Kollaboration gegen den „Kapitalismus“ – Über die Kooperation, Kumpanei und Komplizenschaft von RAF und SED

Von Dr. Harald Bergsdorf, Dümpelfeld¹

 

1 Einleitung


Am 20. April 1998, also vor rund 25 Jahren, veröffentlichte die RAF ihre Auflösungserklärung. Damit beendete die RAF nach ihren 34 Morden, u.a. an zehn Polizeibeamten, ihre Existenz. In ihrer Auflösungserklärung rechtfertigt sie erneut ihre Verbrechen: „Wir stehen zu unserer Geschichte […] Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein...Das Ende des Projektes zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchkommen konnten. Aber es spricht nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte […] Denn der tatsächliche Terror besteht im Normalzustand des ökonomischen Systems“.2 Damit präsentiert die RAF auch in ihrer Auflösungserklärung den „Kapitalismus“ als den angeblich wirklichen Täter, um von den eigenen Morden abzulenken und sich selbst als Opfer zu präsentieren.


Als Fehler konzediert die RAF in ihrer Auflösungserklärung lediglich, sie habe es versäumt, über und neben ihr als mordender „Fraktion“ eine politische Partei aufzubauen, um den „terroristischen Kapitalismus“ wirkungsvoller mit Attentaten und Agitation zu bekämpfen. Außerdem habe die Entführung der Lufthansa-Maschine 1977, mit normalen Urlaubern an Bord, den Eindruck erweckt, „als würde die RAF nicht mehr zwischen oben und unten in dieser Gesellschaft unterscheiden. Damit war im berechtigten Versuch, die Gefangenen aus der Folter zu befreien, die sozialrevolutionäre Dimension des Kampfes nicht mehr identifizierbar. Aus dem Bruch mit dem System […] war der Bruch mit der Gesellschaft geworden.“ Damit kritisierte die RAF die Entführung der „Landshut“ und den Mord am Flugkapitän durch ihre palästinensichen Helfer lediglich als strategischen Missgriff, ohne beide Verbrechen moralisch zu verurteilen. Während die RAF im Text ihre verstorbenen bzw. getöteten Mitglieder erneut heroisiert, ignoriert sie weiterhin konsequent die Opfer ihrer Morde und deren Familien. Lediglich Hanns Martin Schleyer erwähnt sie, um ihn erneut ausschließlich als Täter statt Opfer darzustellen.


Stärker als zum Beispiel mit dem Linksextremismus hat sich bundesdeutsche Politik- und Geschichtswissenschaft bislang mit der RAF befasst. Inzwischen existieren zahlreiche Gesamtdarstellungen über die RAF, ihre Mörder und Mordanschläge. Zugleich mangelt es weiterhin an Spezialstudien. Gerade auch deshalb, weil die RAF meist konspirativ-klandestin agierte und ehemalige RAF-Mitglieder über zentrale Aspekte der RAF-Geschichte bis heute fast vollständig schweigen, gibt es zum Beispiel kaum einschlägige Veröffentlichungen über das RAF-Innenleben, über RAF-Ein- und Ausstiegsprozesse und über das RAF-Sympathisanten- und -Unterstützerumfeld inklusive möglichst präziser Bestimmungen beider Begriffe.3 Fast einer terra incognita ähneln daneben Vergleiche der RAF beispielsweise mit der französischen Terrorgruppierung „action directe“ und den „brigate rosse“ aus Italien. Gerade solche Arbeiten komparativer Art könnten neben Parallelen auch nationale und sonstige Spezifika, Besonderheiten und Eigentümlichkeiten klarer herausarbeiten, ohne damit eine nationale Nabelschau zu betreiben. Ein weiteres Desiderat besteht nicht nur in Studien über prominente und vor allem nicht-prominente RAF-Opfer und ihre Hinterbliebene, sondern auch in abwägenden Analysen der Komplizenschaft von RAF und SED bzw. des MfS als dem Hauptinstrument ihrer Diktatur, das einen Beitrag zum immerhin fast dreißigjährigen Überleben der Terrorgruppierung bis 1998 leistete.4

 

2 Beginn der SED-RAF-Kooperation


Die Kooperation der SED und ihres MfS mit der RAF begann bereits kurz nach deren Gründung.5 So hatte Ulrike Meinhof schon Anfang der 1970er-Jahre in der DDR u.a. sondiert, inwieweit die SED die RAF unterstützen würde. Tatsächlich ließ die SED einige RAF-Mitglieder bereits seit dieser Zeit über den Flughafen Berlin-Schönefeld u.a. in den Nahen Osten ein- und ausreisen, wo sie an palästinensischen Ausbildungslagern für Terroristen teilnahmen. Ende der 1970er-Jahre intensivierten RAF und SED bzw. das MfS ihre Zusammenarbeit. Eine wichtige Rolle hierbei spielte – aufgrund ihrer damaligen MfS-Kontakte – die 2022 verstorbene Terroristin Inge Viett. Damit begann ein besonderes Kapitel der SED-RAF-Kollaboration.


Zur Aufklärung und Bearbeitung links- und rechtsterroristischer Gruppierungen vor allem in der Bundesrepublik hatte das MfS im SED-Auftrag bereits 1975 eigens die Abteilung XXII gegründet.6 Diese Abteilung mit dem euphemistischen Namen „Terrorabwehr“ agierte selbst für MfS-Verhältnisse auch behördenintern besonders konspirativ und klandestin („innere Konspiration“).7 Wörtlich hieß es in einem Vermerk der SED-Geheimpolizei, das zentrale Ziel der Abteilung XXII bestehe darin, „Sicherheitsrisiken und Gefahren für die DDR und ihre Verbündeten, die sich aus den Aktivitäten einer terroristischen Gruppierung ergeben, einzuschränken bzw. zu verhindern.“8


In der Realität pflegte nicht nur der RAF-Anwalt Klaus Croissant enge Kontakte zur Abteilung XXII des MfS, sondern auch westdeutsche Neonationalsozialisten und Rechtsterroristen, die Anschläge beispielsweise auf die US-Armee in der Bundesrepublik verübten.9 Das zentrale Ziel der Kollaboration des MfS mit „nationalen Sozialisten“ aus dem Westen bestand darin, die angebliche „Rechtsentwicklung der BRD“ öffentlich anzuprangern – auf der gemeinsamen Grundlage sowohl von USA- und Israelfeindlichkeit als auch von Ressentiments gegen die rechtsstaatliche Demokratie und Sentiments für Diktaturen.

 

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