Aus- und Fortbildung

Der Themenbereich Todesermittlungen im BA-Studiengang Polizei in Nordrhein-Westfalen

Von KD Christoph Frings, Duisburg

 

1 Natürlicher und nicht natürlicher Tod


 

„Der Tod ist das irreversible Ende des Lebens von Individuen. Einen momentanen Übergang vom Leben zum Tod gibt es nicht. Vielmehr verläuft das Sterbegeschehen in mehreren, extrem variablen Phasen, die jeweils durch den Ausfall bestimmter Körperfunktionen gekennzeichnet sind“.2 Beim alters- oder krankheitsbedingten Ableben wird vom sog. „natürlichen Tod“ gesprochen. Hiervon abzugrenzen sind die „nicht natürlichen Todesfälle“. „Aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht liegt ein nicht natürlicher Tod vor, wenn der Tod durch ein von außen verursachtes, ausgelöstes oder beeinflusstes Geschehen bedingt ist.“3 Konkreter ausgedrückt: „Nicht natürlich ist der durch Suizid, Unfall, durch eine rechtswidrige Tat (d.h. eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, § 11 I Nr. 5 StGB) oder sonst durch Einwirkung von außen herbeigeführte Tod.“4


„Die ärztliche Leichenschau durch einen Arzt dient vorrangig der Feststellung des Todes. Zugleich soll aber auch geklärt werden, ob ein natürlicher oder ein nicht natürlicher Tod vorliegt.“5 Der Tod eines Menschen ist in jedem Fall durch einen Arzt festzustellen. Die Regelungen für die Todesfeststellung und die vorhergehende ärztliche Leichenschau sind je nach Bundesland unterschiedlich landesrechtlich geregelt. In Nordrhein-Westfalen sind nach § 9 Abs. 1 Bestattungsgesetz NRW (BestG NRW) die Hinterbliebenen verpflichtet, unverzüglich die ärztliche Leichenschau zu veranlassen. Ärztinnen und Ärzte sind nach § 9 Abs. 3 zur unverzüglichen Durchführung der Leichenschau und anschließender Aushändigung des Totenscheins an die Angehörigen bzw. die Polizei verpflichtet. Dabei hat der Arzt die unbekleidete Leiche persönlich zu besichtigen und sorgfältig zu untersuchen. Ausgenommen von der Ausstellung des Totenscheins sind Notärzte während der Einsatzbereitschaft oder eines Einsatzes. Der Arzt kann im Totenschein als Todesart nur vermerken:

  • Natürlicher Tod
  • Nicht natürlicher Tod
  • Ungeklärt ob natürlicher oder nicht natürlicher Tod vorliegt.

 

2 Statistische Übersicht zu Todesfällen und Tötungsdelikten



Für das Jahr 2020 wurden bundesweit 985.572 Sterbefälle registriert. Hiervon waren 41.794 Fälle auf eine nicht natürliche Todesursache zurückzuführen, dass entspricht einem Anteil von 4,2%. Bei 9206 Fällen lag ein Suizid vor, etwa 75% der Suizidenten waren Männer.6 In der Polizeilichen Kriminalstatistik wurden für 2020 bundesweit 2401 Fälle von Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen registriert.7 D.h. bezogen auf die Gesamtzahl der nicht natürlichen Todesfälle wurde bei ca. 5,7% der Verdacht eines Tötungsdeliktes festgestellt.




Abb. 1: Zahlenverhältnis Sterbefälle, nichtnatürliche Todesfälle und Tötungsdelikte für NRW.


Für NRW wurden 214.313 Sterbefälle registriert. Davon wurden 206.686 Fälle mit natürlicher Todesursache und 7627 mit nicht natürlicher Todesursache registriert.8 Für das Jahr 2020 wurden in NRW in der Polizeilichen Kriminalstatistik 372 Fälle von Mord und Todschlag registriert, die Aufklärungsquote lag bei 93,8%, der Anteil der Versuche bei 73,8%.9 Bezogen auf die Gesamtzahl der Sterbefälle von 214.313 in NRW wurde bei 3,56% der Fälle ein nicht natürlicher Tod festgestellt. Bezogen auf die Gesamtzahl der nichtnatürlichen Todesfälle wurde bei ca. 4,9% der nicht natürlichen Todesfälle der Verdacht eines Tötungsdeliktes festgestellt. Bezogen auf die Gesamtzahl der registrierten Sterbefälle liegt bei etwa 0,17% der Verdacht eines Tötungsdeliktes vor.

