Wissenschaft  und Forschung

Migrantenkriminalität: Zum Stand der Dinge (Teil 2)

Von Prof. Dr. Bijan Nowrousian, Münster¹

 

4.2 Zum Ausländeranteil in neueren Phänomenbereichen

Von Interesse für hiesiges Thema ist schließlich noch ein Blick auf besondere Kriminalitätsformen, die in den vergangenen Jahren an Häufigkeit zugenommen haben. Dies betrifft Gruppenvergewaltigungen, plötzliche krawallartige Ansammlungen sowie Straftaten mit dem Einsatz von Messern.

 

Unter Gruppenvergewaltigungen werden dabei Vergewaltigungen mit zwei oder mehr Tätern erfasst, wobei diese oft überfallartig ausgeführt werden. Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Brandner aus Mai 2023, die zwar als Bundestagsdrucksache zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels noch nicht vorlag,2 aber medial bereits berichtet wurde,3 ergab zu den Fallzahlen folgendes aktuelles Bild: Für das Jahr 2022 wurden in Deutschland 789 solcher Taten erfasst; 2021 waren es 766 Fälle gewesen. Das Jahr 2022 sah damit die meisten registrierten Fälle seit Erfassung von Gruppenvergewaltigungen in den polizeilichen Kriminalstatistiken im Jahre 2010. Den höchsten Anstieg seit der Erfassung gab es übrigens von 2015 auf 2016 mit einem Zuwachs von 400 auf 749 gemeldete Taten. Von den im Jahre 2022 943 ermittelten Tatverdächtigen hatten 471 die deutsche Staatsangehörigkeit und 472 waren Ausländer. Der Ausländeranteil betrug also 50%.


Ein namentlich seit 2015 zunehmendes Phänomen sind oft kurzfristig entstehende Zusammenrottungen einer Vielzahl von Personen im öffentlichen Raum mit der Begehung schwerer Straftaten aus der Gruppe heraus. Das Phänomen soll hier mit dem Begriff „Krawall“ bezeichnet werden.


Herausragende Ereignisse dieser Art waren dabei die Kölner Silvesternacht von 2015 auf 2016 (wobei es in dieser Nacht auch in anderen Städten ähnliche Vorfälle gab), die Stuttgarter Krawallnacht vom 20. auf den 21.6.2020, die Ausschreitungen auf dem Frankfurter Opernplatz am 20.7.2020, die Berliner Silvesternacht von 2022 auf 2023 sowie die Ausschreitungen in den Innenstädten von Castrop-Rauxel und Essen im Juni 2023.


Die Ermittlung des Ausländeranteils an den Tatverdächtigen ist nun freilich nicht einfach, denn bei solchen Krawallen bleibt die Zahl der überhaupt Festgenommenen hinter der tatsächlichen Täterzahl meist erheblich zurück, zudem ist die genaue Zuordnung von Taten zu Tätern oft schwierig. Die Frage nach dem Ausländer- bzw. Migrantenanteil kann daher bei derartigen Krawallen nur sehr ungenau ermittelt werden. Gleichwohl zeichnen sich auch hier Tendenzen ab, weswegen eine Befassung in hiesigem Kontext lohnt.


Zur Kölner Silvesternacht konnten 354 Tatverdächtige namentlich ermittelt werden. Die (nicht einfache) Zuordnung zu Staatsangehörigkeiten ergab 101 Algerier, 91 Marokkaner 37 Iraker, 29 Syrer und 25 Deutsche. Die Zahl der Asylbewerber unter den Verdächtigen betrug 122, die Zahl derer, die zur Tatzeit illegal in Deutschland gelebt haben, betrug 52. Bei allen anderen Tatverdächtigen waren Nationalität und Status unbekannt.4 Soweit es in dieser Nacht auch in anderen deutschen Großstädten, namentlich Hamburg, Bielefeld, Stuttgart, Frankfurt am Main und Nürnberg, ebenfalls Übergriffe gab, konnten 120 Verdächtige ermittelt werden. Auch bei diesen kam der weit überwiegende Anteil aus Nordafrika.5


Zur Stuttgarter Krawallnacht konnten bis einschließlich November 2020 106 Tatverdächtige ermittelt werden. Von den Tatverdächtigen hatten zwar viele die deutsche Staatsbürgerschaft; 83 hatten aber einen gesicherten Migrationshintergrund.6 Dass die Polizei diesen überhaupt ermittelt hat, ist dabei als angeblich diskriminierende und völlig überflüssige „Stammbaumforschung“ kritisiert7 und als Ausdruck rassistischer Narrative gewertet worden.8 Auf die Berechtigung einer solchen Erfassung und auf die Berechtigung einer dagegen gerichteten Kritik wird hier an späterer Stelle noch gesondert eingegangen, wenn das Thema „Deutsche mit Migrationshintergrund“ näher beleuchtet wird.


