Der „konservierte“ Sachbeweis“ oder ­Kleben statt Kratzen?

Erfahrungen und Erfolge der SPURFIX Folie bei Verkehrsunfällen und -fluchten

Von Ing. (B.Eng.) Jochen Lehmkuhl, Goch NRW
PHK Heinz Morfeld, Leiter Verkehrskommissariat Soest 


Trotz fortgeschrittener digitaler Fototechnik und modernen Kamerasystemen, die manche Qualitätsprobleme bei der Schadenaufnahme ausbessern, bleiben bei der Betrachtung von Schadenbildern die Fragen nach der Art der Entstehung und die nach dem vielfach flüchtigen Kontaktpartner häufig ungeklärt. 
Ein Problem mit dem sich Polizeibeamte, Sachverständige, die Staatsanwaltschaft, Richter und Anwälte ständig zu beschäftigen haben.

Seit 2006 beschäftigte sich einer der Verfasser (Jochen Lehmkuhl) intensiv mit dieser Problematik und hat im Zuge der Beweissicherung und Mikrobereichsanalyse die Anwendung der SPURFIX-Folie bei der Unfallaufnahme erprobt und publik gemacht. Zahlreiche Behörden in NRW folgten dieser Empfehlung. Die Erfolge bei der Aufklärung ließen nicht lange auf sich warten.
Das Aufkleben und Sichern einer Spur mittels einer Folie stellt von der Anwendung her einen eher geringen zeitlichen Aufwand dar, auch die Kosten sind mit weniger als 20 Cent pro Folie gering. Bei Kapitaldelikten ist die Folie ein Standardbeweismittel, bei der Unfallaufnahme sind ihr Einsatz und die enorme Aussagekraft noch weitgehend unbekannt.

Die Auswertung der Partikel durch Auflichtmikroskopie oder erweiterte Verfahren wie FTIR, EDX oder RAMAN Spektroskopie sind heute als Standardauswerteverfahren deutlich kostengünstiger als noch vor etwa 10 Jahren.
Dank der zahlreichen Rückmeldungen aus den Reihen der Folienanwender soll dieser Artikel dazu anregen, die Möglichkeit der Spurensicherung durch eine geeignete Spurensicherungsfolie weiter zu verfolgen. Am Ende einer Ermittlungstätigkeit stehen so ein größtmöglicher Erfolg und ein unumstößlicher und nachprüfbarer Sachbeweis. 
Die wichtigste Vorarbeit zur Partikelsicherung sollte dabei aus der Sicht der Verfasser den Verfolgungsbehörden zukommen, die zunächst das größte Interesse daran haben ein Delikt aufzuklären, um so dem Geschädigten die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen zu ermöglichen. Auf den strafrechtlichen Bereich soll nicht weiter eingegangen werden, da dieser sich aus den Ergebnissen bekanntermaßen selbst herleitet. 
Die Anwendung und Auswertung von gesicherten Partikeln auf der SPURFIX-Folie hat sehr oft deutlich gezeigt, dass manch „Verdächtiger“ erst durch die Auswertung von Mikropartikeln nachweislich entlastet werden konnte. Vielfach entstehen durch Knallzeugen voreilige Verdächtigungen. Auch dieser Aspekt sollte bei der ganzen Thematik nicht verkannt werden! 
Eine erste schnelle Auswertung anhaftender Partikel mittels eines handelsüblichen USB Mikroskops (ab 80 Euro) liefert zahlreiche Hinweise, die die Ermittlungen in die erforderliche Richtung lenken.


