Der Verbrecher aus verlorener Ehre?

Der Verbrecher aus verlorener Ehre?

Schon bei Friedrich von Schiller (1786) heißt es: „In der ganzen Geschichte der Menschheit ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist als die Annalen seiner Verirrungen. Bei jedem großen Verbrechen war eine verhältnismäßig große Kraft in Bewegung„.
Das bedeutet also, dass Verbrechen eine reale Erscheinung im Leben eines jeden Volkes, in jeder Zeit, jedem Land, jeder Nation sind, sei es in Diktaturen, Demokratien, Monarchien und Republiken, sei es in kapitalistischen, sozialistischen, kommunistischen Staaten.

Robert F. J. Harnischmacher
Consultant in Security
and Intelligence Matters
International Security
and Media Consulting
Associate Editor of
the World Police
Encyclopedia, New York

Die neue europäische Lage

In den europäischen Städten herrscht in den letzten Jahren eine wachsende Sorge über das Ausmaß von Verbrechen, Gewalt und Unruhe vor. Einhergehend hierzu oftmals mangelnder mitmenschlicher und altruistischer Bürgersinn und gegenseitige Verantwortung, was sich zunehmend in sinnloser Gewalt, mutwilligen Störungen der öffentlichen Ordnung und anderen Formen sozialabweichenden Verhaltens äußert. Die Gründe sind vielschichtig in ihren Facetten: Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen, Verlust sozialer Bindungen und Ausgrenzung, Stigmatisierung, Auflösung traditioneller familiärer Strukturen, Mangel an Achtung zwischen den verschiedenen Generationen und Volksgruppen. Hinzu treten ganz allgemein die gravierenden und folgereichen Veränderungen in Europa als Folge des politisch-strukturellen Wandels wie insbesondere die Öffnung aller Grenzen, die vielfältigen Wanderungsbewegungen, die Ängste vor Migration und ausufernden Einwanderungsströmen, die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungsmechanismen, bisweilen auch ein gewisser Mangel an Kultur oder Ethik sowie die rasant wachsenden Entwicklungen im Tourismus- und Kommunikationswesen.
Besonders markant als Urangst im Kopfe vieler Menschen geistert hier das Wort von der Mafia europaweit herum als „Power Broker„, wobei das Thema Mafia das Thema der politischen Macht bestimmt, wie es zutreffend Leonardo Sciascia in einer Vorlesung zu diesem Problem an der Universität von Palermo gesagt hat. Dies beinhaltet auch in seiner fatalen Endkonsequenz gelebte engste Verflechtungen mit Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft im Sinne einer Strategie der Staats- und Demokratiezersetzung, fußend und gefangen in einer real existierenden Welt der Doppelmoral als Klima und geistiger Nährboden für Opferanfälligkeit der Gesellschaft und ihrer unmittelbar Betroffenen. Aktuell ist dies momentan hoch angesiedelt in den Diskussionen um die Parteispenden als Spielart der Korruption und damit der organisierten Kriminalität zurechenbar?
Auch wenn die unter dem Stichwort „Verbrechensfurcht„ gemessenen Ängste der Bürger zu einem Teil allgemeine Lebensängste und Verunsicherungen vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen ausdrücken, so ist die spezifische Angst, Opfer einer Straftat zu werden, die wesentliche, weil die Lebensqualität unmittelbar beeinträchtigende Wirkgröße ist. Wie immer man die Dinge auch dreht: die Gefahr, Opfer einer Straftat zu werden, hat sich im letzten Quartal des auslaufenden Jahrhunderts (ein Zeitraum, den viele Menschen persönlich gut überblicken können) nahezu verdoppelt. Da können nur bedingungslose Optimisten oder Scharlatane eine Besserung der Verhältnisse voraussagen, auch wenn inzwischen 129 Einrichtungen und Institutionen – teils miteinander, aber überwiegend nebeneinander her – an der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität „arbeiten„. Wir befinden uns mitten in einem Prozess, der als „Chicagoisierung unserer Gesellschaft„ bezeichnet werden muss. In der Zeitspanne seither bestätigt sich leider, dass uns nur noch wenige Jahre bleiben, bis wir tatsächlich die „Sicherheitsverhältnisse„ von Chicago haben.
Anfang 1990 hatte die Anti-Mafia-Kommission des italienischen Parlaments eine dringende Botschaft an die UN-Vollversammlung gerichtet: Das Organisierte Verbrechen nehme die Ausmaße einer außerordentlich gefährlichen globalen Bedrohung an: Internationale Verbrecherorganisationen hätten sich in Vereinbarungen darauf verständigt, geographische Gebiete untereinander aufzuteilen, neue Marktstrategien zu entwickeln, Formen der gegenseitigen Unterstützung und der Konfliktbeilegung auszuarbeiten – und dies alles in einem weltweiten Maßstab. Ja, wir haben es hier mit einer echten kriminellen Gegenmacht zu tun, die in der Lage ist, legitimen Staaten ihren Willen aufzuzwingen, gesellschaftliche Institutionen und die Kräfte von Gesetz und Ordnung zu untergraben, das heikle wirtschaftliche und finanzielle Gleichgewicht zu stören und die demokratischen Lebensformen zu unterlaufen.
Der Bericht fand seinerzeit kaum Beachtung durch gekonntes Weghören und Wegsehen, erst jetzt wird plötzlich zunehmend immer mehr von einer „Euro-Mafia„ oder der „Transnationalen Organisierten Kriminalität„ gesprochen. Die kriminellen Legionen in Europa stehen. Mit ihren Strukturen, ihrer Raffinesse und ihren gesellschaftlichen Beziehungen, ihren Europa mit Amerika verbindenden Kommandosträngen, ihren subtilen Methoden der Menschenführung und ihrer außergewöhnlichen Beständigkeit kommt die Mafia dem Ziel jedes Verbrechersyndikats näher als jede andere Organisation. Die Mafia war schon das Rollenvorbild für die Jahre nach 2000, so der italienische Innenminister. Sie zeigt das Antlitz eines kriminellen Europas ohne Grenzen, auf das keiner der EU-Staaten vorbereitet ist.

