Sicherungsverwahrung – Grundrechte im Rahmen der neuen Gesetzgebung

Von Ruben Rehr, LL.B. Bucerius Law School, Hamburg

A. Einführung


„Wegsperren – und zwar für immer“1 so lautete ein prägnanter Ausspruch des Bundeskanzlers a.D. Gerhard Schröder über als gefährlich eingestufte Straftäter. Dieser Beitrag soll in das Thema der Sicherungsverwahrung einführen und sich mit den betroffenen Grundrechten der Sicherungsverwahrten im Rahmen der neuen Gesetzgebung auseinandersetzen.


I. Geschichte der Sicherungsverwahrung


Am 24. November 1933 wurde mit dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Besserung und Sicherung“ die Sicherungsverwahrung in Deutschland eingeführt.2 Gleichwohl waren die Nationalsozialisten nicht Ideengeber dieses Konzepts. Bereits 1893 wurde eine Verwahrung im Vorentwurf des Schweizer Strafgesetzbuches von Carl Stooss vorgelegt3 und auch von Franz von Liszt diskutiert4. Ebenfalls existierten vor Einführung der Sicherungsverwahrung vereinzelt Sanktionen, die nicht schuldvergeltend, sondern präventiv wirken sollten – beispielweise die Überweisung gemeinlästiger Täter an die Landespolizeibehörden nach § 362 RStGB. Diese durften nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts auch rückwirkend verhängt werden5 und blieb auch nach Kriegsende bestehen.6 Mit Wirkung zum 1. April 1970 wurden die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung erhöht; gefordert war nun, dass der Täter zwei Taten beging, für die er zwei Jahre an Freiheitsstrafe verbüßt hat.7 Durch ein Sinken der Verwahrtenzahlen wurde in der Folge das Institut der Sicherungsverwahrung selbst infrage gestellt.8
Um die Jahrtausendwende erlebte die Sicherungsverwahrung eine Renaissance. Obgleich sexueller Missbrauch, Vergewaltigung und Sexualmord seit 1975 in der Kriminalstatistik zurückgingen,9 wurde 1998 mit dem „Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten“ die Höchstdauer der Verwahrung von 10 Jahre bei erstmaliger Verurteilung rückwirkend aufgehoben.10 Mit der Schaffung des § 66a StGB wurde 2002 die vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt,11 2004 folgte die nachträgliche Sicherungsverwahrung im damals neuen § 66b StGB12.
Bei den Verwahrtenzahlen ließ sich in den letzten 20 Jahren hingegen eine steigende Tendenz feststellen. Bis Mitte der 90er Jahre wurde die Sicherungsverwahrung jährlich gegenüber 30 bis 40 Personen angeordnet. 2007 erging die Anordnung gegenüber 79 Personen, 2008 bereits gegenüber 111 Personen. 1996 befanden sich 176 Menschen in Sicherungsverwahrung, 2009 gab es bereits über 500 Sicherheitsverwahrte.13
2004 beschäftigte sich das BVerfG mit den Grundrechten der Sicherungsverwahrten, wies jedoch deren Verfassungsbeschwerde zurück.14 Nachdem damit der deutsche Rechtsweg ausgeschöpft war, wandten sich die Sicherungsverwahrten an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Dieser statuierte die Konventionswidrigkeit,15 sodass sich 2011 das BVerfG erneut – dieses Mal im Lichte der EGMR-Rechtsprechung – mit der Sicherungsverwahrung beschäftigte. Dabei verschärfte das BVerfG die Anforderungen an die Sicherungsverwahrung und die Ausgestaltung des Vollzuges.16


II. Gesetzgebungskompetenzen


Die Sicherungsverwahrung soll die Allgemeinheit vor dem Täter schützen,17 sie erfüllt eine präventive Wirkung. Dennoch ist sie nicht Teil der Gefahrenabwehr, für die nach Art. 70 Abs. 1 GG die Länder zuständig sind. Die Sicherungsverwahrung ist als Reaktion auf eine Straftat von der Gesetzgebungskompetenz des Bundes erfasst.18 Nicht umfasst ist jedoch der Vollzug. Dieser ist seit der Förderalismusreform 2006 in Hand der Bundesländer.19 Die Länder haben für den Bereich der Sicherungsverwahrung eigene Regelungen erlassen.

