Gesprengte Geldautomaten – Ein Zeitüberblick
Von Dr. Reinhard Scholzen, Daun-Waldkönigen¹
Das Ende August 2024 vom Bundeskriminalamt (BKA) herausgegebene Lagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ weist für das Jahr 2023 einen leichten Rückgang der Fallzahlen auf. Zur Sorglosigkeit gibt es jedoch keinen Anlass.
1 Wandel in der Vorgehensweise
Als die Stadtsparkasse München in den späten 1970er-Jahren einen Geldausgabeautomaten (GAA) in Betrieb nahm, war sie damit der Vorreiter in Deutschland. Zwar wurden solche Geräte bald auch in anderen Geldinstituten installiert, aber die Begeisterung der Kunden für das Geld aus dem Blechkasten war zunächst nur gering. Das änderte sich, als die Nutzer einen echten Mehrwert erhielten, weil die Automaten nicht mehr innerhalb der Banken aufgestellt wurden, sondern entweder im Foyer oder im Außenbereich der Geldinstitute angebracht wurden. Somit war es möglich, rund um die Uhr, an jedem Wochentag Geld abzuheben. Diese Verlagerung des Standortes weckte bald bei Straftätern Begehrlichkeiten. Diese rückten mit schwerem Handwerkszeug wie Brecheisen und Spaltaxt an, um an den wertvollen Inhalt der Kästen zu gelangen. Daraufhin konstruierten die Hersteller deutlich stabilere Geldautomaten, was wiederum bei den Tätern zu neuen Modi Operandi führte. Jetzt wurden Trennschneider oder Schweißapparate benutzt oder mit brachialer Gewalt das komplette Gerät aus seiner Verankerung gerissen, wozu mitunter schwere Baumaschinen verwendet wurden. Dies löste wiederum bei den Herstellern der GAA ein Nachrüsten aus. Umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen wurden ergriffen, womit diesen mechanischen Angriffen meist ein Riegel vorgeschoben werden konnte. Auch hierauf reagierten die Täter. Etwa ab dem Jahr 2013 setzten sie an der noch schwachen Stelle der Automaten an, indem sie in deren Öffnungen Gas einströmen ließen und dieses sodann entzündeten. Dabei wurden verschiedene Gase, Zündquellen und auch Zündleitungen verwendet. In der Folgezeit stieg die Zahl der Automatensprengungen drastisch an. Daher veröffentlicht das BKA seit dem Herbst 2016 die Erkenntnisse zu diesen Straftaten in dem jährlich aktualisierten Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“.2
Die Täter passten auch in der Folgezeit ihre Vorgehensweise kontinuierlich an die Sicherungsmaßnahmen an. Nachdem viele Betreiber ihre neuen Geräte mit Gasneutralisationssystemen ausgestattet hatten, wurde immer öfter Sprengstoff benutzt. Betrachtet man die Taten aus strafrechtlicher Perspektive, so handelt es sich dabei um den Verbrechenstatbestand des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion nach § 308 StGB in Tateinheit mit einem besonders schweren Fall des Diebstahls (§ 243 StGB). Da die Taten meist von Banden begangen werden, greift § 244a StGB, der schwere Bandendiebstahl. Im Jahr 2018 erfasste das BKA bereits 20 Fälle, in denen die Täter einen Festsprengstoff verwendeten. Zwei Jahre später konstatierte die Wiesbadener Behörde einen „sprunghaften Anstieg von Sprengungen mit festen Explosivstoffen.“3 Im Jahr 2022 wurde die bisher höchste Zahl von Geldautomatensprengungen erfasst. 2023 sank sowohl die Zahl der Versuche als auch der vollendeten Taten ein wenig ab.
