Deutschland war hauptsächlich ausgerichtet auf Organisationen und Gruppen mit links- oder rechtsextremistischem Hintergrund. Bis heute prägend für die polizeilichen und justiziellen Staatsschutzbehörden waren die Erfahrungen mit dem Terrorismus der „Rote(n) Armee Fraktion (RAF)“.

Die staatlichen Bekämpfungs- und Verfolgungsstrategien orientierten sich daher an den von der „RAF“ praktizierten Vorgehensweisen und Handlungsmechanismen. Das bedeutete vor allem, dass hinsichtlich der terroristischen Agenda klare Verhältnisse bestanden. Die Zielrichtung des „RAF“ Terrors waren Repräsentanten des Staates und des sogenannten „militärisch-industriellen Komplexes“. Opfer unter der Zivilbevölkerung gehörten nie in das ernsthafte Planungsspektrum der „RAF“, wenn es dazu kam, wurden sie als Kollateralschäden in Kauf genommen. Die bewaffneten Täter lebten als definitorisch klar abgrenzbare Guerillaorganisation unter konspirativen Umständen im Untergrund, ihre Zahl war überschaubar und ihre „Angriffe“ waren stets so konzipiert, dass sich ein Selbstgefährdungs- und Festnahmerisiko optimal minimieren ließ. Der gesamte „RAF“-Terrorismus in den Jahren 1972 bis 1998 hat 34 Todesopfer gefordert. Das strafrechtliche Instrumentarium der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a StGB) passte ohne Weiteres auf die „RAF“-Strukturen, ihre Willensbildung und ihr Wirken als einheitlicher Verband. Allein zuständig für die strafrechtliche Verfolgung war und ist der Generalbundesanwalt, die Staatsanwaltschaften der Länder haben bei „RAF“-Verdacht das Verfahren dem Generalbundesanwalt vorgelegt, hinsichtlich der konkreten Ermittlungen waren sie nur in Randbereichen minderer Bedeutung eingebunden. Unter dem Strich war der „RAF“-Terrorismus auf beiden Seiten eine Sache von Wenigen.

Norbert Weise,
Generalstaatsanwalt, Koblenz

Die Gegebenheiten des islamistischen Terrorismus sind demgegenüber wesentlich komplexer, diffuser und weniger überschaubar. Die Gefahr geht nicht von einer klar umrissenen Organisation aus, sondern von einer Vielzahl unterschiedlichster internationaler Gruppierungen, deren Verbindungen untereinander, zum Teil aber auch deren Binnenstrukturen, als Netzwerkzusammenhänge charakterisiert werden und nicht durchgängig als fest gefügte Verbände oder Organisationen. Die Zielsetzung ist der gewaltsame globale Djihad als asymmetrischer Krieg gegen die USA, Israel und deren Verbündete, gegen die eigenen Regierungen der islamischen Staaten, gegen alle „Kreuzzügler“ und Ungläubigen. Dabei ist jedes Mittel recht, um dem Feind Schaden zuzufügen. Insbesondere wird dort angegriffen, wo er sich trotz aller militärischer Stärke nicht sicher schützen kann, nämlich bei der Zivilbevölkerung. Das eigene Leben wird nicht geschont, was die staatlichen Handlungsmöglichkeiten rechtsstaatlicher Gesellschaftsordnungen vor bisher ungeahnte Probleme stellt siehe nur die Option des Abschusses eines Passagierflugzeugs, das wie beim 11. September 2001 möglicherweise als Waffe eingesetzt werden soll. Die Opferzahlen von Anschlägen sind so horrend, dass Regierungen betroffener Staaten vor den Forderungen der Terroristen kapitulieren, wie das in Spanien bezüglich des Abzugs seiner Truppen aus dem Irak der Fall war. Der Handlungsraum der Terroristen ist global, die Agenda umfasst sowohl Anschläge aller Größenordnungen, als auch weltumspannende Logistik-, Finanzierungs- und Unterstützernetzwerke.

Diese Befunde führten bereits vor den Anschlägen von Madrid zu der Erkenntnis, dass dem Phänomenbereich „islamistischer Terrorismus“ mit so genannten ganzheitlichen Bekämpfungs- und Verfolgungsansätzen begegnet werden muss. Nicht nur die Terrorismusspezialisten beim Generalbundesanwalt, dem Bundeskriminalamt und den Landeskriminalämtern sind gefordert, sondern alle staatlichen Organe stehen in der Pflicht, in ihrer täglichen Arbeit ein waches Auge auf potentielle islamistisch-terroristische Aktivitäten zu werfen. Voraussetzung dafür ist eine ausreichende Unterrichtung der betroffenen Behörden über bekannt gewordene Handlungsmuster der potentiellen Täter, um eine verantwortungsvolle Sensibilisierung zu erreichen. Ein weiterer wesentlicher Punkt dieser ganzheitlichen Strategie ist das Schaffen von Anlaufstellen, die bei Zweifelsfragen über einen islamistisch-terroristischen Hintergrund Auskunft über die weitere Vorgehensweise geben können. Den Netzwerken des Terrors sollen staatlicherseits Netzwerke gegen den Terror gegenübergestellt werden.