Das Innenleben der Mafia – Mentalität und Lebensart

Die Mafia unterscheidet sich von organisierter Kriminalität dadurch, dass sie um den entsprechenden Einfluss zu sichern, bestrebt ist, öffentliche Institutionen (Legislative und Exekutive sowie Medien und Wirtschaftsunternehmen mit eigenen Leuten zu unterwandern bei absoluter Abschottung nach außen (Schweigeaxiom gegenüber den Strafverfolgungsbehörden).

Der wirklich erfolgreiche Mafioso muss ein bewährtes
Mitglied der Machtelite sein.


Gewisse kompromittierende Beziehungen zu offenen Rechtsbrechern müssen gelöst und stattdessen andere geknüpft werden. Er muss sich vielmehr mit Polizisten, Bürgermeistern, Richtern, Amtsärzten, Verwaltungsbeamten und Abgeordneten gut stellen. Auch schon die bloße Bekanntschaft, die sich eventuell zum partito verfestigen kann, ist ihm von Vorteil. Die Legalisierung der mafiosen Macht ergibt sich aus unzähligen offiziellen Handlungen und kann bis zu dem Punkt der Übereinstimmung von mafiosen und rechtlichen Funktionen gehen wie im Fall des Mafioso Di Carlo, der zum Friedensrichter des Dorfes von Raffadali ernannt und mit einem Geleitbrief ausgestattet wurde, der ihm bei allen politischen Behörden der Provinz von Agrigento Kredit verschaffte.

Mafiosi sind Unternehmer mit Innovationen.

