Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

§§ 56c Abs. 1, 184b StGB; Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG – Weisungen; hier: Internetverbot als Bewährungsweisung. § 168 Abs. 1 StGB – Störung der Totenruhe; hier: Wegnahme von Zahngold. §§ 185, 193 StGB – Beleidigung; hier: Berechtigte Beleidigung von Polizeibeamten. (...)

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist.

I. Materielles Strafrecht

§§ 56c Abs. 1, 184b StGB; Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG – Weisungen; hier: Internetverbot als Bewährungsweisung. Der Verurteilte wurde mehrfach wegen Verbreitung kinderpornografischer Schriften verurteilt. Im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung, nach Verbüßung von Zwei-Dritteln der erkannten Strafen, beschloss die Strafvollstreckungskammer, ein „Internetverbot“ als Weisung zu erteilen. Diese Weisung mit spezialpräventiver Funktion wurde wie folgt umschrieben: „Dem Verurteilten wird untersagt, einen Internetanschluss zu betreiben oder in sonstiger Weise vorzuhalten und zu nutzen“. Als Ausnahme hiervon war nur eine „für eine berufliche Qualifizierungsmaßnahme unerlässliche Internetnutzung“ vorgesehen. (OLG Hamm, Beschl. v. 10.11.2015 – 1 Ws 507, 508/15)

§ 168 Abs. 1 StGB – Störung der Totenruhe; hier: Wegnahme von Zahngold. Die Täter waren als Bediener für Einäscherungsanlagen in einem Krematorium beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte es, nach einem Verbrennungsvorgang ein Metallfach aus dem Ofen zu nehmen, in welchem sich Verbrennungsrückstände befanden, und diese mit Hilfe einer kleinen Handgartenharke nach größeren Metallteilen zu durchsuchen, die sonst in einem späteren Arbeitsschritt die Knochenmühle beschädigt hätten. Diese Metallteile waren in einen Sammelbehälter einzuwerfen und wurden durch das Krematorium veräußert. Darüber hinaus hatten die Angeklagten Zahngold, Schmuckreste und sonstige Wertmetalle aus den Verbrennungsrückständen zu entnehmen und in einem gesonderten Behältnis abzulegen. Der Erlös vom Verkauf dieser Sachen sollte der Kinderkrebshilfe gespendet werden. Die Angeklagten entnahmen in diversen Fällen Zahngoldbruch aus den Verbrennungsresten an sich und veräußerten diese selbst.
Zur Asche im Sinne des § 168 Abs. 1 StGB gehören sämtliche nach der Einäscherung verbleibende Rückstände, d.h. auch die vormals mit einem Körper fest verbunden, nicht verbrennbaren Bestandteile. (BGH, Beschl. v. 30.06.2015 – 5 StR 71/15)

§§ 185, 193 StGB – Beleidigung; hier: Berechtigte Beleidigung von Polizeibeamten. Der Angeklagte (A.), mindestens sechs Whisky schwer, AAK 2,3 Promille, geriet in Streit. Die herbeigerufene Polizei wollte die Personalien überprüfen, was sich jedoch als umständlich erwies, da A. erst kurz zuvor seinen Wohnsitz gewechselt hatte. Im Rahmen dieser Abfrage, die sich eine Weile hinzog, wurde er zu Unrecht der Angabe falscher Personalien bezichtigt. Daraufhin äußerte er zur Polizeibeamtin: „You are completely crazy“.
Das AG verurteile A. wegen Beleidigung. Das OLG entdeckte § 193 StGB, Wahrnehmung berechtigter Interessen, hob das Urteil auf und stellte fest: Wer im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle, die zudem übermäßig lange dauert, zu Unrecht der Lüge (hier: hinsichtlich der Personalien) bezichtigt wird, hat das Recht, die Maßnahme auch mit drastischen Worten zu kritisieren (hier: „You are completely crazy“). Vorsichtshalber merkte der Senat jedoch an, dass die Entscheidung nicht als Billigung der Äußerung und der Vorgehensweise des A. missverstanden werden darf. Vermeintlich falsche behördliche Entscheidungen seien mit den entsprechenden verfahrensrechtlichen Mitteln zu klären und böten keinen Raum für verletzende und kränkende Äußerungen. (OLG München, Beschl. v. 06.11.2014 – 5 OLG 13 Ss 535/14)

§§ 212 Abs. 1, 24 Abs. 1 StGB – Rücktritt vom Versuch; hier: Beendigung der Tat durch Verlassen des Tatortes. Die alkoholisierte Angeklagte (A.), BAK 2,61 Promille, suchte ihren Bekannten (B.) auf. Neben ihm auf der Couch sitzend betitelte sie ihn als „Kinderficker“ und stach unvermittelt mit einem Messer auf ihn ein. Nach mehreren Stichen verließ ihn die A. und er rief ihr nach: „Dann mach mich doch richtig tot“. Aus dieser Äußerung und dem Umstand, dass er durch Abdrücken seiner Halswunde den Blutverlust verringerte, schloss sie, dass er noch nicht lebensgefährlich verletzt sei. Sie suchte eine Zeugin auf und erklärte: „Ich wollte das Schwein abschlachten.“ B überlebte aufgrund einer Notoperation.
Die Abgrenzung zwischen unbeendetem und beendetem Versuch bestimmt sich nach dem Vorstellungsbild des Täters nach dem Abschluss der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung (sog. Rücktrittshorizont). Der Versuch eines Tötungsdeliktes ist beendet (und somit muss die Vollendung verhindert werden, um strafbefreiend zurücktreten zu können), wenn der Täter nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung den Tatort verlässt und sich dabei keine Vorstellung über die Folgen seines Handelns macht, weil ihm der Tod des Opfers gleichgültig ist. Da A. jedoch aktiv nichts unternahm ist sie nicht strafbefreiend zurückgetreten. (BGH, Urt. v. 16.04.2015 – 3 StR 645/14)

§ 250 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nr. 1 StGB – Besonders schwerer Raub; hier: Elektroschocker als gefährliches Werkzeug muss funktionstüchtig sein. Eine der Angeklagten hielt während der Tatausführung ein Elektroschockgerät in der Hand. Da jedoch die Vorinstanz (LG Magdeburg) zur Funktionstüchtigkeit keine Feststellungen getroffen hatte, änderte der BGH den Schuldspruch zu Gunsten der Angeklagten. Er stellte u.a. fest: Elektroschockgeräte kommen grundsätzlich als „anderes gefährliches Werkzeug“ im Sinne des § 250 StGB in Betracht. Ungeachtet möglicher Unterschiede bei der Anforderung an die Gefährlichkeit des jeweiligen Werkzeuges in den § 250 Abs. 1 StGB einerseits und § 250 Abs. 2 StGB andererseits setzt (auch) die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 1a StGB jedenfalls die Funktionsfähigkeit des Elektroschockgerätes voraus. Dazu habe die Strafkammer keine Feststellungen getroffen. (BGH, Beschl. v. 18.06.2015 – 4 StR 122/15) 

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