Illegale Arzneimittel

– Eine ernste Gefahr in Europa?

Die Pressemeldungen über aufsehenerregende Sicherstellungen und spektakuläre Festnahmen häufen sich – denn das skrupellose Geschäft mit gefälschten und bedenklichen Arzneimitteln ist für die Täter äußerst lukrativ. Zunehmend rücken nun auch der illegale Besitz und die gewerbsmäßige Abgabe von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden. Zunächst beschränkten sich die Tathandlungen nahezu ausschließlich auf den rechtswidrigen Online-Handel mit Plagiaten im Bereich der Lifestyle-Medikamente, wie beispielsweise Potenzpillen oder Diätpräparate. In jüngster Vergangenheit werden nun auch verstärkt gefälschte oder nicht zugelassene Pharmaka zur Behandlung von ernsthaften Erkrankungen im nicht autorisierten Internethandel oder gar in der legalen Vertriebskette festgestellt. Dabei sind gefälschte Medikamente nicht in jedem Fall leicht von ihrem Original zu unterscheiden. Das individuelle Risiko für die Gesundheit oder das Leben der Konsumenten ist hoch, obgleich in Europa offiziell noch keine Todesfälle in diesem kausalen Zusammenhang festgestellt worden sind. Aber auch die pharmazeutische Industrie sieht sich durch das illegale Geschäft mit den Nachahmungen um das Ergebnis einer langjährigen, interdisziplinären Forschungs- und Entwicklungsarbeit gebracht.

Dr. Martin Emmerich
Kriminaloberkommissar
Landeskriminalamt Saarland

Das Recht am geistigen Eigentum
(Intellectual Property Rights – IPR)

Ideen und Innovationen sind insbesondere in Hochlohnländern häufig das wertvollste Kapital der Unternehmen. Nur dort, wo Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind, lohnt es sich zu forschen und zu entwickeln. Einzig allein so können langfristig eine positive Entwicklung des Arbeitsmarkts und die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit erreicht werden.

Illegale Arzneimittel sind laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte (BfArM):

  • Bedenkliche Arzneimittel (§ 5 AMG);
  • Arzneimittel zu Dopingzwecken (§ 6a AMG);
  • Nicht zugelassene Arzneimittel;
  • Fälschungen von Arzneimittel (§ 8 Abs. 1 Nr. 1a AMG);
  • Nicht verkehrsfähige Betäubungsmittel (BtMG).


Vor diesem Hintergrund ist der Schutz des geistigen Eigentums ein wesentliches Kriterium für den Erfolg des europäischen Binnenmarktes und die Instrumente zu deren Wahrung von zentraler Bedeutung.
Vor allem die Entwicklung eines neuen Arzneimittelwirkstoffes ist äußerst kapitalintensiv und langwierig. Bis zur Zulassung und Produktion des neuen Medikamentes vergehen gewöhnlich 10 bis 12 Jahre. Die Kosten für Entwicklung bis hin zur Markteinführung werden von der forschenden pharmazeutischen Industrie mit ca. 800 Millionen EUR angegeben. 2009 wurden in Deutschland 37 Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen am Markt eingeführt. Dies zeigt wie elementar wichtig gerade ein effizienter Marken- und Patentschutz für die Motivation zur Erforschung neuer Medikamente ist.

Die Dimension der Rechtsverletzungen

Produkt- und Markenpiraterie ist kein Kavaliersdelikt! Sie entwickelt sich für die Unternehmen mehr und mehr zur ernsten Bedrohung.
Einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2005 zufolge ist das Volumen des weltweiten Handels mit gefälschten Produkten auf schätzungsweise 200 Milliarden US-Dollar zu beziffern.

Bedenkliche Arzneimittel i.S. § 5 AMG
Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen.

Aus welchen zuverlässigen Indikatoren lässt sich nun speziell das Ausmaß einer möglichen Bedrohung durch illegale Arzneimittel in Europa ableiten?
Zu den aussagekräftigsten Instrumenten gehören zweifelsohne die statistischen Erhebungen der Zollbehörden über die Sicherstellungen von gefälschten Produkten in der Europäischen Union. Denn zu deren originärer Zuständigkeit gehört die Abfertigung und Kontrolle von Waren im grenzüberschreitenden Verkehr, hier insbesondere an den EU-Außengrenzen. In diesem Zusammenhang nehmen die Zollbehörden ebenfalls Aufgaben im Bereich der Bekämpfung der Marken- und Produktpiraterie wahr.
Basierend auf der Überwachung des EU-Warenstroms der letzten Jahre fallen besonders die Zollaktivitäten aus dem Jahr 2008 ins Auge. So belegen diese Daten für das sechste Jahr in Folge eine signifikante Erhöhung der Zolltätigkeit im Vergleich zum Vorjahr. Dementsprechend ging vor allem die Zahl der Sicherstellungen von Arzneimitteln nach einer Steigerung von mehr als 50 Prozent im Jahr 2007, im Folgejahr 2008 nochmals um 118 Prozent in die Höhe, wobei der allgemeine Anstieg der Sicherstellungen in diesem Zeitsegment lediglich 13 Prozent betrug.
In der Statistik für den Erhebungszeitraum 2009 war nun erstmalig seit 2002 mit 43.500 Fällen ein Rückgang der EU-Zollaktivitäten in diesem Deliktsbereich zu erkennen.

Gefälschte Arzneimittel i.S. § 8 AMG
Ein gefälschtes Medikament ist ein Arzneimittel, bei dem vorsätzlich und arglistig falsche Angaben über die Identität und/oder den Lieferanten gemacht werden. Fälschungen können Marken-Medikamente und Generika betreffen, es kann sich um Produkte mit den richtigen Wirkstoffen, mit falschen Wirkstoffen, mit gar keinen Wirkstoffen oder gefälschter Verpackungen handeln.

