Banker zwischen Bestrafung und Bewährung

Von Dr. Wolfgang Hetzer, Ministerialrat a. D., Wien

Einleitung


Im Dezember 2012 stand der Rechtsstaat, vertreten durch Polizeibeamte und Justizbedienstete, wieder einmal vor den Toren der Hauptniederlassung der Deutschen Bank in Frankfurt am Main und begehrte Einlass. Wenige Monate zuvor hatten die Herren Anshu Jain und Jürgen Fitschen die Führung dieses Geldhauses von Josef Ackermann übernommen, um „nach“ der Finanzkrise einen Neustart zu organisieren. Sehr frühzeitig kamen Bedenken auf, dass man zumindest mit der Ernennung von Jain den „Bock zum Gärtner“ gemacht hatte. Mittlerweile ist evident, dass diese Bedenken berechtigt waren. Nie zuvor stand die Führung der Deutschen Bank unter einem derartigen juristischen Beschuss. Die Frage, was die obersten Chefs wann wussten oder warum sie so wenig wussten, ist nach wie nicht zufriedenstellend und vollständig beantwortet Das ist besonders pikant, wenn man sich daran erinnert, dass der Vorstand einem der Beschuldigten, dem Londoner Händler Christian Bittar, für das Jahr 2008 einen Bonus von 80 Millionen Euro genehmigt hatte, der immerhin zur Hälfte auch ausgezahlt wurde. Die Bank hat im ganzen Jahr 2014 etwa 1,6 Milliarden Euro an Bußgeldern gezahlt. Zur Bilanzvorlage für 2014 war noch von 6000 anhängigen Prozessen gegen die Deutsche Bank die Rede. Nach anderen Angaben handelt es sich gar um 7000 Rechtsstreitigkeiten.

Für das erste Quartal 2015 waren Rückstellungen für Rechtskosten in Höhe von insgesamt 4,8 Milliarden Euro im Gespräch. Es sind inzwischen Zweifel daran aufgekommen, dass selbst dieser Betrag ausreicht. Bei vielen Beobachtern entstand der Eindruck, dass es sich bei der Deutschen Bank um eine „Rechtsabteilung mit angeschlossener Bank“ handelt. Der noch (voraussichtlich bis Mai 2016) amtierende Ko-Vorstandsvorsitzende Fitschen fand es seinerzeit (Dezember 2012) angemessen, beim Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Volker Bouffier (CDU), anzurufen, um sich darüber zu beschweren, dass es Beamte doch tatsächlich gewagt hatten, ihre Pflicht zu tun und eine richterliche Anordnung auszuführen.
Die Deutsche Bank ist aber nicht erst jetzt zum Schatten ihrer selbst geworden. In der Liga globaler Finanzkonzerne hat sie den Anschluss zu den vorderen Rängen schon längst verloren.1 Dieses Geldinstitut stand unter einer überforderten Führung. Deren Bemühen hätte darauf gerichtet sein müssen, die Bank aus einer Lage heraus zu bugsieren, in die sie die Verantwortlichen selbst hineingebracht hatten. Der vormalige Ko-Vorstandsvorsitzende Anshu Jain und sein Kollege Jürgen Fitschen hatten einen Neuanfang versprochen. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil es insbesondere der von Jain zuvor geführte Bereich des angelsächsisch geprägten Investmentbanking war, der den Abstieg der Deutschen Bank einleitete. Leitbild war seitdem nicht mehr das klassische Kreditgeschäft, sondern der schnelle „Deal“. Profit und Boni charakterisierten das Handeln. In den wilden Jahren vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise haben vor allem die Investmentbanker ihre Macht missbraucht. Sie haben über Jahre betrogen, manipuliert und sich die eigenen Taschen gefüllt. Ihr Anführer war Jain, ein britischer Staatsbürger indischer Herkunft, der das Erbe seines Vorgängers, des Schweizers Josef Ackermann, nach Kräften ausbaute. Man mag die Folgen der Übernahme der Deutschen Bank durch die Investmentbanker als „Sittenverfall“ bezeichnen. Das ist aber eine unangemessene Verniedlichung. Sie kann nicht verbergen, dass „Die Deutsche“ heute für systematisch betriebene kriminelle Aktivitäten Strafen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar und Euro bezahlen muss. Es ist auch nicht mehr zu bestreiten, dass die Bank mittlerweile in einer strategischen Sackgasse gelandet ist. Ihre Führer haben sich von jenen Händlern abhängig gemacht, die für einen Großteil der Gewinne verantwortlich waren und jetzt Strafen in astronomischer Höhe provozieren. Mittlerweile muss man mindestens am Realitätssinn des ehemaligen Angestellten der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs, Paul Achleitner, zweifeln. Dieser österreichische Staatsbürger bemüht sich zwar immer noch darum, der Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank zu sein. Seine Erwartung, dass ausgerechnet Jain im Investmentbanking konsequent hätte aufräumen können, weil er zuvor dafür verantwortlich war, ist – gelinde gesagt – abwegig. Achleitner scheint noch nicht ganz begriffen zu haben, was ihm mehrere nationale und internationale Aufsichtsbehörden bescheinigt haben: Die Deutsche Bank hat die Aufklärung der „Skandale“ immer wieder behindert. Bei dem Begriff „Skandal“ handelt es sich übrigens auch nur um eine Verniedlichung. Sie verdeckt die Tatsache, dass sich dieses Geldhaus schon jetzt als schadensträchtiger erwiesen hat, als jede in der Kriminalgeschichte bekannt gewordene Mafia-Organisation.
Fitschen sollte im Kreise der Experten und Führungskräfte das Bindeglied zwischen angelsächsischen Investmentbankern und deutschen Traditionalisten sein. Er könnte als derzeitiger Angeklagter immerhin die Verhandlungspausen im Verfahren vor dem Landgericht München dazu nutzen, sich mit den Nachbarn auf der Anklagebank, seinen Vorgängern Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer, nicht nur zum Thema der Anklage (Versuchter Prozessbetrug) zu verständigen, sondern sich auch über Kompetenz und Inkompetenz zur Führung einer Bank in historischer Perspektive zu unterhalten.
Selbst Achleitner könnte irgendwann auch verstehen, dass es den Bankangestellten Jain und Fitschen nicht darum ging, mit Hilfe einer gut durchdachten neuen Strategie die aktuellen Probleme der Deutschen Bank zu lösen, sondern sich an der Macht zu halten bzw. nicht von den Gehalts- und Boni-Trögen vertrieben zu werden. Sie haben offensichtlich nicht begriffen, dass Deutschland keine Deutsche Bank mit einem riesigen Handelsgeschäft braucht, die mit Hedgefonds und anderen Finanzkonzernen schnelle Geschäfte macht, bei denen Risiko und Ertrag in keinem angemessenen Verhältnis stehen. Sie schienen ernsthaft geglaubt zu haben, dass die Probleme ihres Arbeitgebers dadurch entstanden sind, dass sich Ermittler, Regulierer und Medien gegen sie verschworen hatten. Das war nicht nur Larmoyanz. Im schlimmsten Fall ist es ein fachärztlich behandlungsbedürftiger Tatbestand. Es kann hier dahinstehen, in welchem Mischungsverhältnis geistige Verwirrung, fachliche Inkompetenz und kriminelle Energie auf den Führungsetagen und den nachgeordneten Ebenen der Deutschen Bank stehen.
Zwei Dinge sind immerhin sicher: Solch eine Führung hat die Deutsche Bank nicht verdient. Deutschland selbst hat aber eine bessere Bank verdient. Inzwischen wird sogar in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 23. April 2015 von dem Journalisten Stefan Willeke die Frage gestellt, ob die Deutsche Bank ein normales Geldinstitut oder eine kriminelle Vereinigung ist.2 Ehrenwerte Banker, soweit noch vorhanden, werden diese Frage natürlich empört zurückweisen. Die neuesten Entwicklungen in der Deutschen Bank zeigen aber, dass sie sehr aktuell und höchst berechtigt ist.

