Rechtssprechung

Strafrechtliche Rechtsprechungsübersicht

Wir bieten Ihnen einen Überblick über strafrechtliche Entscheidungen, welche überwiegend – jedoch nicht ausschließlich – für die kriminalpolizeiliche Arbeit von Bedeutung sind. Im Anschluss an eine Kurzdarstellung ist das Aktenzeichen zitiert, so dass eine Recherche möglich ist


Von EPHK & Ass. jur. Dirk Weingarten, Wiesbaden

 

I Materielles Strafrecht

 

§ 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB – Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; hier: Schutzlose Lage. Der Begriff der schutzlosen Lage ist rein objektiv zu bestimmen; einer subjektiven Zwangswirkung der Schutzlosigkeit auf das Tatopfer bedarf es nicht. (BGH, Urt. v. 2.7.2020 – 4 StR 678/19)


§ 201a Abs. 1 Nr. 1 StGB – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen; hier: Gegen Einblicke besonders geschützter Bereich; Kinder im Schlafraum einer Kindertagesstätte. Der B fotografierte vom Gehweg aus mit seinem Mobiltelefon durch ein geöffnetes Fenster in den Schlafraum einer Kindertagesstätte, in dem mehrere nur noch mit Unterwäsche bekleidete Kinder gerade ihren Mittagsschlaf antreten sollten. Darauf gestützt hat die StA einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des B erwirkt und dort dessen Mobiltelefon sichergestellt. Ein Strafantrag wurde nicht rechtzeitig gestellt.

Der Schlafraum einer Kindertagesstätte ist (unabhängig von einem Sichtschutz) ein gegen Einblick besonders geschützter Raum im Sinne der Vorschrift. Und zudem habe die StA durch den Antrag, die Durchsuchung der Wohnung des B anzuordnen, eindeutig zum Ausdruck gebracht, ein Einschreiten wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung für geboten zu halten. (LG Berlin, Beschl. v. 4.6.2020 − 515 Qs 39/20)


§ 211 StGB – Mord; hier: Niedrige Beweggründe; Maßstab der Bewertung. Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 23-jährige Angeklagte (A) stammte aus dem Irak. Nach einer ca. ½-jährigen Beziehung mit einer 28-jährigen Asylbewerberin, die aus dem Iran stammte trug sich der A mit dem Gedanken, diese zu heiraten. Sie liebte jedoch nach negativen Erfahrungen mit einer im Iran geschlossenen Zwangsehe ihre Freiheit und wollte sich noch nicht binden. Auch störte sie, dass der A sehr eifersüchtig war, sie häufig beobachtete, unangemeldet auftauchte und bisweilen ihr Handy darauf überprüfte, mit wem sie Kontakt gehabt oder von wem sie Fotos gemacht hatte. Letztendlich fügte er ihr nach einem Streit mindestens 34 Stich- und Schnittverletzungen mit einem Ausbeinmesser mit einer etwa 15 cm langen Klinge zu; sie verstarb.

Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind. Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt. (BGH, Urt. v. 11.11.2020 – 5 StR 124/20)


§ 223 StGB – Körperverletzung; hier heimliches Verabreichen von Alkohol. Der damals 37-jährige A hatte ein sexuelles Interesse an der damals 15-jährigen Zeugin B entwickelt. An einem Sommerabend fand im Haus des A und seiner damaligen Ehefrau ein Spieleabend statt, an dem auch die B teilnahm. Im Laufe des Abends schenkte er ihr fortwährend alkoholische Getränke nach, zuletzt von ihr unbemerkt Wodka. Schließlich war sie erheblich betrunken, hatte Schwierigkeiten beim Gehen, bei der Artikulation und musste sich zum Schluss übergeben.

