Gewalt gegen privatrechtlich und hoheitlich handelnde Sicherheitskräfte bei Fußballveranstaltungen
Von Prof. Dr. Raphael Röttinger, Ulm¹
1 Gewaltbereitschaft im Kontext Fußball
Gewalt gegen privatrechtlich und hoheitlich handelnde Sicherheitskräfte bei Fußballveranstaltungen stellt ein wachsendes Problem dar. Neben den Gefahren für Leib und Leben der Sicherheitskräfte verursacht es auch jährliche Kosten in Höhe von 44 Millionen Euro (Andres et al., 2022).2 Die durchschnittliche Anzahl der Gewaltdelikte an Tagen mit Fußballspielen ist generell höher als an Tagen ohne Fußballspiele. Besonders auffällig ist der Samstag, an dem die Gewaltdeliktsrate an Spieltagen deutlich höher liegt als an Nicht-Spieltagen, was auf ein erhöhtes Gewaltaufkommen bei Fußballveranstaltungen hinweist. Der folgende Beitrag nutzt als Grundlage einen Presseartikel über rassistische und gewalttätige Ausschreitungen in Warnemünde am 15. Juni 2024 (NDR, 2024), um die Ursachen von und Maßnahmen gegen Gewalt bei Fußballveranstaltungen zu beleuchten. Die leitende Frage dabei ist: Welche Maßnahmen können die Gewalt gegen Sicherheitskräfte bei Fußballveranstaltungen wirksam reduzieren? In Warnemünde kam es nach dem EM-Auftaktspiel am 15. Juni 2024 beispielsweise zu rassistischen und gewalttätigen Ausschreitungen. Mehrere Personen riefen volksverhetzende Parolen wie „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ und drohten sowohl den Polizisten als auch Zivilpersonen zunächst mit Gewalt. Eine Gruppe, darunter ein 54-jähriger Mann und seine 15-jährige Tochter, verhielt sich besonders aggressiv gegenüber den Beamten. Ein weiterer 26-jähriger Mann hob mehrfach den Arm zum Hitlergruß und rief „Heil Hitler“. Bei dem Versuch, die Täter zu identifizieren, wurden die Polizisten körperlich angegriffen, wobei einer der Angreifer versuchte, einem Beamten die Schusswaffe zu entreißen. Die Polizei musste Verstärkung anfordern und die S-Bahn, in der sich die Verdächtigen befanden, für 41 Minuten stoppen, um die Situation zu kontrollieren. Es wurden zahlreiche Strafanzeigen wegen Volksverhetzung und tätlichen Angriffs auf Polizeikräfte gefertigt (NDR, 2024).
2 Ursachen der Gewalt
2.1 Emotionale Aufladung und Gruppendynamik
Kollektive Gewalthandlungen treten häufig auf, wenn große Menschenmengen in einem kurzen Zeitfenster den Eindruck gewinnen, dass staatliche Organe nicht in der Lage sind, Sicherheit und Ordnung durchzusetzen (Kühl, 2017).
Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei Fußballspielen, insbesondere während großer Turniere, beobachten. Diese Veranstaltungen sind emotional stark aufgeladen, etwa durch das gemeinsame Singen von Hymnen und Liedern (Bensimon & Bodner, 2011). Solche intensiven Emotionen können leicht in Aggression umschlagen, vor allem wenn Fans in großen Gruppen auftreten und ein starkes Gruppengefühl entwickeln oder das favorisierte Team verliert (Kerr et al., 2015). Die Gruppendynamik verstärkt das Gefühl der Anonymität und führt zur Deindividuation (Festinger et al., 1952), wodurch Menschenmengen eine Eigendynamik entwickeln können (Le Bon, 1982), die die Hemmschwelle für gewalttätiges Verhalten senkt.
2.2 Rassismus und Extremismus
Ein weiterer Faktor ist die Präsenz von Rassismus und extremistischen Ideologien unter einigen Fans (Pilz, 2008). Diese Ideologien fördern die Bereitschaft, Ordnungskräfte anzugreifen (Zick, 2014). Der Vorfall in Warnemünde zeigt, wie rassistische Parolen und verfassungswidrige Gesten zu unmittelbaren physischen Auseinandersetzungen führen können.