Die wichtigste dieser Erneuerungen besteht genau in der Übertragung der mafiosen Methode auf die betriebliche Arbeitsorganisation und die Führung der Außengeschäfte des Unternehmens. Die Einverleibung der mafiosen Methode in die Produktion von Gütern und Diensten hat einer ganzen Gruppe von Firmen, wie jedem innovatorischen Unternehmen, gestattet, in den Genuss eines monopolitischen Profits zu gelangen, der anderen ökonomischen Einheiten verwehrt bleibt. So ist ein erheblicher Wettbewerbsvorteil der der Entmutigung der Konkurrenz innerhalb des Marktes, wo man agiert. So gelingt es dem mafiosen Unternehmen, sich Waren und Rohstoffe zu Gefälligkeitspreisen sowie Bestellungen, Aufträge und Verkaufsmärkte zu sichern, ohne demselben Konkurrenzdruck ausgesetzt zu sein, den die anderen Unternehmen berücksichtigen müssen. Die Methode der Mafia, nämlich die Fähigkeit einzuschüchtern, funktioniert wie eine tatsächliche Zollschranke. Die mafiose Firma ist daher ziemlich oft eher eine Gruppe, die zusammenhält als eine, die Konflikte austrägt. Sie eignet sich ausgezeichnet für den Konkurrenzkampf auf dem Markt und in der Gesellschaft, weil sie von der außergewöhnlich fügsamen und beweglichen Arbeitskraft profitiert, u.a. deshalb auch Ausbreitung der Praxis der Vergabe von Unteraufträgen, damit die Schaffung von vielen Abhängigkeiten und damit verbundenen „konkludenten Gefälligkeiten„ als ungeschriebene nebenpflicht eines Vertragsverhältnisses im „Konsenualsinne„ mit ausgeprägter Interdependenz und Vorgabe der Markierung der einseitigen Vertragsziele.
Die Anlage von Kapitalien im legalen Bereich, die im illegalen Bereich der Wirtschaft erworben worden sind, unterscheidet die heutige italienische Mafia wesentlich vom Gangstertum der amerikanischen Mafia. Der größte Teil der Gewinne, die von den kriminellen Unternehmern durch die Organisierung von Glücksspielen, Drogenhandel, Prostitution und Schiebereien gemacht werden, werden wieder in denselben illegalen Markt gesteckt. Dieser Anteil reicht aus, um selbst Investitionen großen Ausmaßes aufzunehmen. Gerade in Italien hat der Zufluss schmutziger Gelder in die saubere Ökonomie dafür gesorgt, zum Markterfolg des mafiosen Unternehmens und Unternehmers beigetragen zu haben. Und zudem, eine unabhängige Liquiditätsreserve bedeutet für jedes Unternehmen im alltäglichen ökonomischen Wettbewerb eine einzigartige wirksame Waffe.
Der gegenwärtige stürmische Vereinheitlichungs- und Wachstumsprozess in der Nutzung von Synergieeffekten der illegalen Märkte mit der steigenden Abhängigkeit und der Spezialisierung der Funktionen zwingt viele Akteure der Mafia dazu, häufiger in Kontakt miteinander zu treten und macht so die Ausübung erpresserischer und gewaltsamer Sanktionen, die einen guten Vertragsausgang schützen, problematisch, hier insbesondere in der Tarnung und als Urheber einer ganzen Menge illegaler ökonomischer und politischer Operationen: vom weltweiten Drogen- und Waffenhandel, Terrorismus und der Unterwanderung, zum unrechtmäßigen Lobbying, dem Betrug und der Korruption in großem Umfang. Gerade aber hier beweist die Mafia ihre Innovationskräfte, nämlich die Eigendynamik und spezifischen Merkmale der heutigen illegalen Märkte als polyvalente Netzwerke und der professionellen Gewaltanwendung international auszudehnen, dieses auf den legalen politisch-ökonomischen Wettbewerb zu übertragen, wodurch die wettbewerbsvorteile enorm gesteigert werden, dabei nicht außer acht lassend mit wachsender Fähigkeit, die Polizei daran zu hindern, die Aktivitäten, Akteure und kriminellen Netzwerke in den verschiedensten Bereichen zu identifizieren. Insoweit erschreckend leider noch eine embryonale Stufe des modernen internationalen Rechts gegenüber einem entstehenden „internationalen Recht„ der mafiosen Akteure des illegalen Marktes, denn die Akteure und Institutionen der großen Kriminalitätsform Mafia weisen eine solche Fähigkeit zur Reproduktion auf und verfügen über so weit reichende Komplizenschaft und Bündnisse im politischen und Finanzestablishment vieler Länder, dass dadurch Tatsachen geschaffen sind, die keine abschließende Einschätzung ermöglichen.



