Recht und Justiz

Bessere Rechtsetzung als Daueraufgabe

Zur Evaluation sicherheitsbehördlicher Eingriffsgrundlagen


Von Prof. a.D. Hartmut Brenneisen, Preetz/Worms1

 

Die Schaffung neuer und die Fortschreibung bestehender Befugnisse mit präventiver und repressiver Zielstellung stellt häufig eine Gratwanderung dar. Aspekte der Freiheit und Gleichheit sind mit den Erfordernissen der Sicherheitslage sorgfältig auszutarieren und der Gesetzgeber hat das hoheitliche Eingriffshandeln in ein „lernendes Sicherheitsrecht“ einzubinden.2 Die fortlaufende Beobachtung der tatsächlichen Verhältnisse, eine Erhebung der Anwendungsfälle bestimmter Eingriffsinstrumente, die darauf aufbauende Ausweisung von Prävalenzraten und eine systematisch aufbereitete Erfassung der Folgewirkungen ist damit obligatorisch. Alles andere würde wenig nachhaltig sein und im Ergebnis einer „Symbolpolitik“ gleichkommen.3

 

1 Stellenwert und Festlegung


Die Evaluation sicherheitsbehördlicher Kompetenzen hat Verfassungsrang, geht es doch nicht zuletzt um Aspekte des Bestimmtheitsgebots sowie des Über- und Untermaßverbots. Sie ist gesetzlich zu regeln und darf keine alleinige Aussage in Parteiprogrammen oder Koalitionspapieren4 bleiben. Der Gesetzgeber hat den Prozess so zu gestalten, dass er dadurch zu einem angemessenen Zeitpunkt korrekte und sinnvoll aufbereitete Informationen über tatsächliche Sachverhalte und Entwicklungen sowie relevante Wirkungen der zu evaluierenden Eingriffsgrundlagen erhält.Rein interne Maßnahmen, die in der Behörde, deren Befugnisse zu evaluieren sind, selbst durchgeführt werden, scheiden aus.5


Albers6 weist auf bereits früher bestehende Klauseln wie beispielsweise im Terrorismusbekämpfungsgesetz (TBG7) hin und Pewestorf8 stellt berechtigt fest, dass heute Evaluierungs- und Berichtspflichten durch den Gesetzgeber verstärkt vorgesehen werden und damit nahezu zum Standard gehören.


Exemplarisch sollen nachfolgende Regelungen genannt werden:

  • Art. 13 Abs. 6 GG (Unterrichtungs- und Kontrollpflicht)
  • Art. 6 Gesetz zur Fortentwicklung des Völkerstrafrechts (Evaluierungs- und Berichtspflicht der Nebenklage bei Missachtung des VStGB)
  • § 43 Konsumcannabisgesetz (KCanG – Evaluierungs- und Berichtspflicht)
  • § 38 Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG – Evaluierungs- und Berichtspflicht)
  • § 101b StPO (Statistische Erfassung; Berichtspflichten)
  • § 70 ASOG Bln (Evaluierungspflicht)
  • § 75 HmbPolDVG (Berichtspflicht gegenüber der Bürgerschaft)
  • §§ 20c Abs. 10, 68 PolG NRW (Berichtspflichten gegenüber dem Landtag)
  • § 34 VersG NRW (Berichtspflicht gegenüber dem Landtag)
  • § 195a LVwG SH (Berichtspflicht über Rasterfahndungen gegenüber dem Landtag)
  • Art. 5 Abs. 2 Gesetz zur Änderung polizei- und ordnungsrechtlicher Vorschriften im LVwG SH – LVwGPORÄndG (Evaluierungs- und Verfallklausel der Vorschriften zum Gebrauch von Distanz-Elektroimpulsgeräten – DEIG)
  • § 116 SOG MV (Evaluierungspflicht)

Unabhängig davon stellt sich allerdings die Frage, inwieweit damit durchgehend wissenschaftlich abgesicherte Analysen der Folgen neuer oder geänderter Kompetenzen gewährleistet sind.

 

2 Bedingungen einer aussagekräftigen Evaluation


Denninger hat mit einer aussagekräftigen Evaluation fünf Schritte verbunden, die in zeitlicher Abfolge berücksichtigt werden müssen.9 Es geht um die Befristung, Beobachtung, Berichterstattung, qualitative Bewertung und ggf. die Nachbesserung durch den Gesetzgeber. Zur Gewährleistung einer umfassenden Transparenz ist zudem eine Veröffentlichung der erhobenen Daten als sechster Schritt hinzuzufügen.