Gangsterwirtschaft und Governance


Sollten Vorwürfe Münchener Staatsanwälte zutreffen, dann hat man in der Deutschen Bank nicht nur gelogen und betrogen. Das Lügen und Betrügen wurde sogar trainiert. Lügner und Betrüger haben sich gegenseitig gedeckt. Das System der Täuschung war ganz oben, also im Vorstand, angekommen. Die Chefs scheinen dieses Geschäft glänzend beherrscht zu haben. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Staatsanwälte in der Anklage gegen einen noch amtierenden und vier ehemalige Vorstände der Bank nicht von „Lügen“, sondern von „Unwahrheiten“ sprechen. Die zuständige Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht München nahm die Anklageschrift jedenfalls unverändert an. Seit dem 28. April 2015 wird in der Strafsache 401 Js 160239/11 vor dem Landgericht München gegen den Nochvorsitzenden Jürgen Fitschen, seine beiden Vorgänger Josef Ackermann und Rolf-Ernst Breuer, den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Börsig und das ehemalige Vorstandsmitglied Tessen von Heydebreck verhandelt. Es geht in dem Verfahren um die 13 Jahre zurückliegende Pleite des Medienunternehmers Leo Kirch und um die Frage, ob die Deutsche Bank sie mitverursacht hat, weil sie das milliardenschwere Imperium anschließend verkaufen wollte. Klärungsbedürftig ist, ob die verantwortlichen Banker dies wider besseres Wissen bestritten haben, nachdem Kirch sie auf Schadenersatz in Milliardenhöhe verklagt hatte. Es wird aber nicht nur über diese Ereignisse verhandelt. Zur Thematik gehören auch das Ansehen, der Ruf und die Glaubwürdigkeit der Deutschen Bank. Die Frage ist banal:


Kann man den Chefs der Deutschen Bank – und damit der Bank insgesamt – noch glauben oder ist diesem Institut der Gewinn wichtiger als die Wahrheit?