Banker oder Geldräuber

Strafbare Bereicherung oder riskante Geschäftsführung?

Von Dr. Wolfgang Hetzer, Ministerialrat, Wien

I. Banken als Systemrisiko


In Deutschland glauben 74 Prozent der Bevölkerung, dass die Aktivitäten der Banker gefährlich sind. Deswegen muss aber nicht jede Bank eine kriminelle Vereinigung sein. Grundsätzlich ist eine Bank eine Bank. Und eine kriminelle Vereinigung ist kriminell. Gleichwohl ist die Vermutung, dass sich Bankgeschäfte immer und überall von den Aktivitäten der Organisierten Kriminalität unterscheiden lassen, widerlegbar. 
Darüber hinaus ist der Eindruck entstanden, dass Teile der Finanzindustrie einen deutlich höheren Wirkungsgrad haben als jede Art der konventionellen „Mafia“. Insbesondere die Deutsche Bank ist in jüngerer Zeit in den Ruch einer „Räuberbande“ geraten. Angesichts der Quantität und Qualität der gegen dieses Finanzinstitut erhobenen Vorwürfe ist dieser Begriff eine unangemessene Verniedlichung. Sollten sich alle oder einige bestimmte qualifizierte Anschuldigungen justizförmig beweisen lassen, erschiene selbst die Mafia, gleichgültig in welcher ethnischen Ausprägung, als relativ idyllische Veranstaltung, die im Konkurrenzkampf mit Teilen der Finanzindustrie chancenlos ist. 
Es gilt zwar die Unschuldsvermutung. Die Lage ist aber besorgniserregend, wenn man daran denkt, dass „Vertrauen“ eine Schlüsselkategorie für das Bankgeschäft ist und alleine die Deutsche Bank wegen der bestehenden Prozessrisiken mehr als 4 Milliarden Euro an Rückstellungen bilden musste, weil sie mit entsprechenden Schadenersatzansprüchen, Strafen oder Vergleichszahlen rechnet. Addiert man weitere Streitfälle hinzu, die sich noch zuspitzen könnten, beliefe sich die möglicherweise erforderliche Summe sogar auf mehr als 5 Milliarden Euro. 
Die Spannbreite der Verdachtsgründe ist beeindruckend. Sie reicht von der Nichterfüllung von Beratungspflichten über Betrug beim Handel mit Finanzvehikeln bis zu Manipulationen bei wichtigen Leitzinsen („Libor“; „Euribor“). 
Der Libor ist der Zinssatz, zu dem sich Banken am Finanzplatz London untereinander Geld leihen. Der Euribor ist ein Zinssatz für Geldgeschäfte in der Währung Euro. Die Sätze werden täglich auf der Basis von Schätzungen und Meldungen festgelegt. Sie sind Basis für Kreditkosten, Sparzinsen und Hypotheken. Ihre Manipulation schädigte also auch unbeteiligte Banken, Unternehmen und Privatpersonen gleichermaßen. Alleine beim Libor sollen Finanzprodukte im Wert von ca. 400 000 Milliarden Dollar betroffen sein!  
Die Deutsche Bank behauptet, dass ihre Strategie auf einer Markteinschätzung über die wahrscheinliche Richtung von Zinssätzen beruhe und nicht auf einem Glauben, dass die Interbank-Zinssätze in unangemessener Weise beeinflusst werden könnten. Zudem handele es sich nicht um Spekulationen auf die eigenen Bücher, sondern um Transaktionen zur Absicherung anderer Geschäfte. Dennoch räumte ein ihrer Chefs (Anshu Jain) ein, dass vor allem die Jahre 2006 bis 2008 Jahre des „kollektiven Versagens“ gewesen seien. 80 Prozent der Fälle, die jetzt die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, stammten aus dieser Phase. Jain bekannte, dass die Deutsche Bank Teil davon war. Im Hinblick auf die Manipulationsvorwürfe beim „Libor-Zinssatz“ gab er an, dass ihn dieser „Vertrauensmissbrauch“ am meisten enttäuscht habe. 
Das ist schon ein bisschen lustig. Jain bekümmert es offensichtlich nicht, dass die meisten seiner Spitzen-Kollegen aus den glorreichen Zeiten der frühen „Nuller-Jahre“ im Finanzdistrikt nach der anschließenden Pleite-Epoche nicht mehr auf den Bühnen der internationalen Finanzwelt herumturnen. Er wurde als ehemaliger Chef des Investmentbanking ja auch nicht gefeuert, sondern auf den Sessel des Vorstandsvorsitzenden befördert. Auf dem Weg dorthin soll er zwischen 200 und 500 Millionen Euro verdient haben, je nach Sachverständigenbewertung. Nun verkündet Jain, dass die Zeiten des schnellen Geldes vorbei seien. Aufgrund der notwendig gewordenen Vorsorge für die vermutlich anstehenden Kosten für Rechtsstreitigkeiten schmolz der Gewinn des von ihm geführten Geldhauses im dritten Quartal 2013 übrigens auf vergleichweise magere 18 Millionen Euro. Gegenüber der 25-Prozent-Marke, die von seinem Vorgänger Ackermann als Ziel propagiert wurde, ist die gegenwärtige Eigenkapitalrendite marginal.
