Kriminalitätsbekämpfung

Die 66. Herbsttagung des Bundeskriminalamtes

Kurzbericht


Von Prof. Ralph Berthel, Frankenberg/Sa.1

 

Am 17. und 18. November des Vorjahres fand die Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) zum sechsundsechzigsten Mal statt. Sie stand unter dem Titel „Stabilität statt Spaltung: Was trägt und erträgt die Innere Sicherheit?“ Die 2020‘er Tagung musste coronabedingt abgesagt werden. Nun fand die Veranstaltung in, wie es neudeutsch heißt, hybrider Form statt. Ein Teil der Referenten befand sich in der traditionellen Tagungsstätte, dem RheinMain CongressCenter in Wiesbaden. Die meisten der rund 700 Gäste waren an beiden Konferenztagen jedoch über einen digitalen Konferenzraum zugeschaltet. Technisch funktionierte das gut. Dafür kann man dem Organisationsteam ein großes Lob aussprechen. Die gewohnte Konferenzatmosphäre mit den Möglichkeiten zum Austausch vermisste man allerdings schon.

 

1 Das Thema


Mit dem Thema „Stabilität statt Spaltung: Was trägt und erträgt die Innere Sicherheit?“ widmete sich das BKA erneut einem aktuellen Problemfeld der Gesellschaft im Allgemeinen und der Inneren Sicherheit im Besonderen. Wieder wurde dieses Thema aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Hier wird lediglich eine Auswahl der Themen, die an den beiden Konferenztagen vorgetragen und diskutiert wurden, vorgestellt. Ausführliche Informationen zur Veranstaltung finden sich auf der Homepage des BKA.2 Die Rede des Präsidenten des BKA ist dort in voller Länge nachzulesen.

 

2 Einige Inhalte der Tagung


Nach der Eröffnungsansprache von Bundesinnenminister Horst Seehofer, dem Grußwort des Bundespräsidenten Dr. Frank Walter Steinmeier und der sog. Keynote von Daniel Dettling, Geschäftsführender Gesellschafter des Instituts für Zukunftspolitik, in der dieser das Gefühl von Überforderung, Orientierungs- und Bindungs- und damit Zukunftslosigkeit als zentrale Herausforderung für die Innere Sicherheit gekennzeichnet hatte, stellte der Präsident des BKA Holger Münch die Herangehensweise dar, mit der sich sein Amt den aktuellen und prognostizierten Entwicklungen im Bereich der inneren Sicherheit stellen will. Die Antwort auf ein zunehmend vernetztes Täterhandeln sah er dabei in einer verbesserten Vernetzung in der Kriminalitätsbekämpfung in Bund und Ländern „mit dem BKA als Netzknoten und Zentralstelle der Zukunft“. Den Charakter dieser Zentralstelle charakterisierte er wie folgt:

 

  • Verbundsystem mit zentralem Datenhaus: In diesem Verbundsystem sollen künftig Daten rechtskonform und einheitlich erfasst und allen Bedarfsträgern schnell, ohne Medienbrüche und vor Ort abrufbar, zur Verfügung gestellt werden.
  • „crimefighting-as-a-service“: Darunter soll verstanden werden, dass das BKA finanziell und technisch anspruchsvolle Services, Methoden und Tools entwickelt und zentral zur Verfügung stellt. Dazu zählen auch die Zusammenführung, Auswertung und maßgeschneiderte Bereitstellung von Daten und Informationen. Mit diesem Element werde das Ziel verfolgt, für die polizeilichen Partner kriminalistisch relevante Zusammenhänge zwischen einzelnen Sachverhalten herzustellen und mögliche Netzwerke frühzeitiger zu erkennen. Und nicht zuletzt sind hier Tools gemeint, die das BKA den Länderpolizeien zur Verfügung stellt, etwa die sog. Boston Cloud oder die Firmendatenbank Dir3ctory.3
  • Schaffung tragfähiger Strukturen und Prozesse, die die Polizeien in die Lage versetzen, mit der wachsenden Zahl insbesondere länder- und staatenübergreifender Straftaten in gebotener Geschwindigkeit umzugehen: Als Beispiel nannte Münch die Zentrale Meldestelle für strafrechtlich relevante Inhalte im Internet (ZMI), die derzeit gemeinsam mit Partnern der Justiz erprobt wird und 2022 in den Wirkbetrieb gehen soll.4
  • Lastenausgleich zwischen den Polizeien des Bundes und der Bundesländer mit dem BKA: Der mit der Umorganisation der Abteilung Staatsschutz seit 2019, der Einrichtung der Abteilung islamistischer Terrorismus und Extremismus im selben Jahr sowie mit der seit 2020 bestehenden neuen Abteilung Cybercrime beschrittene Weg des Ausbaus der operativen Fähigkeiten des BKA soll weiter gegangen werden. Hier nannte Münch insbesondere die Deliktsbereiche: Rauschgiftkriminalität, Wirtschafts- und Finanzkriminalität und Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen.