Armin Mätzler wird das Zitat zugeschrieben: „Die Probleme liegen nicht dort, wo es darum geht einen Mord zu bearbeiten, sondern dort, wo es gilt, ihn zu erkennen!“10 Kritisch gesehen wird das sog. Dunkelfeld im Bereich der nicht erkannten „nicht natürlichen Todesfälle“ und der Tötungsdelikte. Das Dunkelfeld der nicht erkannten Tötungsdelikte lässt sich nur durch Forschung annähernd grob bestimmen. „Aufgrund einer multizentrischen Studie, an der sich 23 rechtsmedizinische Einrichtungen in Deutschland beteiligt hatten, ergab sich eine geschätzte Anzahl von jährlich wenigstens 1200 nicht erkannten Tötungsdelikten bzw. 11.000 nicht natürlichen Todesfällen, die offiziell als natürliche Todesfälle eingestuft wurden.“11 Bei 41.794 bundesweit registrierten ungeklärten Todesfällen würde dies ein Dunkelfeld von ca. 25% bei der Zahl der ungeklärten Todesfälle und bei 2401 registrierten Tötungsdelikten, würde dies ein Dunkelfeld von ca. 50% der registrierten Tötungsdelikte bedeuten. Bundesweit könnte man auf dieser Grundlage „hochgerechnet“ von über 50.000 nicht natürlichen Todesfällen und ca. 3600 Tötungsdelikten ausgehen. Überträgt man die Hochrechnung auf NRW, könnte man bei 7627 registrierten „nicht natürlichen Todesfällen“ von ca. 9500 nicht natürlichen Todesfällen sowie statt der 372 registrierten Mord- und Totschlagsdelikte von etwa 550 Mord- und Totschlagsdelikten ausgehen.

Der Arzt erfüllt bei der Ausstellung des Totenscheins für das weitere Todesermittlungsverfahren eine ausschlaggebende „Weichenstellung“. Nur wenn der Arzt einen „nicht natürlichen Tod“ attestiert oder die „Todesart ungeklärt“ vermerkt, wird die Polizei nach § 9 Abs. 3 BestG NRW informiert oder ggf. wenn der vor Ort befindliche Notarzt die Ausstellung eines Totenscheins einsatzbedingt ablehnt.

Eine der Ursachen für nicht erkannte Tötungsdelikte ist u.a. in einer nicht sachgerecht durchgeführten Leichenschau zu suchen. Häufig wird im Rahmen der ärztlichen Leichenschau der Leichnam nicht oder nicht vollständig entkleidet. Ein weiterer Fehler ist, dass die verstorbene Person durch den (häufig allein vor Ort befindlichen Arzt) nicht umgedreht wird oder die Untersuchung der Leiche, aus unterschiedlichen Gründen, nicht sorgfältig erfolgt. Bisweilen mangelt es auch an profunden ärztlichen Kenntnissen, um unauffälligere Verletzungsmerkmale oder Spurzeichnungen am Leichnam zu erkennen. So können nach den landesrechtlichen Regeln für NRW alle approbierten Ärztinnen und Ärzte die Leichenschau durchführen, eine spezielle fachliche Fortbildung ist nicht erforderlich. In den Fällen einer Erdbestattung erfolgt nach ärztlicher Leichenschau und Ausstellung der Todesbescheinigung keine weitere Inaugenscheinnahme der Leiche mehr. In den Fällen einer vorgesehenen Feuerbestattung ist eine zweite Leichenschau durch einen amtlich bestellten Arzt (§ 15 Abs. 1 BestG NRW) vorgesehen.

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