Kontrollen an gefährlichen Orten zur Bekämpfung der Drogenkriminalität am Beispiel der Stadt Kiel

Von PHK Martin Schardt, Kiel

 

1 Einführung

 

Die Betäubungsmittelkriminalität weist seit Jahren bundesweit ein stetiges Wachstum auf. Rauschgiftdelikte und allgemeine Verstöße gegen das BtMG sind die letzten zehn Jahre in ihren Fallzahlen und Häufigkeitszahlen kontinuierlich angestiegen.2 Dieser Trend korrespondiert mit den Entwicklungen in Schleswig-Holstein. Tendenziell werden immer mehr schwere Rauschgiftdelikte, wie unerlaubter Anbau, Handel und Besitz, mit jeweils nicht geringer Menge festgestellt. Es dominieren hier die Betäubungsmittel Cannabis, Kokain und Amphetamine,3 wobei die Verstöße im Zusammenhang mit Kokain eine deutliche Zunahme erfahren haben.4 Ständige Untersuchungen des kriminaltechnischen Instituts beim LKA Kiel, SG 432, weisen darauf hin, dass der Wirkstoffgehalt von Kokain im Straßenverkauf mittlerweile im Schnitt bei fast 90% liegt. Zudem kann nachgewiesen werden, dass auch der Wirkstoffgehalt von Marihuanablüten (2020 im Schnitt bei 14,1%) und Haschisch (2020 im Schnitt bei 20,7%) weiterhin ansteigt.5 Im Zehn-Jahres-Vergleich erreichte die Anzahl der Drogentoten 2020 in Schleswig-Holstein einen traurigen Höchststand.6 Schließlich ist bei der Betrachtung des Lagebilds Rauschgiftkriminalität auch immer die damit unmittelbar zusammenhängende Beschaffungskriminalität im Bereich der Diebstahls- und Gewaltkriminalität, wie Raub und räuberische Erpressung, zu berücksichtigen, die statistisch jedoch nur als direkte Beschaffungskriminalität erfasst werden kann, wenn unmittelbare Bezüge hergestellt werden können. Die nachweisbare Beschaffungskriminalität jedenfalls in Schleswig-Holstein weist im Vergleich zu den letzten Jahren einen Anstieg auf.7 Aufgrund hoher Nachfrage und guter Gewinne stellt sich der Drogenhandel für Gruppierungen organisierter Kriminalität als lukratives Geschäft dar. Der Handel mit Marihuana und Kokain kann dabei anhand der durchgeführten Verfahren als hauptsächliches Betätigungsfeld bezeichnet werden. Die kriminellen Gruppen sind dabei etwa zu 40% deutscher und je zu etwa 20% albanischer, irakischer und russischer Abstammung.8

Die Zunahme festgestellter Verstöße im Zusammenhang mit der Rauchgiftkriminalität wird am Beispiel der Landeshauptstadt Kiel greifbar. Während die Fallzahlen in Verbindung mit Marihuana im Verlauf der vergangenen Jahre konstant zunehmen, verdreifachten sich die Fallzahlen bezüglich der harten Droge Kokain im Jahre 2019 im Vergleich zu 2018. 2020 stiegen die Zahlen weiterhin an, so dass im Vergleich zu 2018 von einer Vervierfachung gesprochen werden kann. Deutlich ist auch der kontinuierliche Anstieg der Fallzahlen vom Handel mit sowie Schmuggel von Betäubungsmitteln.9

Diese Fakten sprechen für eine verstärkte und erfolgreiche Ermittlungs- und Kontrolltätigkeit der Polizei Kiel. Da die Rauschgiftkriminalität typischerweise keine geschädigten Personen im klassischen Sinne verzeichnet, sondern ein Zusammenspiel von Händlern und Abnehmern, Lieferanten und Bunkerhaltern darstellt, ist ein geringes Anzeigeverhalten festzustellen. Daher kommt es in diesem Deliktsfeld in besonderem Maße darauf an, die Taten durch polizeiliche Maßnahmen selbst festzustellen und so aus dem Dunkelfeld herauszuholen. Zurecht wird immer wieder von einem Kontrolldelikt gesprochen.10

