EDOC-database

EDOC-database: Zur Vernetzung der Polizeiforschung in der EU

Von Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke
Leiter des FB Rechts- und Sozialwissenschaften an der Polizei-Führungsakademie Münster.National Correspondent der EDOC-database, Leiter der CEPOL Expert Group on Police Science

Prof. Dr. Hans-Gerd Jaschke

Von der Entwicklung zur „Informationsgesellschaft“ ist auch die Polizei nicht unberührt geblieben. Das betrifft die operative Ebene, aber auch Aus- und Fortbildung und die Verarbeitung polizeirelevanter Forschungen. Das Verhältnis von Wissenschaft und Polizei ist in den zurückliegenden Jahrzehnten enger geworden, Berührungsängste sind in den Hintergrund gedrängt worden, wissenschaftliche Denkweisen und Forschungsergebnisse finden Eingang in die praktische Polizeiarbeit. Sowohl innerhalb der Polizei als auch außerhalb gibt es breiter werdende Forschungsarbeiten für die Polizei oder in deren Auftrag, aber auch über die Polizei. Von beiden Grundrichtungen kann sie nur profitieren. Dies hat zu tun mit den gestiegenen fachlichen und öffentlichen Anforderungen an die praktische Polizeiarbeit, aber auch mit der verbesserten Aus- und Fortbildung seit den siebziger Jahren. Lange Zeit eine terra incognita war die Frage, wie internationale Forschungsergebnisse und Diskussionszusammenhänge Eingang finden können in die deutsche Fachdiskussion. Nun ist ein elektronisches Forum gefunden, das den Interessierten aus den EU-Staaten von Nutzen sein kann.


Wer sich heute über neue polizeiwissenschaftliche Studien etwa aus den Bereichen Community Policing, Police Ethics and Corruption, Public Order oder Trafficking of Human Beings informieren möchte, der kann sich in die edoc-database einloggen und recherchieren. Und wer eigene neuere Forschungen einem europäischen Fachpublikum anzeigen möchte, der kann dies tun. Edoc ist eine englischsprachige europäische Datenbank, ausgearbeitet von den 25 Mitgliedstaaten der EU. Benutzer aus allen fünfundzwanzig EU-Staaten beteiligen sich daran – mehr oder weniger. Die Plattform soll den europäischen Austausch von Polizeiforschung erleichtern und richtet sich an wissenschaftlich interessierte Polizeibeamte, an Rechts- und Sozialwissenschaftler, die im polizeilichen Aus- und Fortbildungsbereich tätig sind, aber auch an die Polizeiforschung außerhalb der Institution Polizei an Universitäten und Forschungseinrichtungen. Die folgenden Überlegungen sollen Edoc dem deutschen Fachpublikum näherbringen und über den Stand des im Aufbau befindlichen Projektes informieren.



I. Hintergründe: Ausbau der 3. Säule
Die 1993 mit dem Vertrag von Maastricht neu begründete Europäische Union basiert auf drei Säulen. Die erste, die „alte“ EU, umfaßt die Regelungen in den Bereichen Wirtschafts- und Währungsunion, die zweite eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die dritte eine verstärkte Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik. Der Ausbau der dritten Säule erfolgt nicht zufällig. Er ist Ergebnis wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen, die eine Intensivierung internationaler Kooperation zwingend erforderlich machen. Die unter dem Stichwort Globalisierung diskutierte Internationalisierung von Waren, Dienstleistungen, Kultur und Information und die Wanderungsbewegungen über nationale Grenzen hinweg hat auch Schattenseiten: Die Internationalisierung der Kriminalität und die daraus folgende Notwendigkeit grenzüberschreitender Kriminalitätsbekämpfung.

