Der G7-Gipfel von Elmau 2022

Von Dr. Udo Baron, Hannover

 

1 Wie alles anfing – Die Idee der Weltwirtschaftsgipfel und die Gegenproteste


Vor dem Hintergrund globaler Krisen in den 1970er-Jahren wie dem Zusammenbruch des Systems von Bretton Woods mit seinen festen Wechselkursen und der ersten Ölkrise in deren Verlauf die Länder der Organisation erdölexportierender Staaten (OPEC) den Ölpreis von drei Dollar auf 12 Dollar pro Barrel (159 Liter) innerhalb kürzester Zeit anhoben, entwickelten der französische Präsident Valery Giscard d´Estaing und der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt die Idee, auf die zunehmenden globalen Wirtschaftsprobleme u.a. mit einem jährlichen Weltwirtschaftsgipfel der führenden Industrienationen zu reagieren. Diese Treffen sollten dabei einem regelmäßigen und weitgehend ungezwungenen Gedankenaustausch über die Weltwirtschaftslage dienen.

Vom 15. bis 17. November 1975 trafen sich daraufhin auf Schloss Rambouillet bei Paris erstmalig die Staats- und Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Italien, Japan, Großbritannien und den USA in diesem Format. Mit der Aufnahme von Kanada im Jahre 1976 wurde aus der Gruppe der Sechs (G6) die Gruppe der Sieben (G7). 1977 stieß der Präsident der Europäischen Kommission, ausgestattet mit einem Beobachterstatus, hinzu. 1998 wurde Russland bis zur Annexion der Krim-Halbinsel im Februar 2014 als Vollmitglied aufgenommen, aus G7 war vorübergehend die Gruppe der Acht (G8) geworden. Neben den Vertretern der G7-Länder nahmen an den Gipfeltreffen regelmäßig auch Vertreter internationaler Organisationen wie den Vereinten Nationen (VN), der Welthandelsorganisation (WTO), der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Weltbank, der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) teil. Inhaltlich stehen neben globalen wirtschafts-, entwicklungs- und währungspolitischen Fragen auch ökonomisch und ökologisch relevante Sonderthemen der globalen Politik wie vor allem in jüngster Zeit der Klimaschutz, die Energieversorgung und der internationale Terrorismus im Fokus der Gipfelteilnehmer. Die G7 bzw. G8 verstehen sich dabei als ein internationales Netzwerk ohne inhaltliche und substanzielle Vorschriften.2

Ihrer exklusiven Zusammensetzung aus den ökonomisch führendsten Ländern der Erde wegen – immerhin repräsentieren sie gegenwärtig noch immer 43% der weltweiten Wirtschaftsleistung – aber auch und vor allem wegen der Intransparenz ihrer Entscheidungsfindung unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Parlamente, stehen sie von Beginn an im Zentrum der Kritik sowohl von Nichtregierungsorganisationen (NGO) wie der Anti-Globalisierungsbewegung oder in der jüngsten Zeit der Klimaschutzbewegung als auch von Linksextremisten. Inhaltlich wehren sich vor allem Linksextremisten gegen eine ihrer Meinung nach vom Neoliberalismus – verstanden als Synonym für Kapitalismus – und Imperialismus dominierten Welt. Ihrer Meinung nach treffen bei den G7-Gipfeln „die politischen Stützen für eine Weltordnung, die Krieg, prekäre Arbeit und Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, rassistische Flüchtlingspolitik und Neokolonialismus“ zu verantworten haben aufeinander, um „das globale System des Imperialismus aufrecht zu erhalten, das den Profit und geballte Kapitalmacht ganz grundsätzlich über die Bedürfnisse der Menschen stellt.“3

