Die Steuerhinterziehung
§ 370 AO im Überblick
Von Iwen Manheim, Kiel1
1 Einleitung
§ 370 AO stellt den Kerntatbestand des in den §§ 369ff. AO geregelten Steuerstrafrechtes dar. Oberflächlich erinnert er etwa an den Betrug gem. § 263 StGB, hat aber tatbestandlich durchaus eine andere Ausgestaltung erfahren. Von der Rspr. überwiegenden als Blankettstrafrecht bezeichnet2 fällt bei § 370 AO die Abhängigkeit von den materiellen Steuergesetzen besonders ins Gewicht. Die hiermit einhergehende Komplexität des Steuerstrafrechts soll im folgenden Beitrag anhand des Tatbestandes des § 370 AO überblicksweise demonstriert werden.
2 Der Tatbestand des § 370 AO
2.1 Allgemeines
§ 370 AO schützt nach überwiegender aber nicht unumstrittener Meinung den Anspruch des Staates auf den vollen Ertrag aus jeder einzelnen Steuerart3 und wird damit als Vermögensdelikt qualifiziert.4 Als Taterfolg setzt § 370 AO alternativ eine Steuerverkürzung oder das Erlangen von nicht gerechtfertigten Steuervorteilen durch eine in den Nr. 1-3 des Abs. 1 beschriebenen Handlungen oder Unterlassungen voraus, bei der Norm handelt es sich also um ein Erfolgsdelikt.5 Hieraus folge aber nicht, dass § 370 AO ein Verletzungsdelikt sei; vielmehr wird es aufgrund § 370 IV 3 AO als Gefährdungsdelikt eingeordnet.6
§ 370 I Nr. 1 AO beschreibt als Tathandlung das Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben, Nr. 2 das pflichtwidrige in Unkenntnis Lassen über steuerlich erhebliche Tatsachen.7 § 370 II AO erklärt zudem den Versuch für strafbar; § 370 III AO enthält in S. 1 eine Strafschärfung für besonders schwere Fälle, in S.2 sog. Regelbeispiele hierzu: Ein erhöhtes Strafmaß gilt hiernach in der Regel etwa dann, wenn der Täter in großem Ausmaß Steuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt (Nr. 1), seine Befugnisse als Amtsträger missbraucht (Nr. 2) oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Taten nach Abs. 1 verbunden hat, Umsatz- oder Verbrauchssteuern verkürzt oder nicht gerechtfertigte Umsatz- oder Verbrauchssteuervorgeile erlangt (Nr. 5).8
§ 370 IV AO hält, neben der Legaldefinition der Steuerverkürzung, in S. 3 dann zudem das sog. Kompensationsverbot vor: Einer Steuerverkürzung steht nicht entgegen, dass die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt werden müssen.9 Hintergrund dieser Regelung zumindest nach Auffassung der Rspr. ist eine Prüfungserleichterung für das Strafgericht, welches andernfalls den gesamten Steuersachverhalt aufrollen müsste.10 Dies führe, so Stimmen in der Literatur, aber faktisch zur Möglichkeit einer vollendeten Steuerhinterziehung, obgleich kein Schaden auf Seiten des Fiskus eingetreten ist.11 Keine Anwendung soll das Kompensationsverbot hingegen finden, wenn die verschwiegenen steuererhöhenden Umstände mit den steuermindernden Umständen in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen.12
Zur Demonstration des Tatbestandes soll auf einen Beispielsfall, angelehnt an eine jüngere Entscheidung des BGH, eingegangen werden:
Angelehnt an BGH U. v. 24.1.2018 - 1 StR 331/17 - NStZ-RR 2018, 180
A, der polnischer Staatsangehöriger ist, führte seit ca. 15 bis 20 Jahren zumindest gelegentlich in Deutschland handwerkliche Tätigkeiten aus. Für diese Tätigkeiten kamen auch andere polnische Staatsangehörige zum Einsatz, die zwar - nach durch einen von A beauftragen Rechtsanwalt und Steuerberater erstellen Vorlagen - eigenständig Rechnungen an die Auftraggeber des A stellten und so auf Stundenbasis abrechneten, hierfür die Bankverbindung des A nutzten, i.R.d. Firma des A agierten und auch sonst im Auftrag und nach Weisung des A tätig wurden.13 A verkannte seine hieraus resultierende Arbeitgeberstellung im lohnsteuerrechtlichen Sinne und unterließ es in der Folge, für seine Firma für September 2004 sowie den Zeitraum März 2005 bis September 2007 Lohnsteueranmeldungen beim zuständigen Finanzamt abzugeben. Insgesamt wurde hierdurch Lohnsteuer in Höhe von 101.382,65 Ä nicht an das zuständige Finanzamt abgeführt.