Selbstverständnis und Selbstdarstellung der Mafia

Unzählige Analysen und Studien aus den letzten hundert Jahren definieren die Mafia als „einen seelischen Zustand, eine Lebensphilosophie, eine gesellschaftliche Konzeption, einen moralischen Wert, ein besonderes Gefühl„. Mafia sei keine Organisation, keine Geheimgesellschaft, sondern eine Methode. In einer sozialen Beziehung gebrauche der Mafioso physische Gewalt oder drohe diesen Gebrauch an. Mit Hilfe dieser vom Staat für illegal erklärten privaten Gewaltanwendung oder Gewaltandrohung schaffe sich der Mafioso nicht nur eigenen materiellen oder Prestigegewinn, sondern erfülle auch Funktionen innerhalb des subkulturellen Systems, indem er in den Dienst anderer trete. Die Mafia sei ein geistiger Zustand, der fasziniere und anstecke, so titelte der „Giornale di Sicilia„ vom 6. August 1966, dabei den Senator Pafundi zitierend. Mafia ist eine Bezeichnung der offiziellen Amtssprache, die erstmals 1865 auftaucht, im Dialekt Palermos umfasst der „spirito di mafia„ („Geist der Mafia„) seinem Wortsinne nach stets Schönheit, Anmut, Vollkommenheit und etwas in seiner Gattung Herausragendes, Vorzügliches. Ein schönes Mädchen, das auch in seiner Aura erhaben und überlegen erscheint hat „mafia„ und ist „mafiusedda„. Auf den Mann bezogen betrifft dies Selbstsicherheit, niemals Arroganz oder Anmaßung, vielmehr ein stolzes Bewusstsein, ein Mann zu sein mit der Eigenschaft der „mafia„ oder „mafiusu„, was niemandem Angst machen kann, denn nur wenige sind so anständig und rücksichtsvoll wie er. Diese These wird von Sciascia unterstützt als die Verkörperung dessen, was Montesquieu die „Tugend der herrschenden Klassen„ nannte. Auf den Punkt gebracht, der Mafioso ist so puritanisch in seinem individuellen wie im sozialen Bereich, so tugendhaft, daß ihm kein Ehebruch, keine Drogen, keine linksex-
tremen Sympathien nachgesagt werden können in Bezug auf die Unordnung und die Missachtung der Normen. In einer Zeitära, in der die Gesellschaft völlig hilflos der Auflösung ihrer Werte zusieht, lebt der Mafioso in einem kohärenten System, an dem Calvin durchaus Gefallen finden würde. Er lebt in seiner Welt und Wertevorstellung als ehrbarer Bürger. Dieses Ausleben in Reinkultur macht die Mafia stark, denn die kompromisslose Einhaltung ihrer selbstgeschaffenen eigenen strengen Regeln macht sie so erfolgreich, resümierte der ermordete sizilianische Ermittlungsrichter und spätere Staatsanwalt Dr. Giovanni Falcone auf der Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes vom 6. bis 9. November 1990 in Wiesbaden vor mehreren hundert Vertreterinnen und Vertretern aus den Bereichen Polizei, Justiz, Zoll, Wirtschaft und Politik. Darin liegt sie, die mafiose Doppelmoral – das Negieren und Ignorieren der gemeingültigen gesellschaftlichen Regeln, die Illoyalität gegenüber der staatlichen Ordnung unter zugleich striktem Auslebens