Kriminalitätsbekämpfung

Dokumentation von Vernehmungen – traditionell und audiovisuell (Teil 2)

Von Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper und Dozent Thorsten Floren, Dortmund/Mülheim*

 

Der erste Teil dieses Beitrages (Die Kriminalpolizei 4/2021, S. 4 bis 7) hat sich vorrangig mit Inhalten und Rechtsproblemen von Vernehmungen beschäftigt. Nunmehr geht es um die in der strafrechtlichen Hauptverhandlung immer wichtiger werdende (authentische) Dokumentation der Inhalte und Umstände der Vernehmung: „Strafjuristen“ neigen dazu, die Inhalte unkritisch zu übernehmen, während „die Verteidiger“ dem zunehmend kritisch gegenüberstehen. Vergleicht man die zeitliche Dauer einer Vernehmung mit dem regelmäßig in den Akten auftauchenden Vernehmungsprotokoll, scheint Skepsis geboten: Eine zweistündige Vernehmung produziert mehr als sieben bis zehn Seiten Protokoll.

 

3 Audiovisuelle Vernehmungen

 

Es muss verwundern, dass im Jahr 2021 Tonband- und Videovernehmungen als innovative Dokumentationstechniken angepriesen werden, zumal sie in anderen Staaten zum Standard gehören. Die vorgeschobenen Einwände gegen den Einsatz derartiger Techniken haben sich gewandelt: Waren es zunächst angeblich fehlende Audiokassetten und Aufnahmegeräte, sollte, nach Anschaffung dieser, die Verfälschung der Vernehmungssituation und die Beeinflussung des zu Vernehmenden durch die Existenz technischer Geräte einer Umsetzung in die Praxis entgegenstehen – fadenscheinige Argumente!


Der Einsatz von Videotechnik ist lange Zeit im Vergleich zu den europäischen Nachbarstaaten vernachlässigt worden. Das lag vorrangig an der ablehnenden Haltung des Gesetzgebers gegenüber diesem durchaus zeitgemäßen Vernehmungsmittel. Im Jahr 1998 wurde die audiovisuelle Vernehmung erstmalig durch eine Gesetzesänderung eingeführt. Diese Änderung beschränkte sich allerdings auf die Zeugenvernehmung. Im Jahr 2004 wurde die Einsatzmöglichkeit auf die Hauptverhandlung ausgedehnt, gleichzeitig aber auf die erste Instanz beschränkt, da die Befürchtung bestand, in den nachfolgenden Instanzen mit einer Vielzahl von Verfahrensrügen konfrontiert zu werden.


Nach langen Bemühungen wurde 2020, und dies ist aus Sicht der Möglichkeiten für eine deutliche Optimierung des Wahrheitsgehaltes einer Aussage nur zu begrüßen, die audiovisuelle Vernehmung in § 136 StPO aufgenommen, die Anwendung wurde zunächst auf die Beschuldigtenvernehmung beschränkt. Die Norm stellt in der tatsächlichen Umsetzung die Praktiker vor eine Vielzahl an Problemen, die aus einer vom Gesetzgeber verursachten, unnötigen Komplizierung der eingeführten Rechtsnorm resultieren. Die audiovisuelle Vernehmung wurde unter dem im Gesetz festgelegten Bestimmungen als verpflichtende Handlungsnorm für die Ermittler eingeführt, ansonsten bleibt es im Ermessen der Vernehmungsperson die Beschuldigtenvernehmung in Bild- und Tonaufzeichnung durchzuführen (siehe § 136 Abs. 4 S. 1 StPO).

 

3.1 Audiovisuelle Vernehmung von Zeugen

§ 58a StPO stellt einen Ausfluss aus dem Zeugenschutzgesetz dar. Die Vernehmung des Zeugen wird in audiovisueller Form als richterliche Vernehmung hierbei durchgeführt, wenn zum einen die schutzwürdigen Interessen von Personen unter 18 Jahren gewahrt werden müssen oder bei Kindern oder Jugendlichen, die Opfer von Straftaten im Sinne von § 255a Abs.  2 StPO (Sexualdelikte, Tötungsdelikte etc.) geworden sind. Zum anderen, wenn die Gefahr besteht, dass der Zeuge vor Gericht nicht vernommen werden kann und die Videovernehmung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Die Intention des Gesetzgebers bezog sich u.a. auf die Gefahr einer möglichen Sekundärtraumatisierung von Kindern als Opfern von Sexualstraftaten, um durch eine Videovernehmung dem Kind weitere Anhörungen ersparen zu können.

