Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

- Vergewaltigung; hier: Ausnutzen vorangegangener Gewalt. - Mord; hier: Heimtückemord an einem Kleinkind. - Gefährliche Körperverletzung mit Einwilligung; hier: Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Gruppen. - Einziehung; hier: Grundstück als Tatwerkzeug. - Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; hier: Mitsichführen von Schusswaffen. - Durchsuchung und längerfristige Observation; hier: Wissentlicher und Willentlicher Verstoß gegen Richtervorbehalt. - Antiterrordatei ist in ihren Grundstrukturen mit dem Grundgesetz vereinbar, jedoch nicht in ihrer Ausgestaltung.

Von Dirk Weingarten, Polizeihauptkommissar & Ass. jur., Polizeiakademie Hessen

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche beispielsweise über Juris möglich ist. 

I. Materielles Strafrecht


§ 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB – Vergewaltigung; hier: Ausnutzen vorangegangener Gewalt. Der Angeklagte (A.) erschien nach einem Streit mit der Nebenklägerin (N.), seiner von ihm getrennt lebenden Ehefrau, an deren Wohnung. Nachdem er sich dort Einlass verschafft hatte, erschoss er mit der Äußerung „Wenn du nicht mit mir redest, dann muss er sterben“ oder „Dann erschieße ich den M.“ den dort anwesenden M., einen guten Freund der N. Sodann richtete er seine Pistole auf diese und sagte, sie sei die nächste, wenn sie jetzt nicht mit ihm komme bzw. rede. Die N. erklärte sich hierzu bereit und verließ mit dem A. aus Furcht davor, ebenfalls erschossen zu werden, die Wohnung. Die beiden fuhren mit dem Auto zu einem Hotel. Während der Fahrt erwiderte die N. aus Angst auf die Bemerkung des A., er liebe sie, sie liebe ihn auch, und umfasste seine Hand mit der ihren. In dem Hotel betraten die beiden ein Zimmer. Spätestens nunmehr entschloss sich der A. den Geschlechtsverkehr mit der N. auszuüben. Er forderte sie auf, sich zu entkleiden, zog sich ebenfalls aus und legte die Pistole zu seinen Kleidern. Er fragte sie sodann, ob er nochmals mit ihr schlafen könne. Die N. befand sich nach wie vor in Angst, was der A. erkannte. Sie antwortete deshalb, dies sei okay. Sodann kam es zum Verkehr. Da die N. danach nicht aufhörte zu weinen, verließ der A. das Zimmer; er stellte sich noch am selben Tage der Polizei.

Zur Verwirklichung des Tatbestands der Vergewaltigung genügt es nicht, dass das Opfer aufgrund der früher zu anderen Zwecken angewendeten Gewalt oder ausgesprochenen Drohungen noch Angst empfindet, der Täter dies erkennt und zur Umsetzung seiner nunmehr gefassten Absichten ausnutzt, ohne indes ausdrücklich oder konkludent unter Bezugnahme auf die ursprüngliche Gewalt oder Drohung eine neue Drohung zum Ausdruck zu bringen. Die vom A. in der Wohnung des Opfers ausgesprochene Drohung diente nicht dazu, die N. zu veranlassen, sexuelle Handlungen vorzunehmen oder zu erdulden. Eine spätere Aktualisierung dieser Drohung zur Durchsetzung der neu gefassten sexuellen Absichten des A. ist den Urteilsgründen (Vorinstanz: LG Düsseldorf, Az.: 17 Ks 7/11) nicht zu entnehmen. Es ist nicht festgestellt, dass der A. vor der Vornahme der sexuellen Handlungen in dem Hotelzimmer ausdrücklich oder zumindest konkludent auf die ursprüngliche Bedrohung Bezug nahm. (BGH, Beschl. v. 16.10.2012 – 3 StR 385/12)