eigens geschaffener Regeln einer parallelen Ordnung des Zusammenlebens. Dieses Merkmal führt schließlich dazu, dass die Organisierte Kriminalität der Gesellschaft ähnlich, letztlich ein Spiegelbild ihrer selbst ist, welches die Vorgehensweise der Einbindung des Individuums in übergeordnete Strukturen und die Errichtung das Gemeinwesen tragender Regeln und Ordnungen kopiert – nur das eben in sehr viel strengerer, unflexiblerer und kompromissloser Art und Weise als die Gesellschaft. Falcone spricht sogar von der Gefahr zweier parallel innerhalb der Gesellschaft existierender Rechtsstaaten, deren Ähnlichkeit nahezu zu einer gefährlichen Unerkennbarkeit und Ununterscheidbarkeit führt, wenn nicht seitens der legalen Gesellschaft ein Gegengewicht entgegengesetzt wird, z.B. in Form der inneren und auch sich nach außen entäußerten Kündigung der Bevölkerung, dem aktiven und sich aktiverenden Hinsehen und nicht passivem Zusehen oder Wegsehen durch positives Nichtstun, also Unterlassen.
Makaber, die Mafiosi selbst bestreiten entschieden eine Zugehörigkeit zur Mafia. Das gilt als Beleidigung wie der Mafiaaussteiger Calderone klarstellt. Niemand darf „mafioso„ genannt werden, zu deutlich steht auch für die sizilianische Bevölkerung „mafioso„ für „Verbrecher„. Ihr Ehrenkodex, ihr Anspruch, die Elite unter den Kriminellen, die schlimmsten von allen zu sein, haushoch gewöhnlichen Verbrechern überlegen, steht in einem Selbstverständnis ihrer selbst als Ordnungshüter und als Garanten jener Gerechtigkeit, die die staatliche Autorität nicht in der Lage ist, zu gewährleisten. Sie sind die „Broker„, die Problemlöser in der Symbiose von Autorität und Gewalt jeder Schattierung und Ehre, wobei ihre Macht auf dem ungeschriebenen Gesetz der „Omerta„, der Schweigepflicht basiert, die die Mitglieder der „Familie„ und die sie tangierende unmittelbare Umgebung in ihrer Interdependenz des Zusammenlebens bindet.
Es ist unübersehbar, dass das Wasser, in dem die Mafia schwimmt, gerade aus den sogenannten „Gesetzen der Politik„ besteht – und dass diese Gesetze für das gesamte politische System gelten.
Das erste Gesetz ist „Das Gesetz der Freundschaft und der Ehre„. Es klingt so: „Meine Verbündeten und alle, die mir ein Bündnis antragen oder es ihren Verbündeten empfehlen, sind meine Freunde und achtbare Menschen. Alle anderen sind meine Feinde, und unter ihnen finde ich all die unehrenhaften Menschen„.
Das zweite Gesetz ist „Das Gesetz der Wahrheit„. Es lautet: „Die Wahrheit gibt es nicht. Es gibt so viele Wahrheiten, wie es Parteien gibt oder Koalitionen unter ihnen„. Woraus folgt, dass sich im Rahmen des politischen Systems die Wahrheit durch drei, fünf oder sieben teilen lässt.
Das dritte Gesetz ist „Das Gesetz des öffentlichen Wohles„: „Eine Situation ist gut, wenn ich an der Regierung bin oder in der Mehrheit sitze; sie ist schlecht, wenn ich mich außerhalb befinde„.