Aktueller Trend: Während in der Vergangenheit in erster Linie Luxusgüter nachgeahmt und gefälscht wurden, werden nunmehr immer häufiger Gegenstände des täglichen Bedarfs als Plagiate in den Verkehr gebracht, die für die Bürgerinnen und Bürger gesundheitsgefährdend sein können, beispielsweise Shampoos, Zahnpasta, Spielzeug, Haushaltsgeräte, jedoch insbesondere Arzneimittel.
Die Zollunion der europäischen Mitgliedsstaaten unternimmt permanent Anstrengungen, durch Novellierungen im Zollkodex, die Wirksamkeit und Effizienz der Kontrolltätigkeiten im grenzüberschreitenden Warenhandel zu optimieren. Jedoch bleiben vor allem durch das hohe Frachtaufkommen, aber auch durch die wissentlich falsche Deklaration, eine nicht unerhebliche Zahl von illegalen Waren beim Verbringen oder der Einfuhr in das Zollgebiet der Gemeinschaft unentdeckt.
Des Weiteren nutzen die Täter auch die besonderen wirtschaftspolitischen Bedingungen von regionalen Freihandelszonen (zum Beispiel EFTA-Staaten), um illegale Arzneimittel ohne Kontrolle der Zollbehörden in die EU importieren zu können. Da hinter jedem bekannt gewordenen Einzelfall regelmäßig hunderte oder gar tausende von Packungen stehen, darf die Dimension der Rechtsverletzungen sicherlich als immens bezeichnet werden.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist die seit Jahren zunehmende Verbreitung des Internet. Mit dem „World Wide Web„ als virtuellen Markplatz erlebt das Geschäft mit illegalen Medikamenten einen wahren Boom. Frei verkäufliche oder rezeptpflichtige Arzneimittel können so problemlos an jedem Ort bestellt und nach Hause geliefert werden.


Der patentgeschützte „Viagra-Wirkstoff Sildenafil“ gehört zweifelsohne zu den weltweit am meisten gefälschten Arzneimittel-Wirkstoffen


Erhält die Polizei durch Strafanzeige von geschädigten Endverbrauchern/ Konsumenten oder autorisierten Rechteinhabern Kenntnis über den rechtswidrigen Handel mit gefälschten oder bedenklichen Medikamenten, beziehungsweise dem verbotenen Inverkehrbringen von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport, so wird die jeweilige Tathandlung zumindest in Deutschland unter einem eigens definierten Straftatenschlüssel nach dem Arzneimittelgesetz (AMG) in der Polizeilichen Kriminalstatistik erfasst. Auf Grundlage dieser Aufzeichnungen lassen sich über einen definierten Beobachtungszeitraum relevante Aussagen über Art und Zahl der erfassten Straftaten, sowie deren Aufklärungsquoten in diesem Deliktsfeld abgeben und darüber hinaus wichtige Erkenntnisse für die vorbeugende und verfolgende Kriminalitätsbekämpfung gewinnen.
Ein Blick in die Polizeiliche Kriminalstatistik der Jahre 2008 und 2009 zeigt für 2008 eine spektakuläre Zunahme der Straftaten nach dem AMG um 40,8 Prozent, sowie einen weiteren, wenn auch diskreten Anstieg der AMG-Tathandlungen im Jahr 2009. Bundesweit weist die Kriminalitätsentwicklung für 2009 im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang der Straftaten um 1 Prozent aus. Dagegen nehmen die Straftaten nach dem AMG im gleichen Bezugszeitraum nochmals um 6,1 Prozent zu.
Diese detaillierte statistische Erfassung der „Arzneimittelkriminalität„ bis hin zur Aufnahme von „Dopingdelikten„ ist in dieser Form derzeit noch einzigartig in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.
Eine Aussage über die gesamteuropäische Entwicklung dieser Kriminalitätsform lässt sich dennoch mittelbar treffen. Denn die Aufzeichnungen über die EU-Zollaktivitäten der zurück liegenden Jahre und die deutliche Zunahme der Arzneimittelkriminalität in einer repräsentativ ausgewählten westlichen Industrienation, wie Deutschland, sind durchaus als verlässliche Parameter geeignet, die europaweite Dimension der Rechtsverletzungen mit einer steigenden Dynamik zu erkennen.
Diese Einschätzung korreliert darüber hinaus sehr stark mit den Aussagen der Europäischen Kommission in der Begründung des Vorschlages zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG nach Anhörung von insgesamt 128 Interessenträgern. Hier trifft die Kommission die Feststellung, dass es in der EU zu einem besorgniserregenden Anstieg der Zahl der Arzneimittel gekommen ist, die in Bezug auf ihre Eigenschaften, ihre Herstellung oder ihre Herkunft gefälscht sind8.

Motivation der Täter für das Fälschen von Arzneimitteln

2007 wurden in der EU im Durchschnitt rund 430 pro Kopf für Arzneimittel ausgegeben. Dieser Betrag wird sich zukünftig aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft weiter erhöhen. Insgesamt wurden in 2007 in der EU auf dem Markt für verschreibungs- und nicht verschreibungspflichtige Humanarzneimittel mehr als 138 Milliarden EUR auf Produktionsebene und 214 Milliarden EUR auf Einzelhandelsebene umgesetzt – also ein Riesenmarkt.
Im Gegenzug haben intensive internationale Geschäftsbeziehungen, die rapide Verbreitung des Internet und seine kommerzielle Nutzung, der weit verbreitete Gebrauch von Freihandelszonen im internationalen Handel und der leichte Zugang der Kriminellen zu Druck- und Produktionstechnik es für Regierungen und zuständige Strafverfolgungsbehörden schwieriger gemacht, Fälscher von medizinischen Produkten effektiv zu bekämpfen.


