„Die Tür ist endlich offen“

Von der Strafbarkeit überhöhter Rechnungen durch Schlüsseldienste


Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa, Schleswig1

 

1 Hintergründe

 

Es gibt wohl kaum jemanden, der sich noch nicht versehentlich aus Haus oder Wohnung ausgesperrt hat oder zumindest jemanden kennt, dem dies passiert ist. Der Ausgesperrte hat ein nachvollziehbares Interesse, möglichst schnell wieder seine Behausung betreten zu können. Dieses Bedürfnis potenziert sich entsprechend, wenn die ohnehin schon unschöne Situation durch weitere Faktoren, wie etwa kurzes Beinkleid bei Schneefall, noch intensiviert wird. Was also tun? Glücklich derjenige, welcher auf die Hilfe von Nachbarn oder Verwandtschaft zurückgreifen kann. Doch gerade in der „anonymen Großstadt“ bestehen diese Möglichkeiten meist nicht. Dann bleibt nur die Hoffnung auf professionelle handwerkliche Unterstützung. Der früher obligatorische Blick in entsprechende Branchenbücher wird heutzutage wohl überwiegend durch eine Internetrecherche ersetzt, soweit der Ausgesperrte denn ein Mobiltelefon bei sich trägt. Die nicht unerhebliche Anzahl zivil- und strafrechtlicher Urteile hinsichtlich der Tätigkeiten von Schlüsseldiensten der letzten Jahre2 lässt jedoch befürchten, dass in diesem Metier auch unseriöse Anbieter tätig sein dürften. Ferner weist die umfangreiche mediale Berichterstattung auf eine Vielzahl durch überhöhte Rechnungen Geschädigter im Bundesgebiet hin.3 Wie aber kommt der Kontakt solcher Anbieter mit derart zahlreichen Kunden zustande? Die Beantwortung dieser Frage offenbart bereits die erheblich vorhandene kriminelle Energie und das beachtliche Ausmaß der geschaffenen Organisationstrukturen. Denn es dürfte sich mitnichten um einzelne „Handwerker“ handeln, die jeweils lokal und unabhängig voneinander ihr Unwesen treiben. Vielmehr werden in Branchenbüchern und im Internet zahlreiche Werbeanzeigen geschaltet, die das Vorhandensein einer Vielzahl diesbezüglicher Dienstleistungsunternehmen suggerieren.4 Tatsächlich laufen jedoch alle Anfragen, ob per E-Mail oder fernmündlich, in einer Zentrale zusammen, die Ihren Sitz nicht zwingend auf dem Gebiert der Bundesrepublik Deutschland haben muss. Die Mitarbeiter dieser Zentrale kontaktieren dann „Monteure“, die sich zu den Ausgesperrten begeben und vorspiegeln, im Auftrag der angeblichen Unternehmen tätig zu sein. Die Absicht der Monteure ist es dabei, noch vor Ort eine Bar- oder EC-Kartenzahlung zu erreichen, wobei das ausgegebene Ziel sein dürfte, einen möglichst hohen Betrag zu erlangen. Dieser kann dabei durchaus im vierstelligen Bereich liegen.5 Dem Geschädigten bleibt aufgrund seiner prekären Situation kaum etwas anderes übrig, als den Betrag zu zahlen. Denn entweder wird dieser bereits vor Öffnung der Tür verlangt, falls ein Portemonnaie bei sich getragen werden sollte, oder es wird nach Öffnung der Tür durch den Monteur erheblicher verbaler Druck aufgebaut, wodurch der weit überwiegende Teil der Geschädigten nachgibt. Hierbei begleiten die Monteure die Geschädigten auch gern zu einem Geldautomaten oder haben gleich ein mobiles EC-Kartenlesegerät am Mann.6 Für den Geschädigten, der sein Geld zurückfordern möchte, stellt sich bereits das faktische Problem, überhaupt zu klären, mit wem er es eigentlich zu tun gehabt habt. Denn der Monteur wird sich aus guten Gründen kaum mit Klarnamen vorstellen und das Unternehmen, mit dem der Geschädigte glaubt, einen Vertrag geschlossen zu haben, dürfte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht existent sein. Auch eine Strafanzeige hat bisher oft nur sehr eingeschränkten Nutzen gezeigt. Neben dem Problem der Identifizierung der Angezeigten stellte sich die Frage, ob die bezeichneten Handlungen überhaupt strafbar gewesen sein könnten. Dies ist in der Vergangenheit uneinheitlich beurteilt worden7 und es fehlte an höchstrichterlicher Rechtsprechung, weshalb Ermittlungsverfahren oftmals eingestellt worden sind und nur in seltenen Fällen rechtskräftige Verurteilungen erfolgten. Nunmehr ist jedoch eine umfassende Entscheidung des Bundesgerichtshofes ergangen, auf deren Inhalt im Folgenden dezidiert eingegangen werden soll.