Die nordrhein-westfälische Polizei machte zu der Tatbegehung im Jahr 2021 auf ihrer Internetseite umfangreiche Angaben: „Bei der überwiegenden Anzahl der Fälle werden durch die Täter zwei Sprengungen durchgeführt. Zunächst wird der ‚Kopf‘ des GAA mit einer ersten Sprengung geöffnet, um dann im Rahmen einer zweiten Sprengung ein so genanntes ‚Fascia-Paket‘ einzuführen und umzusetzen. Aufgrund der deutlich höheren Sprengwirkung von Explosivstoffen im Vergleich zu Gassprengungen entstehen regelmäßig hohe Schadensbilder an Gebäuden und der umliegenden Infrastruktur mit unkalkulierbaren Gefahren für unbeteiligte Dritte sowie eingesetzte Kräfte.“
2 Täter und Tatorte
Bereits die Auswertung des Jahres 2015 ergab, dass häufig Banken in Nordrhein-Westfalen (70 Fälle) und Niedersachsen (28 Fälle) betroffen waren. Über viele Jahre ergaben sich für NRW mit deutlichem Abstand die größten Häufigkeitszahlen (HZ), also die Zahl der Sprengungen, berechnet auf 100.000 Einwohner. Dies änderte sich 2022, als Rheinland-Pfalz diese Spitzenposition übernahm. 2023 war die HZ im Saarland am höchsten.
Über viele Jahre galt, dass die Auswertungen des BKA einen deutlichen Schwerpunkt der Taten in der dunklen Jahreszeit auswiesen. Im Jahr 2022 ereigneten sich die meisten Automatensprengungen im Dezember (63), gefolgt vom Januar (56), November (51) und März (49). Dies änderte sich im Jahr 2023. Mit jeweils 52 Taten waren Mai und September am höchsten belastet, gefolgt vom Januar (51), März (47) und 45 Fällen im Oktober.4 Sehr früh zeigte sich, dass die Tatbegehungsweisen und die Tätergruppen eng miteinander verknüpft waren. Bereits im ersten Bundeslagebild „Angriffe auf Geldautomaten“ stellte das BKA heraus, „nur in wenigen Fällen“ seien Einzeltäter am Werk, fast immer würden die Taten von Gruppierungen begangen, die arbeitsteilig vorgingen. Die ersten Täter kamen in großer Zahl aus den Niederlanden und wiesen einen Migrationshintergrund aus Marokko auf.5 Nach Erkenntnissen der niederländischen Polizei und des LKA NRW waren sie überwiegend männlich und zwischen 18 und 35 Jahre alt. Die meisten lebten in den niederländischen Großstädten Amsterdam, Rotterdam und Utrecht. Das LKA NRW beschrieb sie euphemistisch als „oftmals sehr polizeierfahren“, die sensibel auf verdeckte polizeiliche Maßnahmen reagierten und ständig dazulernten.
Service
Aktivitäten
Aktuelle Ausgabe
Mit ihrem aktuellen und vielfältigen Themenspektrum, einer Mischung aus Theorie und Praxis und einem Team von renommierten Autorinnen und Autoren hat „Die Kriminalpolizei“ sich in den vergangenen Jahren einen ausgezeichneten Ruf erworben.
Erklärung einschlägiger Präventions-Begriffe
Meist gelesene Artikel
RSS Feed PolizeiDeinPartner.de
PolizeideinPartner.de - Newsfeed
-
Begleithilfe zu mehr Cybersicherheit nach Stand der Technik
Mit dem IT-Grundschutz des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) steht ein für Bundesbehörden ...
-
Neue Maßstäbe für die Cybersicherheit in Europa
Mit der NIS2-Richtlinie verfolgt die Europäische Union das Ziel, die Cybersicherheit in Europa weiter zu stärken und ...
-
Mehr Respekt im Straßenverkehr
Manche Mitmenschen lassen ihren Emotionen im Straßenverkehr freien Lauf. Sie strecken anderen den Mittelfinger ...
-
Messer im Klassenzimmer
Seit Jahren steigt die Messergewalt an Schulen bundesweit kontinuierlich an, ebenso die Debatte darüber, wie man mehr ...
-
Gewalt im Justizvollzug
Im Herbst 2023 sticht ein 22-jähriger Gefangener in einem Gefängnis in Frankenthal (Rheinland-Pfalz) einem ...
-
Die optimale Balance zwischen Cloud und On-Premise
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, ihre IT-Infrastruktur flexibel, effizient und sicher zu gestalten. Eine ...
-
IT-Sicherheit für KMU
Sich gegen den digitalen Trend zu stellen, ist so vergebens wie den Lauf der Zeit anhalten zu wollen. Doch jede ...