Gewaltkriminalität durch Kinder und Jugendliche
Prävalenz, Opfer-Täter-Transition, Prävention
Von Prof. Dr. Herbert Csef, Würzburg1
1 Kinder und Jugendliche als Opfer und als Täter von Gewaltkriminalität
Der Januskopf der Gewaltkriminalität bei Kindern und Jugendlichen zeigt beide Seiten. Kinder und Jugendliche sind sehr oft Opfer dieser Taten: Kindstötungen durch Mütter oder Väter, sexueller Missbrauch und körperliche Misshandlung sind häufige Straftaten, durch die Kinder und Jugendliche zu Opfern werden. Aktuell führten mehrere offizielle Berichte zur Kriminalität durch Kinder und Jugendliche dazu, diese als Täter im Brennpunkt zu diskutieren.
2 Erschreckende Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamts
Am 9. April 2024 legte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Ergebnisse der Polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2023 vor.2 Dabei kamen erschreckende Fakten ans Tageslicht: die Gewaltkriminalität insgesamt ist um 8,6% gestiegen. Die Ausländerkriminalität ist ebenfalls sehr herausfordernd: 41% der Tatverdächtigen hatten keinen deutschen Pass. Besorgniserregend ist die Zunahme der Gewaltkriminalität durch Kinder und Jugendliche. Bei den „Straftaten insgesamt ohne ausländerrechtliche Verstöße“ stieg die Zahl der tatverdächtigen Kinder im Vergleich zum Vorjahr um 7,8%, bei den tatverdächtigen Jugendlichen betrug der Anstieg 7,1%. Bei den einzelnen Formen der Gewaltkriminalität sind die prozentualen Zunahmen noch höher. Einzelne Länder meldeten schon ein Jahr zuvor hohe Anstiege bei tatverdächtigen Kindern. In NRW betrug der Anstieg von 2021 auf 2022 bemerkenswerte 41%.3 Die Polizeieinsätze an Berliner Schulen stiegen von 750 im Jahr 2021 auf 1076 im Jahr 2023. Die bayerische Kultusministerin Anna Stolz berichtete im März 2024 bei Gewalttaten an bayerischen Schulen einen Anstieg von 2022 auf 2023 um etwa 25%.4
3 Differenzierung in deutsche und nicht-deutsche Tatverdächtige
Wie bei anderen Altersgruppen zeigt sich bei tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen ebenfalls eine Überrepräsentation von nicht-deutschen Tatverdächtigen. Bei deutschen Kindern stieg die Zahl der Tatverdächtigen im Jahr 2023 um 2,8%, bei nicht-deutschen Kindern jedoch um 22,3%.5 Dies wird vom Bundeskriminalamt damit erklärt, dass von kriminellen Milieus unter Migranten häufig Kinder bei Diebstählen oder Drogendelikten gezielt eingesetzt werden, weil diese wegen Strafunmündigkeit meist vollkommen ohne strafrechtliche Konsequenzen davonkommen. Noch größer ist die Diskrepanz bei tatverdächtigen Jugendlichen. Bei den deutschen Jugendlichen blieben die Zahlen fast unverändert (lediglich 1% Anstieg), während sie bei nicht-deutschen Jugendlichen um 28,1% stiegen.
