Forensische Sprecher-Erkennung

Aktuelle Untersuchungsmöglichkeiten in der gutachterlichen Praxis

Von Dipl.-Sprechwiss. Cornelia Dubielzig und Dr. Christoph Meinerz,
Sachverständige für Sprecher-Erkennung am Landeskriminalamt Brandenburg

Täteridentifizierung durch Stimmenvergleich


Ende des Jahres 2011 werden im Leipziger Elsterflutbecken, zerstückelt und verpackt in Plastiksäcken, die Überreste eines 23jährigen Einheimischen gefunden.
Eine solche Fallkonstellation lässt zunächst nicht vermuten, dass entscheidende Ermittlungshinweise im Ergebnis einer Untersuchung zum Stimmenvergleich gewonnenen werden können. Im konkreten Fall wurde das Sachgebiet Sprecher-Erkennung des Landeskriminalamtes Brandenburg auch erst vier Monate später in die Sachbearbeitung einbezogen, als ein dringender Tatverdacht gegen einen ebenfalls 23jährigen Leipziger bestand und er festgenommen werden konnte.
Was war zwischenzeitlich geschehen? Der Tatverdächtige war seit der Tat auf der Flucht und zuletzt bei Bekannten im Bundesland Hessen untergeschlüpft. Durch Telefonüberwachungsmaßnahmen im Umfeld gelang es, ihn dort bei einem Freund ausfindig zu machen, da er im Verlauf eines TKÜ-Mitschnitts zwischen diesem und einem weiteren Bekannten ans Telefon geht. Einen Tag später erfolgte die Festnahme.

Im Besitz des nunmehr Beschuldigten fanden die Ermittler ein digitales Diktiergerät, dessen Aufzeichnungen zwar gelöscht, aber nicht erneut überschrieben waren. Die rekonstruierten insgesamt 14 Audio-Dateien enthielten Überraschendes, nämlich einen durch eine männliche Person aufgesprochenen Plan zur Tötung und Zerstückelung eines Menschen und zur anschließenden Flucht, der auffallende Übereinstimmungen zum Tathergang und den weiteren Ermittlungsergebnissen im vorliegenden Fall besaß.
Die Aufzeichnungen auf dem Diktiergerät kamen für Staatsanwaltschaft und Polizei einem Geständnis gleich und bildeten für die Sachverständigen für Sprecher-Erkennung des Landeskriminalamtes Brandenburg das fragliche Material (Audio-Spurenmaterial), da mit einer Untersuchung zum Stimmenvergleich zu klären war, ob der Beschuldigte mit dem Sprecher der relevanten Passagen auch identisch ist.

Audio-Spurenmaterialien


Eine Untersuchung, deren Materialgrundlage Mikrofonaufzeichnungen sind, stellt für die Sachgebiete Sprecher-Erkennung von Bund und Ländern (BKA, Bayerisches LKA, LKA Berlin, LKA Brandenburg, LKA Nordrhein-Westfalen) erfahrungsgemäß den weniger typischen Fall dar. Im Allgemeinen werden als Audio-Spurenmaterialien Telefonmitschnitte eingesandt, die im Zusammenhang mit Notrufen oder TKÜ-Maßnahmen aufgezeichnet wurden. Allerdings ist in den letzten Jahren die Vielfalt fraglicher Audio-Aufzeichnungen enorm gewachsen, insbesondere da praktisch jeder imstande ist, mittels seines Handys Audio- oder Videomitschnitte von Tathandlungen als Beweismaterialien zu erstellen. Insofern sind zumindest ähnliche Fallkonstellationen, wie die hier präsentierte, zukünftig in verstärktem Maße zu erwarten.