Zwischenzeitlich ist die Beteiligung der Organisierten Kriminalität bei dem gewinnträchtigen Geschäft mit illegalen Arzneimitteln offensichtlich – denn die effektiven Kosten für die Herstellung der Plagiate sind im Vergleich zu dem zu erzielenden Marktpreis sehr gering. Gigantische rechtswidrige Vermögensvorteile ergänzt durch meist geringe Strafandrohungen und eine lasche Strafverfolgung bieten daher diesen Straftätern eine einzigartige Gelegenheit an, substantielle Gewinne zu erzielen. Die illegalen Profite übersteigen sogar die Gewinne aus dem Drogenhandel und können in Folge leicht zur Unterstützung anderer kriminellen Aktivitäten verwendet werden.
Zur Visualisierung dieser exorbitanten Erlöse wurde die oben abgebildete Tabelle entwickelt. Sie vergleicht die Gewinnspannen der willkürlich ausgewählten Drogenarten Opium, Kokain und Heroin mit dem Wirkstoff Sildenafil des Arzneimittels Viagra. Während sich bei diesen Betäubungsmitteln zwischen dem Einkaufspreis im Ursprungsland und dem „street price„ in Europa eine Gewinnspanne zwischen 660 Prozent und 27.400 Prozent realisieren lässt, beträgt die Gewinnmarge bezogen auf den pharmazeutischen Wirkstoff Sildenafil unfassbare 166.700 Prozent. Erläuterung: Nicht autorisierte Arzneimittelhersteller kaufen den Wirkstoff Sildenafil (Active Pharmaceutical Ingredient - API) für etwa 60 ein und produzieren mit diesem Wirkstoff Viagra-Tabletten im Werte von circa 100.000 .
Die wichtigsten Hersteller von legalen und gefälschten Arzneimitteln sind China, Indien, Pakistan, Hongkong und Russland. Insbesondere die nordeuropäischen Länder, wie Großbritannien und Deutschland, aber auch Nordamerika scheinen die wesentlichen Bestimmungsorte für die illegalen pharmazeutischen Produkte zu sein.
Aufgrund ihres geringen Volumens sind speziell Arzneimittel in Form von Tabletten oder kleinen Ampullen leicht in großer Stückzahl grenzüberschreitend zu transportieren. Dabei werden die Pharmaka meist unter falscher Deklaration gegenüber den Zollbehörden per Luftfracht aus Asien in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt. Sind die illegalen Medikamente ein Mal rechtswidrig in die Verfügungsgewalt des Importeurs gelangt, sind für eine weitere Zustellung in einem anderen EU-Mitgliedsstaat regelmäßig keine Kontrollen mehr zu erwarten.
Inwieweit lassen sich nun bezogen auf die verschiedenen Indikationsbereiche von Arzneimitteln unterschiedliche Gefährdungsszenarien in Europa erkennen?

Das Ausmaß des Problems in Europa
– bezogen auf „Lifestyle-Arzneimittel„


Eine Reihe von bedeutsamen Einflussfaktoren bestimmt den Markt für „Lifestyle-Arzneimittel„ in den westlichen Industrienationen, vor allem den Staaten Europas. Es sind die Veränderungen in der demografischen Entwicklung der Gesellschaft Europas, die kontinuierliche Anpassungen in den jeweiligen nationalen Gesundheitssystemen und in der Hauptsache die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf derzeit noch allgegenwärtige Wirtschaftskrise. An diesen Rahmenbedingungen orientieren sich im Wesentlichen Angebot und Nachfrage für die Pharmaka dieses Produktsegmentes.


Nach der Bestellung im Internet gelangen speziell bedenkliche Arzneimittel der „Lifestyle-Gruppe“ als Postsendung unmittelbar aus Asien zu dem europäischen Konsumenten


Lediglich in einigen EU-Ländern, zum Beispiel Großbritannien, Norwegen und Griechenland werden „Lifestyle-Arzneimittel„ auf Grundlage einer ärztlichen Verschreibung von den gesetzlichen Krankenversichrungen erstattet. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass ein sehr hoher Anteil der EU-Bürger diese Medikamente aus eigener Tasche zahlen muss. Die Konsumenten verzichten daher oft auf die Feststellung der medizinischen Indikation durch einen Arzt und ordern unmittelbar rezeptpflichtige „Lifestyle-Pharmaka„, wie Potenzpillen, Fettreduzierer, Arzneimittel zur Raucherentwöhnung oder gegen den androgenetischen Haarausfall, billig, diskret und ohne Rezept im Internet.
Bei der Bestellung der „Lifestyle-Arzneimittel„ im „World Wide Web„ scheint der günstige Preis sehr oft das Sicherheitsargument zu überlagern.

Das Ausmaß des Problems in Europa
– bezogen auf „Lebensrettende Arzneimittel„


Auf dem afrikanischen Kontinent spielen beispielsweise Medikamente der „Lifestyle-Gruppe„ lediglich eine untergeordnete Rolle. Hier stehen für die Fälscher sogenannte „Lebensrettende Arzneimittel„ (Life Saving Medicines) zur Behandlung von lebensbedrohenden Erkrankungen, wie Malaria, Tuberkulose und HIV/AIDS im Fokus ihrer skrupellosen Profitgier.
Damit unterscheidet sich diese Situation grundlegend von der Bedrohungslage in Europa. Allerdings mehren sich nun auch hier die Anzeichen für einen Trendwechsel. Zunächst beschränkte sich in den finanzstarken westlichen Industrienationen der illegale Handel mit gefälschten Medikamenten weitestgehend auf Plagiate im Bereich der „Lifestyle-Pharmaka„. Nun werden seit circa fünf Jahren auch immer häufiger gefälschte „Lebensrettende Arzneimittel„ im nicht autorisierten Internethandel oder gar in der legalen Vertriebskette festgestellt. Europaweite Pressemeldungen belegen diese Entwicklung (sinngemäße Wiedergabe – auszugsweise):

02 July 2008 – Radio Prague
„Eine Tonne gefälschter Medikamente hat der tschechische Zoll in den vergangenen zwei Jahren sichergestellt. Auf den tschechischen Markt gelangen vor allem erektionssteigende Mittel wie Viagra oder Cialis. Steigender Beliebtheit bei den Fälschern erfreuen sich Medikamente gegen Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte oder Osteoporose.„

