Recht und Justiz

Familienrechtliche Verfahren unterlaufen zu oft strafrechtliche Ermittlungen und gefahrenabwehrende Maßnahmen nach häuslicher Gewalt

Von PD a.D. Rainer Becker und Dana Zelck, Berlin/Güstrow¹

 

1 Das Problem


Die Istanbul-Konvention (IK) enthält das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, sie schützt Frauen und Mädchen vor jeglicher Form von Gewalt. Ausdrücklich regelt sie aber auch den Schutz unserer Kinder. Da Deutschland diesen völkerrechtlichen Vertrag ratifiziert hat, ist es seit dem 1.2.2018 rechtlich an seine Bestimmungen gebunden.2 Damit hat die IK den Status eines Bundesgesetzes, das von Politik, Verwaltung und Richterschaft verbindlich anzuwenden ist. Doch die Realität sieht leider zu oft anders aus. Vielfach wird sie in der Praxis der Arbeit der Jugendämter und von deutschen Familiengerichten ignoriert – und dies nicht selten mit schlimmen Folgen für die Kinder.


So enthält z.B. und u.a. Art. 31 IK klare Vorgaben. In Abs. 1 heißt es: „Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallende gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht betreffend Kinder berücksichtigt werden“. Und weiter in Abs. 2: „Die Vertragsparteien treffen die erforderlichen gesetzgeberischen oder sonstigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet“.


Konkret bedeutet dies, dass häusliche Gewalt gegen ein Elternteil bei Entscheidungen über das Umgangs- und Sorgerecht der Kinder berücksichtigt werden muss und dass die Rechte des gewaltausübenden Elternteils weder die Sicherheit des von Gewalt betroffenen Elternteils noch der Kinder gefährden darf.


Entgegen den Vorgaben der Konvention werden Fälle von häuslicher Gewalt von Jugendämtern und Familiengerichten zu oft jedoch nur als Partnerschaftskonflikt betrachtet und die Erziehungsfähigkeit übergriffig gewordener Elternteile nicht ausreichend hinterfragt. In der Praxis ist oft feststellen, dass Gerichte vielfach Umgänge anordnen, weil nicht das Kind, sondern „nur“ der andere Elternteil geschlagen wurde und das, obwohl sogar noch Ermittlungen hierzu anhängig sind.


Gleiches gilt für Jugendämter, die gemäß § 162 FamFG von den Familiengerichten zu Fragen einer Kindeswohlgefährdung im Sinne von § 1666 BGB obligatorisch zu beteiligen sind. Hierdurch haben Jugendämter einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf diesbezügliche Entscheidungen der Familiengerichte.

 

2 Umgänge mit gewalttätigen Elternteilen sind alles andere als ungefährlich


Der Deutsche Verein für öffentliche und private Vorsorge e.V. bezieht klar Position: „Kinder, die häusliche Gewalt gegen einen Elternteil erleben, sind immer mitbetroffen und werden zu Opfern dieser Gewaltvorfälle. (Gerichtliche) Entscheidungen, die dies nicht oder nicht angemessen bei der Abwägung der beteiligten Interessen und der Gewichtung von Gewaltschutz und elterlichen Rechten berücksichtigen, können schwere sekundäre Traumatisierungen von Kindern zur Folge haben.“3


Auch wenn dies sicherlich nicht alle Fälle hochstrittiger Trennungen betrifft, muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen im Rahmen einer Untersuchung von Tötungsdelikten zum Nachteil von Kindern zwischen 6 und 13 Jahre feststellte, dass es Hinweise auf Belastungen der Opfer im Vorfeld der Tat für 74 Opfer (74,7%) gab. Unter den Belastungen dominierte das Merkmal „Trennung/Scheidung der Eltern“.4 Ferner wurde erhoben, ob es Hinweise auf Belastungen gab, denen das Opfer im Vorfeld der Tat ausgesetzt war. Belastende Situationen wurden bei insgesamt 119 Opfern (62,0%) festgestellt. In 55 Fällen (28,6%) lag eine belastende Trennung/Scheidung der Eltern vor.5 Eine eigene Untersuchung der Verfasser kam zu einem gleichen Ergebnis: In mindestens rund 25% aller Tötungsdelikte gegen Kinder gab es Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Trennung der Eltern bzw. sorge- oder umgangsrechtlichen Auseinandersetzungen.6 Trennungen der Erziehungspersonen und Streitigkeiten um das Sorge- oder Umgangsrecht scheinen somit alles andere als ungefährlich für die Kinder der streitenden Parteien zu sein. Ein spezielles Problem ist, dass wenn ein gewaltbetroffenes Elternteil zu verhindern versucht, dass sein Kind den Risiken von Gewalt ausgesetzt wird, ihm dies oftmals als sog. Bindungsintoleranz und Eltern-Kind-Entfremdung ausgelegt wird und ihm dadurch ein Entzug der elterlichen Sorge droht. Aus Sicht der Verfasser verstößt eine derartige Entscheidungspraxis gegen die Istanbul-Konvention.

 

3 Der Deutsche Verein für öffentliche und private Vorsorge bezieht Stellung


Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. erklärte in seinen Empfehlungen für eine Reform des Familien- und Familienverfahrensrechts unter Berücksichtigung von häuslicher Gewalt u.a.: „Im Regelfall ist es dem gewaltbetroffenen Elternteil nicht zuzumuten, zu dem gewaltausübenden Elternteil Kontakt aufzunehmen und seine Mitwirkung in das Kind betreffenden Angelegenheiten einzufordern. Auch das für eine paritätische Betreuung, insbesondere das sog. Wechselmodell, notwendige Maß an Kooperation und Kommunikation wird im Regelfall nicht erreicht. Auch der Anordnung eines paritätischen Wechselmodells entgegen dem Willen eines Elternteils steht der Deutsche Verein ablehnend gegenüber.“7


Das die Sorge ausübende Elternteil wird zu oft in ein von Amts wegen erzeugtes Dilemma gedrängt und u.U. auch noch dafür „bestraft“, dass es seine Fürsorgepflicht gegenüber seinem Kind zu erfüllen versucht. Dabei ist es doch alleine schon auf Grund seiner ihm obliegenden Fürsorgepflicht von Gesetzes wegen zur Bindungsintoleranz verpflichtet.

 

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