Bei den Ausschreitungen auf dem Opernplatz in Frankfurt am 19.7.2020 gab es 39 Festgenommene. Von diesen 39 stammten zwölf aus Syrien, Spanien, Marokko und der Türkei. 27 waren deutsche Staatsbürger, allerdings „überwiegend“ mit Migrationshintergrund.9


Bei den Ausschreitungen in der Berliner Silvesternacht 2022 konnten bis zum 19.1.2023 insgesamt 44 Tatverdächtige ermittelt werden. Nach Angaben der Berliner Polizei hatten von diesen 18 nur eine ausländische und weitere zehn eine deutsche und eine ausländische Staatsangehörigkeit; 16 hatten nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Wie hoch unter der letzten Gruppe der Anteil der Deutschen mit Migrationshintergrund war, wurde nicht mitgeteilt.10


Die Ausschreitungen in Castrop-Rauxel und Essen im Juni 2023 waren offenbar Kämpfe zwischen libanesischen und syrischen Clans – und damit zumindest dem Migrationshintergrund nach rein migrantisch.11


Und auch unterhalb solcher Großereignisse nehmen Krawalle offenbar in den letzten Jahren zu. Dies scheint namentlich für Ausschreitungen in Freibädern zu gelten, die in den letzten Jahren verstärkt berichtet wurden und bei denen (auch hier bei aller Unsicherheit) Ausländer (bzw. allgemein: Täter mit Migrationshintergrund) überdurchschnittlich vertreten zu sein scheinen.12 Aus Kapazitätsgründen soll darauf an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden.


Ein weiteres insgesamt offenbar zunehmendes gefährliches Kriminalitätsphänomen sind schließlich die sog. Messerangriffe. Die PKS des Bundes versteht darunter „Tathandlungen, bei denen der Angriff mit einem Messer unmittelbar gegen eine Person angedroht oder ausgeführt wird. Das bloße Mitführen eines Messers reicht hingegen zu einer Erfassung als Messerangriff nicht aus.“13 Eine bundeseinheitliche Erfassung dieser Kriminalitätsformen als Kriminalitätsphänomen findet dabei erst seit 2020 statt, sodass sich auch nur für die Jahre 2021 und 2022 entsprechende Daten in der PKS des Bundes finden. Diese lassen freilich für das Bundesgebiet insgesamt einen bemerkenswerten Anstieg erkennen: Bei gefährlichen und schweren Körperverletzungen nahm die absolute Zahl der als Messerangriff gewerteten Delikte von 7.071 im Jahr 2021 auf 8.160 im Jahre 2022 zu. Bei Raubdelikten stieg die Zahl von 3.060 auf 4.195.14 Hohe Zuwächse verzeichnet für ihr Einsatzgebiet auch die Bundespolizei: Zwischen dem zweiten Halbjahr 2021 und dem ersten Halbjahr 2022 nahm die Zahl der Körperverletzungsdelikte unter Einsatz von Messern von 46 auf 98 zu.15 Bundeseinheitlich scheint der Trend allerdings nicht zu sein: In Nordrhein-Westfalen, wo Messerangriffe schon länger statistisch erfasst werden, ist die Zahl von 2021 auf 2022 leicht gesunken (von 4.397 auf 4.191 Fälle) und liegt damit insgesamt noch deutlich unter den Zahlen aus dem Jahre 2019 (5.780 Fälle),16 wobei freilich pandemiebedingte Effekte bei letzterem eine Rolle spielen dürften.


Soweit es um die Tatverdächtigen geht, bieten die verschiedenen Statistiken ebenfalls kein einheitliches Bild, hier freilich schon in der Herangehensweise: Aus „methodischen Gründen“ ließe sich nach Darstellung der PKS Bund der Einsatz eines Messers nicht ohne Weiteres Tatverdächtigen zuordnen (etwa, weil nicht alle Verdächtigen an der Tat sich auch an dem Messereinsatz beteiligen), sodass die PKS Bund schlicht keine Tatverdächtigen-Zahlen zu Messerangriffen bietet.17 Für Nordrhein-Westfalen gibt es solche Daten zu den Tatverdächtigen jedoch. Das Ergebnis ist auch hier wieder recht eindeutig: Von den 3.991 ermittelten Tatverdächtigen bei Messerangriffen lag der Ausländeranteil bei 44,1% (gegen 14% Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung in NRW). Ähnlich hohe Anteile ergaben sich in NRW auch für die Vorjahre 2019–2021.18 Einen noch etwas höheren Anteil an Nicht-Deutschen ermittelte die baden-württembergische Polizei im Jahre 2021: Von 1.562 ermittelten Tatverdächtigen in diesem Phänomenbereich waren 698 deutsche, 331 Asylbewerber und 533 andere Nicht-Deutsche. Der Gesamtanteil der Nicht-Deutschen lag mit 864 damit bei 55,3%.19 Und die Bundespolizei ermittelte für die erste Jahreshälfte 2022 80 deutsche, 82 nicht-deutsche und 61 Täter mit nicht erfasster Staatsangehörigkeit.20 Bei allen noch bestehenden statistischen Unsicherheiten und Schwankungen hinsichtlich dieses noch nicht sehr lange erfassten Phänomens kann daher jedenfalls dies bereits jetzt als recht eindeutig gesichert gelten: Der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen ist (auch) hier weit überproportional.


Blickt man insgesamt auf den Ausländeranteil an den Tatverdächtigen, so lassen sich zwei Trends festmachen: Zum einen ist der Ausländeranteil an den Tatverdächtigen quasi immer höher als ihr Anteil an der Bevölkerung. Und zum anderen gibt es zumindest die Tendenz, dass er umso höher ist, je gravierender das Delikt bzw. die Begehungsform sich darstellt (etwa bei Tötungsdelikten im Vergleich zum Anteil an der Gesamtzahl aller Taten, bei dem Vergleich einfacher und erschwerter Formen der Körperverletzung oder bei Rauschgiftdelikten mit deutlich höherem Anteil bei Taten mit Heroin als mit Cannabis).