 

3 Herausforderung Clankriminalität


In einem gesonderten Part des zweiten Konferenztages beleuchteten der Journalist Olaf Sundermeyer und der Psychologe Ahmad Mansour die Rolle von Familienclans und die von ihnen ausgehenden Gefahren für den Rechtsstaat. Fraglos hatte das BKA hier zwei profunde Kenner der Materie eingeladen und der Part, den die beiden bestritten, zählte zu den kurzweiligsten und informativsten der Tagung. Gleichwohl hätte man sich auch an dieser Stelle die polizeiliche Perspektive gewünscht, zumal es gerade zu diesem Deliktsbereich und polizeilichen Bekämpfungsstrategien aktuelle Erkenntnisse und Veröffentlichungen gibt.5

 

4 Weitere Redebeiträge


Von der Vielzahl der z.T. bemerkenswerten Redebeiträge seien hier nur einige genannt:

  • Deitelhoff, Der Protest: Gestaltungskraft oder Bedrohungspotenzial?
  • Ebner, Die Zelle: Transnationaler Extremismus und Terrorismus und Hebbecker, Die Chance: Freiheit und Sicherheit im Netz

 

5 Fazit


Es war wieder eine Herbsttagung, auf der hochaktuelle Fragestellungen aufgegriffen wurden. Vermisst habe ich an verschiedenen Stellen die (kriminal-)polizeiliche Perspektive. Vertreter der deutschen Kriminologie kamen ebenso wenig zu Wort wie die der Nachrichtendienste. Und dabei wäre doch gerade deren Sicht auf die Querdenker als Bewegung, die als »Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates« eingestuft wird, von Interesse gewesen. Gleichwohl freue mich auf die nächste Herbsttagung – dann hoffentlich wieder als Präsenzveranstaltung in Wiesbaden.

 

Endnoten

 

  1. Der Verfasser studierte Rechtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin. Berufliche Stationen waren u.a.: Kriminalistik-Dozent an der damaligen Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup (2001-2005), Leitung der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg/O.L. (2005-2013) sowie die Leitung der Abteilung Auswertung und Ermittlungen im Landeskriminalamt Sachsen (2015-2019) und die Vertretung der Polizei Sachsen in der Kommission Organisierte Kriminalität der AG Kripo. Er ist Ehrenprofessor (Pocetnyi Professor) der Belgoroder Juristischen Hochschule des Ministeriums des Innern Russlands. Der Autor ist Dozent im Masterstudiengang „Kriminologie, Kriminalistik und Polizeiwissenschaft“ an der Ruhr-Universität Bochum und im Masterstudiengang „Kriminalistik“ an der HPol des Landes Brandenburg. Er ist Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik e.V. Erreichbarkeit: [email protected].
  2. https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/Publikationen/BKA-Herbsttagungen/2021/bka-herbsttagungen2021_node.html. Letztmaliger Abruf: 30.11.2021.
  3. Hier sei erwähnt, dass die Länderpolizeien über sog. SPOC User durchaus ihren Anteil an der inhaltlichen Fortentwicklung durch eigene Daten leisten.
  4. Vgl. Änderung des Netzwerksdurchsetzungsgesetzes und die damit verbundenen Verpflichtung der Telemediendienste, strafbare Inhalte im Netz an das Bundeskriminalamt auszuleiten wird das BKA auch im Inland zur Eingangsstelle für Verdachtsmeldungen und Strafanzeigen aus dem öffentlichen Raum (§ 3a Abs. 4 NetzDG n.F. – zuletzt geändert 3.7.2021).
  5. Vgl. etwa Seidensticker/Werner, Clankriminalität als neu entdeckte Herausforderung in einer dynamischen Gesellschaft, in: Berthel, Kriminalistik und Kriminologie in der VUCA-Welt, Rothenburger Beiträge, 2020, Bd. 106, S. 131-152; Dienstbühl, Clankriminalität Phänomen – Ausmaß – Bekämpfung, Kriminalistik Verlag, C.F. Müller GmbH, 2021; Duran, Wie „neue“ Clans in Deutschland die einheimische Szene verdrängen, KRIMINALISTIK, 2021, S. 204-207, Wendt, Bekämpfung der Organisierten (Clan-)Kriminalität (1), Ist Clankriminalität gleich Clankriminalität? KRIMINALISTIK, 2021, S. 195-203; Wendt, Bekämpfung der Organisierten (Clan-)Kriminalität (2), Wie kann man Clankriminalität erfolgreich bekämpfen? KRIMINALISTIK, 2021, S. 265-270.