Die Mafia im Ist-Zustand – fern von der Propaganda
mit sozialrevolutionärem Impetus


Es ist nach alledem müßig, über die historische Herkunft des Wortes „Mafia„ (Räuberbande, Privatpolizei) zu diskutieren. Dazu gibt es viele Theorien mit all ihren Widersprüchlichkeiten und ihrer Weltferne. Vereinfacht festgestellt, lässt sich erklären, dass heute der Begriff „Mafia„ zum Synonym für italienisch dominiertes organisiertes Verbrechen geworden ist. Schonungslos zeigt der Mafiaaussteiger Calderone auf, dass all die internen Normen und Prinzipien des Innenlebens der Mafia eher einem totalen Chaos auf der ganzen Ebene und einer jederzeit veränderbaren Hackordnung gleichen, wo jeder nur auf den Fehler des anderen wartet, um zuzuschlagen, und wo genau das Gegenteil der hehren Regeln gilt, die die Mafia immer so gerne öffentlichkeitswirksam über sich verbreiten lässt. In Wirklichkeit zählen Freundschaft, Treue, Verwandtschaft nichts, nirgendwo ist Fürsorge für das in Not geratene Mitglied der mafiosen Gruppe zu erkennen, im Gegenteil – jeder haut jeden übers Ohr, wo es nur geht. An die Regeln hält sich niemand, zumindest niemand, der sich für stärker als die anderen hält. Oft werden heimtückisch im Verborgenen gerade die engsten Freunde diskreditiert, in Fallen gelockt, ganze Familien ausgerottet. All die internen Normen und Prinzipien der „Cosa Nostra„ dienen den Mächtigen unter den „ehrbaren Männern„ in aller Regel nur dazu, hinterhältig ihre eigenen Freunde, oft sogar engste Verwandte auszuschalten oder gar zu töten. Es herrscht ein Nebeneinander von strengster hierarchischer, vertikaler Ordnung und völliger Anarchie – ein Kampf aller gegen alle; und zwar all jener, die sich unverbrüchliche Treue geschworen haben. Insofern heuchelt sich die „Mafia„ selbst viel mehr Prinzipientreue vor, als sie dann wirklich hält. Sie tränkt sich in ihrem Blute im schnellebigen Wechsel der Allianzen und Freundschaften einzelner Gruppenmitglieder und mitunter auch einzelner Verwandter untereinander. Der Kampf bis aufs Messer, der bewaffnete Friede für das Tätigen großer Geschäfte miteinander sowie das Auseinanderdriften der Gruppe durch erneute Spaltung und Zwist, die erneut Tote bedeutet und danach wieder neue Geschäfte nach sich zieht, ein Paradoxon im Kreislauf der Pseudopartnerschaften und der Ungeheuerlichkeit der Irrationalität des Unfassbaren.

Fazit

Kriminalprävention, man denke an Crimen und Prävenire, also dem Verbrechen zuvorkommen, ist in einer Zeit der Werteverirrungen und Standortsuche vieler Menschen im eigenen Ich wichtiger denn je, wo die Kriminaltätsbekämpfung zunehmend an ihre Grenzen stößt und ein Umdenken insoweit im Sinne der öffentlichen Vernunft und nicht der öffentlichen Gewalt erforderlich macht. Wortreiche Untätigkeit hat bislang Problemfelder dieser Art von Hochkriminalität verschärft anstatt sie entkriminalisieren zu können. „Holzhacken ist deswegen so beliebt, weil man bei dieser Tätigkeit den Erfolg sofort sieht„, so Albert Einstein. Mafia-
bekämpfung, das aber bedeutet längerfristig eine „Therapie„ aller staatsverbundenen und gebündelten Kräfte. Denn die von der Mafia ausgehenden Gefahrenpotentiale können zu tiefschürfenden Auswirkungen auf das politisch-gesellschaftliche Gesamtgefüge führen. So hätte die Herausbildung einer kriminellen Parallelgesellschaft im Sinne eines mafiosen Staates im Staat unausweichlich eine allgemeine Mafia-Tolerierung bzw. Resignation vor dem Mafiaphänomen einen fortgesetzten Vertrauensverlust der Bürger in ihren demokratischen Rechtsstaat sowie eine Politikmüdigkeit und Staatsverdrossenheit zur Folge. Wie gerade Erfahrungen aus verschiedenen Weltregionen zeigen, kann letztlich nur eine stärkere politische Partizipation der Bürger und eine dadurch vergrößerte Transparenz der Politik die Mafia in Europa dauerhaft verdrängen bzw. verhindern helfen. Es ist höchste Zeit, dass dieses „Recht des Stärkeren„ sich endlich der „Stärke des Rechts„ zu beugen hat. Welche Maßnahmen sind also zu ergreifen, um die Versuchung und Gelegenheit zu reduzieren, Fachkenntnisse in der mafiabezogenen Kriminalitätspalette nutzlos zu machen und die Wahrscheinlichkeit für die Mafiosi, verhaftet zu werden, zu maximieren und dafür zu sorgen, dass sich Verbrechen nicht bezahlt macht? Hier sind alle recht und billig denkenden Weltbürger und in Europa alle mündigen Europäer aufgefordert, mitzutun für eine Welt des Rechtsfriedens im Verständnis für einander.
Abschließend der Appell des Mafiaaussteigers Calderone an seine Leute: „... Hört zu, was ich euch sage. Haltet einen Augenblick inne und denkt nach. Versucht euch zu retten. Sonst gibt es kein Erbarmen für euch. Gott wird euch all die Trauer und das Unglück, das ihr verursacht, nie vergeben. Ihr seid Männer der Unehre„.