§ 211 StGB – Mord; hier: Heimtückemord an einem Kleinkind. Die Angeklagte (A.) tötete 2004 ihre zwei Wochen alte Tochter, indem sie ihr das Spucktuch so weit wie möglich in den Mund stopfte und ihr gleichzeitig für ca. 15 Minuten die Nase zuhielt. Sie handelte dabei aus einem Gefühl der Überforderung heraus, weil sie das schreiende Kind nicht beruhigen konnte. Nachdem dieses nicht mehr atmete, verständigte sie den Notarzt. Eine Obduktion ergab keinen Hinweis auf einen unnatürlichen Tod, weshalb man von einem plötzlichen Kindstod als Todesursache ausging (Fall 1). 2006 tötete die A. in einer vergleichbaren Situation ihren eineinhalb-monatigen Sohn auf dieselbe Art und Weise. Als Todesursache wurde wiederum plötzlicher Kindstod angenommen (Fall 2). Für ihren im März 2009 geborenen Sohn verschrieben die Ärzte nunmehr einen Überwachungsmonitor, der den Herzschlag und die Atmung des Kindes während des Schlafs kontrollieren sollte. Sie empfahlen der A. und ihrem Ehemann (E.), das Kind nachts nicht alleine schlafen zu lassen. Der E. schlief daher zunächst mit seinem Sohn im Schlafzimmer, während die A. im Wohnzimmer schlief. Nach etwa vier Wochen schlief die A. mit dem Säugling im Schlafzimmer, während E. nachts wach blieb. Er verbrachte die Nächte damit, am Bett des Kindes zu wachen. Den Überwachungsmonitor schlossen die Eheleute lediglich rund vier Stunden am Tag an. Am 25. Juni 2009 gegen 5.00 Uhr morgens weckte der E. die A. Während diese aufstand, legte er sich schlafen. Um 5.53 Uhr schaltete die A. den Überwachungsmonitor aus. Sie fütterte ihren Sohn und legte ihn über die Schulter. Als er zu schreien begann, geriet sie erneut in eine Situation der Überforderung und tötete ihn auf dieselbe Art und Weise wie ihre anderen Kinder. Als der Säugling nicht mehr atmete, weckte sie E., der sofort mit Reanimationsmaßnahmen begann. Die A. verständigte um 6.04 Uhr den Notarzt (Fall 3).
Für die Frage der Heimtücke ist bei der Tötung eines Kleinkindes auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten abzustellen. Schutzbereiter Dritter ist jede Person, die den Schutz eines Kleinkindes vor Leib- und Lebensgefahr dauernd oder vorübergehend übernommen hat und diesen im Augenblick der Tat entweder tatsächlich ausübt oder dies deshalb nicht tut, weil sie dem Täter vertraut. (BGH, Urt. v. 21.11.2012 – 2 StR 309/12)

§§ 224 Abs. 1 Nr. 4, 228 StGB – Gefährliche Körperverletzung mit Einwilligung; hier: Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Gruppen. Rivalisierende Gruppen standen sich gegenüber. Den Beteiligten war bewusst, dass es aufgrund der sich durch wechselseitige Beleidigungen weiter aufheizenden Stimmung zu körperlichen Auseinandersetzungen kommen würde. Aufgrund einer faktischen Übereinkunft stimmten sie zu, diese mit Faustschlägen und Fußtritten auszutragen. Den Eintritt auch erheblicher Verletzungen billigten sie. Im Ergebnis gab es neben Faustschlägen und Tritten auch Tritte gegen den Kopf/Gesicht am Boden wehrlos Liegender. Der Kopf eines Beteiligten wurde angehoben und mit geringer Kraft auf den Asphalt geschlagen. Verletzungen waren teilweise so stark, dass sie bis zur Notwendigkeit einer intensivstationären Behandlung führten. Ein Beteiligter (J.) war mit rund 3,0 Promille alkoholisiert.
Bei Körperverletzungen im Rahmen von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen ist bei der für die Anwendung von § 228 StGB vorzunehmenden Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlungen die mit derartigen Tätlichkeiten typischerweise verbundene Eskalationsgefahr zu berücksichtigen. Fehlen bei solchen Auseinandersetzungen das Gefährlichkeitspotential begrenzende Absprachen und effektive Sicherungen für deren Einhaltung, verstoßen die in deren Verlauf begangenen Körperverletzungen trotz Einwilligung selbst dann gegen die guten Sitten (§ 228 StGB), wenn mit den einzelnen Körperverletzungen keine konkrete Todesgefahr verbunden war. Aufgrund starker Alkoholisierung und den dadurch hervorgerufenen Zustand konnte J. keine zutreffende Vorstellung von dem voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs haben. Er war damit nicht einwilligungsfähig. (BGH, Beschl. v. 20.02.2013 – 1 StR 585/12)


§ 74 Abs. 1 StGB; § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – Einziehung; hier: Grundstück als Tatwerkzeug. Der 48-jährige in den Niederlanden wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestrafte A. betrieb in dem Keller und dem Obergeschoss des von ihm zu keinem Zeitpunkt als Wohnhaus genutzten Grundstücks F in L zumindest von Sommer 2011 bis zur Durchsuchung am 07.12.2011 eine Cannabisaufzucht. Die mit hoher Professionalität betriebenen Plantagen ermöglichten im Sommer 2011 die Ernte von mindestens 11,7 kg mit anteilig zumindest 819 g THC, welches der A. gewinnbringend für über 30.000 Euro verkaufte. Am 07.12.2011 wurden im laufenden Betrieb der Plantage insgesamt über 8,5 kg Marihuana mit anteilig insgesamt 702 g THC entdeckt und sichergestellt. Diese sollten ebenso wie die vorangegangene Ernte bei späterer Erntereife gewinnbringend von dem A. verkauft werden.
Ein Grundstück, auf welchem eine Marihuana-Plantage betrieben wird (hier: professioneller Anbau von Cannabis eines nicht zu Wohnzwecken genutzten Einfamilienhauses), kann als Tatwerkzeug nach § 74 Abs. 1 StGB eingezogen werden. (LG Kleve, Urt. v. 30.05.2012 – 120 KLs 11/12)