2009/02/03 – BBC NEWS –
Zeitpunkt des Vorfalles: Mai 2007
„30.000 Packungen von gefälschten „Lebensrettenden Arzneimitteln„ sind möglicherweise von NHS- (National Health Service) Patienten konsumiert worden – dies hat BBC erfahren.
(...) Drei Arzneimittel, Casodex (Bicalutamide) gegen Prostatakrebs, Plavix (Clopidogrel) zur Behandlung von Schlaganfällen und Herzleiden und Zyprexa (Olanzapine) zur Kontrolle der Schizophrenie, mussten vor 18 Monaten im Rahmen einer Rückrufaktion aus Apotheken und Warenlager quer über das Vereinigte Königreich hinweg entfernt werden.„

2009/08/10 – Esmerk Finnish News
„Im Juli 2009 hat der Zoll in Finnland den ersten illegalen Arzneimittel Internet-Händler in Finnland enthüllt. Der Zoll erwartet einen Anstieg der Straftaten in Bezug auf Arzneimittel. Der Zoll befürchtet, dass beispielsweise die Schweinegrippe Menschen dazu veranlassen wird, das Arzneimittel Tamiflu im Internet zu kaufen, weil es in Finnland nicht ohne ein Rezept verkauft werden darf.
(...) In 2008 beschlagnahmte der Finnische Zoll 166.000 Tabletten oder Arzneimittel-Ampullen. Die Anzahl der Fälle hat sich zu dem Jahr 2007 verdoppelt.„
Mitte 2009 war das Anti-Schweingrippe Medikament Tamiflu, das am meisten beworbene pharmazeutische Produkt im Internet. Es hatte sogar Viagra übertroffen. „Wir wissen, dass die Hälfte des Viagra im Internet gefälscht ist und ungefähr die Hälfte des Tamiflu ist ebenfalls gefälscht„, so Mr. David PRUCE, Director of Policy for the UK’s Royal Pharmaceutical Society (RPS) in einem Interview am 03. Juli 2009 beim Nachrichtensender CNN.
Im Hinblick auf diese Bedrohungslage hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaft im Begleitdokument zum Vorschlag zur Änderung er Richtline 2001/83/EG folgende Einschätzung formuliert:
„In der EU kommt es zu einem besorgniserregenden Anstieg der Zahl illegaler Arzneimittel, die in Bezug auf ihre Eigenschaften, ihre Herstellung oder ihre Herkunft irreführend gekennzeichnet sind. Diese Arzneimittel können minderwertige oder falsche, überhaupt keine oder falsch dosierte Inhaltsstoffe, einschließlich Wirkstoffe enthalten. Sie stellen für die Patienten und die Industrie in Europa eine erhebliche Bedrohung dar. Damit größere Mengen der markengeschützten Medikamente abgesetzt werden können, werden diese Produkte in die legale Lieferkette eingeschleust und gelangen so zu den Patienten. Im Jahr 2007 wurden auf diese Weise etliche tausend Packungen lebensrettender Arzneimittel mit irreführender Kennzeichnung an hilfsbedürftige Personen in der EU abgegeben. Zwar lässt sich nicht sagen, wie viele derartige Fälle es derzeit gibt oder noch geben wird, es zeichnet sich aber deutlich ab, dass das hohe Niveau des Schutzes der Gesundheit in der EU bedroht ist. Dieser Trend kann sich zudem verheerend auf das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Industrie und die Politik auswirken, was durchaus mit der Lebens- und Futtermittelkrise der 1990er-Jahre vergleichbar wäre.

Das Ausmaß des Problems in Europa
– bezogen auf „Doping im Sport„


Aktuelle Studien belegen, dass Doping keineswegs auf den Spitzensport beschränkt ist. Gedopt wird zunehmend auch im Breiten- und Freizeitsport durch den Einsatz anaboler Steroide mit einem signifikanten Peak in der Bodybuilding- und Fitnessszene.
So kommt die „Lübecker Studie„ von Dr. med. Carsten BOOS bereits 1998 zu dem Ergebnis, dass etwa jeder fünfte Freizeitsportler im Fitnessbereich regelmäßig Dopingpräparate konsumiert.
Eine weitere wissenschaftliche Arbeit aus dem Jahr 2006, die sogenannte „Tübinger Studie„ präsentiert ein vergleichbares Resultat. Die erhobenen Daten belegen, dass fast jeder siebte in Fitnesseinrichtungen aktive Freizeitsportler gelegentlich oder regelmäßig Anabolika zur Leistungssteigerung einnimmt.
In den vergangenen Jahren hat sich die Fitnessbranche als relativ konjunkturresistenter Wachstumsmarkt erwiesen. Zur Darstellung der gegenwärtigen Konstellation in Europa wurde repräsentativ Deutschland ausgewählt. Diese Entwicklung ist jedoch prinzipiell auf andere europäische Staaten wie Großbritannien, Spanien oder Italien übertragbar.
Knapp 14 Prozent aller Bundesbürger zwischen 18 und 65 Jahren trainieren in einem der etwa 6.000 Fitnessstudios. Das sind 7,07 Millionen Männer und Frauen.


Legt man diesen statistischen Werten nun die wissenschaftlichen Erkenntnisse der „Lübecker„ und „Tübinger Studie„ zu Grunde, wonach jeder fünfte beziehungsweise siebte Freizeitsportler verbotene Dopingwirkstoffe konsumiert, dann zeichnet sich ein riesiger illegaler Markt für nicht zugelassene und bedenkliche Arzneimittel ab.
In Deutschland würden demnach mehr als 1.000.000 Besucher von Fitnesseinrichtungen anabole Steroide, Wachstumshormone oder artverwandte Arzneimittel illegal konsumieren. Eine beeindruckende Größenordnung, die zunächst eine Vorstellung über das Ausmaß der Rechtsverstöße in diesem Deliktsfeld und darüber hinaus eine Einschätzung über eine mögliche Bedrohung durch die ärztlich nicht kontrollierte Anwendung der illegalen Arzneimittel in Europa ermöglicht.
In Deutschland hat die Legislative mit der Novellierung des Arzneimittelgesetzes vom 24. Oktober 2007 auf diesen Umstand reagiert und mit dem Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport den rechtlichen Rahmen entscheidend positiv modifiziert. Nämlich mit der Regelung des Besitzes einer nicht geringen Menge bestimmter Dopingwirkstoffe zielt der Gesetzgeber auf eine wirksame Eindämmung der Gefahr einer Verbreitung von bekanntermaßen gefährlichen und häufig verwendeten Dopingmitteln ab. Diese Rechtsnorm dient sowohl dem Gesundheitsschutz, als auch der Sicherheit des Arzneimittelverkehrs. Die Legislative hegt mit dieser Sanktionierung die Absicht, bereits Vorstufen des Handels zu erfassen und damit die Weitergabe von nicht zugelassenen und bedenklichen Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport wirksamer als bisher unterbinden zu können.