Aufwendige und somit teure Analaysen sind nur bei einer geringen Anzahl von Fällen erforderlich.
Mit einem Stück Folie (10x15cm) gelingt es, zeitnah aus dem Schadenbereich Partikel zu sichern, die Rückschlüsse auf den Verursachergegenstand, die Bewegungsrichtung und dem Schadenort zulassen.
Vielfach gelingt die Zuordnung, ob es sich um organische oder anorganische Stoffe handelt erst durch Betrachtung mit einem Mikroskop. 
Der Hinweis in einer Anzeige: „es wurden rote Fremdpartikel gesichert – hilft nur dann weiter, wenn klar definiert werden kann, ob es sich um rote Farbe oder roten Klinkerstein oder ggfls. um Blut handelt. Hier beginnt die Arbeit des Ermittlers! 
Nach Sichtung von mehr als 2.000 Folien aus realen Unfällen und Versuchen konnte im Jahre 2010 mit ersten Erkenntnissen ein paar grundlegende Verhaltensmuster abgeleitet werden – die bis heute ihren Bestand haben und zu einer schnelleren Aufklärung von Unfallfluchten beigetragen.
Die bereits gewonnen Erkenntnisse wurden im Jahre 2011 bei den IbB Crashtagen in Weeze bei typischen Kleinkollisionen (Parkplatzunfällen) weiter untersucht und ausgewertet. 
Neben diesen Erkenntnissen wurde der Einsatz der Folie auch bei Fußgängerunfällen zur Sicherung von Abdruckspuren auf dem Asphalt getestet.
Die Grundidee der Foliensicherung war die schnelle Sicherung von Lackpartikeln eines „flüchtigen Fahrzeuges“. Erst mit Anwendung und Auswertung der Partikel zeigten sich weitere Möglichkeiten dieser Sicherungsmaßnahme.
Verkehrsunfälle und Unfallfluchten werden vornehmlich von den Beamten des Wachdienstes aufgenommen. Diese verfügen meist nur über eine Kompaktkamera und einen Maßstab. Das Anbringen und Dokumentieren einer Folie im Schadenbereich stellt einen Aufwand von max. 2 min. dar, der von den Beamten nicht als hinderlich eingestuft wird (Lichtbild 1). 
„Vorrangig sollten Fremdpartikel durch Schaben oder Kratzen aus dem Schadenbereich entfernt werden“ – diese Dienstanweisung wird glücklicherweise sehr häufig nicht angewendet und kann unter Umständen die Ermittlungen in eine falsche Richtung leiten.
Zwar kann ein Kontakt zwischen zwei Gegenständen durch digitale Lichtbildüberlagerung als plausibel oder nachvollziehbar beurteilt werden. Aber reicht dieser „Beweis“ wirklich aus?
Die Konturen und Silhouetten von Fahrzeugen werden heute immer ähnlicher und so gelingt ein Höhenvergleich sehr leicht. Eine Toleranz von +/- 5 cm je nach Beladung ist technisch nichts Ungewöhnliches.
Um das Verfahren und die Möglichkeiten der Spurensicherung durch eine Folie zu verdeutlichen, werden im Folgenden typische Realunfälle nochmals beschrieben und die Vorgehensweise aufgearbeitet. Diese sollen exemplarisch die Anwendung der Folie aufzeigen.

Voreiliger Verdacht bei gleicher Farbe


Fall 1: Ein verdächtiger PKW wird in der Nähe eines Unfallortes vorgefunden und durch Zeugenaussagen belastet (Lichtbild 4).
Die aufnehmenden Beamten kleben im Schadenbereich der beteiligten Fahrzeuge jeweils eine Folie. Die Auswertung mit dem USB Mikroskop zeigt an beiden Folien augenscheinlich identische silbrige Farbpartikel. Die Höhenzuordnung ist mit weniger als 2 cm Unterschied erklärbar.
Der Verdächtige bestreitet jedweden Kontakt – nicht jedoch sein Auto regelmäßig dort abzustellen. 
Am gelben Fahrzeug können 2 kleinere Lackpartikel mit silbriger Farbe auf der Folie gesichert und erkannt werden (Lichtbild 3). 
Augenscheinlich sind die Partikel identisch und auch Form und Farbe gleichen sich (Lichtbild 5a und 5b).
Um 100 % Sicherheit des möglichen Kontaktes zu erhalten wird eine FTIR Analyse vorgenommen. Ergebnis: Die Partikel sind in ihrer Zusammensetzung völlig unterschiedlich. Ein Kontakt zwischen diesen beiden Fahrzeugen hat nicht stattgefunden.
Das geschädigte Fahrzeug war bei Gutachterauftrag bereits repariert. Altteile nicht mehr vorhanden. Ein nachträglicher Abgleich von Spuren war somit unmöglich. Es gab aber die Partikel auf der Folie – und die konnten hier den Verdächtigen entlasten.