2.3 Alkohol und Drogen
Der Konsum von Alkohol und Drogen ist bei vielen Fußballveranstaltungen weit verbreitet (Deimel & Arasteh-Roodsary, 2024) und kann zu einem enthemmten und aggressiven Verhalten beitragen (Parrot & Eckhardt, 2016). Dies kann die Wahrscheinlichkeit von Konflikten und Übergriffen auf Sicherheitskräfte erhöhen.
3 Prävention, Repression und Kontrolle
Die Bekämpfung von Gewalt bei Fußballveranstaltungen erfordert umfassende und gut durchdachte Maßnahmen, die sowohl präventive als auch repressive Aspekte berücksichtigen. Das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“ (NKSS) spielt hier eine zentrale Rolle. Das NKSS wurde 1992 eingeführt und 2012 erweitert, um die Sicherheit in deutschen Fußballstadien zu gewährleisten (Chalkiadaki, 2015). Es verfolgt einen integrierten Ansatz, bei dem verschiedene Akteure, darunter Fußballvereine, politische Institutionen, Polizei, Rettungsdienste und privatrechtlich agierende Sicherheitskräfte, gemeinsam neue Sicherheitskonzepte entwickeln. Ein entscheidender Bestandteil dieses Konzepts ist die Einführung bundesweiter Stadionverbote. Zudem wurde das Zentrale Informationsbüro für Sporteinsätze (ZIS) eingerichtet, das alle relevanten Informationen zu Sportveranstaltungen koordiniert (Chalkiadaki, 2015).
3.1 Zusammenarbeit mit Vereinen und Fangruppen
Eine enge Zusammenarbeit mit Fußballvereinen und organisierten Fangruppen kann dabei helfen, potenzielle Konflikte zu identifizieren und präventiv zu handeln. Aufklärungskampagnen und Dialoge können das Bewusstsein für die Konsequenzen von Gewalt erhöhen und eine positive Fankultur fördern. Bereits im NKSS von 2012 wurde betont, dass Fans als wichtige Partner für eine verantwortungsvolle Fankultur gewonnen werden sollten, anstatt sie als Risikofaktoren zu betrachten (NKSS, 2012). Die Integration der Fanprojekte als offizielle Partner im Sicherheitsnetzwerk, trotz anfänglicher Vorbehalte, verdeutlicht den Wandel hin zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit (Gabler, 2017). Diese Zusammenarbeit wurde durch die Verpflichtung der Bundesliga-Clubs im Jahr 2012, intensiv mit den aktiven Fanszenen und Fanprojekten zu kooperieren, weiter gestärkt (Pilz, 2019). Ein weiterer Schwerpunkt der NKSS-Reform von 2012 liegt auf der Verbesserung des Netzwerkdialogs und der koordinierten Aktion der Partner mit der Polizei, was die Netzwerkcharakteristik des NKSS weiter verstärkte (NKSS, 2012). Diese Maßnahmen zur Förderung eines offenen Dialogs und der Integration verschiedener Akteure sind entscheidend für die Prävention von Fangewalt und für die Förderung einer positiven Fankultur.
3.2 Eingriffsrelevante Maßnahmen
Das NKSS sieht verschiedene präventive und repressive Schritte vor, um Gewalt einzudämmen. Dazu zählen:
- Stadionverbote: Diese können bei wiederholtem gewalttätigem Verhalten verhängt werden und sollen potenzielle Täter abschrecken (NKSS, 1992).
- Sicherheitskontrollen: Um gefährliche und verbotene Gegenstände aus den Stadien fernzuhalten, werden umfassende Einlasskontrollen durchgeführt (NKSS, 1992).
- Videoüberwachung: Diese wird zur Prävention von Gewalt und zur Identifizierung von Straftätern eingesetzt. Dabei muss jedoch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt bleiben (Müller-Eiselt, 2015).
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