B. Betroffene Grundrechte


I.
Die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und die Perspektivlosigkeit durch Verwahrung


Die Achtung und der Schutz der Menschenwürde gehören zu den tragenden Prinzipien des Grundgesetzes.20 Die Würde des Menschen stellt den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar.21
Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzuges gehört, dass dem der Freiheit entkleideten Menschen grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der „Freiheit teilhaftig“ zu werden.22 So entschied das Bundesverfassungsgericht 1977 in Bezug auf die lebenslange Freiheitsstrafe. Allen Formen der Sicherungsverwahrung und der ursprünglichen Form der lebenslangen Freiheitsstrafe ist gemein, dass beide eine Verwahrung bis zum Tode implizieren können. Daher soll betrachtet werden, ob mit Verwahrung eine Objektivierung mangels Perspektiven einhergeht.
Die Objektformel, dass der Mensch nicht zum bloßen Objekt staatlichen Handelns werden darf, bietet jedoch keine präzise Formulierung der Menschenwürde. Sie deutet lediglich an, in welcher Richtung Verletzungen der Menschenwürde gefunden werden können.23 Das Grundgesetz stellt nicht auf ein isoliertes Individuum ab. Es sieht die „Gemeinschaftsgebundenheit und Gemeinschaftsbezogenheit der Person“, ohne dass dabei ihr Eigenwert angetastet wird.24 Eine fortdauernde Unterbringung verletzt bei andauernder Gefährlichkeit die Menschenwürde nicht zwangsläufig.25 Der Täter darf dabei allerdings nicht zum bloßen Objekt der Verbrechensbekämpfung unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Achtungsanspruchs gemacht werden.26 Es muss ihm grundsätzlich die Aussicht auf Freiheit verbleiben.27
Ursprünglich sollte in Abständen nicht länger als zwei Jahre kontrolliert werden, ob die Sicherungsverwahrung zur Bewährung ausgesetzt werden könnte.28 2011 verschärfte das Bundesverfassungsgericht seine Anforderungen: Nunmehr musste verfahrensrechtlich gewährleistet sein, dass die Fortdauer der Sicherungsverwahrung in mindestens jährlichen Abständen gerichtlich überprüft wird. Ergeben sich Anhaltspunkte für die Aussetzungsreife, so ist unverzüglich eine Überprüfung einzuleiten (Kontrollgebot). Mit Fortlauf der Sicherungsverwahrung ist die „strenge Kontrolle“ weiter zu „intensivieren“.29 Dieses Kontrollgebot hat der Gesetzgeber nunmehr in § 67a Abs. 4 S. 2 StGB umgesetzt.


II. Verbot der doppelten Bestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG)


Auch eine Verletzung des Verbotes der doppelten Bestrafung (ne bis in idem-Grundsatz) aus Art. 103 Abs. 3 GG steht im Raum. Dazu soll geklärt werden, ob ne bis in idem auf die Sicherungsverwahrung Anwendung findet und ob das doppelte Wirken der negativen Spezialprävention, einmal im Strafmaß der Freiheitsstrafe und einmal als Begründung für die Sicherungsverwahrung, einen ne bis in indem Verstoß konstituiert.


1. Sicherungsverwahrung als zweite Strafe?

Über den Art. 103 Abs. 3 GG hat der ne bis in idem Grundsatz Verfassungsrang erlangt. Er umfasst das Verbot der doppelten Bestrafung durch die deutsche Gerichtsbarkeit.30 Das Telos des ne bis in idem Grundsatzes ist es, dass der „Bürger .. nicht dauernd unter dem Damoklesschwert einer erneuten Strafverhandlung und eventueller Bestrafung stehen“ soll.31 Eine Anordnung der Maßregel „im Rahmen der ursprünglichen Verurteilung neben der Freiheitsstrafe“ ist laut Bundesverfassungsgericht unbedenklich.32 Zu der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sich das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen bisher nicht geäußert. Beachtlich ist indes, dass der Reichsgerichtshof 1935 eine nachträgliche Anordnung wegen „Verbrauchs der Strafklage“ für unzulässig erklärte.33 Der EGMR hat sich in seinem Urteil vom 17.12.2009 nicht zu einem ne bis in idem Verstoß geäußert, da dieses europarechtlich durch den Art. 4 Abs. 1 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK gilt. Dieses Protokoll hat Deutschland jedoch nicht ratifiziert, sodass diese Norm von Sicherungsverwahrten in Deutschland nicht geltend gemacht werden kann.34
Es stellt sich daher bei einer mögliche ne bis in idem Verletzung nach Art. 103 Abs. 3 GG die Frage, ob die Sicherungsverwahrung eine Strafe darstellt.35 Hierzu soll unter a. das zweispurige Sanktionsmodell mit Strafe und Maßregel dargestellt werden und unter b. die Sicherungsverwahrung eingeordnet werden.

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