Diesen politischen und polizeilichen Herausforderungen wird mit dem Ausbau der dritten Säule Rechnung getragen. Nach Maastricht wurde eine Reihe von Institutionen gegründet, die das Ziel verstärkter Zusammenarbeit im Bereich Justiz und Polizei verfolgen.1 Zu nennen sind insbesondere EUROPOL, das dem Informations- und Datenaustausch dient, EUROJUST, die europäische Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaften und das SIS, das Schengener Durchführungsübereinkommen einschließlich der jeweiligen nationalen SIRENE-Dienststellen und die Task Force of Police Chiefs. Während diese Institutionen auf die Kooperation der operativen Ebene zielen, polizeiliche Arbeitsprozesse ermöglichen, erleichtern und beschleunigen, dient die Edoc-Database stärker Zwecken des wissenschaftlichen Austausches und der gemeinsamen Fortbildung von Polizeiführern, Polizei-Ausbildern und wissenschaftlich Interessierten unter dem Dach von CEPOL.


II. Zur Entwicklung von CEPOL
CEPOL (Collège Européen de Police)2 ist die Europäische Polizeiakademie und Teil der dritten Säule. Sie wurde im Jahr 2000 vom Rat der EU beschlossen und dient vor allem dazu, an der Fortbildung von Polizeiführern der EU-Staaten in grenzüberschreitenden Fragen mitzuwirken.3 CEPOL hat zwar seit 2004 ein zentrales Büro in der englischen Polizei-Akademie CENTREX in Bramshill (England), arbeitet aber im Kern als Netzwerk der nationalen Polizei-Akademien. Jährlich werden etwa fünfzig Seminare angeboten, die in den Mitgliedstaaten stattfinden. Neben der für die Durchführung verantwortlichen Poli-zei-Akademie gewährleisten zwei oder drei unterstützende Akademien aus anderen EU-Staaten („supporting countries“) den internationalen Charakter der mehrtägigen Seminare. Themen sind etwa Polizeisysteme Europas, Menschenrechte, Community Policing, Geldwäsche, Schleusung und Menschenhandel, aber auch zielgruppenorientierte Seminare. Der Commander Course beispielsweise bereitet Polizeibeamte, die in EU-Krisenmanagementoperationen im Ausland für Führungsfunktionen vorgesehen sind, auf diese Tätigkeit vor. Deutschland ist durch die Polizei-Füh-rungsakademie Münster-Hiltrup vertreten und veranstaltet jährlich etwa fünf CEPOL-Seminare. Arbeitssprache in allen Seminaren und Gremien ist Englisch, oberstes Beschlussgremium ist das Governing Board.

Neben den Seminarangeboten kümmert sich CEPOL verstärkt um den Ausbau einer europäischen Polizeiwissenschaft und die Vernetzung von Informationen über die Polizeiforschung. Zwischen 2001 und 2004 hat CEPOL Umfragen bei den Polizei-Akademien der EU durchgeführt über die nationalen Strukturen der Polizeiaus- und
-fortbildung und den Bedarf an Forschung für die Polizei. Folgt man den Ergebnissen, so ist in praktisch allen Mitgliedstaaten das Bemühen erkennbar, wissenschaftliche Ergebnisse in die Polizeiarbeit selbst, aber auch in Aus- und Fortbildung zu integrieren, eine systematische europäische Kooperation gab es jedoch bis dahin nicht. Seit Ende der neunziger Jahre schon finden jährliche Konferenzen über Police Science statt, die seit 2002 in der Verantwortung von CEPOL durchgeführt werden. 2004 wurde eine auf zwei Jahre angelegte Expertengruppe ins Leben gerufen, die Möglichkeiten einer europäischen Polizeiwissenschaft sondiert.

III. Aufbau von und Arbeitsmöglichkeiten mit edoc
Edoc wurde Anfang 2003 in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht in Freiburg entwickelt und befindet sich in der Aufbauphase (http://edoc. cepol.net). Die edoc database ist, wie auch andere Datenbanken, ein Hilfsmittel, nicht mehr und nicht weniger. Im Vergleich zu anderen kriminalistischen und kriminologischen Datenbanken, etwa KRIMDOK, ist sie derzeit noch unterentwickelt, der Datenbestand ist relativ gering ebenso wie die Zahl der registrierten Nutzer. Aus Deutschland sind es gegenwärtig, d.h. im September 2005, etwa 350. Die Einträge aus Deutschland belaufen sich im selben Zeitraum auf etwa siebzig, es werden grundsätzlich keine Verschlusssachen aufgenommen.

