Dokumentation von Vernehmungen – traditionell und audiovisuell (Teil 1)
Von Staatsanwalt Dr. Heiko Artkämper und Dozent Thorsten Floren, Dortmund/Mülheim*
1 Einleitung
Die Aussage eines Beschuldigten oder Zeugen stellt ein zentrales Element der Ermittlungsarbeit dar und ist für ein späteres Strafverfahren in Form des Personalbeweises von erheblicher Relevanz. Neben den bekannten Faktoren, die für eine gute und effektive Vernehmung von Bedeutung sind, kann der Bereich der Dokumentation gerade auch für das Ermittlungsverfahren und die Beweiserhebung vor Gericht eine Vielzahl an Hürden und Problemen in der polizeilichen Alltagsarbeit aufwerfen. Dieser Umstand rührt in Teilen unter anderem aus den leider nur rudimentär geregelten Strafprozessvorschriften hinsichtlich der Dokumentationspflichten für die staatsanwaltliche bzw. ermittlungsrichterliche Vernehmung in den §§ 168, 168a, 168b StPO. Für die polizeiliche Vernehmung werden durch den Gesetzgeber in § 163a Abs. 1, 2 und 4 StPO (Beschuldigte) und § 136 Abs. 3 StPO (Zeugen) keine verbindlichen Vorgaben getätigt.
Neben der traditionellen, schriftlichen Vernehmungsprotokollierung wurde bereits im Jahr 1998 erstmalig die Bild- und Tonaufzeichnung im deutschen Strafverfahren eingeführt (Zeugenschutzgesetz). Zunächst war diese auf die Zeugenaussage beschränkt, wurde 2004 durch das Opferreformgesetz zudem nur für die Hauptverhandlung zugelassen. Durch die Änderung des § 136 StPO ab dem 1.1.2020 wurde die audiovisuelle Vernehmung auch für den Beschuldigten bereits im Ermittlungsverfahren als Vernehmungsvariante unter besonderen Voraussetzungen eingeführt. Hieraus ergeben sich zugleich Chancen und Risiken für das Themenfeld der Dokumentation der Vernehmung sowohl für die Protagonisten (Ermittlungspersonen/Zeugen/Beschuldigte), als auch für die Art und Weise der erlangten und in analoger oder digitaler Form gesicherten Aufzeichnungen. Im Nachfolgenden wird zunächst über die „traditionelle“ Dokumentation, deren Möglichkeiten und Problemstellungen referiert (Teil 1) und in der Ausgabe 1/2022 der gleiche Ansatz in Bezug auf die „audiovisuelle Vernehmung“ dargestellt (Teil 2).
2 Problemstellung
Es ergibt sich teilweise ein erschreckendes Bild, wenn die Dokumentation der polizeilichen Vernehmung in ihre Bestandteile zergliedert wird. Allerdings soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass staatsanwaltliche und richterliche Vernehmungen oftmals exakt an denselben Mängeln leiden – teilweise sogar noch schlechter sind. Dieser „düstere“ Einstieg will und darf nicht entmutigen. Vielmehr zeigt er Fehler auf, die dafür genutzt werden sollten, um daraus für die Zukunft zu lernen und es besser zu machen. Gerade aus diesem Grund muss vor einer bedenkenlosen Übernahme einer langjährigen Dokumentationspraxis „gestandener“ Vernehmungsbeamter mit besonderer Deutlichkeit gewarnt werden, die in vielen Fällen zu einer Fortschreibung der Fehlerpraxis führen würde.
Die hohe Relevanz von Vernehmungen für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren kann nicht geleugnet werden; gleiches gilt für die Tendenz der Justiz, Ergebnisse polizeilicher Vernehmungen in das Urteil zu übernehmen. Dies ist sicherlich zutreffend, darf aber nicht außer Acht lassen, dass die Protokolle von Vernehmungen ebenso unterschiedlich ausgestaltet sind wie ihre Rezeption im Strafverfahren.
2.1 Rechtsrahmen
Durch den Gesetzgeber wurden die rechtlichen Vorgaben der Dokumentation von Vernehmungen in den Rechtsvorschriften und Richtlinien explizit in den §§ 168a Abs. 1 und 2, 168b StPO und den Nrn. 5b, 45 RiStBV verankert. Die staatsanwaltschaftliche und richterliche Praxis zeigt jedoch, dass in den Akten eine andere Art der Dokumentation von Vernehmungen vorzufinden ist. Häufig wird lediglich eine „bereinigte“ Niederschrift einer Vernehmung protokolliert. Es mangelt zudem daran, dass informatorische Vorgespräche nicht dokumentiert wurden. Somit weisen die Vernehmungsprodukte unterschiedlichen bis unklaren Beweiswert auf. Als Folgen sind differierende Würdigungen im Hauptverfahren anzutreffen, die im schlimmsten Fall bis zum Ausschluss dieser Personalbeweise führen können, womit folglich der Einsatz und die Arbeit der Ermittler in Gänze nicht in die Beweisführung mit eingebracht werden kann, was sicherlich nicht dem Anspruch der ermittelnden Polizeibeamten genügt.
2.2 Dokumentation der Belehrung
Die Richtlinie Nr. 45 Abs. 1 RiStBV besagt, dass bei Vernehmungen die Belehrung des Beschuldigten vor seiner ersten Vernehmung „aktenkundig zu machen“ ist. Auch wenn damit eine Protokollierung im eigentlichen Sinne nicht vorgeschrieben ist, sollte die Belehrung so dokumentiert werden, wie sie tatsächlich erfolgte. Es muss konstatiert werden, dass vorformulierte und somit unzutreffende Dokumentationen nicht dem Anspruch der zuvor dargestellten Richtlinie entsprechen können. Aus der Praxis heraus sind Dokumentationen der Belehrung als Textbaustein/Pflichtfelder die so oder ähnlich lautend häufig anzutreffen: „Mir ist hier gesagt worden, ...“ oder „Ich bin darauf hingewiesen worden, ...“.
Ein derartiges Vorgehen, kann bereits die erste schriftliche Lüge einer jeden Vernehmung – an exponierter Stelle – darstellen. Die Belehrung wird, obwohl sie ein Maßanzug ist, als Konfektionsware deklariert. Sie ist bei jedem Beschuldigten anders, da auch jeder Beschuldigte, jedes Delikt/jeder Tatablauf/die verschiedenen Tatphasen divergieren. Dieser Umstand muss sich daher auch in ihrer Dokumentation widerspiegeln. Eine häufig dargestellte Form der „mir“- bzw. „ich“-Form suggeriert die Wiedergabe einer eigenen Aussage des Vernommenen, was angesichts der Vernehmungsrealität und des Umstandes, dass hier Textbausteine Anwendung finden, schlichtweg unsinnig ist. Seit Juli 2013 spricht § 168b Abs. 3 StPO davon, dass die Belehrung des Beschuldigten „zu dokumentieren“ ist. Dies dürfte qualitativ mehr als bloße Aktenkundigkeit bedeuten und künftig Formulierungen und Floskeln wie nach erfolgter „rechtmäßiger Belehrung“ oder „Rechtsbelehrung“ ausschließen. Eine Belehrung ist wortgetreu (so wie sie im konkreten Fall erfolgt ist) in das Vernehmungsprotokoll aufzunehmen.
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