Kriminalitätsbekämpfung

Aspekte von Verschwörungstheorien am Beispiel der „QAnon“-Bewegung

Von AR Marcel Auber, Ludwigsburg¹

 

Seit der Corona-Pandemie, insbesondere dem Erstarken der Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen, ist das vielschichtige Thema „Verschwörungstheorien“ wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Ob es der Untergang der Titanic, die Mondlandung oder die Terroranschläge des 11. September waren, große Ereignisse, die eine hohe mediale Aufmerksamkeit erzielten, scheinen sich seit eh und je dazu angeboten zu haben, Theorien zu entwickeln, die diese Ereignisse nicht als singuläres Geschehen betrachten oder akzeptieren können, sondern Zusammenhänge konstruieren und einen „großen Plan“ hinter diesen vermuten. Es ist der gute alte Kampf von Gut gegen Böse, von einer kleinen verschwörerischen Gruppe, die die gesamte Menschheit bedroht und von einer Gruppe Auserwählter, welche angeblich die Wahrheit erkannt hat und den Kampf gegen das Böse aufnimmt. Auf die Diskussionen zum Begriff „Verschwörungstheorie“ möchte ich in meinem Beitrag nur kurz eingehen. Laut Wörterbuch ist eine Theorie ein „System wissenschaftlich begründeter Aussagen zur Erklärung bestimmter Tatsachen […]“ Im Sinne dieser Definition wäre die Nutzung des Begriffs „Theorie“ im Kontext des vorliegenden Textes falsch. Die Produzenten der Verschwörungstheorien nutzen eben nicht ein System wissenschaftlich begründeter Aussagen. Im Gegenteil, sie legen die Betrachtungsperspektive entgegen wissenschaftlicher Grundsätze von Beginn an fest. Ich werde im Verlaufe des Textes noch auf diesen Aspekt eingehen. Dennoch habe ich mich für die Nutzung des Begriffs „Verschwörungstheorie“ entschlossen, auch wenn es sich eher um eine „Verschwörungsannahme“ handelt. Unter einer Annahme versteht man den „Glauben an einen (noch) nicht erwiesenen oder nicht beweisbaren Sachverhalt, eine Hypothese oder Axiom.“ Der Begriff „Verschwörungstheorie“ ist dennoch weit verbreitet und hat sich im Kontext des hier behandelten Themas eingebürgert.

 

 

1 Erklärungsmuster für Verschwörungstheorien


Es gibt Autoren, die den Glauben an Verschwörungstheorien mit der Entwicklungspsychologie in Einklang bringen. Gut möglich, dass bereits im Kindesalter die Weichen dahingehend gestellt werden, ob wir später anfällig oder weniger anfällig für Verschwörungstheorien sind. Bei Betrachtung der Vielzahl an Menschen, die Seite an Seite mit Rechtsextremisten, Linksextremisten und sog. Neuen Rechten im Namen des „Volkes“ marschieren – oder spazieren gehen – reicht meine Vorstellungskraft nicht dazu aus, diesen allen eine defizitäre Kindheit zu attestieren, wenngleich sich eine pauschale Zuordnung aller Teilnehmer als Verschwörungstheoretiker verbietet. Das die Psychologie eine zentrale Rolle beim Thema Verschwörungstheorien spielt, steht für mich außer Frage. In seinem letzten großen Werk äußerte der Psychologe Alfred Adler: „Dass wir nicht von Tatsachen, sondern von unserer Meinung über Tatsachen beeinflusst sind, liegt klar auf der Hand.“2 Diese Conclusio Adlers ist meiner Ansicht nach der Schlüssel für die Entstehung und den Glauben an Verschwörungstheorien. Nicht die Fakten, sondern die Meinung jedes Einzelnen zu denselben sind es, die uns an Tatsachen oder „alternative“ Tatsachen glauben lassen. Eine Meinung, die von außen beeinflussbar ist und dadurch die Wertung von Fakten jedes Einzelnen verändern kann. Dass der Glaube nicht nur in der Lage ist, Berge zu versetzen, sondern uns vielmehr an der Realität zweifeln lässt, wird durch das Erstarken der Verschwörungstheorien deutlich. Die Überzeugung, dass mitten unter uns „Reptiloide“ in Menschengestalt leben, die uns nach dem Leben trachten oder uns versklaven möchten, würde man eher in einem fiktiven Werk aus dem Science-Fiction-Genre vermuten und doch gibt es immer mehr Menschen, die fest von der Existenz solcher „Reptiloide“ überzeugt sind


Wie so oft in der Menschheitsgeschichte dienen einfache Erklärungsmuster dazu, aus Unsicherheit Sicherheit zu generieren, ein „Wir-Gefühl“ zu entwickeln und gleichzeitig das Selbstwertgefühl zu steigern. In den dunkelsten Stunden unserer deutschen Geschichte waren es die Juden, die für „unser Unglück“ verantwortlich gemacht wurden. Welche Ausmaße diese Schuldzuweisung annehmen sollte, war für viele Menschen unvorstellbar, obwohl die Ideologen in unzähligen Reden und Schriften klar ankündigten, was sie zu tun gedachten. Schlussendlich war der Holocaust die logische Konsequenz der nationalsozialistischen Ideologie.


Auch heute sehen sich die Anhänger der Verschwörungstheorien als die Auserkorenen, die Wölfe, die „Redgepillten“,3 die den „Schlafschafen“ überlegen sind. Befindet man sich im Sog der Theorie, werden alle Gegebenheiten aus der Perspektive der Anhänger gedeutet. Fakten, die über verschiedene Kanäle veröffentlicht werden, werden als Lügen der „Mainstream-Medien“ gebrandmarkt, wenn sie nicht mit der entsprechenden Theorie übereinstimmen. Passen sie zu den Vorstellungen der Verschwörungsgläubigen oder lassen sie sich in das Gesamtbild einfügen, werden sie als Beweis für die Richtigkeit der eigenen Theorie ins Feld geführt. Nicht selten führt der Glaube an die Verschwörungstheorie dazu, dass die Informationsgewinnung langfristig ausschließlich durch „alternativen Medien“ erfolgt. Die Frage nach den Betreibern oder deren Motivation rückt allzu oft in den Hintergrund.

 

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