Die „flüchtige“ Mauer


Eine Verkehrsteilnehmerin erscheint auf der Wache und zeigt eine Unfallflucht in einem Parkhaus an. Das Fahrzeug hat einen leichten Seitenschaden im Bereich der linken hinteren Seitenwand. Standardmäßig wird der Schadenbereich abgeklebt und es erfolgt eine Auswertung der anhaftenden Partikel mittels USB Mikroskop durch den Sachbearbeiter im VK (Lichtbild 6). 
Es zeigen sich raspelartige Lackausbrüche des Eigenlackes. Stellenweise sind weiße grobkörnige Sedimenten zu erkennen. Eine Fremdfarbe ist nicht vorhanden. 
Der benannte Unfallort wird 2 Monate nach der Anzeige nochmals aufgesucht. Die Suche konzentriert sich auf eine Anstoßhöhe zwischen 58-63 cm. Bereits nach 10 min. werden die Ermittler an einem Betonpfeiler fündig. Auch hier werden die Partikel an der Wand mittels Folie entnommen.
Die beiden Folien werden übereinander gelagert und es zeigt sich, dass die Lackpartikel und auch die weiße Fassadenfarbe identisch sind (Lichtbild 7).
Unter Vorlage dieser Ermittlungsergebnisse gesteht die Fahrerin die Tat ein. Das Motiv bestand in der Angst davor, ihrem Mann den Kratzer am neuen PKW einzugestehen.
Ein Gutachten und eine analytische Auswertung waren hier nicht erforderlich – die Beweislage mehr als ausreichend. 

Der Fahrradunfall


Unfälle mit Kindern sind ermittlungstechnisch sehr schwierig und mit viel Fingerspitzengefühl zu bearbeiten. Ein 6-jähriger Junge wird von einem Fzg. angefahren und stürzt zu Boden – verletzt sich schwer. Der Junge kann eine Beschreibung der Fahrzeuges liefern: Audi 5 Türen silberfarben. In der Nähe der Unfallstelle findet sich ein solches Fahrzeug (Lichtbild 8). 
Der Junge ist sich nur bei der Fahrerin nicht sicher. Am verdächtigen Fahrzeug liegt eine frische Wischspur am hinteren rechten Stoßfänger vor. Die Halterin bestreitet den Vorfall. Das Fahrrad wird an Ort und Stelle vom SV untersucht. Zwischen Felge und Reifen wird mittels Folie ein kleiner, blau-silbriger Lackpartikel entnommen, der bereits Korrosion zeigt (Lichtbild 12). 
Der verdächtige AUDI ist 1 Jahr alt und hat folglich noch keinen Rost – auch die silbrige Farbe passt nur augenscheinlich. Nach Veröffentlichung meldet sich ein Zeuge und beschreibt einen älteren AUDI mit ausländischem Kennzeichen. Die Ermittlung zeigt, dass dieser AUDI an der Tat beteiligt war. 
Die Aussage des Fahrerin und Beifahrerin decken sich aber nicht mit der Schadenschilderung des Jungen. Nach Untersuchung des gesamten Vorganges gesteht der Junge ein, dass er mit dem ein Tag neuen Fahrrad gegen den stehenden PKW gefahren ist und sich dabei nicht verletzt hatte. Auf dem Weg nach Hause sei er nochmals gestürzt und hatte sich dabei Platzwunde am Kinn und die Verschürfungen am Arm zugezogen. Fazit: Ohne die schnelle Sicherung der Partikel am ersten AUDI und am Fahrrad wäre diese Tat niemals aufgeklärt worden. 

Einsatz der Spurfixfolie aus Sicht der KPB Soest von Heinz Morfeld


Seit etwas mehr als einem Jahr arbeitet die KPB Soest jetzt mit der SPURFIX Folie und Methodik der Auswertung. Bereits zu diesem Zeitpunkt lässt sich feststellen, dass sich nach anfänglich etwas holperigen Gehversuchen die Arbeit in der Verkehrsunfallfluchtbekämpfung grundlegend verändert hat. 
Vor dieser Zeit gehörte es zum Standard, die beschädigten Fahrzeuge oder Gegenstände zu fotografieren, auszumessen und den Schaden zu beschreiben. Spurensicherung fand – wenn überhaupt – nur in außergewöhnlichen Fällen mal statt. In diesen Fällen wurde nach herkömmlicher Methode der Lack abgekratzt und aufwändig durch Kriminaltechniker untersucht. In den allermeisten Anzeigen stand allerdings zu lesen, dass eine Spurensicherung der Lackspuren nicht möglich gewesen sei. 
Inzwischen gibt es das hier nicht mehr, bei jedem Verkehrsunfall kommt die Spurenfolie zum Einsatz und wird mit einem simplen und sehr preisgünstigen USB Mikroskop untersucht. Durch tägliches Arbeiten mit diesem Mikroskop gelingen trotz einfachster Technik phänomenal gute Bilder von Spuren, die bislang so nicht möglich gewesen sind. In vielen Fällen ist oftmals recht einfach und auch für jeden Laien nachvollziehbar nachzuweisen, dass der Schaden in vielen Fällen selbst verursacht worden ist. Mittlerweile wurden einige Hundert Fälle mit Folien ausgewertet. 

