Dateneingriffe zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung (Teil 2)

Von Gerrit Domenghino LL.M., Münster

 

„Verhindere Verbrechen, damit Strafe nicht nötig ist“ soll der chinesische Philosoph Konfuzius einst gesagt haben. Um Verbrechen durch offene Maßnahmen – wie sie im ersten Teil des Beitrags einleitend beschrieben wurden2 – nicht eventuell nur zu verdrängen, statt sie zu verhindern, können die Sicherheitsbehörden auf eine Vielzahl von verdeckten Maßnahmen zurückgreifen, um eine vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung zu gewährleisten. Gerade beim verdeckten Dateneingriff kann nicht immer strikt zwischen Gefahrenabwehr und Strafverfolgung getrennt werden, da es Konstellationen geben kann, in den durch diese sogenannten doppelfunktionalen Maßnahmen sowohl präventive als auch repressive Zwecke verfolgt werden.3 Dabei hat diese heimliche Datenerhebung aufgrund der zunehmenden Technisierung und Digitalisierung der Gesellschaft eine wesentliche Bedeutung und Beachtung im Polizeirecht erhalten. So ist es eine logische Folge, dass die in den entsprechenden Gesetzen regulierten Maßnahmen nicht nur einer steten Überarbeitung unterliegen, sondern dass neue Normen geschaffen werden, um der Kriminalität Einhalt zu gebieten. Auf den folgenden Seiten wird eine Auswahl von Eingriffsbefugnisse in den Fokus genommen, die – nicht unumstritten – Maßnahmen zum verdeckten Dateneingriff legitimieren, bei denen es sich aufgrund ihrer Heimlichkeit gesetzessystematisch um Ausnahmen von dem in den Polizeigesetzen4 positiv-rechtlich normierten Grundsatz der offenen Datenerhebung handelt.5

 

6 Online-Durchsuchung


Als Online-Durchsuchung wird eine polizeiliche Maßnahme bezeichnet, die einen verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme legitimiert.6 Diese Eingriffsbefugnis findet in der präventiven Kriminalitätsbekämpfung beispielsweise gem. § 49 Abs. 1 BKAG, Art. 45 Abs.1 BayPAG ihre Anwendung, kann aber auch als repressive Maßnahme auf Grundlage des § 100b Abs. 1 StPO eingesetzt werden. Die Online-Durchsuchung dient primär dem Ziel der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der sich vermehrt moderner Technologie bedient und ein Großteil der Kommunikation mit Hilfe von technischen Kommunikationsmitteln erfolgt, aber auch die Internet-Pornographie und die frühzeitige Entdeckung und Verhinderung von damit verbundenen Straftaten sind mehr und mehr in den Fokus geraten. Durch die Maßnahme wird der Polizei der Zugriff auf Daten gestattet, die entweder noch nicht oder nicht mehr Teil einer laufenden Telekommunikation sind. Hierfür wird ein Spähprogramm – landläufig auch als (Bundes-)Trojaner bezeichnet – auf das Zielsystem aufgespielt, um dessen Nutzung zu überwachen, den Speicher zu durchsuchen und dort befindliche Daten bei dringender Gefahr zu löschen oder zu ändern,7 wenn diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Aber auch das Kopieren sowie das Speichern von Daten und die Nutzung sogenannter Key-Logger, durch die bereits die Tastaturanschläge registriert werden und somit auch ohne eine spätere Speicherung der Eingabe die selbige nachvollzogen werden kann und folglich Daten erfasst werden, die überhaupt nicht im Sinne eines Kommunikationsvorgangs versendet wurden, sind von der Befugnis umfasst.8 Der Zugriff auf etwaige Kameras oder Mikrofone der Endgeräte ist hingegen auf Grundlage dieser Ermächtigungsgrundlage nicht zulässig. Somit ist die Online-Durchsuchung artverwandt mit der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) und der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ), auf die später im Beitrag eingegangen wird.


Vor allem die Entscheidung des BVerfG aus dem Jahr 2016,9 die dem BKA-Gesetz in der damaligen Fassung eine teilweise Verfassungswidrigkeit bescheinigte, ließ die Online-Durchsuchung wieder einmal in den der Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten. Das BVerfG sah sich in der Folgezeit mit zahlreichen Verfassungsbeschwerden – unter anderem von Rechtsanwälten, Journalisten und Mitgliedern des Bundestages – konfrontiert, die die Frage beantwortet haben wollten, ob das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens aus dem Jahr 2017 und die darin vorgesehene Änderung der Strafprozessordnung in Hinblick auf die Anordnung der Online-Durchsuchung verfassungsgemäß sei.10 Der Erste Senat des BVerfG hat in seiner Entscheidung zum BKA-Gesetz u.a. klargestellt,11 dass bei präventiven Maßnahmen das Gewicht der jeweils zu schützenden Rechtsgüter einen wesentlichen Einfluss auf die Zulässigkeit des Eingriffs hat. So ist bei der Online-Durchsuchung grundsätzlich das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme zu berücksichtigen, welches als spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus dem Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitet wird. Die Entwicklung und Nutzung der Informationstechnik hatten dazu geführt, dass sich nicht nur neue Möglichkeiten für den einzelnen Nutzer, sondern auch neuartige Gefährdungen der Persönlichkeit begründet hatten. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit seiner Entscheidung dementsprechend auf die steigende Bedeutung informationstechnischer Systeme im Rahmen der Lebensgestaltung eines jeden Einzelnen reagiert.12


Aufgrund des unter Umständen empfindlichen Eingriffs in das Privatleben des Betroffenen bedarf es einer Gefahr für Leib, Leben und Freiheit einer Person oder einer Bedrohung der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, um die Online-Durchsuchung anzuordnen.13 Aber auch bei einer Gefahr für Güter der Allgemeinheit, die die Existenz von Menschen berühren, kann die Maßnahme verfassungsmäßig sein.14 Ist die Online-Durchsuchung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für die polizeiliche Aufgabenerfüllung notwendig, da die Zweckerreichung ansonsten aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre, muss die Maßnahme durch die Behördenleitung beantragt und von einem Richter angeordnet werden. Dabei ist im Rahmen der Gefahrenprognose zu beachten, dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine im Einzelfall drohende konkrete Gefahr für die in der Norm benannten Rechtsgüter vorliegen.15 Um beispielsweise Rückkehrer aus Terrorcamps überwachen zu können, genügt auch das Verhalten einer Person für die Anordnung einer Online-Durchsuchung, wenn es eine konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass in einem übersehbaren Zeitraum durch diese Person zumindest auf ihrer Art nach konkretisierte Weise Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden. Diese Anhaltspunkte müssen sich dabei auf bestimmte Tatsachen stützen und dürfen nicht nur aus bloßen Vermutungen folgen. Liegen die Anordnungsvoraussetzungen vor, kann die Online-Durchsuchung zunächst für höchstens drei Monate angeordnet werden und jeweils um bis zu drei Monate verlängert werden.16 Im Falle einer Verlängerung ist im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes jedoch zu beachten, dass mit zunehmender Dauer die Eingriffsintensität der Maßnahme steigt.17 Angesichts der hohen Eingriffsqualität der Maßnahme sollte auch bereits bei der Beschaffung und Konfiguration der Überwachungssoftware die gesteigerte Sorgfaltspflicht der Polizei beachtet werden und die Behörde die Funktionalität genau kennen, um eine missbräuchliche Verwendung zuverlässig ausschließen zu können.18

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