Sein Mitvorsitzender Jürgen Fitschen galt noch vor der Übernahme seines Amtes als „nett und ehrlich“. Das lag vielleicht auch daran, dass Fitschen kein „gelernter“ Banker, sondern Außenhandelskaufmann ist. Es ist dennoch fraglich, ob Fitschen die Idealbesetzung als „Vorstand für Moral“ ist, während sich Jain um die harte Welt der Zahlen kümmert. Immerhin prüfen Staatsanwälte in München zur Zeit, ob Fitschen und weitere Vorstandskollegen im Rechtsstreit mit dem Medienunternehmer Leo Kirch „bewusst unwahre Angaben“ gemacht haben und ob Fitschen im Zusammenhang mit Vorwürfen wegen Umsatzsteuerbetrugs eine falsche Steuererklärung der Deutschen Bank unterschrieben hat. In einem deutschen Nachrichtmagazin (Der Spiegel vom 11. November 2013) ist von einem „alptraumhaften Szenario für die Bank und für Fitschen“ die Rede. Fitschen sei auf dem besten Wege, zur tragischen Figur der Deutschen Bank zu werden. Dabei galt er doch in den Augen vieler Mitarbeiter als Garant dafür, dass sich der Konzern von zweifelhaften Geschäften abwendet, die ihm am (vorläufigen) Ende womöglich Rechtsrisiken von mehr als fünf Milliarden Euro bescheren. Aus den Reihen von Arbeitnehmervertretern sind Kommentare zu hören, wonach es absurd sei, dass Fitschen für einen glaubwürdigen Kulturwandel stehen soll, den man seinem Kollegen Jain allein nicht zutraut, während kein Zweifel daran besteht, dass fast alle Rechtsrisiken im Investmentbanking entstanden sind, für das Anshu Jain bis zu seiner Beförderung an die Spitze der Deutschen Bank verantwortlich war. Gleichwohl ist nur Fitschen in das Visier der Staatsanwälte geraten. Jain blieb bis jetzt unbehelligt.
Man wird abwarten müssen, ob Jain und Fitschen im Laufe der andauernden Ermittlungen noch genügend Zeit haben, um den vollmundig propagierten „Kulturwandel“ in der Deutschen Bank voranzutreiben. Die Deutsche Bank selbst wird sich möglicherweise auch als juristische Person nach den Vorschriften des Ordnungswidrigkeitengesetzes verantworten müssen, ist es den deutschen Rechtsgelehrten und dem Gesetzgeber doch immer noch nicht gelungen eine echte Unternehmensstrafbarkeit zu etablieren. 
Während die Bank am 5. November 2013 noch dementierte, dass ein solches Verfahren läuft, erklärte die Staatsanwaltschaft München gleichzeitig, dass sie wegen „Fehlverhaltens“ von Fitschen und seinem Amtsvorgänger Ackermann ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren gegen die Bank selbst eingeleitet und sie am 10. Oktober 2013 hierüber unterrichtet habe. Die Deutsche Bank habe am 18. Oktober 2013 deshalb bei der Ermittlungsbehörde um Akteineinsicht gebeten. Nach dem Eindruck mancher Großaktionäre dieses Instituts rühren die Vorgänge an den „Grundfesten des Vertrauens in die Bank“.
Die vermeintlichen Topkräfte und Kollegen von Jain und Fitschen, die in deutschen Landesbanken, aus denen das „dumme deutsche Geld“ stammte, das in den Hochöfen angelsächsischer Kapitalakrobaten mit Wissen und Wollen der Politik verheizt wurde, Verantwortung trugen, haben andere Sorgen. Sie mussten sich reihenweise von ihren Stühlen verabschieden. Dutzende von ihnen sind nun mit Anklagen und Gerichtsverfahren konfrontiert. 
