Dateneingriffe zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung

Teil 1


Von Gerrit Domenghino LL.M., Münster1

 

1 Agieren statt reagieren


„Wenn Terroristen ihre Anschläge per WhatsApp planen, können wir uns kein Polizeigesetz aus dem Wählscheiben-Zeitalter leisten.“2 Mit dieser etwas plakativ wirkenden Aussage hat der NRW-Innenminister Herbert Reul die derzeitige Lage mit wenigen Worten drastisch beschrieben. Während die (organisierte) Kriminalität das Internet und den Missbrauch von Daten längst für ihre perfiden Machenschaften entdeckt und nutzbar gemacht hat, ist die (vorbeugende) Kriminalitätsbekämpfung an die gesetzlichen Vorgaben gebunden. Zwar können sich durch die Entwicklung immer leistungsfähigerer Technik rein faktisch die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten erweitern, ohne dass es einer Veränderung der gesetzlichen Befugnisse dem Wortlaut nach bedarf,3 doch kann dieses auch kritisch gesehen werden. Denn durch einen rasant – wenn nicht sogar exponentiell – entwickelnden technischen Fortschritt steigt nicht nur die Möglichkeit der Datenerhebung, sondern auch die Gefahr eines Grundrechtseingriffs, vor allem in Hinblick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (RIS).

In die Aussage des Innenministers kann auch eine Forderung nach einer steten Anpassung der Polizeigesetze und der darin konkret normierten Eingriffsbefugnisse, sowie eine zeitgemäße Interpretation der verschriftlichten und bis dato zugesprochenen Befugnisse in Hinblick auf die veränderte Lage, hineininterpretiert werden. Selbstverständlich nutzen die Polizeien heute schon in weiten Teilen moderne Technologien wie dienstliche Smartphones, Drohnen oder spezielle Software. Vor allem im Rahmen der Datengewinnung und -verarbeitung werden ihnen jedoch aufgrund rechtlicher Vorschriften oder Bedenken teilweise Hindernisse in den Weg gestellt, die es zu nehmen gilt, und die in manchen Fällen die Polizei auch ins Wanken bringen kann. Im Allgemeinen wird im Beitrag der Fokus auf Maßnahmen der primären und sekundären Kriminalprävention liegen, bei der einerseits die Ursachen der Entstehung von Kriminalität so beeinflusst werden sollen, dass sie von vornherein unterbunden wird, und andererseits Maßnahmen zur Abschreckung potentieller Täter vorsieht, da aufgrund dieser ein erhöhtes Entdeckungsrisiko existiert.4

In diesem Teil des zweiteiligen Beitrags wird nach einem historischen Abriss zum Dateneingriff der Blick auf die Online-Streife gelegt, die als einfache Form zur Sichtung von Daten im Rahmen der präventiven Kriminalitätsbekämpfung genutzt werden kann.

 

 

2 Daten sind Gold


„Daten sind das Gold des 21. Jahrhunderts“5 ist ein geflügelter Ausspruch, der metaphorisch den Wert von Daten in der heutigen Zeit verdeutlichen soll. Unternehmen buhlen öffentlich um die Daten der Menschen, und diese geben sie mehr oder weniger bewusst preis. So gibt es zum Beispiel in Deutschland über 31 Millionen PAYBACK Kunden, die bereitwillig für ein paar Cent als gläserner Kunde dem in München ansässigen Unternehmen und seinen Partnern eine detaillierte Analyse ihrer Kaufverhalten zugestehen. Auch aus polizeilicher Perspektive sind Daten eine wichtige Informationsquelle, die zur Prognose möglicher Straftaten herangezogen werden kann. Die Sicherheitsbehörden dürfen von einer so offenen Preisgabe persönlicher Daten, wie es im Falle der konsum- und sparorientieren Punktesammler, jedoch nur träumen. Denn gerade ihre „Kunden“ möchten tunlichst vermeiden, dass zu viel über sie und ihre Machenschaften ans Licht gerät. Also halten sie sich lieber im Dunkeln und versuchen den Sicherheitsbehörden die Jagd auf ihren Daten und auf sich selbst so schwer wie möglich zu machen. Um dennoch an die gewünschten Daten zu gelangen, müssen sich die Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer gesetzlich zugesprochenen Möglichkeiten bewegen, um mithilfe von Daten präventiv zur Kriminalitätsbekämpfung tätig zu werden. Dabei muss der Staat stets die Waage zwischen seiner Schutzpflicht gegenüber den Bürgern und den Grundrechten derselbigen waren.

 

3 Dateneingriff – Ein Blick zurück


Die heutigen Befugnisse der Sicherheitsdienste in Deutschland sind unter anderem bedingt durch die langen Schatten einer düsteren Zeit. Sowohl die Bürger der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als auch diejenigen unter uns, die die schrecklichen Zeiten des Nationalsozialismus miterleben mussten, haben noch am eigenen Leib erfahren, was es heißt, in einem Überwachungsstaat zu leben. Vergleichbar weitreichende Befugnisse der Polizei und ihre zentralistische Struktur während des Nationalsozialismus wollten die Besatzungsmächte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs um jeden Preis verhindern. Neben der Entnazifizierung waren die Demokratisierung der Bevölkerung und die Dezentralisierung der Polizei vorrangige Ziele der Alliierten, was vor allem in den britischen und amerikanischen Besatzungszonen dazu führte, dass es zu einer Beschränkung der polizeilichen Befugnisse und einer „Entpolizeilichung“ der Verwaltungsrechtsbereiche kam.6 Auf dieser Grundlage ist die heute in einigen Bundesländern vorzufindende grundsätzliche Trennung zwischen Behörden der allgemeinen Ordnungsverwaltung, die originär für die Gefahrenabwehr zuständig sind, und der Polizei im engeren Sinne, die diese Aufgabe lediglich subsidiär durch den Polizeivollzugsdienst wahrzunehmen hat, zurückzuführen.7 So gibt es u.a. in Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein noch heute grundsätzlich eine organisatorische Trennung der Behörden und ihrer Aufgabenbereiche. Diese organisatorische Trennung findet sich in einigen Ländern auch bei der gesetzlichen Regelung der Eingriffsbefugnisse wieder; wie in Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen, wo es neben den gesetzlichen Vorschriften für die Ordnungsbehörden für die Polizei eigenständige Polizeigesetze (PolG) bzw. Polizeiaufgabengesetze (PAG) gibt. Diese klare Trennung findet sich in den meisten anderen Ländern nicht wieder, wo zwar die Behörden aus organisatorischer Sicht teils klar voneinander getrennt sind, sie für ihr Tätigwerden jedoch auf dasselbe Eingriffsgesetz zurückgreifen.

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