Phänomenologische Betrachtungen zum Wohnungseinbruch
Von KD Christoph Frings, Duisburg¹
Der Anteil des Wohnungseinbruchs an der registrierten Gesamtkriminalität lag im Jahr 2023 im Bundesgebiet bei 1,3%. Auch wenn dieser Anteil scheinbar gering zu sein scheint, so ist die Bedeutung der Fallzahlenentwicklung im Bereich des Wohnungseinbruchdiebstahls für das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung erheblich. Das eigene Haus oder die eigene Wohnung, wird als sicherer und höchst persönlicher Rückzugsraum angesehen. Das subjektive Sicherheitsempfinden der Betroffenen wird durch die Anwesenheit fremder Personen in der eigenen Wohnung stets massiv beeinträchtigt. Höchst persönliche, vertrauliche oder z.T. intime Gegenstände (Unterwäsche) werden von fremden Personen angefasst und durchwühlt. Pressemeldungen zu Wohnungseinbrüchen, besonders im näheren Wohnumfeld, werden durch die örtliche Bevölkerung aufmerksam wahrgenommen. Eine weitere (unbewusste) Viktimisierung der Opfer erfolgt dann zum Teil auch noch durch die polizeiliche Tatortaufnahme, wo diese Gegenstände dann noch für die Tatortaufnahme sichtbar ausgebreitet herumliegen, da sich bis zum Ende der Tatortaufnahme Veränderungen am Tatort verbieten. Ein jeder, sei es als Eigentümer oder Mieter, einer Wohnung oder eines Hauses kann potentiell Opfer einer solchen Tat werden.
Eine der Reaktionen des Gesetzgebers war 2017 die Erhöhung des Strafrahmens für den Einbruch in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung auf 1 Jahr Freiheitsstrafe. Die Tat ist somit als Verbrechen eingestuft. Weiterhin wurde 2019 der Tatbestand des Einbruchs in eine dauerhaft genutzte Privatwohnung (§ 244 Abs. 4 StGB) in den Katalog der Anlasstaten für eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO aufgenommen.
Unter Phänomenologie versteht man die Lehre von den Erscheinungsformen strafbarer Handlungen. In diesem kurzen Artikel wäre dem Anspruch nicht gerecht zu werden, eine umfassende phänomenologische Abhandlung zum Wohnungseinbruchdiebstahl zu verfassen. Der Beitrag schließt an eine ausführlichere Darstellung der Phänomenologie zum Wohnungseinbruchdiebstahl in der Ausgabe 1/2020 der Zeitschrift „Die Kriminalpolizei“ an. In diesem Beitrag soll daher nur ein kurzes „update“, fokussiert auf die aktuelle Entwicklung der Fallzahlen, der Aufklärungsquote sowie der Entwicklung der Tatverdächtigen, erfolgen.
1 Fallzahlenentwicklung im Wohnungseinbruchdiebstahl
In der Polizeilichen Kriminalstatistik wird der Wohnungseinbruch unter der Kennziffer 435.000, der Tageswohnungseinbruch unter der Kennziffer 436.000, erfasst. Die Dunkelfeldproblematik kann im Bereich der vollendeten Taten vernachlässigt werden, denn ohne Anzeigenerstattung erfolgt durch die Versicherer grundsätzlich keine Auszahlung von Versicherungsleistungen.
Abb. 1: Darstellung der Anzahl der Wohnungseinbrüche Bundesrepublik Deutschland und im Bundesland NRW von 1993 bis 2023.2
Bei langfristiger Betrachtung des Wohnungseinbruchs ist eine deutliche Schwankung der Fallzahlen feststellbar. Im Jahr 1993 hatte die Fallzahlentwicklung beim Wohnungseinbruch in der Bundesrepublik mit ca. 227 000 Delikten ihren Höhepunkt erreicht. Von dem starken Anstieg der Fallzahlen bis 1993 waren insbesondere, nach der „Wiedervereinigung“ Deutschlands, die sog. „neuen Bundesländer“ in Ostdeutschland betroffen. Dies lässt sich gut im Vergleich mit der Fallzahlenentwicklung im Bundesland Nordrhein-Westfalen ablesen, hier hatte es keinen signifikanten Anstieg der Fallzahlen im gleichen Zeitraum gegeben. Die Fallzahlen im Bundesgebiet gingen dann bis zum Jahr 2008 auf ca. 108 000 Delikte zurück. Ab diesem Zeitpunkt stiegen die Fallzahlen dann erneut bis 2015 im Bundesgebiet auf ca. 167 000 Delikte an. Nach 2015 waren die Delikte dann wieder rückläufig bis zum Jahr 2021 mit 54236 registrierten Fällen. Das ist der geringste Stand seit der deutschen Wiedervereinigung. Aktuell steigen die Fallzahlen im Bundesgebiet wieder deutlich an, im Jahr 2023 wurden im Bundesgebiet 77819 Wohnungseinbrüche registriert.