Hohes individuelles Gesundheitsrisiko für die
Konsumenten illegaler Arzneimittel


Illegale Arzneimittel werden prinzipiell nicht nach den geltenden strengen Grundregeln für die Herstellung von Arzneimitteln (GMP) produziert – Fälscher agieren außerhalb von Gesetzen und Richtlinien. Sie kümmern sich nicht um die Gesundheit von Patienten und Konsumenten.
Die führt letztendlich zu einem pharmazeutischen Produkt, dass stets wesentlich in seiner Qualität vermindert ist.
Pharmakologische Untersuchungen gefälschter Arzneimittel haben gezeigt, dass die Prüfmuster entweder den richtigen Wirkstoff, den falschen Wirkstoff, keinen Wirkstoff, die falsche Konzentration des Wirkstoffes oder eine Kombination von Wirkstoffen der gleichen Wirkstoffgruppe enthielten.
Die Folgen einer reduzierten oder fehlenden therapeutischen Wirksamkeit eines Arzneimittels sind unterschiedlich.
Im Segment der „Lifestyle-Arzneimittel„ darf das Ausbleiben der suggerierten Wirkung grundsätzlich nicht als lebensbedrohlich angesehen werden. Im Gegensatz hierzu müssen allerdings die Konsequenzen für die Gesundheit oder das Leben eines Menschen durch die Anwendung eines gefälschten Medikamentes bei der Behandlung von ernsthaften Erkrankungen (Lebensrettende Arzneimittel) als gravierend eingestuft werden. Unterdosierte pharmazeutische Präparate bergen beträchtliche Risiken. Sie führen nicht nur zu einer Verlängerung der Erkrankung oder schlimmstenfalls zu einem vermeidbaren Tod des Patienten, bei Infektionskrankheiten kann sich zusätzlich eine Resistenz gegenüber dem Krankheitserreger ausbilden.
Hinzu kommt die Gefahr von unzulässigen Verunreinigungen, die durch Verwendung billiger Ausgangsstoffe und unhygienischen Produktionsbedingungen sehr groß ist.
Ein weiteres erhebliches Risikopotential resultiert aus der unkontrollierten Anwendung der verschreibungspflichtigen Wirkstoffe. So werden speziell durch den illegalen Internethandel wesentliche Sicherheitsmechanismen, wie die ärztliche Verschreibungspflicht und die Apothekenpflicht vorsätzlich ignoriert. Ärztliche Konsultationen und Diagnosestellung werden häufig nur durch einen Internetfragebogen vorgetäuscht. Der vorgeschriebene Arzt-Patient-Kontakt kommt jedoch nicht zu Stande.

Marktplatz Internet – Ein Katalysator
für den Verkauf illegaler Arzneimittel


Im April 2009 stellte der US-Softwarehersteller Microsoft seine Studie „EUROPE LOGS ON – European Internet Trends of Today and Tomorrow„ der Öffentlichkeit vor. In dieser Untersuchung ist eine Reihe von Ergebnissen dargestellt, die eindrucksvoll den Stellenwert des Internet als Kommunikations- und Handelsplattform belegen.
Demnach sind in Europa seit 2004 die Anzahl der Breitbandverbindungen um nahezu 95 Prozent angewachsen, von 44 Millionen Haushalte im Jahr 2005 auf über 85 Millionen. Deutschland hat mit 55,2 Millionen, Großbritannien mit 43,8 Millionen und Frankreich mit 40,9 Millionen die größte Anzahl von „Internet-User„; im Gegensatz zu Zypern mit 325.000, Irland mit 2,4 Millionen oder Portugal mit 4,2 Millionen Nutzer.
Der E-Commerce wird sich auch in den nächsten Jahren überproportional entwickeln. Darin sind sich alle Experten einig. Konkret prognostizieren Wirtschaftsforscher, dass die Anzahl der Europäer, die online einkaufen, zwischen 2006 und 2011 von 100 Millionen auf 174 Millionen ansteigen wird. Die jährlichen Pro-Kopf-Ausgaben im Online-Shopping werden sich über diesen Beobachtungszeitraum von circa 1.000 EUR auf 1.500 EUR erhöhen. Aufgrund dieser Entwicklung wird der E-Commerce in Europa bis 2011 auf insgesamt 263 Milliarden EUR anwachsen.
Bedauerlicherweise hat sich das Internet auch für kriminelle Organisationen zu einem lukrativen Businessmodell entwickelt. Auf professionellen gestalteten Webseiten preisen sie ihr illegales Arzneimittel-Sortiment weltweit an und erzielen so außergewöhnliche rechtswidrige Vermögensvorteile.

Konsumenten – Wesentliche Gründe für den Erwerb
von Arzneimitteln im Internet


Der Preisunterschied für Arzneimittel aus herkömmlichen Apotheken und Online-Pharmazien ist groß – insbesondere wenn der Patient das Produkt ganz oder lediglich einen Eigenteil zu zahlen hat, lohnt sich deshalb ein direkter Preisvergleich. Die Internet-Apotheken bieten diese Möglichkeit zeitsparend dem Verbraucher an.