Begleitet werden die Gipfelproteste vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten von zumeist gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen autonomen Gruppierungen und der Polizei. Zu den traurigen Höhepunkten dieser Konflikte gehören sicherlich der Tod des italienischen Demonstranten Carlo Giulani und die mehr als 500 Verletzten während der Proteste gegen den G8-Gipfel 2001 in Genua. Auch die gewalttätigen Ausschreitungen beim G8-Gipfel von Heiligendamm 2007 stehen dem nicht viel nach. So bildete sich am 2. Juni 2007 bei einer internationalen Großdemonstration in Rostock am Rande des G8-Gipfeltreffens ein aus etwa 2.000 Autonomen bestehender „antiimperialistischer Block“, aus dem heraus Steine gegen ein Sparkassengebäude und ein Hotel geworfen wurden. Im Rostocker Stadthafen eskalierte dann die Situation endgültig. Parkende Fahrzeuge wurden umgestürzt und teilweise in Brand gesetzt, Polizisten mit Pflastersteinen und Molotowcocktails attackiert. Mehr als 400 Polizisten wurden zum Teil schwer verletzt.4

 

2 Mobilisierungen gegen den G7-Gipfel von Elmau 2022 und Sicherheitsvorkehrungen


Wie zuletzt 2015 so hat die Bundesrepublik Deutschland auch 2022 wieder turnusgemäß den Vorsitz der G7-Staaten inne. Aus diesem Grunde richtete die Bundesregierung zum siebten Mal das jährliche Gipfeltreffen auf deutschem Boden aus, diesmal vom 26. auf den 28. Juni 2022 unter dem Motto „Fortschritt für eine gerechte Welt“ erneut im bayerischen Schloss Elmau zu Füßen des Wettersteingebirges in der Nähe von Garmisch-Partenkirchen. Neben den Staats- und Regierungschefs der G7-Ländern nahmen auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel teil. Zudem waren für den 27. Juni die Staats- und Regierungschefs aus Argentinien, Indien, Indonesien, dem Senegal und Südafrika eingeladen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war zu einer Arbeitssitzung zugeschaltet.

Nach dem von gewalttätigen Ausschreitungen zwischen der Polizei und gewaltbereiten Autonomen geprägten Treffen der aus den führenden Industrie- und Schwellenländern der Welt bestehenden Gruppe der Zwanzig (G20) in Hamburg 2017, kam es für die Organisatoren des G7-Gipfels in Deutschland 2022 darauf an, einen reibungslosen Gipfelablauf ohne Gewaltausbrüche zu gewährleisten. Nicht von Ungefähr fiel deshalb die Auswahl des Gipfelortes nach 2015 erneut auf Schloss Elmau. Konnte doch an gleicher Stelle der letzte G7-Gipfel auf deutschen Boden weitgehend problemlos durchgeführt werden.

Um einen reibungslosen Gipfelverlauf zu ermöglichen, schützten den Tagungsort zwei Sicherheitsringe: ein äußerer vom 19.6. bis zum 28.6. mit einem 16 km langen und bis zu drei Meter hohen Zaun rund um den Tagungsort auf den Gebieten der Gemeinden Krün, des Marktes Mittenwald und des Marktes Garmisch-Partenkirchen und ein vier Quadratkilometer großer innerer direkt um das Tagungshotel. Zugleich wurde eine Flugverbotszone bis an die italienische Grenze eingerichtet und eine aus Containern bestehende Festnahmesammelstelle mit 150 Plätzen. Etwa 18.000 Polizisten sicherten das Gipfeltreffen vor, während und nach den Protestaktionen ab.

Nach dem Bekanntwerden des Tagungsortes reaktivierten die Gipfelgegner das bereits 2015 zur Organisierung und Mobilisierung der Gipfelproteste ins Leben gerufene Aktionsbündnis „Stop G7 Elmau“, dem überwiegend nichtextremistische Organisationen wie „ATTAC München“ oder Klimaaktivisten von „Fridays for Future Deutschland“ und verschiedene Ortsgruppen von „Extinction Rebellion“ angehörten. Auch linksextremistisch beeinflusste Gruppierungen wie „Ende Gelände“ und das „Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus“ sowie linksextremistische Gruppierungen wie die „Antikapitalistische Linke Bayern/München“ und das „Offene Antikapitalistische Klimatreffen München“ beteiligten sich. Im Mittelpunkt der Gipfelproteste sollten wie schon 2015 zwei Großdemonstrationen stehen, eine in München und eine in Garmisch-Partenkirchen, wobei der Schwerpunkt auf der Veranstaltung in München liegen sollte.