4 Die Messerstecherinnen von Freudenberg im März 2023
In Freudenberg (NRW) wurde die 12 Jahre alte Luise von zwei anderen ihr bekannten Mädchen (12 und 13 Jahre alt) erstochen. Es war ein besonders grausames Tötungsdelikt mit „Übertöten“: das Opfer wurde mit 70 Stichen eines längeren Messers getötet. Vermutlich waren die ersten Stiche bereits tödlich. Die Täterinnen im Kindesalter müssen sich in einen regelrechten Blutrausch hineingesteigert haben, wie er teilweise von Kindersoldaten in Afrika beschrieben wird. Die Täterinnen haben ihre Mordtat gestanden. Wegen Strafunmündigkeit erfolgte keine Anklage und die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wurden eingestellt. Kein anderes Tötungsdelikt durch Kinder wurde deutschlandweit so intensiv und langdauernd diskutiert wie die Freudenberger Bluttat. Der Landtag NRW hat sich mit der Freudenberger Bluttat beschäftigt und gab eine Studie zum Anstieg der Kinder- und Jugendgewalt in Auftrag. Ein Jahr nach der Tat erfolgten Gedenkfeiern und zahlreiche Medienberichte. Eine vergleichbare Tat gab es in der Nachkriegszeit in Deutschland nicht. Dass zwei Mädchen eine bekannte Schulkameradin so grausam und bestialisch erstechen, ist eine außergewöhnliche Ausnahme. Es gab jedoch in den Jahren 2023 und 2024 weitere Tötungsdelikte durch Kinder. In den letzten Jahren lagen insgesamt die Straftaten gegen das Leben (Mord und Totschlag) durch Kinder zwischen 5 und 15 Fällen pro Jahr. Im Jahr 2022 waren es 19. Es gab indes 206 Tötungsdelikte durch tatverdächtige Jugendliche.
5 Tötungsdelikte durch Kinder und Jugendliche
Die meisten Kindstötungen werden von Müttern an eigenen Kindern begangen. Bei den seltenen Fällen, in denen Kinder durch andere Kinder oder Jugendliche getötet werden, sind Täter und Opfer fast gleichaltrig. Die Tatmotive sind deutlich andere als bei Kindstötungen durch Mütter oder Väter des Kindes. Meist gingen der Tötung emotional-affektive Auseinandersetzungen voraus. Erhöhte Aggressionsbereitschaft, gestörte Emotionsregulation und reduzierte Impulshemmung können bei dissozialen Kindern und Jugendlichen zu Tötungsdelikten führen. Der Anteil von tatverdächtigen Kindern und Jugendlichen an der Gesamtheit der Kindstötungen ist jedoch relativ gering. Das mediale Interesse an diesen Tötungsdelikten ist aber riesig. Im Jahr 2023 gab es nach der Freudenberger Bluttat noch weitereTötungsdelikte durch Kinder und Jugendliche, die in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt haben. Im April 2023 wurde die 10 Jahre alte Lena in einem Kinderheim durch Gewalt gegen den Hals getötet. Bei der Tat mitbeteiligt soll ein 11 Jahre alter Junge aus dem Heim gewesen sein. Im September 2023 gab es zwei weitere Tötungsdelikte durch 14-Jährige. In Lohr am Main tötete ein 14-jähriger Schüler einen ihm bekannten Gleichaltrigen mit Kopfschuss. Einige Wochen später erstach im norddeutschen Pragsdorf ein 14-Jähriger einen sechsjährigen Jungen, den er kannte und der in seiner Nähe wohnte. Im November 2023 hat in Darmstadt ein 15-Jähriger einen Obdachlosen mit etwa 80 Fußtritten totgetreten. Anfang April 2024 töteten zwei Kinder und zwei Jugendliche im Dortmunder Hafen ebenfalls einen Obdachlosen. Der mutmaßliche Haupttäter war 13 Jahre alt und hat das Opfer erstochen. Diese Tötungsdelikte haben die Öffentlichkeit sehr beschäftigt. Wegen noch nicht gegebener Strafmündigkeit können einige der Täterinnen und Täter nicht vor ein Gericht gestellt werden. Bei den anderen aktuellen Fällen stehen die Gerichtsprozesse noch aus. Den besten Einblick in die Tatmotive und die Täterpersönlichkeiten haben die Forensischen Psychiater, die vom Gericht als Sachverständige bestellt werden. Helmut Remschmidt, der Nestor der deutschen Kinder- und Jugendpsychiatrie, hat sich jahrzehntelang als Sachverständiger und Forscher mit Tötungsdelikten von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Er hat sehr aufschlussreiche Bücher über seine Studien geschrieben.6
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