§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG – Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; hier: Mitsichführen von Schusswaffen. Der Angeklagte (A.) und seine Ehefrau führten Marihuana im Kilobereich aus den Niederlanden nach Deutschland ein und verkauften es hier gewinnbringend weiter. Das eingeführte Marihuana lagerten sie zunächst in der gemeinsam genutzten 4-Zimmerwohnung, bevor sie es außerhalb der Wohnung weiterverkauften. Im Schlafzimmer verwahrte der A., ein Jäger mit Waffenbesitzkarte, in einer unverschlossenen Schrankwand mehrere geladene Pistolen und Revolver auf. Auf dem Nachttisch lag eine Pistole. A. war sich der Verfügbarkeit der Waffen bewusst. 
Der Tatbestand des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) setzt voraus, dass der Täter die Schusswaffe beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln mit sich führt. Dies liegt nur dann vor, wenn er sie bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Am eigenen Körper muss die Waffe dabei nicht getragen werden; es genügt, wenn sie sich in Griffweite befindet. Befindet sie sich in einem Behältnis und in einem anderen Raum als die Betäubungsmittel, so ist dies in der Regel hierfür nicht ausreichend. Auch die allgemein gehaltene Wendung, der A. habe „die Waffen offen in der Wohnung in unmittelbarer Nähe zu den Betäubungsmitteln aufbewahrt“, belegt für sich genommen nicht das Merkmal des Mitsichführens. Es hätte vielmehr der konkreten Darlegung bedurft, wo die Betäubungsmittel gelagert wurden und wie die räumlichen Verhältnisse im Einzelnen waren, die es dem A. ermöglichten, sich jederzeit der in einer Schrankwand im Schlafzimmer befindlichen Pistolen und Revolver zu bedienen. (BGH, Beschl. v. 15.01.2013 – 2 StR 589/12)

II. Prozessuales Strafrecht


§§ 102, 105 Abs. 1, 163f Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO – Durchsuchung und längerfristige Observation; hier: Wissentlicher und Willentlicher Verstoß gegen Richtervorbehalt. A. war zur Last gelegt worden, in der Zeit v. 02.02.2012 bis 14.02.2012 gemeinschaftlich handelnd Crack hergestellt und mit diesem Handel getrieben zu haben. Dieser Vorwurf beruhte auf den Beobachtungen und Angaben der ermittelnden POKìn D. Sie bekundete auf Nachfragen des Gerichts, sie habe keinen richterlichen Beschluss für die Observation eingeholt, da sie nur an zwei Tagen (diese Zahl wurde nach beantragter und vorbereiteter Vereidigung auf 4 Tage „korrigiert“) observiert habe und man „dafür keinen richterlichen Beschluss bräuchte“. Zudem habe sie für die geplante Wohnungsdurchsuchung keinen richterlichen Beschluss eingeholt, da sie „befürchtet habe, dass die bisherigen Erkenntnisse nicht reichen würden und kein richterlicher Beschluss zu bekommen sei. Aus ihrer Sicht habe ein entsprechender Tatverdacht bestanden, aber sie wisse, dass Richter das anders sehen. Man habe sich dann gedacht, man versuche es mal so“.
Sowohl für die Observation als auch für die Wohnungsdurchsuchung hätte es eines richterlichen Beschlusses bedurft. Da die erlangten Erkenntnisse unter wissent- und willentlichem Verstoß gegen die StPO gewonnen wurden zog dies infolge der gezielten und bewussten Missachtung der Verfahrensvorschriften unter Heranziehung der Abwägungslehre ein Beweisverwertungsverbot nach sich. Die Angeklagten waren aus rechtlichen Gründen freizusprechen. (AG Frankfurt/M, Urt. v. 10.12.2012 – 942 Ls 5320 Js 217998/12; Quelle: StV 2013, 380-381)

III. Sonstiges


Antiterrordatei ist in ihren Grundstrukturen mit dem Grundgesetz vereinbar, jedoch nicht in ihrer Ausgestaltung. Bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum 31.12.2014, dürfen die verfassungswidrigen Vorschriften unter Maßgaben weiter angewendet werden. (BVerfG, Urt. v. 24.04.2013 – 1 BvR 1215/07)