In einer Apotheke vor Ort kann es durchaus unangenehm für den Konsumenten/Endverbraucher sein, in Anwesenheit von weiteren Kunden nach einem Arzneimittel zu fragen, das auf ein „bestimmtes Krankheitsbild„ hindeutet. Dies trifft eigens auf pharmazeutische Fertigarzneimttel der „Lifestyle-Sparte„ zu, wie beispielsweise für Medikamente zur Behandlung einer männlichen erektilen Dysfunktion, wie Cialis, Viagra oder Levitra, aber auch für Pharmaka zur Therapie einer ernährungsbedingten Adipositas (Übergewicht), wie Xenical oder Reductil. Bestellt man hingegen die gewünschten Arzneimittel in einer Online-Apotheke, dann geschieht dies diskret, ohne dass Personen im unmittelbaren Umfeld diesen Vorgang bemerken.
Darüber hinaus wird die Warensendung in einem neutralen Versandumschlag direkt durch ein Logistikunternehmen an der Wohn-/ Lieferadresse zugestellt.

Zu diesem kriminologischen Phänomen veröffentlichte bereits 2004 das US-Zentrum für Sucht und Substanzmissbrauch (National Center of Addiction and Substance Abuse – CASA) der Universität Columbia eine aussagekräftige Studie über den Internetversand von Arzneimitteln mit Abhängigkeitspotential. Dabei kamen die CASA-Mitarbeiter zu dem Resultat, dass von 365 untersuchten Online-Händlern 85 Prozent rezeptpflichtige Arzneimittel ohne Vorlage einer ärztlichen Verschreibung versandt haben. Lediglich 15 Prozent verlangten ein Rezept, von denen wiederum die Hälfte bereits mit einem Telefax zufrieden war. Bei dieser Studie wurden von der CASA starke Schmerzmittel wie Fentanyl, Schlaf- und Beruhigungsmittel wie Benzodiazepine oder Barbiturate, sowie Stimulanzien wie Amphetamin bei Internet-Apotheken geordert.
Zu einem ähnlichen Untersuchungsergebnis gelangte 2008 die European Alliance for Access to Safe Medicines (EAASM). Laut diesem Report vertrieben über 90 Prozent der „Web-Apotheken„ verschreibungspflichtige Präparate ohne Vorlage einer ärztlichen Verschreibung.
Für einen etwaigen Interessenten kann dies allerdings ein entscheidendes Argument für die Online-Bestellung von Arzneimitteln sein, denn das psychologische Hindernis bei Arzt oder Apotheker aufzusuchen, entfällt bei dieser Vorgehensweise.
Damit geht auch die natürliche Kopplung zwischen der ärztlichen Verordnung und der Abholung des Arzneimittels in der benachbarten Präsenz-Apotheke verloren.

Insbesondere für berufstätige Personen bietet der E-Commerce den unschlagbaren Vorteil, über 24 Stunden am Tag bequem Web-Angebote annehmen zu können. Der Patient ist unabhängig von den Öffnungszeiten der Apotheke vor Ort oder etwaigen Bereitschaftsdiensten.
Auf Grundlage der dargelegten Faktoren lässt sich nach meiner Einschätzung daher folgende Schlussfolgerung und Empfehlung aussprechen:

Illegale Arzneimittel – Eine ernste Gefahr in Europa?


Resümee


Trotz falscher Deklaration und ständig wachsendem Frachtaufkommen gelingt es den Zollbehörden immer öfter illegale Arzneimittel bei der Einfuhr in den europäischen Wirtschaftsraum zu beschlagnahmen.
Auch nationale Statistiken der Polizei weisen seit Jahren einen stetigen Anstieg der Arzneimittelkriminalität aus. Dies scheint allerdings nur die Spitze des Eisbergs zu sein!
Exorbitante Gewinnspannen, ein geringes Verfolgungs- und Entdeckungsrisiko und geringen Strafen macht dieses Deliktsfeld für die Organisierte Kriminalität im höchsten Maße interessant.
Der Handel mit illegalen Medikamenten birgt ein unkalkulierbares Risiko für die Gesundheit und das Leben eines jeden Patienten/ Konsumenten. Offiziell gibt es zwar in Europa noch keine Todesfälle, die nachweislich mit der Applikation von illegalen Pharmaka im kausalen Zusammenhang stehen – doch auch hier ist die Dunkelziffer hoch.
Die Wahrscheinlichkeit ein gefälschtes oder ein bedenkliches Arzneimittel zu erwerben, korreliert sehr stark mit der Bezugsquelle des Arzneimittels.
Imitierte Medikamente werden zunehmend auch im überwachten Vertriebsweg – jedoch hauptsächlich im nicht autorisierten Internethandel festgestellt. Mit 62 Prozent ist die Wahrscheinlichkeit im „World Wide Web„ exorbitant hoch, ein gefälschtes, qualitätsvermindertes oder ein nicht lizenziertes Generika-Präparat zu erhalten. Über 90 Prozent der einschlägigen Webseiten vertreiben sogar verschreibungspflichtige Pharmaka ohne Vorlage einer ärztlichen Verordnung.
Das Internet ist als Kommunikations- und Handelsplattform für organisierte Straftäter das ideale Medium, um gefälschte Arzneimittel oder Dopingwirkstoffe anzubieten. Professionell ausschauende Webseiten machen es den Verbrauchern besonders schwer, zwischen lizenzierten Versand-Apotheken und illegalen Online-Shops zu unterscheiden.

Tendenz weiter steigend!

Der E-Commerce wird sich auch in den nächsten Jahren überproportional entwickeln. Damit gewinnt der „virtuelle Marktplatz„ nochmals an Attraktivität für potentielle Anbieter von illegalen Arzneimitteln.
Neben ökonomischen Aspekten gewährt das Internet den Rechtsbrechern einen weiteren maßgeblichen, oftmals entscheidenden Vorteil – die beabsichtigte Anonymität. Daher kommt der Identifikation der verantwortlichen Täter im Ermittlungsverfahren eine Schlüsselrolle zu.
Die Anordnung von Europäischen Haftbefehlen gegen die Mitglieder des kriminellen Netzwerkes und das Aufspüren und Konfiszieren der illegal erworbenen Vermögensvorteile verkörpern die zentralen Ermittlungsziele im Strafverfahren.