 

2 Strafbarkeit überhöhter Rechnungen durch Schlüsseldienste


Dem 1. Senat des Bundesgerichtshofes lag im Rahmen des Revisionsverfahrens ein Sachverhalt beeindruckenden Ausmaßes vor.8 Die beiden Angeklagten hatten eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung in der Schweiz gegründet, wobei ein Angeklagter als Geschäftsführer fungierte. Die Angeklagten wussten um den schlechten Ruf der Schlüsselnotdienstbranche. Sie rechneten damit, dass potentielle Kunden ausschließlich ortsansässige Unternehmen beauftragen wollten, die es sich nur erlauben konnten, ortsüblich und angemessen abzurechnen, und für den Fall von Schlechtleistungen für Nachbesserungen erreichbar wären. Daher ließen die Angeklagten bundesweit in Telefonbüchern bis zu 60 nicht existente Schlüsseldienstunternehmen mit örtlichen Anschriften und dazu passenden Telefonnummern eintragen. Die Anrufer wurden dann in ein Callcenter weitergeleitet, dessen Mitarbeiter angaben, sie würden jeweils für ein ortsansässiges Schlüsseldienstunternehmen tätig sein. Bezüglich der Kosten des Schlüsselnotdiensteinsatzes nannten die Mitarbeiter allenfalls die Pauschale für An- und Abfahrt; den endgültigen Preis könnte der Monteur erst vor Ort bestimmen. Die durch eine Umsatzbeteiligung motivierten Telefonisten sollten dann möglichst die Monteure mit den besten Umsatzzahlen, die sie aus einer elektronischen Datenliste ersehen konnten, einsetzen. Anschließend wurden die Monteure entsandt, welche jeweils einen Teil der von den Geschädigten erhaltenen Beträge, die in Einzelfällen bis zu 1177 Ä betrugen, an das Unternehmen der Angeklagten weiterleiteten. Auf diese Weise erzielten die Angeklagten zwischen 2008 und 2016 Umsätze von weit über 5 Millionen Ä. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kleve umfasste ca. 1000 Taten.


Der Senat geht neben steuerstrafrechtlichen Aspekten ausführlich auf eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs i.S.d. § 263 Abs. 5 StGB ein. Bemerkenswert ist die Entscheidung jedoch aus einem anderen Grund. Denn der Senat hat die Gelegenheit genutzt, den Sachverhalt unter dem Gesichtspunkt eines Straftatbestandes zu betrachten, der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher selten in den Genuss ausführlicher Würdigung gekommen ist: Der Wucher i.S.d. § 291 StGB. Dies erscheint umso erstaunlicher, als dieser Straftatbestand für den Strafausspruch bezüglich der beiden Angeklagten neben den übrigen bezeichneten Straftatbeständen eigentlich keine weitere wesentliche Bedeutung mehr hatte. Der Duktus der Entscheidung lässt jedoch erahnen, dass es dem Senat wohl ein Anliegen war, kriminelle Aktivitäten im Zusammenhang mit Schlüsseldiensten umfassend rechtlich zu würdigen, um so den Strafverfolgungsbehörden eine effektive Bekämpfung dieses Phänomens zu erlauben. Hierfür bildet der Straftatbestand des Wuchers i.S.d. § 291 StGB durchaus ein geeignetes Werkzeug. Denn im Gegensatz zum Betrug i.S.d. § 263 StGB weist dieser, insbesondere im subjektiven Tatbestand, weniger Voraussetzungen auf, die vor allem grundsätzlich leichter nachweisbar erscheinen. Gemäß des in Betracht kommenden § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB kann sich bereits strafbar machen, wer die Zwangslage eines anderen dadurch ausbeutet, dass er sich für eine sonstige Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zur Leistung stehen.

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