Wissenschaft  und Forschung

Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden

Eine aktuelle Analyse


Von Prof. Dr. Stefan Goertz, Lübeck1

 

1 Einleitung


Im Statement des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, anlässlich der Vorstellung des Lageberichtes „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ zitierte dieser das Bundesverfassungsgericht mit den Worten, dass „die politische Treuepflicht […] vom Beamten fordert, dass er sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsgemäßen Organe und die geltende Verfassungsordnung angreifen, bekämpfen und diffamieren. Vom Beamten wird erwartet, dass er diesen Staat und seine Verfassung als einen hohen positiven Wert […] anerkennt, für den es sich einzutreten lohnt.“2 Aus diesem Zitat leitet der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz ab, dass „der öffentliche Dienst und dessen politische Treuepflicht tragende Pfeiler der wehrhaften Demokratie sind! Daraus folgt, dass wir die Abwehr von Verfassungsfeinden vom öffentlichen Dienst bereits als eine existentielle Schutzmaßnahme unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Vorfeld begreifen müssen!“3 Vor diesem Hintergrund spricht BfV-Präsident Haldenwang von „schockierenden Meldungen zu Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“ und erklärt, dass „jeder Vorfall von Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden in der Lage ist, das Vertrauen in den Staat und seine Organe zu erschüttern.“

Dieser Beitrag beginnt die Analyse dieses aktuellen und höchst wichtigen Themas mit den Ergebnissen des ersten Lagebildes „Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden“ des BfV und stellt hierbei die aktuellen Zahlen zu Verdachtsfällen von Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden dar. Danach werden aktuelle Fälle von Rechtsextremisten in den deutschen Polizeien untersucht, hierbei u.a. rechtsex-tremistische Chatgruppen von Polizisten aus Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Das Kapitel vier beleuchtet Rechtsextremisten in der Bundeswehr, in deren Zusammenhang der BfV-Präsident erklärt, dass Soldaten der Bundeswehr „Zugänge zu Waffen und sensiblen Informationen haben“ und dadurch von „extremistischen Soldaten eine erhebliche Gefahr ausgehen“ könne. Das fünfte Kapitel stellt aktuelle und zukünftige Maßnahmen gegen Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden dar, basierend auf den drei Säulen Prävention, Detektion und Reaktion.

 

2 Analyse des aktuellen Lagebildes


Das BfV verzeichnet in seinem erstmals erstellten Lagebericht aus dem September 2020 zu Rechtsextremisten in den deutschen Sicherheitsbehörden 319 Verdachtsfälle Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden der Bundesländer, 58 Verdachtsfälle Rechtsextremismus in den Bundessicherheitsbehörden sowie 1.064 Verdachtsfälle Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Erfasst wurde hierfür ein Zeitraum von ca. drei Jahren, von Anfang Januar 2017 bis Ende März 2020.4 Die 319 Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden der Bundesländer kommen auf ca. 264.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.5 Innerhalb der Sicherheitsbehörden des Bundes wurden im Zeitraum 1.1.2017 bis 31.3.2020 unter 108.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 58 Verdachtsfälle Rechtsextremismus gemeldet.6

Abgefragte und beteiligte Stellen an diesem ersten Lagebericht Rechtsextremisten in deutschen Sicherheitsbehörden waren auf der Ebene der Bundesbehörden das BfV selbst, das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt, der Bundesnachrichtendienst, die Bundespolizei, die Zollverwaltung, die Polizei beim Deutschen Bundestag sowie die Bundeswehr und auf der Ebene der Bundesländer die 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz, die 16 Landeskriminalämter sowie die Landespolizeibehörden. Als Grundgesamtheit der Verdachtsfälle Rechtsextremismus wurden solche Sachverhalte gezählt, aufgrund derer im Zeitraum vom 1.1.2017 bis zum 31.3.2020 dienst- und arbeitsrechtliche Maßnahmen oder Verfahren wegen des Verdachts von rechtsextremistischen Einstellungen oder Verhaltensweisen eingeleitet wurden.7

Bei den Sicherheitsbehörden der Länder wurden zu den 319 Verdachtsfällen insgesamt 303 Verfahren eingeleitet. Es wurden 237 disziplinarrechtliche Verfahren (78%), 48 Verfahren mit dem Ziel der Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe (16%) sowie 18 arbeitsrechtliche Maßnahmen (6%) eingeleitet. Zudem wurden 261 strafrechtliche Verfahren eingeleitet. Die häufigsten durch Landesbehörden berichteten Verdachtsfälle Rechtsextremismus standen im Zusammenhang mit einem Austausch von Chatnachrichten mit verfassungsfeindlichen Symbolen oder Äußerungen mit verfassungsfeindlichem Inhalt. In 66% der Fälle traten Einzelpersonen in Erscheinung. In rund 31% der Verdachtsfälle waren mutmaßlich mehrere Personen beteiligt.8

Die Verdachtsfälle Rechtsextremismus in Bundesbehörden führten zu insgesamt 62 Verfahren, davon 38 disziplinarrechtliche Verfahren (61%), 23 Entlassungen/Nichternennungen in das Beamtenverhältnis auf Probe (37%) sowie in einem Fall zu arbeitsrechtlichen Schritten (2%).9 Am häufigsten fielen die unter einem Rechtsextremismusverdacht stehenden Personen in Bundesbehörden durch den Austausch von Chatnachrichten mit verfassungsfeindlichen Symbolen oder Äußerungen mit verfassungsfeindlichem Inhalt auf (89%).

 

3 Rechtsextremisten in deutschen Polizeien – Aktuelle Fälle


Das Wochenmagazin „Der Spiegel“ meldete im August 2020 für den Zeitraum 2014 bis Sommer 2020 ca. 400 Verdachtsfälle für Rechtsextremismus in den deutschen Polizeien. Dazu zählen Fälle von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus unter Polizisten und Polizeianwärtern. Dies ergab eine Umfrage des Wochenmagazins bei den Innenministern der 16 Bundesländer und beim Bundesinnenministerium. Die Bundesländer zählten von 2014 bis Sommer 2020 rund 340 derartige Vorkommnisse, bei der Bundespolizei waren es von 2012 bis Sommer 2020 nach Angaben des Bundesinnenministeriums 36 rechtsextremistische und 25 rassistische Verdachtsfälle seit dem Jahr 2012 sowie zwölf Fälle, in denen Beamte der sogenannten Reichsbürger-Bewegung nahestehen sollen. Bayern registrierte 18 mutmaßliche „Reichsbürger“ in Polizeiuniform.10

Seite: 12345weiter >>