Edoc bietet für jeden Eintrag recht ausführliche Informationen, wobei gerade für die nicht deutsch- und englischsprachigen die englische Zusammenfassung besonders hilfreich ist. Der Nutzer kann sich also informieren über neuere Arbeiten aus europäischen Ländern, deren Sprache er nicht beherrscht, anhand des englischen summarys. Ein Thesaurus bietet Stichworte, anhand derer man gezielt zu bestimmten Themen suchen kann. Der Benutzer kann überdies erkennen, ob es sich um ein laufendes Forschungsprojekt, ein abgeschlossenes, eine Dissertation oder etwa um ein graues Papier handelt. Auf diese Weise entstand eine benutzerfreundliche Oberfläche, die weiter entwickelt wird. Ansatzweise ist auch die Einstellung von Volltexten bereits erfolgt, dieser Weg wird künftig weiter vorangetrieben.
Kontaktperson für das Einloggen und auch für neue Einträge ist der jeweilige national correspondent. Seine Aufgabe besteht auch darin, den Kontakt zu den anderen europäischen Kollegen und Kolleginnen zu halten, neue inhaltliche Schwerpunkte zu setzen und weiterführende konzeptuelle Strategien zu diskutieren. Der Verfasser dieser Zeilen ist national corres-pondent für Deutschland und insofern Ansprechpartner für interessierte Leserinnen und Leser.

IV. Ausblick
Ausbau und Weiterentwicklung elektronischer Kommunikationssysteme sind für den Informationsaustausch über nationale Grenzen hinweg unerlässlich. Bibliographische Datenbanken sind für Benutzer dann interessant, wenn sie benutzerfreundlich aufgebaut sind, wenn sie inhaltlich viel zu bieten haben und wenn sie originell sind. Edoc befindet sich noch im Aufbau und ist inhaltlich, gemessen an der Anzahl der Einträge und der Benutzer, entwicklungsbedürftig und entwicklungsfähig. Vieles hängt aber auch davon ab, mit welcher Intensität das nationale Fachpublikum der EU-Staaten interessiert ist und bereit zur Mitarbeit und dies bedeutet, laufende und abgeschlossene Forschungsarbeiten zu melden. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft und ihrer Kriminalität und der alltäglichen Probleme der Informationsverarbeitung wird Edoc vor allem deshalb ein interessantes Hilfsmittel sein, weil die internationale, grenzüberschreitende Dimension hier angesprochen ist.

In Sachen Originalität kann Edoc punkten: Der Versuch, das Fachpublikum von fünfundzwanzig Staaten miteinander ins Gespräch zu bringen über den Austausch von Forschung und Information dürfte einzigartig sein in der seit den siebziger Jahren expandierenden Polizeiforschung. Wer in internationalen Gremien hat Erfahrung sammeln können, der weiß, dass die Dinge nicht selten langsam vorangehen. Der Prozess der europäischen Einigung ist nicht übermorgen abgeschlossen. Edoc ist ein kleiner Teil davon, es liegt auch an den Betroffenen selbst, die Vernetzung und den Austausch von Forschungsergebnissen voranzubringen.

Fußnoten:

1 Zu den Rechtsgrundlagen vgl. Vertrag von Amsterdam. Texte des EU-Vertrages und des EG-Vertrages, hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn 1999, hier vor allem EU-Vertrag, Art. 29-42 (Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen)
2 Vgl. www.cepol.net3 Vgl. Janos Fehervary, Polizeiwissenschaft im CEPOL-Netzwerk, in: Aktuelle Entwicklungen der Polizeiwissenschaft. Internationales Seminar an der Polizei-Führungsakademie Münster, 16.-18. Februar 2004 (CD-ROM)