Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht
§ 125 Abs. 1 StGB – Landfriedensbruch; hier: Räumliche Distanz von der Menschenmenge nach Erbringung von Beihilfehandlungen vor Beginn der Gewalttätigkeiten – sog. Ostentatives Mitmarschieren. §§ 184i Abs. 1, 184h Nr.1 StGB – Sexuelle Belästigung; hier: Erheblichkeit sexueller Handlungen. (...)
Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen
Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.
I Materielles Strafrecht
§ 125 Abs. 1 StGB – Landfriedensbruch; hier: Räumliche Distanz von der Menschenmenge nach Erbringung von Beihilfehandlungen vor Beginn der Gewalttätigkeiten – sog. Ostentatives Mitmarschieren. Vor dem Hintergrund eines Fußballspiels kam es zwischen Anhängern zu einer „Dritt-Ort-Auseinandersetzung“. Unter anderen rüstete sich der Angeklagte (A) mit Quarzsandhandschuhen und einem Mundschutz aus. Dann formierten sich alle Gruppenmitglieder in Reihen von drei Personen nebeneinander, wobei die Reihen einen Abstand von einer Armlänge einhielten. Durch die Formation war die Gruppe in der Lage, Angriffe geschlossen abzuwehren, ein Ausbrechen einzelner Mitglieder aus der Formation zu erschweren und einen militärischen Eindruck zu erwecken. Schließlich verfiel die Formation in Richtung des Gegners in einen Laufschritt. A ließ sich unbemerkt zurückfallen und beobachtete das nachfolgende Geschehen aus einer Entfernung von 50 bis 60 Metern. Sodann kam es auf einer Kreuzung zum Zusammentreffen der beiden Gruppen mit zahlreichen wechselseitigen Körperverletzungen. Es konnte nicht feststellen werden, ob A eigenhändig Gewalttätigkeiten begangen hat. Diese endeten abrupt, als Sirenen von Polizeifahrzeugen ertönten. Die Teilnehmer der Auseinandersetzung flüchteten.
Eine Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs setzt weder Täterschaft bei der Begehung von Gewalttätigkeiten noch die Zugehörigkeit des Beteiligten zur Menschenmenge zurzeit der Gewalttätigkeiten voraus. Eine räumliche Distanzierung von der Menschenmenge nach Erbringung von Beihilfehandlungen unmittelbar vor Beginn der Gewalttätigkeiten hebt die Strafbarkeit wegen Landfriedensbruchs nicht auf. (BGH, Urt. v. 24.5.2017 – 2 StR 414/16).
§§ 184i Abs. 1, 184h Nr.1 StGB – Sexuelle Belästigung; hier: Erheblichkeit sexueller Handlungen. Als erheblich im Sinne des § 184h Nr. 1 StGB sind solche sexualbezogenen Handlungen (hier: Entblößen des Geschlechtsteils vor einer Minderjährigen; unerwünschtes Anfassen der Brust einer Minderjährigen) zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen lassen. Dazu bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen scheiden aus.
Die Einführung eines Auffangtatbestands für belästigend wirkende körperliche Berührungen in sexuell bestimmter Weise in § 184i Abs. 1 StGB wirkt sich nicht auf die Auslegung des Begriffs der Erheblichkeit in § 184h Nr. 1 StGB aus. Ziel der Neuregelung war es, bisher strafrechtlich nicht erfasstes Verhalten auch unterhalb der Schwelle des § 184h Nr. 1 StGB zu pönalisieren. (BGH, Urt. v. 26.4.2017 – 2 StR 580/16)
§ 211 Abs. 2 StGB – Mord, Heimtücke; hier: Hinterrücks erschossenes Tatopfer bei vorausgegangenem Streit. Der Angeklagte (A) zeigte während des Streits auf die im Hosenbund mitgebrachte Pistole (Halbautomatik, mit 15 Patronen geladen) und sagte, dass es sich um eine scharfe Waffe handele. Das spätere Opfer (O) bezeichneten A als „Clown“ und kündigte an, er werde mit dessen Halbschwester wieder eine Partnerschaft eingehen, was den A weiter aufbrachte. Um sich der bedrohlichen Situation zu entziehen stieg O auf ein Fahrrad und fuhr los, wobei er herablassend lachte. A entschloss sich nun, O zu töten. Er gab aus etwa fünf bis sieben Metern Entfernung in Tötungsabsicht zehn gezielte Schüsse ab, von denen sechs Oberkörper und Kopf des Opfers trafen und ihn tödliche verletzten.
Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung bei Beginn des mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Wesentlich ist, dass der Mörder das sich keines erheblichen Angriffs versehende, mithin arglose Opfer in einer hilflosen Lage überrascht und es dadurch daran hindert, dem Anschlag auf sein Leben zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren; mithin wegen der kurzen Zeitspanne zwischen Erkennen der Gefahr und unmittelbarem Angriff keine Möglichkeit der Abwehr verbleibt. Wendet das Opfer dem Täter im Anschluss an einen Streit den Rücken zu und radelt davon, ist darin ein wesentliches Indiz für die erhalten gebliebene Arglosigkeit zu sehen. (BGH, Urt. v. 15.11.2017 – 5 StR 338/17)
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