Schlusswort

Der Siegeszug des übersteigerten Individualismus, des Konkurrenzdenkens über das Solidaritätsbwusstsein und die Einschränkung des Menschen auf seine ökonomische Funktion ebnen einer kulturellen Regression den Weg. Rechtlichkeit und Ehrgefühl sind Tugenden und keine altmodischen oder gar untergegangenen Begriffe. „Die Kraft der Institutionen, die Qualität der Herrscher und die Tugend der Bürger„ seien zur Systemerhaltung notwendig, hat schon vor vielen Jahren der Freiburger Politikwissenschaftler Wilhelm Hennis festgestellt. Und sein Befund ist immer noch richtig. Eliten müssen Vorbild sein. »Die Deutschen«, so schon der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, seien durch „jahrzehntelange systematische Erziehung zur Schlaumeierei zu einem »Volk von Trickbetrügern« geworden. »Wer sich nicht darauf versteht, nach Strich und Faden abzuschreiben, einzuklagen, rauszuholen, abzusetzen, der hat nichts zu lachen. Ob Sozialwohnung oder Schwarzbau, Krankenkasse oder Taxiquittung, Stipendium oder Stütze, überall gilt der Imperativ des Nassauerns«. Wenn Skandale in Serie gehen, verlernt das Publikum, Anstoß zu nehmen. Woher soll Empörung kommen, wenn die Öffentlichkeit abstumpft, weil sie mit Ärgernissen, der deutschen Übersetzung des griechischen Wortes »Skandalon« überfüttert wird? Mittlerweile beherrscht die OK-/Mafia-Szene die „Ars corrumpendi„ perfekt. Durch Duldung sind rechtsfreie Räume entstanden. Wenn die Phase unserer Traumtänzerei noch länger andauert, wird das Menetekel vom Verbrechen, das die Welt regiert, Zustandsbeschreibung sein, denn „der Reiche hat immer das Gesetz in seiner Geldbörse„, so schon Jean-Jacques Rousseau. „Wenn eine Gesellschaft die Raffkes und Rabattniks bewundert oder zumindest wohlwollend duldet, statt sie links liegen zu lassen, dann muss sie sich nicht wundern, wenn moralische und juristische Grenzen verschwimmen. Dagegen helfen noch mehr Ermittler und noch schärfere Gesetze wenig. Der Moralpegel ist so nicht zu erhöhen. Dazu müsste eine Übereinkunft entstehen, dass bestimmte materielle Erfolge nicht so wichtig und bestimmte Sitten um so wichtiger sind. Eine solche Übereinkunft ist aber nicht in Sicht„. Und eine Gesellschaft ist dann verdientermaßen Opfer, wenn sie ihre Opferrolle annimmt und das Feld den Schattenmännern der OK/Mafia schweigend, untätig, die Augen zukneifend, kein Missfallen zeigend, kein aufschreiender Aufruhr in Kenntnis des Unrechts und der Gewalt, überlässt. Eine solche Gesellschaft muss untergehen im Sinne der Mahnung von Shen Te, der „gute Mensch„ von Sezuan, denn sie hat es nicht anders verdient, frei analog nach Bertolt Brecht, „Der gute Mensch von Sezuan„.
Die Trümmer des Wagens des von organisierten Kriminellen/Mafiosi exekutierten Richters Dr. Giovanni Falcone, dem Mahner und Warner, werfen markant ein erschreckendes Schlaglicht auf eine von sozialen Seuchen heimgesuchte Gesellschaft, in der immer neue Anfälle irrationaler Gewalt manifestieren, wie gefährdet der Friede in dieser Gesellschaft ist.