Gesetzliche bzw. rechtliche Flickenteppiche in Deutschland
Von KD a.D. Ernst Hunsicker, Bad Iburg
Das deutsche Recht wird seitens der Europäischen Union zunehmend durch Verordnungen, Richtlinien und sonstige Rechtsakte beeinflusst, was nicht immer von Vorteil ist. Aber auch in Deutschland selbst ist in verschiedenen Rechtsgebieten kein Konsens herzustellen, was an zurückliegenden und aktuellen Beispielen verdeutlicht wird. Der Föderalismus mag ja seine Berechtigung haben, beweist sich aber auch als Hemmschuh für bundesweit verbindliche Rechtsanwendungen, was zu Beschwernissen und Ärgernissen bei den zuständigen Behörden und Dienststellen führt und auch teils die Bevölkerung verunsichert.
1 Einflussnahme der Europäischen Union
Die in den EU-Verträgen niedergelegten Ziele werden mit Hilfe unterschiedlicher Rechtsakte verwirklicht. Einige dieser Rechtsakte sind verbindlich, andere nicht. Manche gelten für alle EU-Länder, andere nur für bestimmte Länder.2 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) soll zudem gewährleisten, dass EU-Recht in allen EU-Mitgliedsländern auf die gleiche Weise angewendet wird und dafür sorgen, dass Länder und EU-Institutionen das EU-Recht einhalten.3 An nachfolgendem Beispiel wird deutlich, wie die EU auf das deutsche Recht einwirkt.
1.1 EU-Richtlinie gefährdet schnellere Gerichtsverfahren
Fälle von Kleinkriminalität können auch in Niedersachsen inzwischen in sog. beschleunigten Verfahren abgewickelt werden: Die Strafe folgt auf dem Fuße. Doch Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) sieht diese Möglichkeit der schnellen Verfolgung und Ahndung von Straftaten bedroht. „Sorge bereitet uns eine EU-Richtlinie, die nun in nationales Recht umgesetzt werden soll“, sagt sie im Interview mit unserer Zeitung.Nach bisher geltendem Recht ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers im beschleunigten Verfahren erst bei einer zu erwartenden Freiheitsstrafe von sechs Monaten vorgesehen. „Die Umsetzung der neuen EU-Richtlinie könnte dazu führen, dass dem Beschuldigten bei Haftvorführung immer ein Anwalt zur Seite gestellt werden muss“, sagt Havliza. „Wenn das so käme, wäre das beschleunigte Verfahren kaum noch durchführbar.“4 Kurz danach hat die niedersächsische Justizministerin den vermehrten Einsatz beschleunigter Verfahren noch als ein gutes Zeichen für eine handlungsfähige, effektive Justiz und einen starken Rechtsstaat bezeichnet.5
Diese EU-Einflussnahme ist sehr zu bedauern, weil die beschleunigte Verfahrenserledigung nach 2018 ganz offenbar wieder Fahrt aufgenommen hat.6 Ein begrüßenswertes Konzept aus Bayern, nach dem beschleunigte Verfahren auch bei Straftaten z.N. von Einsatzkräften durchgeführt werden, wäre durch diese EU-Richtlinie auch wohl weitgehend obsolet: „Wer Polizistinnen und Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungsdienste angreift, soll in Bayern künftig schneller mit einer Strafe rechnen müssen. Dafür sollen Polizei und Staatsanwaltschaft enger zusammenarbeiten, Gewalttaten gegen Einsatzkräfte und andere Beschäftigte im öffentlichen Dienst bevorzugt behandeln und deshalb zügiger vor Gericht bringen können. ‚Wir wollen, dass die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt‘, sagte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Mittwoch in Nürnberg. In einem Modellversuch habe sich dieses Konzept bereits bewährt. Nun sollen die Behörden es bayernweit anwenden.“7
1.2 Zu dieser EU-Einflussnahme ergänzend
Mit dieser Richtlinie soll die Effektivität des in der Richtlinie 2013/48/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vorgesehenen Rechts auf Zugang zu einem Rechtsbeistand gewährleistet werden, indem Verdächtigen oder beschuldigte Personen in Strafverfahren die Unterstützung eines durch die Mitgliedstaaten finanzierten Rechtsbeistands zur Verfügung gestellt wird; Gleiches gilt für gesuchte Personen, gegen die ein Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gemäß dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates anhängig ist.8 Am Ende ging es ganz schnell: Im Herbst 2019 haben Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nacheinander und in Windeseile das Gesetz zu Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung beschlossen. Am 13.12.2019 ist es bereits in Kraft getreten.9
Jedoch werden Bedenken laut: Aber auch die Vertreter der Ermittlerseite tragen Bedenken. Andreas Heuer, Generalstaatsanwalt bei der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg, sagte, die Fassung sei abzulehnen, da sie in weiten Teilen nicht dem Regelungsgehalt der PKH-Richtlinie entspreche und deren Vorgaben zum Teil zuwiderlaufe. Heuer fügte hinzu, dass die Umsetzung etwa bereits bei der ersten Beschuldigtenvernehmung durch die Polizei erhebliche negative Auswirkungen auf die Strafverfolgung haben werde.10 Dirk Peglow, stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK), erwartet von der Umsetzung eine nachhaltige Veränderung der polizeilichen und justiziellen Praxis, deren Folgen im Hinblick auf die Aufklärung schwerer Straftaten noch nicht absehbar seien. Aufgrund der Vorverlagerung der Pflichtverteidigerbestellung auf den Zeitpunkt vor der ersten polizeilichen Vernehmung stehe eine wesentliche Abkehr von der bisherigen Rechtspraxis an, die diese Entscheidung bislang erst zum Zeitpunkt der richterlichen Vorführung für erforderlich erachtet habe.11
2 Föderalismus in Deutschland
Der Föderalismus ist das staatliche Organisationsprinzip in der Bundesrepublik Deutschland, 1949 wurde er im Grundgesetz verfassungsrechtlich verankert. Kennzeichen des deutschen föderalen Systems ist die enge Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Letztere beteiligen sich über den Bundesrat an der Gesetzgebung, wirken bei EU-Angelegenheiten mit und setzen Bundesgesetze über ihre Verwaltungen um. In den vergangenen Jahrzehnten wurde das föderale System in mehreren Reformschritten umgestaltet. Diskutiert wurde und wird häufig die Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs zwischen den Ländern. Bis 2019 scheint eine Reform des Finanzföderalismus unumgänglich. Das Heft Nr. 318/2013 der Bundeszentrale für politische Bildung informiert über Geschichte und Charakteristika des Föderalismus in Deutschland.12
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