Insbesondere in den beiden zurückliegenden Jahren hat die Europäische Kommission eine Reihe von wichtigen Maßnahmen initiiert, um einerseits die Gefahr für die Verbraucher zu verringern, ein gefälschtes Arzneimittel zu erhalten und andererseits die Grundlage für eine europaweit wirksame Strafverfolgung in diesem Kriminalitätsfeld zu schaffen.
Damit nimmt die Europäische Kommission ihre zugewiesene Schlüsselrolle in dieser besorgniserregenden Situation wahr, indem sie die Interessen der gesamten Europäischen Union aufgreift und vertritt. Denn sie ist für die Umsetzung der politischen Maßnahmen, Durchführung der Programme und Verwaltung der Mittel verantwortlich.
Im Zuge dieser umfangreichen Aufgabenzuweisung hat die EU-Kommission folgende wichtige Aktivitäten gestartet:

 

  • Fortschreibung der EU-Basisrichtlinie 2001/83/EG
    Mit den Novellierungen der Änderungsrichtlinie 2008/0261 (COD) modifiziert die Kommission den vorgenannten Gemeinschaftskodex und reagiert damit auf die potentielle Bedrohung der menschlichen Gesundheit durch das Eindringen von gefälschten Arzneimitteln in die legale Vertriebskette. Beispielsweise verweist die Ergänzung im Artikel 46 – Buchstabe f – auf die Einhaltung der Grundsätze und Leitlinien guter Herstellungspraxis für Arzneimittel und deren Ausgangsstoffe und sieht dazu insbesondere eine Überprüfung der Herstellungspraxis beim Wirkstoff-Produzenten vor.
     

  • Verbesserung des Verbraucherbewusstseins
    Viele Medikamentenfälschungen bleiben aus Unkenntnis und auch aus Ignoranz unentdeckt. Durch gezielte Pressemeldungen weist die Europäische Kommission auf die besonderen Risiken durch gefälschte Arzneimittel hin und legt Aktionsplan zur Bekämpfung der Marken- und Produktpiraterie vor.

  • Verordnung (EG) Nr. 1383/2003
    Diese Rechtsvorschrift ermächtigt die Zollbehörden, Waren beim Verbringen in die EU zurück zu halten, wenn der Verdacht auf Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums besteht. Dies gilt insbesondere dann, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich bei den überprüften Waren um nachgeahmte Arzneimittel handelt.

  • Kontrollaktion „MEDI-FAKE"
    Aufgrund eines Risikoprofils von der Kommission haben im Jahr 2008 die Zollbehörden der 27 Mitgliedsstaaten über zwei Monate lang gezielte Kontrollen zur Verhinderung der Einfuhr illegaler Medikamente durchgeführt und im Zuge dieser Initiative 34 Millionen Tabletten beschlagnahmt22.
     
  • Ausschreibung und Finanzierung eines europäischen Sicherheitsforschungsprogramms
    Im Rahmen des Projektes „Tackling counterfeit medicines and related criminal networks" werden mit insgesamt 3,5 Millionen Euro gezielt innovative wissenschaftliche Konzepte gefördert, die auf eine deutliche Reduktion, der im Umlauf befindlichen Menge an Arzneimittelfälschungen abzielen.

  • Einrichtung der Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie
    Mit dieser Maßnahme im April 2009 möchte die Europäische Union der dringenden Notwendigkeit Rechnung tragen, für eine konsequentere und gezieltere Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu sorgen. Die Beobachtungsstelle soll zu einer Plattform für die Sammlung von Daten, die Schärfung des Bewusstseins und die Förderung des Dialogs heranwachsen und außerdem den Gedankenaustausch und den Austausch von bewährten Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zwischen Unternehmen und nationalen Behörden unterstützen23.


In Ergänzung zu den bereits bestehenden Instrumenten erscheinen für eine weitere qualitative Verbesserung der Bekämpfung der Arzneimittelkriminalität folgende Empfehlungen sinnvoll:

  • 1. Ebene EU-Kommission
    EU-weite statistische Erfassung von Straftaten über das rechtswidrige Inverkehrbringen von gefälschten Arzneimitteln, sofern diese Aufgabe nicht bereits im Anforderungsprofil der vorgenannten Beobachtungsstelle enthalten ist. So sind Vergleiche in Bezug auf Struktur, Ausmaß und Trends dieser Kriminalitätsform in den Mitgliedsstaaten möglich. Auf Grundlage des Datenmaterials können zudem Konzepte zu einer erfolgreichen Kriminalitätsbekämpfung entwickelt werden.
     
  • 2. Ebene EU-Kommission
    Die nachhaltige Entwicklung eines EU-Aktionsprogramms zur Förderung einer gemeinsamen europäischen Strategie. Das Programm sollte folgende Punkte umfassen:
    – Vorschläge für eine engere Zusammenarbeit der Arzneimittelüberwachungs- und Strafverfolgungsbehörden in der Europäischen Union;
    – EU-weite Harmonisierung der fragmentierten nationalen Gesetzgebung im Bereich der „illegalen Arzneimittel„;
    – Darstellung der Möglichkeiten einer Kooperation zwischen staatlichen Institutionen und Privat-Unternehmen, beziehungsweise Organisationen und Verbänden;
    – Empfehlungen für effiziente Aufklärungskampagnen der Verbraucher in den EU-Mitgliedsstaaten.
     
  • 3. Ebene Strafverfolgungsbehörden
    Entwicklung von Projektaktivitäten zur Verbesserung der operativen Zusammenarbeit, dem Austausch von Informationen und praktischer Erfahrung.
     
  • 4. Ebene Strafverfolgungsbehörden
    Sensibilisierung und Erwerb einer fundierten Kompetenz für die professionelle Sachbearbeitung von Strafverfahren im Deliktsbereich „illegale Arzneimittel„. Aus- und Weiterbildung einer ausreichenden Anzahl von Ermittlungsbeamten in den zuständigen Organisationseinheiten.