2 Entwicklung der Aufklärungsquote im Wohnungseinbruch
Abb. 2: Aufklärungsquote beim Wohnungseinbruch auf Bundesebene und im Bundesland NRW von 1993 bis 2023.3
Die Aufklärungsquote im Bereich des Wohnungseinbruchs hatte im Jahr 2021 im Bundesgebiet 19,5% (bei recht verhaltenen Fallzahlen) erreicht. Bei der Betrachtung der letzten 20 Jahre ist auffällig, dass die Aufklärungsquote im Bereich des Wohnungseinbruchs kaum je die 20%-Marke überstiegen hat. Mit dem Anstieg der Fallzahlen ist die Aufklärungsquote im Jahr 2023 sogar wieder auf 14,9% gefallen. Als erschwerend für die polizeiliche Aufklärungsarbeit erweist sich natürlich, dass in der Masse der Fälle keine Täter-Opfer-Vorbeziehung besteht, die Masse der Taten in der dunklen Jahreszeit durchgeführt wird, oft von der Rückseite her ins Tatobjekt eingedrungen wird und professionelle Wohnungseinbrecher sich nur kurze Zeit an und in dem Tatobjekt aufhalten.
Andererseits fallen bei einem Wohnungseinbruch auch eine Vielzahl ermittlungsrelevanter Spuren an, so u.a. körperzellenhaltige Spuren, Finger- und Schuhabdruckspuren sowie Werkzeugspuren. Bei der Ergreifung von Beschuldigten fallen häufig auch digitale Spuren durch mitgeführte Kommunikationsmittel an. Dies setzt jedoch entsprechende personelle und materielle Kapazitäten für entsprechend intensive Tatortaufnahmen und Folgeermittlungen voraus. Trotz der derzeit hohen Einstellungszahlen stehen den Dienststellen für die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs keine zusätzlichen personellen Ressourcen zur Verfügung. Der Nachersatz wird zum Ausgleich der hohen Pensionierungszahlen sowie zur Bewältigung zusätzlicher neuer polizeilicher Herausforderungen, wie u.a. Handel mit Kinderpornografie, steigende politische Kriminalität und eine weiterhin hohe Anschlaggefahr, benötigt. Im Vergleich zur Aufklärungsquote bei der Gesamtkriminalität vom 58,4% im Jahr 2023, ist die Aufklärungsquote von 14,9% im Bereich des Wohnungseinbruchs ein beschämend geringer Wert. Zu erwarten ist auch für das kommende Jahr keine signifikante Änderung der schwachen Aufklärungsquote im Bereich des Wohnungseinbruchs.
Wenn auch bislang die Aufklärungsquote im Bereich des Wohnungseinbruchs nicht hoch war, so ist auch nicht förderlich für die polizeiliche Aufklärungsarbeit in diesem Deliktsbereich, die Entscheidung des Gesetzgebers zur Neuregelung des Falls der notwendigen Verteidigung (§§ 140, 141 ff. StPO), die am 13.12.2019 in Kraft trat. Die Änderungen basieren auf der EU-Richtlinie 2016/1919. Der deutsche Gesetzgeber war zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie verpflichtet, ist jedoch bei der Umsetzung deutlich über die Mindestanforderungen der Europäischen Union hinausgegangen.4 Diese Neuregelung stärkt massiv die Beschuldigtenrechte, so u.a. durch die von Amts wegen erfolgende Pflichtverteidigerbestellung vor polizeilichen Vernehmungen, bei der Beabsichtigung der Haftvorführung des Beschuldigten. Das hat deutliche negative Auswirkungen im Bereich der polizeilichen Haftsachenbearbeitung und erschwert die Aufklärung von Serientaten deutlich.
Direkte Zusammenhänge zwischen politischen Entscheidungen und der Fallzahlentwicklung im Bereich des Wohnungseinbruchs würden eine genaue wissenschaftliche Untersuchung erfordern. Auffällig sind jedoch einige zeitliche Parallelen zwischen Fallzahlentwicklung und politischen Entscheidungen. Der Anstieg der Fallzahlen im Wohnungseinbruch endete im Jahr 2015, seit diesem Jahr fielen die Fallzahlen bis 2021 kontinuierlich. Das Ende des Anstiegs der Fallzahlen im Wohnungseinbruch fällt zusammen mit der Schließung der sog. „Balkanroute“ im Rahmen der „Flüchtlingswelle“ im Herbst 2015. Der Tiefpunkt der Fallzahlenentwicklung 2021 fällt wiederum zusammen mit einschneidenden Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Die Jahre 2020 und 2021 waren geprägt von deutlichen Einschränkungen der Bewegungs- und Reisefreiheit der Bevölkerung. Gerade im Jahr 2021 waren Herbst, Winter und Frühjahr von Kontaktbeschränkungen (bis hin zu Ausgangssperren), Homeoffice und Unterrichtung von Kindern und Studierenden zu Hause mittels Onlinelehre geprägt. Die Masse der Wohnungseinbrüche erfolgt in der „dunklen Jahreszeit“ zwischen Spätherbst und Winter. Genau in diese Phase fiel aber auch der Schwerpunkt der Kontaktbeschränkungen, da gerade in der kälteren Jahreszeit die Infektionsgefahr am höchsten war. Die Kontaktbeschränkungen und der häufige Aufenthalt von Menschen in ihrer eigenen Wohnung so u.a. durch Verbot von Großveranstaltungen, Schließung von Gastronomie, Kinos und Fitnessstudios dürfte zu einer deutlichen Einschränkung der Tatgelegenheitsstruktur für potentielle Täter geführt haben. Zudem unterlagen Reisen ins Ausland oder nach Deutschland hinein deutlichen Beschränkungen, an den Landesgrenzen wurden wieder Grenzkontrollen, auch von EU-Bürgern, durchgeführt. Dies dürfte es für reisende Tätergruppen, die ausschließlich zur Begehung von Straftaten einreisen, deutlich erschwert haben nach Deutschland zu gelangen.
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