3.2 Audiovisuelle Vernehmung von Beschuldigten

Neben den gesetzlichen Vorgaben in Bezug auf die Beschuldigtenvernehmung im Strafverfahren muss dieser sowohl die „standardmäßige“ Vernehmung als einen Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte dulden, ebenso verhält es sich mit der Durchführung und der Datenerhebung bei einer audiovisuellen Vernehmung. Aus taktischer Sicht muss jedoch der Aspekt der Senkung einer potentiellen Aussagebereitschaft bis hin zur völligen Verweigerung in Betracht gezogen werden, sobald der zu Vernehmende die Videotechnik wahrnimmt und diesem der weitere Ablauf mit der Bild- und Tonaufzeichnung erläutert wird. Dieses Risiko kann durch eine gute Kontakt- und Orientierungsphase zwischen den Protagonisten gemindert oder gar in das Gegenteil umgewandelt werden, wenn dem Beschuldigten die Vorteile dieses Vernehmungssettings verständlich und glaubhaft vermittelt werden und dieses im Rahmen einer zuvor gut herausgebildeten Arbeitsebene vermittelt wird. Neben einer „Schutzfunktion“ für den Beschuldigten durch den Einsatz der audiovisuellen Vernehmung im Rahmen der Erhebung des Personalbeweises von dem möglichen Täter, kann diese gerade auch die Ermittler vor ungerechtfertigten Vorwürfen beispielhaft von Seiten potentieller Konfliktverteidiger entlasten. Im Nachfolgenden werden hierzu einige Ansätze dargestellt.

3.2.1 Falsche Geständnisse und deren Enttarnung

Das Geständnis des Beschuldigten wird von weiten Teilen der vernehmenden Polizeibeamten, sowie Staatsanwälten und Richtern zu gerne als „Krönung der kriminalistischen Arbeit“ angesehen. Es genießt häufig immer noch eine große, positiv aufgeladene Beachtung in diesen Bereichen der Behörden und Prozessbeteiligten, leider vielmals völlig ungeachtet der Risiken und Fallstricken die auf dem Weg der Vernehmungshandlung bis hin zum Geständnis reichlich vorhanden sind.


Der Gefahr des „falschen Geständnisses“, das z.B. durch suggestive Effekte oder einen aggressiv-autoritären Vernehmungsstil gerade bei Jugendlichen oder intelligenzgeminderten Personen deutlich besteht, kann die audiovisuelle Vernehmung entgegenwirken, da sowohl das Verhalten des Ermittlers als auch die Reaktionen eine hohe Relevanz haben, zeigen Studien aus den USA, in denen Personen z.T. auch unbewusst durch Ermittler stark suggestiv befragt wurden und hierbei bis zu ca. einem Drittel aller Geständnisse falsch waren.


Ein grundsätzliches Problem bei der Dokumentation der Vernehmungen führt zudem zu einem verzerrten Bild der Vernehmungssituation. Die „Aushandlung der Wirklichkeit“ im Rahmen der Vernehmung ist somit im Nachgang (z.B. in der Hauptverhandlung) nur bedingt bis gar nicht mehr möglich. Ziel der Einführung der audiovisuellen Vernehmung beim Beschuldigten ist u.a. diese Schwachstelle zu entfernen und eine authentische Protokollierung einzuführen.


Weitere Aspekte, die für eine Videovernehmung sprechen, sind:

 

  • Dokumentation zum Schutz vor unsachgemäßer Vernehmung (§ 136a StPO), Einhaltung der Belehrung, Pausen, Anwesenheit des Anwalts etc. für den Beschuldigten
  • Verhalten des Beschuldigten kann im Nachgang erneut auch von Gutachtern interpretiert werden
  • Synergieeffekte für Zeugen (Polizeivollzugsbeamte, es kann ggf. auf Vorladung verzichtet werden)
  • Schutz der Ermittlungsperson vor ungerechtfertigten Vorwürfen durch die Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Verteidigung

Aus Sicht der Ermittlungsbehörden ergeben sich allerdings auch ein deutlich höherer Bearbeitungsaufwand, logistische Herausforderungen und die zusätzliche Notwendigkeit der Ausbildung der Vernehmungspersonen.

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