Eine Befristung von hoheitlichen Befugnissen entspricht „alter Polizeirechtstradition“ und ist im Hinblick auf Rechtsverordnungen bereits auf § 34 PrPVG zurückzuführen.10 Auch heute stellt dies noch den Regelfall dar.11 Zwar ist die Bedeutung von Verordnungen zurückgegangen,12während der Corona-Pandemie haben diese jedoch gestützt auf das Infektionsschutzgesetz (IFSG) erkennbar eine Renaissance erlebt.


Verfallklauseln gelten aber auch für förmliche Gesetze oder dort verankerte Eingriffsinstrumente. Aktuellere Beispiele dafür sind:

 

  • Hessisches Versammlungsfreiheitsgesetz (§ 30 Abs. 2)
  • Telekommunikationsüberwachung nach § 100a Abs. 2 Nr. 1j StPO (beim Wohnungseinbruchdiebstahl i.S.d. § 244 Abs. 4 StGB)13
  • Datenerhebung durch Überwachung der laufenden Telekommunikation nach § 20c Abs. 10 PolG NRW
  • Einsatz von DEIG im Rahmen des unmittelbaren Zwangs nach §§ 251 Abs. 4, 256 Abs. 2, § 258a LVwG SH14
  • Bild- und Tonaufnahmen und -aufzeichnungen zum Schutz von Polizeivollzugsbeamten, Einsatzkräften von Feuerwehr und Rettungsdienst oder Dritten nach § 14c Abs. 10 ASOG Bln (a.F.)
  • Durchsuchung in durch Rechtsverordnung ausgewiesenen Waffenverbotszonen nach § 13 Abs. 2 HmbPolDVG (a.F.)

Es gibt durchaus vereinzelte Kritik an der befristeten Geltung von Befugnisnormen. So konstatierte ein Sprecher der SPD-Fraktion im Hessischen Landtag,15 dass die Einfügung einer Verfallklausel nicht zwingend zu einer ernstgemeinten Evaluation führe und „die fortwährende Erneuerung von notwendigen Rechtsvorschriften den parlamentarischen Betrieb unnötig belaste.“ Und die Fraktion der CDU/CSU im Deutschen Bundestag hielt unlängst eine weitere Befristung des § 100a Abs. 2 Nr. 1j StPO im Hinblick auf die „geringen Folgekosten“ der eingriffsintensiven Regelung für nicht erforderlich.16


Allerdings ist eine Befristung allein tatsächlich nicht zielführend. Hinzutreten müssen vielmehr noch die gezielte Beobachtung einschließlich einer Erhebung der Anwendungsfälle und Ausweisung von Prävalenzraten sowie eine strukturierte Berichterstattung an den Normgeber oder ein durch diesen eingesetztes Gremium.17 Sehr detailliert sind in diesem Zusammenhang die Anforderungen in § 101b StPO für Maßnahmen nach § 100a StPO (Telekommunikationsüberwachung), § 100b StPO (Online-Durchsuchung), § 100c StPO (Akustische Wohnraumüberwachung), § 100g StPO (Erhebung von Verkehrsdaten) und § 100k Abs. 1 und 2 StPO (Erhebung von Nutzungsdaten bei Telemediendiensten) geregelt.18 Überzeugend ist auch beispielsweise die Festlegung auf eine „unabhängige, wissenschaftliche und ergebnisoffene Evaluation“ der in Teilen des Wachdienstes in Nordrhein-Westfalen eingesetzten DEIG i.S.d. § 58 Abs. 4 PolG NRW. Die Prüfung umfasst dabei mit einsatztaktischen, technischen, sozialwissenschaftlichen und medizinischen Fragen gleich vier grundlegende Themenbereiche.19


Darauf aufbauend hat dann die qualitative Bewertung als „Evaluation im engeren Sinne“ und – soweit als Folge geboten – eine Nachbesserung zu erfolgen. Bewertung und Nachbesserung liegen in der Verantwortung der gesetzgebenden Gewalt. Dabei sind die verfassungsrechtlichen Maßstäbe umfassend zu berücksichtigen.


Auch für eine Veröffentlichung der Evaluationsergebnisse können heute zahlreiche Beispiele angeführt werden. Hinzuweisen ist auf frei zugängliche Parlamentsdokumente, aber auch auf verpflichtende Regelungen wie in § 101b Abs. 1 Satz 2 StPO.

 

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