Linksextremistische Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg

Von Dr. Udo Baron, Hannover

1 Mobilisierungen gegen den G20-Gipfel von Hamburg

Genua, Juli 2001. Tausende Menschen demonstrierten gegen den dort stattfindenden G8-Gipfel. Dann eskalierte die Auseinandersetzung zwischen der Polizei und den Gipfelgegnern. Ein Demonstrant kam ums Leben, mehr als 500 wurden verletzt.

Hamburg, Juli 2017. Erstmals seit 2001 wurde mit dem G20-Gipfel am 7. und 8. Juli wieder ein solches Ereignis in einer Großstadt durchgeführt. Die Entscheidung für die Hansestadt empfand die linksextremistische Szene als Provokation, mit Blick auf die Mobilisierungsmöglichkeiten von Gegenprotesten aber auch als „Glücksfall“. Befinden sich doch die Messehallen als Austragungsort nur einen „Steinwurf“ weit von den linksalternativen Ortsteilen Karolinen- und Schanzenviertel entfernt.

Gegen den G20-Gipfel formierten sich unmittelbar nach Bekanntwerden des Gipfelortes verschiedene Protestbündnisse. Eine führende Rolle nahm dabei das „No-G20-Bündnis“ ein, dem neben demokratischen Gruppierungen auch sich als postautonom verstehende Organisationen wie die Interventionistische Linke (IL) und das Bündnis „… ums Ganze“ (uG) angehörten. Postautonome Zusammenschlüsse kennzeichnen eine undogmatische marxistisch-leninistische Ideologie und der Wille, die linksextremistische Szene zu organisieren und bis ins demokratische Spektrum zu vernetzen, um so in einem langfristigen Prozess eine Massenbewegung zur Überwindung der vorherrschenden Verhältnisse zu formieren.

Vor allem die IL versucht, politische Kampagnen wie z.B. die unter dem Motto „Ende Gelände“ alljährlich stattfindenden Proteste gegen den Braunkohletagebau zu beeinflussen, um über die gezielte Zuspitzung aktueller und realpolitischer Themen möglichst viele Menschen zu radikalisieren. Dabei bemüht sie sich um ein bürgerliches Erscheinungsbild. So verzichten ihre Protagonisten aus taktischen Gründen bei Demonstrationen auf szenetypische Kleidung ebenso wie auf die Anwendung von Gewalt. Ihre Aktivitäten im „No G20-Bündnis“ zielten darauf, die Gesamtgestaltung der Gipfelproteste zu dominieren. Die IL versteht sich dabei als Scharnier zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest.

Die „Rote Flora“: Autonomes Zentrum im Hamburger Schanzenviertel

Neben dem „No-G20-Bündnis“ rief ein Hamburger Protestbündnis unter der Bezeichnung „G20 entern – Kapitalismus versenken!“ und das Hamburger Autonome Zentrum „Rote Flora“ zu eigenen, voneinander unabhängigen autonomen Protesten gegen das Gipfeltreffen auf. Beide agierten unabhängig vom „No-G20-Bündnis“, da sie sich nicht den Freiraum für Straßenmilitanz durch die bündnisstrategischen Erwägungen der IL einschränken lassen wollten. Die „Rote Flora“ repräsentiert weitgehend das autonome Spektrum Hamburgs. Es befindet sich in einem seit November 1989 besetzten Restgebäude des ehemaligen Flora-Theaters im Hamburger Schanzenviertel. Autonome Zentren wie die „Flora“ dienen der Szene als logistische Basis und Rückzugsraum für ihre Aktionen. Hinter „G20 entern!“ verbergen sich verschiedene antiimperialistisch ausgerichtete linksextremistische Gruppierungen wie z.B. der „Rote Aufbau Hamburg“ (RAH).

Auch im europäischen Ausland wurde für die Proteste gegen den G20-Gipfel mobilisiert. Vor allem Linksextremisten aus Skandinavien, den Benelux-Staaten, Italien, Spanien und Griechenland nahmen an den Protesten teil.

Eine nicht unbedeutende Funktion nahm bei der Protestplanung und späteren Durchführung auch diesmal wieder die Partei Die Linke ein. Wie schon bei den Protesten gegen die Neueröffnung der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main Mitte März 2015 und beim G7-Gipfeltreffen im bayerischen Elmau im Juni 2015 standen einzelne ihrer Mitglieder z.B. als Anmelder der Großdemonstration vom 8. Juli zur Verfügung.

2 Die Proteste gegen den G20-Gipfel von Hamburg

Die Proteste gegen den G20-Gipfel eröffnete eine weitgehend von demokratischen Kräften getragene Demonstration am 2. Juli 2017 unter dem Motto „Gipfel für Globale Solidarität“. Sie sollte vor allem Familien und Kindern eine Teilnahme ermöglichen und wurde von einer Bootsdemonstration auf der Außen- und Innenalster mit mehr als 100 Booten begleitet. Es folgte vom 5. auf den 6. Juli ein Alternativgipfel, der insbesondere Diskussionsmöglichkeiten rund um das Thema Globalisierung anbot. Zudem fand am Abend des 5. Juli eine Nachttanzdemonstration unter dem Motto „Lieber tanz ich als G20“ statt.

Die „heiße“ Phase des Protestes läutete schließlich die von dem „Roten Flora“-Spektrum angemeldete Demonstration „Welcome to Hell“ am Nachmittag des 6. Juli ein. Mit dem selbsterklärenden Motto dieser Demonstration gaben die Veranstalter auch deren Stoßrichtung vor: Unverkennbar ging es Teilen der etwa 12.000 Teilnehmern vor allem um die gewaltsame Auseinandersetzung mit der Polizei als Repräsentant des verhassten Systems. Bereits nach der Auftaktkundgebung am Fischmarkt in St. Pauli eskalierte die Lage, als sich der Aufzug gegen 19.00 Uhr in Bewegung setzte und sich etwa 1.000 Teilnehmer plötzlich vermummten und an dessen Spitze einen „Schwarzen Block“ bildeten. Versuche der Polizei, diesen vom Demonstrationszug zu trennen, mündeten in die ersten gewaltsamen Auseinandersetzungen der Gipfelproteste. Polizisten wurden mit Holzlatten, Eisenstangen und Flaschen attackiert und mit Steinen beworfen. Nachdem der Veranstalter kurz nach 20.00 Uhr die Demonstration für beendet erklärte, zogen die Teilnehmer des „Schwarzen Blocks“ in Kleingruppen marodierend durch die Hamburger Stadtteile St. Pauli und Altona. Sie errichteten Barrikaden, plünderten und zerstörten im Laufe der Nacht Geschäfte und steckten Autos in Brand. Piloten eines Polizeihubschraubers wurden während ihres Einsatzes mit einem Laser geblendet. Zugleich war mit den nächtlichen Krawallen der Übergang zum „Tag des Ungehorsams“, dem weitgehend von der IL und dem uG organisierten zentralen Tag für die Durchführung von Blockaden und Aktionen zu Beginn des Gipfeltreffens, bereitet.

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