Vor dieser Ausgangslage hat eine gemeinsame Projektgruppe von Justiz und Polizei auf Initiative des AK II und des Strafrechtsausschusses von Oktober 2004 bis Mai 2005 intensiv über Optimierungsmöglichkeiten im Rahmen der bestehenden Zusammenarbeitsregelungen beraten. Besetzt war die Projektgruppe mit zwei Vertretern des Generalbundesanwalts, einem des Bundeskriminalamts, den Generalstaatsanwälten aus Koblenz, München, Stuttgart und Berlin, je einem Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen, den Leitern der Landeskriminalämter Baden-Württemberg, Nordhrein-Westfalen, Sachsen und Rheinland-Pfalz, sowie mit zwei Vertretern des Strafvollzugsausschusses.

Die gemeinsam erarbeiteten Vorschläge lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Polizei und Staatsanwaltschaften richten ein flächendeckendes Netz fester Ansprechpartner zum Thema „islamistischer Terrorismus“ ein. Damit wird angestrebt, einen möglichst frühzeitigen Informationsaustausch über aktuelle Entwicklungen und Erscheinungsformen des islamistischen Terrorismus im Allgemeinen und im Einzelfall zu gewährleisten. Über dieses Netzwerk von Ansprechpartnern soll weiterhin eine frühzeitige Kontaktaufnahme und Abstimmung notwendiger Maßnahmen bei Hinweisen auf einen möglichen islamistisch-terroristischen Hintergrund sichergestellt werden. Den staatsanwaltschaftlichen Ansprechpartnern obliegt es zudem, die Entscheidung über eine Aktenvorlage an den Generalbundesanwalt wegen dessen alleiniger Terrorismuszuständigkeit nach §§129a ff. StGB inhaltlich zu unterstützen und Informationen, die zur Früherkennung islamistisch-terroristischer Strukturen dienen, den Staatsanwaltschaften mitzuteilen.

Die Projektgruppe war sich insbesondere darüber einig, dass die Ansprechpartner durch Informationsveranstaltungen in die Lage versetzt werden müssen, die in sie gesetzten Erwartungen als kompetenter Ratgeber und Multiplikator „in die Fläche“ zu erfüllen. Auf Seiten der Justiz wird der Generalbundesanwalt durch Konferenzen und begleitende monatliche Informationsschreiben das erforderliche Hintergrund- und Detailwissen über alle Aspekte des Phänomenbereichs vermitteln. In der täglichen Praxis sollen die Netzwerke der Ansprechpartner in der Lage sein, jede auftauchende Frage rasch und unbürokratisch zu klären.

– Jeder Staatsanwalt und Polizist in Deutschland soll eine Indiktatorenliste zum Erkennen islamistisch-terroristischer Zusammenhänge erhalten. Die gewonnenen Erkenntnisse aus Ermittlungs- und Verfahrenskomplexen des Generalbundesanwalts sowie aus Auswerteprojekten des Bundeskriminalamtes zeigen, dass in der Planungs- und Vorbereitungsphase islamistisch-terroristischer Anschläge Verbindungen zur Allgemeinkriminalität und in Ansätzen zur Organisierten Kriminalität bestehen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der Urkunds-, Vermögens- und Schleusungsdelikte.

Die Indikatorenliste soll Staatsanwälte und Polizisten dabei unterstützen, verdachtsbegründende Momente, die auf islamistische Gewalttäter und deren Planungs- und Logistikstrukturen hindeuten, in der täglichen Sach- und Fallbearbeitung besser zu erkennen.
Selbstverständlich entziehen sich diese Listen einer schematischen Bewertung. Gefordert sind vielmehr eine hohe Sensibilität für mögliche staatsschutzrelevante Hintergründe und das von staatsanwaltschaftlicher und polizeilicher Erfahrung getragene Augenmaß. Wenn sich danach verdachtsbegründende Umstände ergeben, steht der jeweilige Ansprechpartner als erste Anlaufstelle für eine weitere fachkundige Beurteilung zur Verfügung. Dieser nimmt erforder-lichenfalls Fühlung mit seinen weiteren Ansprechpartnern im Gesamtnetzwerk bei den Landeskriminalämtern, dem Bundeskriminalamt und dem Generalbundesanwalt auf, um eine umfassende Prüfung und Beurteilung sicherzustellen.

– Entsprechende Indikatorenlisten werden den Justizvollzugsanstalten zur Verfügung gestellt, um durch eine zielorientierte Sensibilisierung Verbindungen Inhaftierter zu islamistisch-terroristischen Kreisen frühzeitig erkennen und etwaige Rekrutierungsversuche unter den Häftlingen unterbinden zu können. Auch im Bereich des Justizvollzuges wird ein Netz von Ansprechpartnern etabliert, das mit den Ansprechpartnern von Polizei und Staatsanwaltschaften kommunizieren wird.

Diese Vorschläge der Projektgruppe, die von den Generalstaatsanwältinnen und Generalstaatsanwälten bereits gebilligt sind und der Innenminister- sowie der Justizministerkonferenz zur Entscheidung über die Umsetzung vorliegen, lassen die bestehenden gesetzlichen Zusammenarbeitsregelungen unberührt. Sie verstehen sich vielmehr als flankierende Verbesserungsmaßnahmen, die einer regelmäßigen Wirksamkeitsüberprüfung durch alle an der Projektgruppe Beteiligten unterliegen sollen. Sie sind zugleich ein Beleg für die Bereitschaft und Fähigkeit von Polizei und Justiz, sich auf neue Herausforderungen einzustellen, um einen möglichst umfassenden Schutz der Bevölkerung vor terroristischen Gewalttaten zu gewährleisten.