Eine Gesundheitsschädigung im Sinne des § 223 StGB kann auch in der Herbeiführung eines Rauschzustandes liegen, wenn der Rausch etwa zur Bewusstlosigkeit führt oder der Betroffene sich übergeben muss. (BGH, Beschl. v. 18.2.2021 − 4 StR 473/20)


§ 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 5 StGB – Verbotene Kraftfahrzeugrennen; hier: Sog. Alleinrennen; höchstmögliche Geschwindigkeit. Der Täter führte unter Einbeziehung spektakulärer Fahrmanöver und reichlich Selbstüberschätzung am Tattag einen gemieteten 550 PS Boliden in der Innenstadt von Stuttgart aus, bis er letztlich gegen Mitternacht in einen Citroen C1 „einschlug“ und zwei Personen zu Tode kamen.

Die Absicht des Täters, nach seinen Vorstellungen auf einer nicht ganz unerheblichen Wegstrecke die nach den situativen Gegebenheiten maximal mögliche Geschwindigkeit zu erreichen, muss nicht Endziel oder Hauptbeweggrund des Handelns sein; es reicht vielmehr aus, dass der Täter das Erreichen der situativen Grenzgeschwindigkeit als aus seiner Sicht notwendiges Zwischenziel anstrebt, um ein weiteres Handlungsziel zu erreichen. (BGH, Beschl. v. 17.2.2021 – 4 StR 225/20)


§ 315d Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2, 5 StGB – Verbotene Kraftfahrzeugrennen; hier: Sog. Alleinrennen; Polizeiflucht. Der zum Tatzeitpunkt 27-jährige Angeklagte, der mit seinem Fahrzeug von mehreren Polizeifahrzeugen eingekesselt war und sich seiner Festnahme wegen einer vorangegangenen Straftat entziehen wollte, hatte sich zunächst unter erheblicher Gefährdung von Polizeibeamten einen Fluchtweg freigerammt. Seine Flucht setzte er mit folgenschwerer überhöhter Geschwindigkeit und teilweise unter Nutzung der Gegenfahrbahn fort. Als er unter voller Beschleunigung seines Fahrzeugs trotz für seine Fahrtrichtung seit mehreren Sekunden bestehenden Rotlichts in eine für ihn nicht einsehbare Kreuzung einfuhr, kam es zu mehreren Kollisionen und als Folge kamen eine Fußgängerin sowie sein an der vorangegangenen Tat beteiligter Beifahrer ums Leben.

Bedingter Tötungsvorsatz und Verurteilung wegen Mordes bei Fahrzeugrennen mit tödlichem Ausgang ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles Willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). (BGH, Beschl. v. 24.3.2021 - 4 StR 142/20)


§ 316b Abs. 1 Nr. 3 StGB – Störung öffentlicher Betriebe; hier: Mobile Geschwindigkeitsmessanlage. Der Angeklagte (A) beging unterschiedliche Straftaten. Unter anderem nahm er eine mobile Geschwindigkeitsmessanlage (Leivtec XV3, Wiederbeschaffungswert ca. 17.550 EUR) an sich und entsorgte sie sodann von einer Brücke aus in einem Gewässer, nachdem er zuvor vergeblich versucht hatte, das Stativ abzutrennen, um es für sich zu behalten. Des Weiteren machte er sich an einer stationären Geschwindigkeitsmessanlage zu schaffen, indem er mit einer Spaltaxt die beiden Scheiben des Geräts und die Kamera zerstörte. Die Reparatur am Messgerät Traffipax TP H-S belief sich auf über 14.700 EUR.

Eine Anlage im Sinne des § 316b Abs. 1 StGB ist eine systematische Zusammenstellung verschiedener Gegenstände für eine gewisse Dauer zu einem Funktionsablauf. Eine feste Verbindung mit dem Boden oder sonstige Ortsfestigkeit sind nicht erforderlich. Im Regelfall stellen Geschwindigkeitsmessvorrichtungen „eine der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit dienenden Einrichtung oder Anlage“ dar. (BGH Urt. v. 25.2.2021 – 3 StR 365/20)

 

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