Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist


Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden

 

I Materielles Strafrecht

 

I Materielles Strafrecht


§ 132 Alt. 1 StGB – Amtsanmaßung; hier: Möglichkeit der Mittäterschaft. Der Angeklagte A schloss sich spätestens Anfang Juni 2018 einer Tätergruppe an, deren Ziel es war, als „falsche Polizeibeamte“ Betrugstaten zum Nachteil älterer Menschen zu begehen. Dabei riefen Bandenmitglieder aus der Türkei bei den späteren Opfern unter Verwendung des sog. „Call-ID Spoofing“ an, welches es einem Anrufer ermöglicht, bei dem Angerufenen etwa die Telefonnummer „030 – 110“ anzeigen zu lassen und so den Eindruck zu erwecken, der Anruf komme von der Polizei. Der Anrufer gab sich – entsprechend dem mit dem A gefassten Tatplan – als Polizeibeamter aus, warnte vor einem unmittelbar bevorstehenden Einbruch in die Wohnung der angerufenen Person und bot in bedrängender Weise an, zur Sicherheit Wertgegenstände und Bargeld der Polizei auszuhändigen. Diese sollten die Opfer an genau bezeichnete Orte außerhalb ihrer Wohnung legen oder aus dem Fenster werfen. Bereits in der Nähe befindliche Polizeibeamte würden die Wertsachen dann „sicherstellen“. Der A war als Abholer tätig und nahm die deponierten Wertsachen an sich; unmittelbaren Kontakt zu den Geschädigten hatte er nicht. Für seine Tätigkeit erhielt er absprachegemäß jeweils ein Drittel der Beute; im letzten Fall wurde er vor der Aufteilung der Beute festgenommen.


Bei einer Tat nach § 132 Alt. 1 StGB ist eine Begehung in Mittäterschaft möglich; es handelt sich nicht um ein „eigenständiges Delikt“. (BGH, Beschl. v. 14.4.2020 – 5 StR 37/20)


§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB – Schwerer sexueller Kindes-missbrauch; hier: Eindringen in den Körper. Der Angeklagte A manipulierte am Glied und am Hodensack des dreizehnjährigen Nebenklägers. Er legte sich dann auf das bäuchlings mit entblößtem Unterleib auf dem Bett liegende Kind und drang mit seinem erigierten Glied zumindest in die Gesäßspalte ein. Nachdem der A mehrere Sekunden andauernde kopulierende Bewegungen ausgeführt hatte, kam er in der Gesäßspalte des Kindes zum Samenerguss, wobei Ejakulat des A in den Analkanal des Kindes gelangte.


Auch eine Penetration mit Körpersekreten kann ein Eindringen i.S.d. § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB sein. Dies setzt aber voraus, dass gerade (auch) in dem Eindringen von Körpersekret jedenfalls aus Sicht des Täters die Sexualbezogenheit des Vorgangs liegt. Allein der Umstand, dass im Zusammenhang mit einer sexuellen Handlung Körpersekrete in den Körper des anderen gelangen, erfüllt – selbst wenn der Täter dies billigend in Kauf nimmt – für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB. (BGH, Beschl. v. 15.8.2019 – 4 StR 289/19)


§ 177 Abs. 2 StGB – Sexueller Übergriff; hier: Schlafendes Kind. Die Angeklagte A filmte zunächst den unbekleideten Genitalbereich ihrer schlafenden Tochter. Anschließend führte sie unter anderem einen Finger zwischen die Schamlippen des Kindes und führte ihre Zunge über deren Klitoris. Ausweislich ihrer Einlassung wusste die A, dass die sexuellen Handlungen nicht dem Willen ihrer Tochter entsprachen.