2.2 Tathandlung
2.2.1 Machen unrichtiger oder unvollständiger Angaben
Angaben sind Bekundungen von Tatsachen in schriftlicher oder mündlicher Form durch ausdrückliches oder schlüssiges Verhalten.14 Diese müssen gemacht, also willentlich entäußert worden sein.15 Eine Angabe muss dabei gegenüber einer Finanzbehörde (vgl. § 6 II AO)16 – z.B. i.R.d. Einkommensteuer- oder Umsatzsteuererklärung (§ 25 III EStG, §§ 56ff. EStDV bzw. § 18 UStG i.V.m. §§ 149ff. AO) – erfolgen. Steuerlich erheblich sind dabei solche Angaben, die Einfluss auf den Grund oder die Höhe des Steueranspruches haben oder die Finanzbehörde sonst zur Einwirkung auf den Steueranspruch veranlassen können.17 Von § 370 I Nr. 1 AO erfasst sind jedoch nur unrichtige oder unvollständige Angaben; unrichtig sind Angaben dann, wenn die hierin enthaltenen Behauptungen von der Wirklichkeit abweichen18 und unvollständig dann, wenn durch die Angabe konkludent der wahrheitswidrige Anschein der Vollständigkeit erweckt wird.19 So weit, so simpel, scheint es - doch kann die Frage nach der Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Angabe aufgrund ihrer Steuerrechtsakzessorietät mitunter schwer zu beantworten sein: Gem. § 150 I 3 AO i.V.m. den Einzelsteuergesetzen (vgl. etwa § 18 III UStG) kann der Steuerpflichtige dazu verpflichtet sein, die Steuer i.R.d. Steuererklärung selbst zu berechnen (Steueranmeldung). Die Höhe der zu entrichtenden Steuer hängt dabei von der ihr zugrundeliegenden Rechtslage, z.B. i.R.d. UStG von der Frage ab, ob gewisse Umsätze überhaupt der Umsatzsteuer unterliegen.20 Dies ist hingegen nicht immer eindeutig zu beantworten, so dass hierzu in der Finanzverwaltung, Finanzgerichtsbarkeit und Literatur mitunter unterschiedliche Ansichten existieren. Macht der Steuerpflichtige unrichtige Angaben, wenn er etwa mit einer Literaturansicht der Meinung ist, bestimmte Umsätze unterlägen nicht der Steuerpflicht und er sie deshalb bei der Steueranmeldung nicht berücksichtigt? Zumindest von der älteren Literatur und Rechtsprechung hieß es hier, dass unrichtig auch jede Angabe unter Zugrundelegung einer unzutreffenden Rechtsauffassung sei.21 Die Gegenposition in der neueren Literatur hält eine Angabe nur dann für unrichtig, wenn sie nicht auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruht und verweist zur Begründung auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 II GG:22 Nur eine unvertretbare Auffassung sei kein Werturteil mehr, sondern eine unrichtige Tatsache. Der BGH entschied sich im hiesigen Fall für eine Kompromisslösung, nach der jede offen oder verdeckt auf einer vertretbaren Rechtsauffassung beruhenden Angabe keine unrichtige sei, sofern der Steuerpflichtige, wozu er nach § 90 I 2 AO verpflichtet sein soll, die für die Besteuerung relevanten Tatsachen vollständig und richtig offenlege und so der Finanzbehörde eine eigene Beurteilung ermögliche.23
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