Der Mauerfall eines Sachverständigen


Es gelingt inzwischen, sogar Fachleute, wie in diesem Fall, einen Sachverständigen für Gebäudetechnik und Brandschutz, von unseren Feststellungen zu überzeugen (vgl. Bilder 1-4 links).
Offensichtlich ist dieser Herr oder einer der übrigen Fahrzeugnutzer gegen einen ortsfesten Gegenstand gefahren. 
Nachdem er zunächst sehr aufgebracht war und sich gegen diese Unterstellung vehement zu Wehr setzte, war er nach der umfangreichen Erklärung der Auswertemethode so sehr vom Ergebnis der Arbeit überzeugt, dass er bei der gemeinsamen Fahrzeugbesichtigung noch weitere Kontaktstellen am Fahrzeug entdeckte, die bei der Anzeigenerstattung zunächst übersehen worden waren (vgl. Bild 3).

Spurenfolie führte zur Entlastung (Bilder 5-10)


Aufgrund des Spurenbilds an einem fast neuem VW Golf glaubten die eingesetzten Kollegen sicher zu sein, dass der Wagen selbst rückwärts gegen eine Mauer gesetzt worden war. Mit Hilfe der Folie konnte geklärt werden, dass es sich tatsächlich um eine echte Unfallflucht und nicht um einen selbst verursachten Schaden handelte.
Tatsächlich fanden sich eine Vielzahl von Sedimenten, die für Annahme sprachen, dass der Unfall selbst verursacht worden war. Es fanden sich aber auch jede Menge Würmchen (vgl. Bild 8) die bei Streifschäden zwischen zwei Fahrzeugen regelmäßig vorkommen. Der endgültige Beweis konnte dank eines aufmerksamen Zeugen erbracht werden; dieser hatte beobachtet, wie sich auf diesem Parkplatz ein älterer Herr mit seinem Fahrzeug regelrecht in die Parklücke „hineingewürgt“ hatte. 

Einsatz der SPURFIX-Folie beim tödlichen Verkehrsunfall


Ende April 2013 kam es im Bereich der KPB Soest zu einem tödlichen Verkehrsunfall mit Kollision in einem innerörtlichen Kreuzungsbereich, wobei der auf der vorfahrtberechtigten Straße fahrende Kradfahrer getötet wurde. 
Im Rahmen der Unfallrekonstruktion durch einen Sachverständigen ging es u. a. um die Frage, ob der Körper des Kradfahrers ebenfalls Kontakt mit dem Fahrzeug gehabt haben kann. 
Durch Einsatz der Folien konnte dieser Nachweis zweifelsfrei durch den Unfallsachbearbeiter erbracht werden.

Manipulierter Verkehrsunfall


Im Mai 2013 kam es im hiesigen Bereich zu einem Verkehrsunfall auf einsamer Landstraße, bei dem der Verdacht entstand, der Unfall könnte inszeniert worden sein, um die Versicherungen zu betrügen. Es wurde ein Sägemesser sichergestellt, mit dem mutmaßlich ein Reifen zerstochen worden sein soll, um einen Reifenplatzer vorzutäuschen. Das Sägemesser wurde mit Folie abgeklebt und es konnten tatsächlich Spuren gefunden werden, die vom Gummi des Reifen stammen könnten. 

Ein vorläufiges Fazit


Bis vor einem Jahr mussten wir viele Fälle, in denen wir davon ausgehen konnten, dass der Schaden selbst verursacht worden ist, ungeklärt zu den Akten legen. Inzwischen gelingt es uns, von allen angezeigten Unfallfluchten mehr als 30% als selbst verursacht oder vorgetäuscht zu entlarven. Etliche davon haben die Unfallflucht nachweislich vorgetäuscht, um eine eigene Unfallflucht zu verdecken. 
In vielen Fällen haben wir mit Hilfe der Folie vermeintliche Verursacher entlasten können, den Unfall verursacht zu haben. 
Darüber hinaus konnte die Aufklärungsquote bei Verkehrsunfallfluchten deutlich gesteigert werden. 
Bisher war es übrigens nur in einem Fall nötig, ein Gutachten erstellen zu lassen. Die Umsetzung des Verfahrens in der Kreispolizeibehörde Soest ist aufgrund der guten Zusammenarbeit aller beteiligten Stellen hervorragend gelungen. Der Aufwand für die Kolleginnen und Kollegen des Wachdienstes ist sehr gering. Durch regelmäßige Rückmeldungen der Ermittlungsergebnisse hat das Verfahren großen Anklang gefunden und kann wirklich sehr zur Nachahmung empfohlen werden.