Die Täterin nutzt die Unfähigkeit des Opfers zur Willensbildung oder -äußerung bereits dann aus, wenn sie einen Zustand, in dem es dem Opfer nicht möglich oder zumutbar ist, einen ablehnenden Willen zu bilden oder zu äußern, bewusst als Gelegenheit begreift, in der sie eine Auseinandersetzung mit einem stets möglichen, ihrem sexuellen Ansinnen entgegenstehenden Willen der betroffenen Person in der konkreten Situation vermeiden kann. Dabei ist ohne Belang, ob die A es bei den sexuellen Handlungen für möglich hält, dass diese ohne das Willensdefizit unterblieben oder zurückgewiesen worden wären oder mit Nötigungsmitteln hätten erzwungen werden müssen. Etwas anderes kann im Einzelfall gelten, wenn das Opfer vor Eintritt des Schwächezustandes eine auch für diesen (fort-)geltende defektfreie Einverständniserklärung abgegeben hat. (BGH, Beschl. v. 20.2.2020 – 5 StR 580/19)


§ 185 StGB – Beleidigung; hier: Beleidigung unter Kollegen; beleidigungsfreie Sphäre. Der Angeklagte A und der mit ihm befreundete Zeuge K waren im April 2018 Polizeimeisteranwärter in einer Klasse der Polizeiakademie Berlin. Als an einem Tag der Unterricht an der Polizeiakademie endete, wollten die Anwärter das Akademiegelände verlassen und den Heimweg antreten. Die „Männerstuben“ der genannten Klassen befanden sich im ersten Stockwerk des Gebäudes, jene der Anwärterinnen im zweiten Stockwerk. Die Polizeimeisteranwärterinnen Z und R liefen aus dem zweiten Stockwerk kommend gemeinsam die Treppe in dem Gebäude in Richtung des Ausgangs hinunter. Ihnen folgten etwa einen Treppenabsatz dahinter aus dem ersten Stockwerk kommend der A und dessen Kollege und Freund K. In einer Entfernung von etwa einem Meter hinter A und K ging – wie dem A bewusst war – der Polizeimeisteranwärter S, ein befreundeter Klassenkollege der beiden Zeuginnen Z und R, die Treppe hinunter. Der A äußerte in dieser Situation gegenüber dem K in normaler Sprechlautstärke mit Blick auf eine der beiden vor ihnen laufenden Zeuginnen: „Der würd’ ich geben, der Kahba“. Damit brachte er in jugendlicher Vulgärsprache zum Ausdruck, er würde gerne mit „der Kahba“ geschlechtlich verkehren. Das Wort „Kahba“ ist arabisch und bedeutet „Schlampe“ oder „Prostituierte“ und wird mit dieser Bedeutung in der deutschen Jugendsprache – insbesondere in der Rap-Musik – verwendet; in diesem abwertenden Sinne und mit der Zielrichtung, seine Missachtung gegenüber der von ihm gemeinten Frau auszudrücken, verwendete der A das Wort „Kahba“. Zusätzlich wies er mit einem Nicken und einer Armbewegung in Richtung der beiden Zeuginnen.


Voraussetzung für eine Äußerung in einer „beleidigungsfreien Sphäre“ ist, dass es sich um eine Äußerung gegenüber einer Vertrauensperson (hier K) handelt, die in einer Sphäre fällt, die gegen Wahrnehmung durch den Betroffenen (hier: Z und R) oder Dritte (hier: S) abgeschirmt ist. Der Kreis möglicher Vertrauenspersonen ist nicht auf Ehegatten oder Eltern beschränkt, sondern erstreckt sich auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse, es muss sich jedoch um eine Person aus dem engsten Lebenskreis des Äußernden handeln, zu der eine besonders ausgestaltete Vertrauensbeziehung besteht. Eine „beleidigungsfreie Sphäre“ setzt voraus, dass die Vertraulichkeit nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls tatsächlich gewährleistet erscheint, die Kommunikation mithin gegen die Wahrnehmung durch Dritte abgeschirmt ist. (KG, Beschl. v. 14.7.2020 – 4 Ss 43/20)


§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB – Wohnungseinbruchdiebstahl; hier: Wohnungen Verstorbener. Der Angeklagte beschloss vorrangig in die Häuser von Verstorbenen einzubrechen. Über entsprechende Todesfälle informierte er sich durch Traueranzeigen in der Tageszeitung. Zur Ausführung der Taten versicherte er sich der Unterstützung eines Mittäters.


Wohnungen sind abgeschlossene und überdachte Räume, die Menschen zumindest vorübergehend als Unterkunft dienen. Dadurch, dass ihre ehemaligen Bewohner nicht (mehr) in ihr leben, verlieren sie die Eigenschaft als Wohnung im Sinne des § 244 Abs.1 Nr. 3 StGB nicht. (BGH, Beschl. v. 22.1.2020 – 3 StR 526/19)

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