Recht und Justiz

„Klappe auf, Probleme da“

Von den strafrechtlichen Besonderheiten des EC-Karten-Einsatzes an Geldautomaten


Von Oberstaatsanwalt Dr. Sören Pansa und Staatsanwalt Dr. Felix Doege, Schleswig/Kiel1

 

1 Hintergründe

 

Die primäre Tätigkeit von Justiz und Rechtswissenschaft stellen Auslegung und Anwendung der bestehenden gesetzlichen Vorschriften dar. Einen besonderen Reiz, aber auch eine große Herausforderung stellt dabei die Aufgabe dar, Abläufe des täglichen Lebens unter die juristischen Regelungen zu „subsumieren“; also die Frage, ob ein Sachverhalt von einer Norm erfasst wird. Erschwert wird dies zusätzlich durch den Umstand, dass sich die technischen Möglichkeiten, welche der Bevölkerung heute zur Verfügung stehen und von dieser auch genutzt werden, für den historischen Gesetzgeber im 19. und 20. Jahrhundert kaum vorstellbar gewesen sein dürften. Jener aber hat oftmals die Normen geschaffen, welche zur Regelung dieser Sachverhalte noch heute zur Verfügung stehen. Insofern hat etwa die Frage, ob und wie ein Vertrag auf Internet-Auktionsplattformen geschlossen wird, zahlreiche Gerichte beschäftigt.2 Hierauf hat nunmehr auch der „europäische Gesetzgeber“ reagiert, was im Jahr 2022 zu einer Neuregelung des Kaufrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch geführt hat.3 Doch bedarf es noch nicht einmal technischer Neuerungen, um Juristen nachhaltige Schwierigkeiten zu bereiten. Oft reicht hierfür schon die inzwischen in allen Bereichen anzutreffende Einsparung von Personal aus. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Tankwart; die Älteren werden sich erinnern. Noch heute beschäftigen die höchstrichterliche Rechtsprechung bezüglich der Selbstbedienungstankstelle zivilrechtlich die Frage des Vertragsschlusses4 und strafrechtlich zahlreiche weitere Probleme, wobei dem Vorliegen einer Täuschung bei einem vollendeten „Tankbetrug“ i.S.d. § 263 StGB wohl die prominenteste Bedeutung zukommen dürfte.5


Doch selbst vor diesem Hintergrund erscheint es bemerkenswert, dass zuletzt mehrere, sich teilweise widersprechende obergerichtliche und höchstrichterliche Entscheidungen bezüglich Straftaten im Zusammenhang mit der Auszahlung von Bargeld an Geldautomaten erfolgt sind. Denn zum einen sind diese in der Bundesrepublik Deutschland in verschiedener Form bereits seit etwa fünfzig Jahren in Benutzung. Zum anderen erscheinen die technischen Abläufe, etwa im Vergleich zu digitalen Neuerungen vergleichsweise simpel: Der Kunde führt eine EC-Karte in den Automaten ein, wählt einen Bargeldbetrag aus, die Klappe öffnet sich, das Bargeld wird entnommen und fertig.


Doch halten vermeintlich einfache Sachverhalte den ambitionierten Juristen bekanntlich nicht davon ab, zahlreiche (hypothetische) Probleme zu verorten. Angesichts der hohen Zahl von Straftaten im Zusammenhang mit der Nutzung von Geldautomaten, welche Polizei und Staatsanwaltschaft regelmäßig beschäftigen, soll sich deshalb im Folgenden den bei der automatengestützten Abhebung auftretenden strafrechtlichen Problemen ausführlich gewidmet werden. Angesichts des gegebenen Rahmens können nur Konstellationen der vermeintlich ordnungsgemäßen Bedienung des Automaten berücksichtigt werden. Insbesondere die Geldabhebung mittels Einleitung explosiver Stoffe, bei der meist nicht nur der Rahmen, sondern gleich das ganze Gebäude gesprengt wird,6 muss einem eigenen Beitrag vorbehalten bleiben.

 

 

 

2 Konstellationen


Hierbei sind verschiedene, gängige Fallgestaltungen zu unterscheiden. Diese weichen im Tatgeschehen teilweise zwar nur unwesentlich voneinander ab, was aber oftmals zu erheblich divergierenden rechtlichen Beurteilungen führen kann.