Materialkritik hinsichtlich der Aufzeichnungsqualität


Liegt die Telefonaufzeichnung eines fraglichen Sprechers zur Untersuchung vor, dann ergeben sich Verluste des ursprünglichen Sprachsignals, die allein Folge dieses Übertragungsweges sind. Die Sprachlaute werden in einem Frequenzbereich produziert, der bis etwa 20 kHz reicht. Der Telefonkanal überträgt jedoch nur Frequenzanteile bis ca. 3,4 kHz. Die hieraus resultierenden Informationsverluste wirken sich daher besonders auf solche Laute aus, deren Energieschwerpunkte im oberen Frequenzbereich des Sprachspektrums liegen; das sind vor allem Zischlaute. Ergebnis dessen ist, dass diese Konsonanten sowohl durch das phonetisch geschulte Gehör als auch durch eine Spektralanalyse nicht umfassend bewertet werden können. Beispielsweise ist eine Unterscheidung zwischen s- und f-Lauten in den Wörtern reißen-Reifen durch isoliertes Hören oder eine Spektralanalyse nicht immer zweifelsfrei möglich; sie klingen sehr ähnlich. Der Hörer erkennt jedoch meist das richtige Wort, da es sich aus dem sprachlichen Kontext ergibt.
Der Informationsverlust bei Telefonaufzeichnungen ist jedoch bei der Vielzahl bestimmbarer Merkmale so gering, dass eine gerichtsverwertbar hohe Identitätsaussage dennoch keine Seltenheit ist. Bestimmte Merkmale sind vom Informationsverlust durch Telefonübertragung überhaupt nicht betroffen, sonst wäre eine effektive Kommunikation mittels Telefon auch gar nicht möglich. Einschränkungen für die Untersuchung ergeben sich immer dann, wenn weitere Beeinträchtigungen der Aufzeichnung hinzutreten. Als besonders schädlich erweisen sich so genannte nichtlineare Verzerrungen, die vor allem Folge von Übersteuerungen bei einer Sprachaufzeichnung sind. Solche Degradierungen des Nutzsignals sind irreversibel und beeinträchtigen nicht nur die mess-, sondern auch die hörphonetischen Untersuchungen erheblich, wenngleich die Verständlichkeit durchaus erhalten bleibt. Auch der entgegen gesetzte Fall, die Untersteuerung, bei der sprachliche Äußerungen zu leise aufgezeichnet werden, bringt Probleme mit sich, da der Intensitätsabstand zwischen dem Sprachanteil als Nutzsignal und dem vorhandenen Grundrauschen bzw. zusätzlichen Hintergrundgeräuschen als Störsignal zu gering ist. Der Fachmann spricht hier von einem geringen Signal-Rausch-Abstand bzw. einer eingeschränkten Dynamik. Verstärkt man als Gegenmaßnahme eine solche Aufzeichnung insgesamt, so werden natürlich beide Signalanteile gleichermaßen angehoben. Telefonate per Handy bergen die Gefahr weiterer qualitativer Einschränkungen; die ohnehin schon eingeschränkte Signalqualität wird zusätzlich beeinträchtigt, z.B. durch Signalkompression, worunter insbesondere die Zuverlässigkeit bestimmter messphonetischer Verfahren leidet.

Materialkritik hinsichtlich der Ergiebigkeit


Neben der qualitativen Eignung ist für eine umfassende Begutachtung einer Sprachaufzeichnung die ausreichende Ergiebigkeit der Sprechleistungen von großer Bedeutung, da neben der Bewertung einer repräsentativen Anzahl einzelner Laute oder Lautverbindungen auch solche Merkmale untersucht werden müssen, die über den Einzellaut hinausgehen, wie z.B. die Betonung oder der Sprechmelodieverlauf. Eine Netto-Sprachdauer von 30 Sekunden, also die Sprechleistungen ausschließlich des fraglichen Sprechers nach Abzug der Pausen, liefert in der Regel eine für höhere Wahrscheinlichkeitsaussagen zur Sprecheridentität ausreichende Datengrundlage.

Audio-Vergleichsmaterialien


Audio-Spurenmaterialien sollen im Rahmen eines forensisch-phonetischen Gutachtens Vergleichsstimmproben Verdächtiger gegenübergestellt werden, deren Herkunft ebenfalls unterschiedlichster Natur sein kann. So kommen prinzipiell auch weitere Telefonaufzeichnungen in Betracht, bei denen die Identität des Sprechers bekannt oder zumindest nahezu geklärt ist. Geeigneter im Sinne der Beweisführung sind authentisierte Stimmaufzeichnungen, bei denen das Einverständnis der betreffenden Vergleichsperson für die Aufzeichnung seiner Stimme vorliegt. Vergleichsstimmproben werden im Land Brandenburg und für Bundesländer, für die das Landeskriminalamt Brandenburg im Rahmen von Kooperationen (Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern) tätig ist, grundsätzlich durch die Sachverständigen für Sprecher-Erkennung im LKA Brandenburg selbst aufgezeichnet, um den notwendigen Qualitätsstandard für ein forensisch-phonetisches Stimmenvergleichsgutachten zu gewährleisten. Grundsätzlich sind hier jedoch auch offen aufgezeichnete Vernehmungsmitschnitte geeignet.
Im vorliegenden Fall kam zunächst die bereits erwähnte, bei einem Telefonat des Freundes entstandene TKÜ-Aufzeichnung, die unter anderem Sprechleistungen des Tatverdächtigen enthielt, in Frage. Allerdings bestand hier keine letztgültige Sicherheit über die Sprecheridentität. Die zuständige Staatsanwältin, der dieses Manko durchaus bewusst war, veranlasste, gezielt nach in dieser Hinsicht geeigneten privaten Videoaufzeichnungen des Beschuldigten zu suchen. Tatsächlich fand sich in seiner Wohnung ein längeres Video in ausreichender akustischer Qualität, in der er sich selbst sprechend filmt. Für eine Untersuchung zum Stimmenvergleich gestaltete sich die gesamte Materialkonstellation als ausgesprochener Glücksfall. Durch das Auffinden der Videoaufzeichnung des Beschuldigten bot sich die vorteilhafte Situation, dass sowohl das Audio-Spurenmaterial als auch das Audio-Vergleichsmaterial als Mikrofonaufnahmen, also ohne nennenswerte qualitative Einschränkungen, zur Verfügung standen.
Prinzipiell stellen derartige nachträglich beschlagnahmte audio-visuelle Aufnahmen, wenn sie qualitativ und quantitativ geeignet sind, eine Möglichkeit dar, auch bei nicht vorliegendem Einverständnis des Tatverdächtigen einen Stimmenvergleich mit authentischem Material durchführen zu können.

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