Diskriminierungsrisiken im polizeilichen Handeln
Teil 1: Diskriminierung ist ein Thema für die Polizei!
Von Prof. Dr. Claudius Ohder1 und Prof. Dr. Birgitta Sticher2, Berlin
Wenn Menschen oder Gruppen als ungleich angesehen und deshalb schlechter behandelt werden, werden sie diskriminiert. Sie sind dadurch in ihrer Würde verletzt. Die hohe und steigende gesellschaftliche Sensibilität gegenüber Diskriminierung ist nicht nur in Deutschland kein vorübergehender Hype. Sie hat strukturelle Ursachen.
- Die Diversität der Bevölkerung hat zugenommen. Dies ist mehr als eine bunte Neudekoration der Gesellschaft, denn soziale, religiöse, kulturelle und sprachliche Vielfalt, das Nebeneinander unterschiedlicher Lebensstile und sexueller Orientierungen ist notwendigerweise von Prozessen zur Stärkung individueller und gruppenbezogener Identität begleitet. Wenn das soziale Umfeld als heterogen wahrgenommen wird, steigt nämlich das Bedürfnis nach einer profilierten eigenen Lebenspraxis auf der Basis einer stabilen Wertestruktur, die durch soziale Bezugsgruppen mitgetragen wird. Identität bedarf der Anerkennung durch andere. Verweigerungen und besonders Abwertungen werden als feindselige Bedrohung erlebt.
- In einer diversen Gesellschaft sind Erfahrungen der Zurücksetzung, beispielsweise aufgrund von Herkunft, Überzeugungen oder Geschlecht „normal“, denn sie sind nicht auf „Minderheiten“ oder gar „Randgruppen“ begrenzt. Insofern haben die gesellschaftliche Pluralisierung und die damit verbundene soziale und kulturelle Segmentierung das Bewusstsein für Vielfalt und soziale Inklusion bzw. Exklusion gestärkt. Dies zeigt sich in einer wachsenden Sensibilisierung für Diskriminierung. Der Strukturwandel wird von einem Bewusstseinswandel begleitet.
- NGOs und politische Initiativen setzen an Diskriminierungsfällen an und erzeugen gesellschaftliche Aufmerksamkeit für das Thema. Soziale Medien bieten die Möglichkeit, entsprechende Informationen schnell und grenzenlos zu verbreiten und mit singulären lokalen Ereignissen die Weltöffentlichkeit zu erreichen. Dadurch wird Diskriminierung präsent.
- Durch eine stärkere rechtliche Beachtung von Diskriminierung hat eine Institutionalisierung der Auseinandersetzung mit Diskriminierung stattgefunden, welche die gewachsene gesellschaftliche Aufmerksamkeit gegenüber diesem Thema abbildet und zugleich verstärkt. Zu nennen sind hier insbesondere das 2006 in Kraft getretene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), die Einrichtung von staatlichen Stellen zum Monitoring von Diskriminierung, zur Beratung und Unterstützung von Betroffenen – etwa die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) – sowie die Schaffung besonderer Zuständigkeiten in Behörden, in öffentlichen Einrichtungen und Wirtschaftsunternehmen.
1 Ein offener polizeilicher Umgang mit dem Thema Diskriminierung ist notwendig
Vorwürfe, die Polizei behandele bestimmte Personen oder Bevölkerungsgruppen unfair, ungleich oder sogar gesetzeswidrig, sind nicht neu und häufig genug waren diese berechtigt.3Zugenommen hat jedoch deren Zahl (vgl. Jahresberichte der ADS 4), deren öffentliche Sichtbarkeit und Beachtung und vor allem die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob und weshalb polizeiliches Handeln besonders anfällig für Diskriminierung ist. Google Scholar nennt für die Kombination „Polizei und Diskriminierung“ über 15.000 seit 2014 veröffentlichte deutschsprachige Titel. Diese Entwicklungen sind kein Beleg für eine Zunahme von Diskriminierung. Sie verdeutlichen aber, dass die Institution Polizei und die Arbeit von Polizistinnen und Polizisten unter verstärkter kritischer Beobachtung stehen.
Die Reaktionen aus der Polizei auf Diskriminierungsvorwürfe waren und sind vielfältig. Untauglich sind Immunisierungsstrategien. Dazu zählt die Annahme, es gelte einen feindseligen pauschalen Diskriminierungsverdacht abzuwehren und man müsse sich daher der Auseinandersetzung mit polizeilicher Diskriminierung entziehen. Auch stumpfe Hinweise auf die besondere Bindung polizeilichen Handelns an die verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbote in Art. 3 Abs. 3 GG und an den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG greifen zu kurz, denn der Versuch, die Polizei über die verbreitete Sorge über Diskriminierung zu stellen, findet keine gesellschaftliche Akzeptanz. Besonders problematisch ist es, wenn belegte Fälle von Diskriminierung allein auf das Fehlverhalten einzelner Polizistinnen und Polizisten, sog. „schwarze Schafe“, zurückgeführt werden. Solche Reaktionen triggern Polarisierungen und tragen in keiner Weise zu dem notwendigen aufklärenden Diskurs bei.
Die Organisation Polizei, ihr Auftrag und das Handeln von Polizistinnen und Polizisten werden in den aktuellen Diskriminierungsdiskursen zwangsläufig in den Blick genommen. Grund dafür sind tatsächliche Diskriminierungen, aber mehr noch die Erwartung, dass „Polizei“ bei Diskriminierungen schützend und ggf. auch strafverfolgend tätig wird und sich an die Seite der Betroffenen stellt. Abweichungen von diesen Erwartungen werden besonders genau beobachtet. Der entscheidende Unterschied zu anderen staatlichen Institutionen liegt in der besonderen Rolle der Polizei in pluralen, demokratischen Gesellschaften. Sie ist die Institution, die Verantwortung für die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung trägt, von der aber darüber hinaus ein Beitrag zum Schutz demokratischer Strukturen, zur Herstellung sozialer Gleichheit und zur Sicherung von Grundrechten erwartet wird. Hierzu verfügt sie über besondere Mittel und Befugnisse bis hin zur Ausübung körperlicher Gewalt und zu dem Einsatz von Waffen. Solche hoch gesteckten gesellschaftlichen Erwartungen in Verbindung mit vielfältigen normierten und informellen Möglichkeiten der polizeilichen Machtausübung führen zu einem kontinuierlichen Legitimitätsdruck. Dieser zwingt die Polizei dazu, sich nicht nur mit Vorwürfen, sondern auch mit den durch ihr Handeln bzw. ihr Nicht-Handeln verbundenen Risiken der Diskriminierung von Personen und Gruppen in offener und glaubwürdiger Art zu beschäftigen. Andernfalls droht ihr ein schleichender Vertrauensverlust.
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