2.1 Die gestohlene EC-Karte

B entwendet aus der Handtasche der betagten G deren EC-Karte. Da die G auf der EC-Karte die „Geheimnummer“ notiert hat, um diese nicht zu vergessen, läuft B mit der EC-Karte direkt zu dem nächsten Geldautomaten, gibt die PIN korrekt ein und lässt sich 800 Ä Bargeld auszahlen, um dieses für seine Zwecke zu verwenden. Die EC-Karte behält er, um sie zeitnah wieder einsetzen zu können.


Derartiges dürfte in der polizeilichen Praxis leider nahezu täglich auftreten. Bezüglich der EC-Karte begeht der B einen Diebstahl i.S.d. § 242 StGB, da er sich die „Substanz“ der Karte zumindest vorübergehend aneignen möchte. Ferner liegen keine Anhaltspunkte für einen Rückführungswillen des B bezüglich der Karte an die G vor. Anders wäre die potentielle Strafbarkeit i.S.d. § 242 StGB jedoch zu beurteilen, wenn der B (heimlich) die Karte der G wieder zukommen lassen wollte; etwa um die durch ihn erfolgte Abhebung zu verschleiern. Denn die beabsichtigte Zueignung des Diebesgutes erfordert, dass die Sache selbst oder der in ihr verkörperte Wert dem Vermögen des Berechtigten dauerhaft entzogen und dem des Nichtberechtigten zumindest vorübergehend zugeführt wird.7 Eine solche Zueignung wird bei (beabsichtigter) Rückgabe der EC-Karte von der höchstrichterlichen Rechtsprechung verneint. Denn die Karte hat primär die Funktion, eine Auszahlung an einem Geldautomaten zu ermöglichen. Eine Abhebung kann aber auch ohne die Karte erfolgen, etwa direkt am Bankschalter. Ferner besagt die EC-Karte nichts über den Guthaben-Stand des Kontos oder die Höhe des eingeräumten Dispositionskredits. In ihr selbst wird daher kein Wert verkörpert, welchen sich der Täter durch die bloße Nutzung am Geldautomaten i.S.d. § 242 StGB zueignen könnte.8


Der Einsatz der EC-Karte am Geldautomaten vermag eine Strafbarkeit des B wegen Betruges gem. § 263 StGB grundsätzlich nicht zu begründen. Denn eine betrugsrelevante Täuschung kann nur gegenüber einem Menschen verwirklicht werden, der aufgrund dieser Täuschung wiederum einem Irrtum unterliegen muss.9


Im Jahr 1986 entschied sich daher der Gesetzgeber, um die aus dem zunehmenden Einsatz elektronischer Datenverarbeitungsgeräte resultierenden Strafbarkeitslücken zu schließen, zur Schaffung des § 263a StGB.10 Wegen Computerbetruges macht sich unter anderem strafbar, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er das Ergebnis eines Datenverarbeitungsvorgangs durch unbefugte Verwendung von Daten beeinflusst. Die höchstrichterliche Rechtsprechung bejaht eine unbefugte Verwendung von Daten dann, wenn sie sich im Vergleich zum Betrug als täuschungsäquivalent darstellt.11 Dies ist bei dem Einsatz einer durch verbotene Eigenmacht erlangten EC-Karte der Fall, da ein Bankmitarbeiter, welcher die Zahlung vornehmen würde, die Berechtigung des Karteninhabers prüfen müsste, etwa um Schadenersatzansprüche gegen die Bank gem. § 675u BGB zu vermeiden. Insofern würde gegenüber einem Bankmitarbeiter eine Täuschung i.S.d. § 263 StGB vorliegen, weshalb eine unbefugte Verwendung von Daten i.S.d. § 263a StGB durch B zu bejahen ist. Der Diebstahl der EC-Karte und der Computerbetrug stehen dabei im Verhältnis der Tatmehrheit i.S.d. § 53 StGB.12


Fraglich ist, ob durch die Entnahme des Geldes aus dem Automaten durch den B nochmals ein Diebstahl gem. § 242 StGB oder eine Unterschlagung i.S.d. § 246 StGB verwirklicht werden könnte. Dies soll nachfolgend an anderer Stelle problematisiert werden, da jedenfalls in der gegebenen Konstellation derartige Delikte bezüglich des Computerbetruges auf Konkurrenzebene zurücktreten würden.

 

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