Moderne Opferentschädigung

Betrachtungen aus „interdisziplinärer Perspektive“– Eine Fachtagung des „Weissen Ringes“

Spektakuläre Fälle in der jüngsten Vergangenheit haben die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erneut auf das Schicksal von Kriminalitätsopfern gelenkt. Oft bedarf es solcher Anstöße, um bewusst zu machen, dass körperliche und seelische Verletzungen oft schwerwiegende Belastungen für Opfer von Gewalttaten darstellen. Die Leistungen des Opferentschädigungsgesetzes (OEG), die im Bundesversorgungsgesetz (BVG) definiert sind, bieten heute schon eine gute soziale Sicherung. Dennoch: Lange Dauer und Ausgestaltung der Verfahren führen häufig dazu, dass Opfer dringend benötigte Leistungen nicht zeitnah oder, im schlimmsten Fall, auch gar nicht erhalten.
Bei einer Fachtagung des Weissen Ringes in Mainz waren sich die Experten aus Politik, Justiz, Polizei, Verwaltung, Medizin, Psychologie und Wissenschaft einig: Das seit rund 35 Jahren bestehende Opferentschädigungsgesetz sollte im Interesse der Betroffenen weiterentwickelt werden.

Nach Überzeugung von Hartmut Kilger, Fachanwalt für Sozialrecht aus Tübingen, ist soziale Entschädigung eine Aufgabe der Gesellschaft. Die Diskussion über diese Aufgabe müsse intensiviert und nachgeholt werden, um für die auch aus Kilgers Sicht erforderliche Fortentwicklung des OEG einen gesellschaftlichen Konsens zu finden. Zahlreiche Zweifelsfragen um das Ob und Wie der Entschädigung müssten diskutiert und neu entschieden werden. Dies betreffe beispielsweise den Kreis der berechtigten Personen oder die bedarfsgerechte Nutzung medizinischer Hilfe. Notwendig sei vor allem auch die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen.
In einer Resolution forderten die rund 90 Teilnehmer aus den verschiedenen Fachgebieten den Gesetzgeber einmütig zu Verbesserungen im Opferentschädigungsrecht auf. Eine Modernisierung dürfe aber nicht zu Rückschritten bei den Leistungen für Opfer führen. Wer Gewalt erlebt habe, müsse bei Bedarf sofortige Hilfe durch fachkundige Therapeuten erhalten. Auch seien Informationsoffensiven notwendig, damit Opfer ihre Rechte überhaupt kennen.
Eine Weiterentwicklung des OEG/BVG ist nach Ansicht von Experten dringend erforderlich, ihre Umsetzung wurde unter verschiedenen Perspektiven diskutiert.
Dr. Rolf Schmachtenberg vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales stellte mehrere alternative Optionen für eine mögliche Regelung der künftigen modernen Opferentschädigung dar. Die Überlegungen reichen von der Beibehaltung des Status Quo über Verbesserungen der bestehenden Regelungen bis hin zu einem neuen eigenständigen Gewaltopfergesetz.
Prof. Dr. Reinhard Böttcher, Bundesvorsitzender des WEISSEN RINGS, forderte das Ministerium auf, sich an die Spitze einer die Interessen der Geschädigten wahrenden Reformbewegung zu stellen, die dazu führen müsse, dass Opfer von Kriminalität und Gewalt auch materiell besser unterstützt werden. Man müsse sich dabei aber von dem Irrglauben lösen, dass eine solche Reform „kostenneutral„ durchführbar sei. Eine Vereinfachung und Verschlankung des bürokratischen Verfahrens könne schrittweise erfolgen. „Ich sehe die Verantwortung bei der Wahrung von Opferbelangen beim Bundestag und der Bundesregierung.„
In der abschließenden Podiumsdiskussion stellte Jerzy Montag (MdB, Bündnis 90/Die Grünen) fest, dass sich eine Gesellschaft daran messen lassen müsse, wie sie mit Gewaltopfern umgehe. Er bekannte sich ebenfalls zur Resolution des Mainzer Opferforums. Er sprach sich dafür aus, auch für Ausländer, die in der Bundesrepublik Opfer einer Straftat werden, Entschädigungsmöglichkeiten vorzusehen.
„Es ist die Verpflichtung der Politik Opfer zu unterstützen„, stellte Siegfried Kauder, Vorsitzender des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag und Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstand des WEISSEN RINGS, fest.
Hier dürfe sich der Sparzwang nicht niederschlagen.

„Deutschland hat ein gut durchdachtes, im Leistungsrecht durch zahlreiche Gesetzes-novellierungen neuen Bedürfnissen angepasstes Opferentschädigungsrecht. Auch wenn noch in einigen Punkten Ergänzungen und Verbesserungen wünschenswert und auch notwendig sind, können die Regelungen insgesamt als hervorragend gelungen angesehen werden. Ja sie sind so sachgerecht, dass sie auch für eine gesamteuropäische Lösung zur Richtschnur werden könnten„, erklärte Peter Kummer, Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht a.D. und Mitglied im Fachbeirat Sozialrecht des WEISSEN RINGS. (Die Redaktion)


Resolution des 21. Opferforums– Ausbau der Opferentschädigung

  1. Sparen an Gewaltopfern ist unverantwortlich.
  2. Ein modernes Opferentschädigungsrecht darf nicht zu  Rückschritten für Opfer führen.
  3. Der Rechtsfolgenverweis im Opferentschädigungsgesetz (OEG) auf das Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat sich in jahrzehntelanger Praxis bewährt. An das BVG ist das gesamte soziale Entschädigungsrecht angedockt.
  4. Verbesserungen im Opferenschädigungsrecht sind gleichwohl notwendig:
    – Wer Gewalt erlebt hat, muss bei Bedarf sofortige Hilfe durch fachkundige Therapeuten erhalten.
    – Wichtig ist eine schnelle Leistungsgewährung, dazu gehören auch vorläufige Leistungen und Vorschuss-
    zahlungen.
    – Das Opferentschädigungsrecht muss auch neue Formen von Kriminalität berücksichtigen, z.B. Nachstellungen (Stalking).
    – Eine auf die Bedürfnisse der Opfer abgestellte Verwaltung ist Voraussetzung für zügige Verfahrensabläufe.
  5. Opfer können ihre Rechte nur wahrnehmen, wenn sie ihre Rechte kennen. Informationsoffensiven sind notwendig.