Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht
Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist
Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden
1 Materielles Strafrecht
§ 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung; hier: Verwendung gefährlichen Werkzeugs bei K.O.-Tropfen. Der Angeklagte (A) fragte die Nebenklägerin (N), ob sie ein Sekt-Mischgetränk, einen mit Alkohol versetzten sog. Iced Tea, trinken möchte, was sie bejahte. Der A nahm sodann eine bereits geöffnete Sektflasche mit Iced Tea aus dem Kühlschrank. Von der N unbemerkt mischte er mittels einer Einwegspritze 1,8 bis 2 Milliliter Gamma-Butyrolaceton (GBL) in das Glas der N. Dem A waren hierbei die Wirkungen des GBL aufgrund der früheren Verwendung bei seiner Partnerin und eigener Internetrecherchen bekannt. Die N trank vom dem Sektmischgetränk und schlief aufgrund der starken Wirkungen des GBL ein. Anschließend missbrauchte A die N.
Die Verabreichung sog. K.O.-Tropfen (hier: GBL) in ein Getränk, um den hierdurch verursachten Zustand von Widerstandsunfähigkeit des Opfers zur Vornahme von sexuellen Handlungen an dem Opfer auszunutzen, erfüllt das Tatbestandsmerkmal des Verwendens eines gefährlichen Werkzeugs im Sinne des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 8 Nr. 1 Alt. 2 StGB. (LG Saarbrücken, Urt. v. 31.3.2023 – 3 KLs 35/22)
§ 202a StGB – Ausspähen von Daten; hier: Zugangssicherung durch Passwort. Die geschädigte Firma (V) ist Webhosting-Anbieter unter anderem für Online-Handel mit JTL-Software, einem Warenwirtschaftssystem. Diese Software stellt die V über eine hauseigene Schnittstelle zahlreichen Firmenkunden entgeltlich zur Verfügung. Bestandteil des Hostings ist die Zurverfügungstellung von Kundendatenbanken der Endkunden der jeweiligen Firmenkunden. V ist im Besitz der Daten von ca. 600.000 bis 700.000 Endkunden, verteilt auf die verschiedenen Online-Händler, die ihrerseits Kunden der V sind. Zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt nahm der Angeschuldigte (A) von seiner Wohnung aus Zugriff auf den Datenbankserver der V. Dies tat er, indem er zunächst mittels eines sog. Decompilers – eines für jedermann zugänglichen Programms – aus der von der geschädigten Firma genutzten Software einen Quellcode erzeugte. Dem durch die Dekompilierung erlangten Quellcode entnahm er anschließend das dort im Klartext hinterlegte Passwort, mit dem er dann die Zugangsdaten zu den jeweiligen Kundendatenbanken auslas und diese auf seinen eigenen Computer kopierte.
Das Auslesen des Passwortes nach Dekompilierung des Objektcodes in den Quellcode stellt eine Überwindung einer besonderen Zugangssicherung i.S.d. § 202a StGB auch dann dar, wenn sie mit für jedermann zugänglichen PC-Tools erfolgt ist. (LG Aachen, Urt. v. 27.7.2023 – 60 Qs 16/23)
§ 211 StGB – Mord; hier: Heimtückische Tötung eines Säuglings. Die Angeklagte (A) bewohnte mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen drei Monate alten Tochter ein Zimmer in einer Asylbewerberunterkunft. Sie fühlte sich zunehmend allein gelassen und hilflos. Eines Abends tötete sie mit mehreren Messerstichen ihre Tochter. Zum Tatzeitpunkt befand sich ihr Ehemann etwa 360 Meter von dem Gebäude, in dem sich das von der Familie bewohnte Zimmer befand, entfernt im Außenbereich des Geländes.