Um rechtzeitig und im Kräfteansatz angemessen auf Kriminalitätsschwerpunkte aller Art reagieren zu können, hat die Kieler Polizei ein System zur Kriminalitätsbekämpfung entwickelt, mit dem an der Lage orientierte abgestufte Maßnahmen zur Anwendung kommen.11 Hierzu ist eine tägliche und gründliche Lageauswertung aller zur Verfügung stehenden Lagefelder erforderlich. Für den Deliktsbereich der Rauschgiftkriminalität sind dabei nicht nur die reinen Fallzahlen in bestimmten Gebieten entscheidend, sondern auch die öffentliche Wahrnehmung von offenem Drogenkonsum oder Straßendeals. In diesem Zusammenhang hat sich die zeitweise Einrichtung von gefährlichen Orten nach § 181 I Nr. 1 LVwG in besonders betroffenen Gebieten, wie in den Kieler Stadtteilen Gaarden, Dietrichsdorf und Mettenhof, bewährt. Nicht umsonst werden Drogenumschlagsorte in der Literatur als typische Beispiele für gefährliche Orte benannt.12

Im Folgenden sollen die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung gefährlicher Orte und der sich daraus für die Polizei ergebende Handlungsspielraum aufgezeigt werden. Auf der Rechtsfolgenseite gehen mit der Einrichtung gefährlicher Orte Kontrollmaßnahmen, wie die Identitätsfeststellung, Durchsuchung von Personen und Sachen inklusive der Fahrzeugdurchsuchung, einher, die der Polizei als Maßnahmenbündel bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität unmittelbar dienlich sind. Informationen können mit Anhaltemeldungen gezielt gesteuert und rahmengebend kurzfristige bzw. langfristige Observationen und sonstige technische Mittel eingesetzt werden.

 

 

2 Einstufung von gefährlichen Orten


In sämtlichen Landespolizeigesetzen13 und dem Bundespolizeigesetz14 sind Regelungen zur Einstufung von gefährlichen bzw. verrufenen oder kriminalitätsbelasteten Orten vorhanden und bieten im Grunde auf der Rechtsfolgenseite zunächst die Maßnahme der Identitätsfeststellung einschließlich des damit verbundenen Eingriffs in die Bewegungsfreiheit. Der Tatbestand des § 181 I Nr. 1a LVwG (SH) erfordert im Wesentlichen eine ortsbezogene tatsachenbasierte Prognose für das Verabreden, Vorbereiten oder Verüben von Straftaten.

 



2.1 Anforderungen an den Gefahrengrad

Entscheidend ist dabei zum einen, dass sich der Adressat aus dem Aufenthalt seiner Person am gefährlichen Ort ergibt. Es handelt sich hierbei um eine spezielle Adressatenregelung, die sog Ortshaftung.15 Die Gefährlichkeit des Ortes wird dabei in den Mittelpunkt gestellt. Es müssen auf Tatsachen basierende Vermutungen bestehen, dass Personen an der konkreten Örtlichkeit straffällig werden. Dabei muss sich die Prognose nicht direkt auf die kontrollierte Person beziehen.16 Die Gesetzesformulierung „Straftaten verabreden, vorbereiten oder verüben“17 weist darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeitsprognose sich auf alle Phasen der Tat, vom Tatentschluss über die Vorbereitung bis zur Vollendung, beziehen kann.18 Somit ist auch das Aufgabenfeld „Verhütung von Straftaten“ eröffnet, welches deutlich im Vorfeld der konkreten Gefahrenabwehr in Form der Verhinderung der Taten liegt.19 Es handelt sich hier um eine abstrakte Gefahr bzw. einen Gefahrenverdacht20,21 der einen Gefahrerforschungseingriff rechtfertigt.22 Die grundsätzlich von kriminellen Milieus ausgehende Gefahr der Begehung von Straftaten soll mit intensiveren Kontrollen an dafür relevanten Orten bekämpft werden können, um Informationen über kriminelle Strukturen zu erlangen und mögliche Täter zu verunsichern bzw. abzuschrecken.23 Damit trifft für die Maßnahme mangels im Einzelfall vorliegender konkreter Gefahr auch die polizeiliche sachliche Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr nach § 168 I Nr. 3 LVwG nicht zu. Die Zuständigkeit ergibt sich vielmehr im Rahmen der sog. Rückschlusstheorie.24

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