Prävention

Sexueller Missbrauch

Möglichkeiten polizeilicher Kriminalprävention

 

Von EKHK a.D. Klaus Kemper, Duisburg*

 

Bei der großen Palette der im deutschen Strafgesetzbuch und dessen Nebengesetzen aufgeführten Delikte gehört der im § 176 StGB mit all seinen Facetten definierte sexuelle Missbrauch von Kindern zu denjenigen Tatbeständen, die in der Bevölkerung mit der größten Abscheu betrachtet werden. Dazu kommt, dass bei der Aufklärung derartiger Handlungen häufig ganze Serien und Täternetzwerke festgestellt werden, die dann den Bürgern oft tage-, manchmal gar wochenlang in der Presse präsentiert werden. So wurden z.B. in NRW in jüngster Vergangenheit in Lügde (2018) sowie Bergisch Gladbach (2019) zwei umfangreiche Verfahren mit einer Vielzahl von Fällen und Geschädigten sowie netzwerkähnlichen Strukturen der Tätergruppen aufgedeckt. Ermittlungserfolge wie diese können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass derartige Sexualstraftaten vorwiegend im Geheimen geschehen und oft unentdeckt bleiben. Das BKA registrierte im Jahr 2019 insgesamt 15.936 Fälle von sexuell motivierten Taten zum Nachteil von Kindern und somit einen Anstieg zum Vorjahr von neun Prozent, wobei angenommen werden darf, dass bei diesen Delikten ein erhebliches Dunkelfeld existiert. Die ermittelten Tatverdächtigen waren zu 80 bis 90% männlich. Untersuchungen, u.a. von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, haben ergeben, dass die Anzahl unentdeckter Fälle etwa 20mal so groß sein könnte, sodass sie bei etwa 300.000 Taten liegen dürfte.

 

 

1 Repressive Maßnahmen


Aufgrund der aufgeführten Tatsachen war es auf Dauer unerlässlich, neben den ohnehin bereits seit Jahren in den Präventionsdienststellen praktizierten Aktivitäten auch in der Repression Maßnahmen zu konzipieren, um die Gefahr derartiger Sexualdelikte zu minimieren. Ab dem Jahr 2007 etablierten sich sukzessive in den Bundesländern Konzepte zum Umgang mit nach Verbüßung ihrer Strafe entlassenen Sexualtätern und damit der Verhinderung eines möglichen Rückfalls. In NRW z.B. trägt ein solches Projekt die Bezeichnung KURS (Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Straftätern), in Bayern HEADS (Haft-Entlassenen-Auskunfts-Datei-Sexualstraftäter) und beinhaltet ergänzende Maßnahmen zu denjenigen der Führungsaufsicht. Dazu gehört etwa die Überwachung der Einhaltung von durch Letztere ergangenen speziellen Weisungen. In NRW werden dabei in verschiedenen Polizeibehörden durchschnittlich insgesamt ca. 1000 Probanden betreut.

 

2 Präventive Maßnahmen


Bundesweit haben sich die Polizeidienststellen zwar im Rahmen der erlassmäßig vorgesehenen Organisationsstrukturen in den Ländern teilweise unterschiedlich aufgestellt, der Bereich Kriminalprävention gehört allerdings mittlerweile zum festen Bestandteil polizeilicher Aufgabenwahrnehmung. In NRW etwa sind – zumindest in den Kreispolizeibehörden – Dienststellen vorhanden, die sich ausschließlich mit den Themen Vorbeugung und Opferschutz befassen und in diesem Rahmen den Bürgern Verhaltenstipps geben, mit denen sie die Gefahr, im Alltag Opfer zu werden, minimieren können. Zu den Bereichen, die dabei abgedeckt werden, gehören z.B. die Computer- oder Gewaltprävention, aber auch der Komplex des sexuellen Missbrauchs von Kindern. In der Bevölkerung wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder dann ein stark zunehmendes Interesse an diesem Thema festgestellt, wenn größere Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit Pädophilen durch die Presse an die Öffentlichkeit gebracht wurden. Dabei sorgte Mitte der 1990er-Jahre der Fall Dutroux in Belgien für eine Art Initialzündung betreffend die Sensibilisierung vieler Eltern für das Thema, was zu einer ersten Welle des Interesses für diesbezügliche Vorbeugungsmöglichkeiten führte. Im Gegensatz zu anderen Präventionsthemen können allerdings polizeiliche Ratschläge in diesem Zusammenhang lediglich den Erziehungsberechtigten der möglichen potentiellen Opfer im Rahmen von Vorträgen unterbreitet werden. Wie auch immer geartete Arbeit direkt mit Kindern, die in diese Richtung zielt, sollte grundsätzlich von diesbezüglich ausgebildeten pädagogischen Fachkräften geleistet werden. Für die kriminalpräventive Elternarbeit zu diesem Thema bieten sich mit der Zweiteilung in Informationsvermittlung und Verhaltensratschläge zwei Komplexe an, mit denen Erziehungsberechtigten Hilfestellung für den Umgang mit diesem Problem gegeben werden kann.

 

3 Informationsvermittlung

 

3.1 Der Tatbestand


Der sexuelle Missbrauch umfasst Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexuelle Beleidigung in jeglicher Form zum Nachteil von Kindern, die strafunmündig sind und denen ein besonderer Schutz gewährt werden soll. Gleichgültig, wie die Taten begangen werden und ob ihnen angeblich vom Opfer zugestimmt wurde, tragen Kinder niemals Schuld an einer derartigen Tat, da sie diese überhaupt nicht richtig einschätzen können.

3.2 Die Täter

Nach wie vor hält sich bei vielen Menschen hartnäckig die Vorstellung vom bösen Fremden, der auf der Straße Kinder anspricht und mit Süßigkeiten lockt, um sie dann mit nach Hause zu nehmen und ihnen dann dort Gewalt anzutun, was dazu führt, dass der Nachwuchs eindringlich vor solchen Situationen gewarnt wird. Presseberichte wie z.B. über den Fall Dutroux oder die Entführung und Gefangenschaft der Österreicherin Natascha Kampusch scheinen diese Auffassung zu bestätigen. Dabei ist es eine Tatsache, dass nur 10% der Sexualstraftäter Fremde sind, davon 5% sog. „Triebtäter“. 90% gehören zum Bekanntenkreis der Kinder, und ein Drittel zählt zum familiären Umfeld. Es sind also Menschen, denen sie vertrauen. Dabei spielen weder Alter, noch Bildung, Beruf oder Herkunft eine Rolle. Wie bereits erwähnt, sind die ermittelten Täter zum Großteil männlich. Es wird vermutet, dass der Anteil weiblicher Täter höher ist, diese wegen der engeren Beziehungen zum Opfer aber nicht angezeigt werden.


Viele Täter sind unsichere Persönlichkeiten, die unfähig sind, normale sexuelle Beziehungen zu Erwachsenen einzugehen und darum entsprechende Befriedigung im Kontakt mit ihnen unterlegenen Kindern suchen. Das unbedarfte Opfer verhält sich gelegentlich unbeabsichtigt in einer Weise, die der Erwachsene irrtümlich als eine Art „Lolita-Verhalten“ interpretiert.

 

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