Kurz darauf reaktivierten die Organisatoren auch die bereits für die Proteste von vor sieben Jahren eingerichtete Website „stop-G7-elmau.info“. Im weiteren Verlauf mobilisierten neben demokratischen Organisationen nunmehr auch verstärkt Linksextremisten, insbesondere antiimperialistisch und dogmatisch ausgerichtete, zur Teilnahme an den Protestaktionen. So rief das Bündnis „Perspektive Kommunismus“ (PK) zur Bildung eines „antikapitalistischen Blocks“ in den Demonstrationszügen auf. Bei der PK handelt es sich um einen aus verschiedenen kommunistischen Gruppen bestehenden antiimperialistischen Zusammenschluss von revolutionär-kommunistisch ausgerichteten Gruppen mit einem marxistisch-leninistischen Weltbild. Ihr Anspruch versteht sich „in dem Sinne [als] revolutionär, dass wir nicht lediglich Änderungen innerhalb der bestehenden Verhältnisse fordern, sondern anstreben, diese grundsätzlich zu überwinden.“ Ihrer Meinung nach haben die „revolutionären Kräfte […] die Aufgabe, die Organisierung der Klasse voranzutreiben, in deren objektivem Interesse eine Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse liegt.“5 Neben der PK warben vor allem dogmatische Linksextremisten aus der „Deutschen Kommunistischen Partei“ (DKP) und der „Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands“ (MLPD) sowie aus den ihnen nahestehenden Jugendorganisationen „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) und „Rebell“ ebenso für die Teilnahme an den Protesten wie vereinzelt auch Anhänger türkischer linksextremistischer Organisationen wie „Young Struggle“ (YS)6 – die Jugendorganisation der türkischen „Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei“ (MLKP) – oder der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK).

Im Gegensatz zu dem Protestbündnis aus dem Jahre 2015 fehlte diesmal aber der bundesweit bedeutendste postautonome Zusammenschluss, die „Interventionistische Linke“ (IL), bei der Vorbereitung und Durchführung der G7-Proteste.7 Gehörte die IL im März 2015 im Rahmen der „Blockupy“-Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main und bei den Protesten gegen den G20-Gipfel von Hamburg 2017 im Kontext des „No-G20“-Bündnisses zu den zentralen Organisatoren der Proteste, so war sie 2022 nur indirekt durch das von ihr beeinflusste Klima- und Umweltschutzbündnis „Ende Gelände“ vertreten.

Anders als noch 2015 dominierten 2022 inhaltlich nicht das Thema „Globalisierung“ und somit die Anti-Globalisierungsbewegung das Protestgeschehen, sondern der Klima- und Umweltschutz in Verbindung mit der sozialen Frage. Entsprechend war der Aufruf „Klimakrise, Artensterben, Ungleichheit: Gerecht geht anders!“ formuliert.8 Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nahm auch die Friedensfrage in diesem Aufruf Raum ein. Dabei verurteilte zwar eine deutliche Mehrheit der Akteure den Krieg in der Ukraine, zugleich betonten sie aber: „Historisch hat die NATO, dominiert von G7-Staaten, den Konflikt befördert.“9

Unter dem Motto „Stop G7“ erfolgte für den Zeitraum vom 24. bis zum 29. Juni 2022 in Garmisch-Partenkirchen auf einer Wiese an der Loisach, am gleichen Ort wie vor sieben Jahren, die Einrichtung eines Camps für etwa 750 Teilnehmende. Die „Rote Hilfe“, welche linksextremistischen Straftätern juristischen und politischen Beistand während laufender Strafverfahren und im Falle einer Inhaftierung zur Verfügung stellt, richtete im Camp einen Rechtshilfe-Infopoint ein. Die Protestaktionen begleitete sie zudem im Rahmen eines Ermittlungsausschusses, der Rechtsberatungen vor Ort für Aktivisten anbot.10

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