Nach den Buchstaben des Gesetzes

Legalistische Islamisten in der Bundesrepublik Deutschland

 

Von Dr. Christian Herrmann, Lübeck1


Juni 2020, Dijon/Frankreich: Schwer Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Nordafrikanern erschüttern die Stadt, einige Beteiligte sind mit Sturmgewehren ausgerüstet. Die Muslimbruderschaft lehnt die „Einmischung“ französischer Strafverfolgungsbehörden ab, die Probleme seien „unter Muslimen“ gelöst worden.2 Ein Beispiel aus der Praxis, welches die Bedrohung durch eine Gruppe legalistischer Islamisten, in diesem Fall die Muslimbruderschaft, verdeutlicht.

Der vorliegende Beitrag beleuchtet einen Teilbereich des Islamismus, der im Gegensatz zu den Feldern Djihadismus und Salafismus häufig dem Blickfeld der Öffentlichkeit und Wissenschaft entzogen ist. Seine Eigenart ist die Mimikry, das Spielen nach den Regeln des demokratischen Rechtstaates. Sein Ziel ist die Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines totalitären islamistischen Staatswesens. Die Rede ist vom legalistischen Islamismus. Die polizeiliche Gefahrenabwehr und die Rechtspflege spüren erst langfristig die Folgen der Arbeit des legalistischen Islamismus durch Schaffung von parallelen Strafverfolgungs- und Rechtsprechungsorganen. Der Autor dieses Beitrags schätzt die Bedrohung, die von den Legalisten ausgeht, als langfristig höher ein als die Bedrohung von der salafistisch-djihadistischen Seite des Islamismus. Ein Vergleich mit dem legalistischen Vorgehen der Rechtsextremisten gegen die Weimarer Republik nach dem gescheiterten gewaltsamen Putschversuch in München 1923 scheint hier in Teilen gerechtfertigt.

Der Beitrag ist wie folgt gegliedert: Nach einer Vorstellung der ideologischen Grundlagen werden Strukturen und Organisationsformen des legalistischen Islamismus in der Bundesrepublik beleuchtet. Hiernach soll ein Blick in die Zukunft erfolgen: Wie geht es weiter mit den Legalisten? Abschließend werden Handlungsempfehlungen formuliert.

Bei einem Blick in die Literatur wird deutlich, dass sich nur wenige Autoren mit der Form des legalistischen Islamismus in Deutschland befassen. Prominent, jedoch nicht mit wissenschaftlichem Anspruch: „Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland“ (2019) von Winfried Bausback. Vielmehr dominieren zahlreiche Abhandlungen zu den islamistischen Ausprägungen Djihadismus und Salafismus, letzter Form ist hierbei eher dem subkulturellen Milieu zuzurechnen und hat aufgrund seines Anwachsens seit ca. 2012 und auch seiner besonderen äußerlichen Erkennbarkeit eine gewisse auch mediale Prominenz erreicht. Umso notwendiger ist es, über den Legalismus als Spielart der Islamismus zu informieren.

 

1 Ideologie


Die Ideologie der Islamisten wendet sich fundamental gegen die fdGO, insbesondere gegen das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und die Menschenwürde. Handlungsleitend sind lediglich der Koran als geoffenbartes Wort Gottes, Aussprüche des Propheten Muhammad (Hadithe) sowie von ihm überlieferte Bräuche (Sunna). Der Islamismus nimmt alle lebensgebiete des Menschen in Anspruch und ist daher potenziell als totalitäre Ordnung einzustufen.3

 

2 Strukturen und Organisationsformen


Legalistische Islamisten organisieren sich in der Bundesrepu-blik im Wesentlichen in folgenden Strukturen:4

  • arabisch-sunnitische Muslimbruderschaft – MB (1.350 Anhänger in Deutschland),
  • persisch-schiitisches Islamisches Zentrum Hamburg – IZH (keine gesicherten Zahlen)
  • sunnitisch-türkische Milli Görus (10.000)
  • sunnitisch-türkische Furqan-Gemeinschaft (350)
  • indo-pakistanische sunnitische Tabligi Jamaat – TB (650)

Die Muslimbruderschaft (in Deutschland vertreten durch die 1958 gegründete Tarnorganisation „Deutsche Muslimische Gemeinschaft“) stellt die älteste legalistische Organisation dar. Sie wurde 1926 in Ägypten gegründet und verfügt weltweit über mehrere Millionen Anhänger. In der arabischen Welt ist sie insbesondere im Bereich der Wohlfahrt ein starker Akteur. In Ägypten unterliegt die MB seit dem Militärputsch 2013 einem Betätigungsverbot, wird staatlicherseits aber toleriert. „Um ihre Ziele zu erreichen, setzt die MB vor allem auf eine langsame Durchdringung der Gesellschaft durch eine entsprechend geschulte muslimische Elite, die als Multiplikator fungiert. Die Basis der Mitglieder ist in Zellen von jeweils mehreren Personen organisiert. Die Durchdringung soll vom Individuum über die Familie, die Gesellschaft und den Staat bis zur weltweiten Vorherrschaft des Islams führen, wobei man vorrangig auf Infiltration in allen maßgeblichen Segmenten der Gesellschaft sowie auf Bildungs- und Erziehungsarbeit hin zu einer ‚islamischen Persönlichkeit‘ setzt.“5

Das 1962 (also noch zur Zeit der Schah-Diktatur im Iran) in der Bundesrepublik etablierte Islamisches Zentrum Hamburg stellt gewissermaßen das Sprachrohr des islamistisch-schiitischen Regimes in Teheran dar, seine Prediger sind gewissermaßen weisungsgebundene Staatsfunktionäre. Da das Regime in Teheran bereits seit Jahren, in unterschiedlicher Schärfe, einem ausgeprägten, eliminatorischen Antisemitismus predigt, stellt das IZH ein erhebliches Hindernis für das friedliche Zusammenleben der Völker und auch für die innere Stabilität innerhalb der deutschen Gesellschaft dar. Insbesondere stellte es eine Scharnierfunktion zur 2020 in Deutschland verbotenen islamistisch-terroristischen arabisch-schiitischen und von der iranischen Regierung unterstützen Organisation Hizb Allah dar.6

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