Inzwischen dringen auch interessante Informationen aus den Reihen der Hypo-Vereinsbank (HVB) nach außen. Dort sollen in den Jahren 2005 und 2006 Milliardengeschäfte angebahnt worden sein, die vor allem darauf abgezielt hätten, Ansprüche des Fiskus zu vereiteln. Zum Hintergrund gehört die Gewohnheit von Banken und Kapitalfonds aus Europa und aus den USA über Jahre Aktiendeals zu schließen, erst mit („cum“) und dann ohne („ex“) Dividende. Dies soll so schnell und kompliziert vonstatten gegangen sein, dass unklar war, wem die Papiere gerade gehörten, wer Dividenden kassiert und Kapitalertragsteuern entrichtet hatte. In der Folge haben in- und ausländische Banken im Verlaufe eines Aktienhandels mehrere Bescheinigungen über gezahlte Kapitalertragsteuern ausgestellt, obwohl sie nur ein Mal abgeführt worden war. Steuerabzug und Steuerbescheinigung liegen erst seit 2012 in einer Hand, so dass der Fiskus angeblich nicht mehr getäuscht werden kann. Kapitalerstragsteuern werden bei der Dividendenausschüttung automatisch einbehalten und an das Finanzamt abgeführt. Später werden sie mit anderen Steuerzahlungen der betroffenen Steuerpflichtigen verrechnet. Dabei stellt sich oft heraus, dass zu viele Abgaben entrichtet wurden, so dass dann eine einzulösende Steuergutschrift erstellt wird. Das setzt natürlich voraus, dass geltend gemachte Abgaben zuvor tatsächlich an den Fiskus gezahlt wurden. Soweit das bei „Cum-Ex-Deals“ nicht der Fall war, bestand daher auch kein Erstattungsanspruch, ungeachtet der bis 2012 bestehenden Regelungslücke beim Aktienhandel, auf die sich die Akteure des Milieus berufen. Es steht also der Verdacht der Steuerhinterziehung im Raum, falls überzählige Steuerbescheinigungen eingereicht und Gutschriften kassiert wurden. 
Mittlerweile kann man selbst in Tageszeitungen (Klaus Ott, Akte Flora: Der Erste packt aus, in: Süddeutsche Zeitung vom 6. November 2013, S. 1, 12) nachlesen, dass sich Mitarbeiter der HVB angeblich von einem externen Steuerexperten davon überzeugen ließen, man könne beim Handel mit Aktien im großen Stil rund um den Ausschüttungstermin der Dividenden eine „doppelte Steuergutschrift“ kassieren, indem man Kapitalertragsteuern ein Mal zahle aber zwei Mal erstattet bekomme. Dementsprechend wurde in der Ergebnisspalte der Bankabrechnungen die von den Finanzbehörden erstattete Kapitalertragsteuer (incl. Soli) ein zweites Mal addiert. 
Es besteht der Verdacht, dass viele Geldinstitute bis hin zur britischen Großbank Barclays über Jahre hinweg systematisch zusammen mit Kapitalanlage-Fonds und anderen Geschäftspartnern den deutschen Fiskus, also die Gesamtheit der Steuerzahler, gezielt geschröpft haben. Nach ersten überschlägigen Schätzungen könnte auf diese Weise ein Schaden in Höhe von mehreren zehn Milliarden Euro entstanden sein. Im Fall HVB ermitteln die Staatsanwälte in Frankfurt wegen schwerer Steuerhinterziehung gegen mindestens sechs heutige und ehemalige Banker und einen weiteren Verdächtigen. Es scheint erst auf der Leitungsebene klar gewesen zu sein, worum es bei den genannten Geschäften wirklich ging und manch ein Spitzenmanager soll gegenüber Untergebenen hinreichend deutlich gemacht haben, dass er am Abschluss dieser speziellen Geschäfte sehr interessiert war. Bis jetzt ist bekannt, dass die deutschen Finanzbehörden mehr als 40 Fälle untersuchen. Bezeichnend ist, dass die Schweizer Bank Sarasin solche Geschäfte bewusst betrieben hat, obschon ihre Mitarbeiter die steuerliche Inkorrektheit verstanden hatten. Sie haben dem deutschen Fiskus allein in diesem Fall einen Schaden in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro zugefügt.Es hat mittlerweile den Anschein, als ob sich die bisherige Annahme, die Banker müssten nicht für die Folgen ihres Handelns einstehen, als Irrtum erweisen könnte. Zwar ist noch keiner der Topbanker vom Mob gehängt worden, wie man in einer durchaus seriösen Zeitung (z. B. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 3. November 2013) dankbar vermerkte. 
Richtig ist auch, dass keiner der großen Bosse bis jetzt seiner Freiheit verlustig gegangen ist. Fast erleichtert klingt es, wenn in diesem Zusammenhang behauptet wird, dass das Strafrecht sich nur bedingt zur Sühne für unternehmerische Fehlentscheidungen oder missglückte Spekulationen eigne. 

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