Welche effektiven Werkzeuge bestehen bereits gegenwärtig für die Strafverfolgungsbehörden in den EU-Mitgliedsstaaten, um der Herausforderung „illegale Arzneimittel„ – eine Kriminalitätsform mit eindeutig internationalem Bezug – ernsthaft zu begegnen?
Seit 01. Januar 2010 ist ein EU-Ratsbeschluss anwendbar, wonach das Europäische Polizeiamt (Europol) in eine Agentur überführt worden ist. Mit der Änderung in diese Rechtsform wurde auch die Zuständigkeit für Europol erweitert. Es muss sich nun nicht mehr zwangsläufig um Formen der Organisierten Kriminalität handeln, damit ein Mandat für Europol abgeleitet werden kann. Die Einstufung der Tathandlung als schwere internationale Kriminalität im Sinne des Art. 2 des Übereinkommens und des entsprechenden Annex genügen. Allerdings müssen auch weiterhin mindestens zwei EU-Mitgliedsstaaten betroffen und ein gemeinsames Vorgehen erforderlich sein.
Damit existiert mit Europol eine „Institution„, die europaweit auch als wirksames Instrument zur Bekämpfung der schweren internationalen Kriminalität/ Organisierten Kriminalität im Bereich Herstellung/Handel mit gefälschten marken- und patentgeschützten Arzneimitteln in Anspruch genommen werden kann.
Einen deutlichen Mehrwert durch die Kooperation mit Europol ergibt sich für die nationalen Polizeibehörden speziell durch folgende Möglichkeiten der Unterstützung:

  • National Liaison Bureaux
    – Schneller und effizienter Informationsaustausch zur Verhütung und Bekämpfung von ernsten Straftaten (Serious Crime);
    – Zeitnahe Koordination von länderübergreifenden Maßnahmen bei Durchsuchungen, Festnahmen, Überwachung von kontrollierten Lieferungen.
     
  • Analysis Work File (AWF) „ECOFIN“
    – Wirksame Plattform für den Austausch von Informationen, zur Analyse von Personen- und Finanzdaten oder zur Koordination von Maßnahmen zwischen Strafverfolgungsbehörden von EU-Staaten und Europol-Partnern;
    – Bei Bedarf weiterführende Spezialisierung innerhalb der Analyseeinheit AWF ECOFIN in Bezug auf Kriminalitätsform, Modus Operandi oder bestimmte OK-Gruppierungen mittels „Target Groups„ möglich;
    – Einrichtung von „Joint Investigation Teams (JIT’s)„ zur Beschleunigung von Eingriffsmaßnahmen und der gerichtsverwertbaren Beweiserhebung in den beteiligten EU-Mitgliedsstaaten.
     
  • Europol Criminal Assets Bureau (ECAB)
    – Unterstützung der Finanzermittler der Mitgliedsstaaten beim Aufspüren von illegalen Vermögenswerten.
     
  • Financial Crime Information Centre (FCIC)
    Bereitstellung von relevanten Informationen bezüglich Finanzkriminalität, Geldwäsche und Vermögensabschöpfung.
     
  • Camden Asset Recovery Inter-Agency Network (CARIN)
    – CARIN bietet seinen Mitgliedern Empfehlungen zur Erhöhung der Effizienz bei der Identifikation, dem Verfolgen und Sicherstellen von rechtswidrigen Vermögensvorteilen an.
     
  • Information System (IS)
    – Das Information System (IS) unterstützt Europol National Units und Europol in ihrem Kampf gegen die international organisierte Kriminalität. Das System erlaubt das Speichern, Modifizieren und Nutzen von personen- oder personengruppenbezogenen Daten und gibt wichtige Verweise auf korrelierende Datensätze.

Fazit: Im abgestimmten Dreiklang – Europäische Kommission, Arzneimittelüberwachungsbehörden und Strafverfolgungsbehörden ist die Herausforderung „illegale Arzneimittel„ am Effektivsten zu begegnen.

Anmerkungen:

1 http://www.novartis.de/forschung_entwicklung/arzneimittelentwicklung/index.shtml – Aufruf: 18.10.2010
2 http://www.vfa.de/de/wirtschaft-politik/strukturdaten/innovationsfaktor
– Aufruf: 18.10.2010
3 http://www.oecd.org/dataoecd/13/12/38707619.pdf
4 http://ec.europa.eu/taxation_customs/customs/customs_controls/counterfeit_piracy/statistics/index_en.htm
5 Europäische Kommission – IP/10/995 vom 22.07.2010
6 Polizeiliche Kriminalstatistik 2008 – Bundesministerium des Innern, Deutschland
7 Polizeiliche Kriminalstatistik 2009 – Bundesministerium des Innern, Deutschland
8 Kommission der Europäischen Gemeinschaft – 2008/0261 COD – 10.12.2008
9 COMMISSION OF THE EUROPEAN COMMUNITIES – COMMUNICATION FROM THE COMMISSION – SEC (2009) 952 – 08.07.2009
10 WHO – SIXTY-FIRST WORLD HEALTH ASSEMBLY, A 61/16, 7 April 2008
11 WORLD CUSTOMS ORGANIZATION (WCO) – Annual Report 2008
12 Eli Lilly – Trends in Investigation of Counterfeit Pharmaceutical Products– December 2009
13 Medicines and Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) – Where are they produced?
14 COMMISSION FO THE EUROPEAN COMMUNITIES – Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 2001/83/EC – SEC (2008) 2675 – 10.12.2008
15 Müller-Platz, Boos & Müller – Doping beim Freizeit- und Breitensport –Heft 34 – 2006
16 Ärzte Zeitung – Online – 04 August 2005
17 Tageszeitung „DIE WELT„ – 04 August 2010
18 Forrester Research Inc. – http://www.forrester.com/Research/Document/Except/0,7211,38297,00.html 
19 National Center of Addiction and Substance Abuse (CASA) – „You have Got Drugs!“ Prescription Drug Pushers on the Internet – February 2004
20 European Alliance for Access to Safe Medicines (EAASM) – „The Counterfeiting Superhighway“ – www.eaasm.eu  – 2008
21 http://europa.eu/institutions/inst/comm./index_en..htm -Aufruf 13.10.2009
22 European Commission – Press Release - Reference: IP/08/1980 - Date: 16/12/200823 European Commission – Press Release - Reference: IP/09/497 - Date: 30.03.2009