Bei der Tötung eines wenige Wochen oder Monate alten Kleinkindes kommt es für die Frage der Heimtücke nicht auf dessen Arg- und Wehrlosigkeit an, weil es aufgrund seines Alters noch nicht zu Argwohn und Gegenwehr fähig ist, sondern auf die Arg- und Wehrlosigkeit eines im Hinblick auf das Kind schutzbereiten Dritten. Der potentiell schutzbereite Dritte muss nach den Umständen des Einzelfalls den Schutz wirksam erbringen können. Dies setzt zwar nicht voraus, dass er unmittelbar zugegen ist, unerlässlich ist aber eine „gewisse räumliche Nähe“. An diesem Erfordernis fehlt es dann, wenn aufgrund der räumlichen Entfernung vom Tatort der tödliche Angriff schon gar nicht wahrgenommen werden kann und eine Gegenwehr des Dritten auch deshalb zu spät käme, weil hierfür erst eine erhebliche räumliche Distanz überwunden werden muss. So war es in diesem Fall. Aus den getroffenen Feststellungen ergibt sich schon nicht, dass er an seinem Standort im Außenbereich des Geländes die Möglichkeit hatte, einen Angriff auf das Kind – etwa einen Schrei nach einer ersten Verletzung – wahrzunehmen. Mit einer Entfernung von 360 Metern liege dies auch fern. (BGH, Beschl. v. 12.7.2023 – 6 StR 231/23)
§ 241 Abs. 2 StGB – Bedrohung; hier: Zusendung eines Auszugs aus einem Märchen per E-Mail. Der Angeklagte (A), schrieb einer Angestellten bei der Kassenärztlichen Vereinigung (B) im Rahmen einer verbalen Auseinandersetzung eine Mail und bezog sich darin auf das Märchen „Die Gänsemagd“. Er bedrohte B dadurch, dass er sich in der Mail selbst die Rolle des alten Königs zuschrieb, der das Todesurteil über die falsche Magd sprach und aus dem Gesamtzusammenhang und für die Adressatin der Mail deutlich wurde, dass der A ihr die Rolle der falschen Magd zuwies, der gegenüber das Todesurteil seitens des Königs gesprochen wurde.
In dieser Handlung sah das Gericht eine strafbare Bedrohung mit einem Verbrechen, hier Totschlag. (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 4.5.2023 – 7 ORs 10/23)
§ 275 Abs. 1 Nr. 1 StGB – Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen; Vorbereitung der Herstellung von unrichtigen Impfausweisen; hier: Digitale Daten als Drucksätze zur Vorbereitung der Fälschung von amtlichen Ausweisen. Der Angeklagte (A) stellte Bilddateien her, die jeweils Vorder- und Rückseite einer französischen ID-Karte zeigten, in welche er die ihm übermittelten fiktiven Personalien und Lichtbilder nebst Unterschrift eingearbeitet und für die er die erforderlichen, auf die Falschpersonalien abgestimmten Ausweisnummern mittels im Internet verfügbarer Ausweisnummerngeneratoren erstellt hatte.
Der Begriff „Satz“ bezeichnet in der Drucktechnik den „Schriftsatz“, den gesetzten Text, aber auch insgesamt das durch das jeweilige Satzverfahren geschaffene Erzeugnis vorhergehender Arbeitsgänge in dem Fertigungsabschnitt, der dem eigentlichen Druck vorausgeht und in dem die jeweilige Vorlage in eine drucktaugliche Form gebracht wird. Aufgrund des technischen Wandels sind heute elektronische, digitale Satzverfahren üblich, die die früher verwendeten (Bleisatz, Fotosatz etc.) abgelöst haben. Es ist unschädlich, wenn die in einem digitalen Verfahren erzeugten Drucksätze falscher Ausweise nicht in körperlicher Form vorliegen. Dies ist eine notwendige Folge des technischen Wandels. (BGH, Beschl. v. 1.8.2023 – 5 StR 174/23)
§ 306a Abs. 2 StGB – Schwere Brandstiftung; hier: Gesundheitsgefahr durch Brandstiftung bei Hinzukommenden und Rettern. Für die Erfüllung des Tatbestands von § 306a Abs. 2 StGB kommt es bezüglich der Gefahr der Gesundheitsschädigung nicht darauf an, dass die Person, deren Gesundheit in konkrete Gefahr geraten ist, sich bereits im Zeitpunkt der Vornahme der Tathandlung im Wirkbereich der Tat befunden hat. Auch Personen, die nach diesem Zeitpunkt in deren Wirkbereich gelangen, sind grundsätzlich taugliche Gefährdungsopfer. Der tatbestandsspezifische Gefahrverwirklichungszusammenhang liegt auch dann vor, wenn nach der Brandlegung eine Person, die sich zu einem rettenden Eingreifen trotz der hiermit einhergehenden Risiken typischerweise, etwa aufgrund ihres Berufes oder als Garant, veranlasst sehen darf, zur Hilfeleistung hinzukommt und im Zusammenhang mit diesem Bemühen bei dem Rettungsversuch verletzt wird, sofern keine besonders riskante, unvernünftige oder sinnlose Rettungsaktion vorgenommen wurde. (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschl. v. 26.6.2023 – 203 StRR 212/23)
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